Montag, 17. März 2014

The Counselor

Man hätte nicht erwartet, dass dies Ridley Scott einmal passieren würde: Cinema Score, ein mit Publikumswertungen arbeitendes US-Marktforschungsunternehmen, verpasste „The Counselor“ ein D-Rating. Die F-Kategorie ist die schlechteste. Sie bleibt Leuten wie Ed Wood vorbehalten, D ist nicht ganz so schauerlich, kategorisiert aber immer noch schlimmsten Schrott. D, das sind Machwerke, die nach Ansicht der Score-Experten gar nicht erst ins Kino kommen dürfen. 

Und nun dies auch bei einem Thriller von Ridley Scott mit Michael Fassbender, Javier Bardem, Cameron Diaz, Penélope Cruz, Brad Pitt und Bruno Ganz, für den der Pulitzer-Preisträger und bereits für den Literatur-Nobelpreis gehandelte Cormac McCarthy das Drehbuch geschrieben hat. Was ist passiert? Nun, in dem Film wird geredet. Sehr viel sogar.
 

Nun, um es vorwegzunehmen: „The Counselor“ ist vielleicht nur ein kleines Meisterwerk und der Film reicht auch nicht ganz an die McCarthy-Adaption „No Country For Old Men“ von den Coen Brothers heran. Aber er ist ein guter Film, ein verdammt guter sogar. Einer von denen, die man gerne noch einmal sehen möchte. Und noch einmal.

„Erkennen Sie die Wahrheit der Lage, in der Sie sich befinden?“, fragt der Kartellboss am Ende des Films den um Mitleid bittenden Counselor, während er gleichzeitig dessen Freundin foltern und ein paar andere Leute hinrichten lässt. „Die Welt, in der Sie die Fehler ungeschehen machen wollen, die Sie begangen haben, ist eine andere als die, in der die Fehler gemacht wurden. Es gibt nichts, das sie wählen könnten. Die Welt, in der man wählen konnte, ist eine andere!“ Was ist daran so schwer zu verstehen?

  • „Wenn überhaupt, dann dürfte "The Counselor" ein Anwärter auf eine Goldene Himbeere sein, so heißen die in Hollywood alljährlich vergebenen Preise für die miesesten Filme. Und das liegt nicht nur an der schon vor Filmstart unrühmlich verstörenden Szene, in der Cameron Diaz akrobatisch auf der Windschutzscheibe eines Ferraris masturbiert …“ (Andreas Borcholte, SPON) 

 

Die Welt von Cormac McCarthy: eine Welt mit eigenen Regeln


Was verstörend ist, das weiß ich. Was unrühmlich verstörend ist, muss mir erst noch erklärt werden.
Kommen wir zum Film: der Plot, den es angeblich nicht gibt und den man angeblich nicht verstehen kann, ist simpel wie ein Fertiggericht, das man nur in Mikrowelle schieben muss, damit es erhitzt wird: ein Rechtsanwalt, der Counselor (Michael Fassbender), lässt sich von einem seiner Mandanten, dem Drogendealer Reiner (Xavier Bardem), beschwatzen, einen Drogendeal mit dem mexikanischen Kartell abzuschließen. Es winkt eine gewaltige Rendite. Beraten werden sie von dem cleveren Westray (Brad Pitt), der den Counselor nachdrücklich vor der Welt warnt, die er betreten möchte. Doch dann werden Drogen im Wert von 20 Mio. Dollar geraubt, das war nicht geplant, das Kartell erobert sie sich blutig zurück. Der Drahtzieher des Coups steht danach mit leeren Händen da, aber wegen einer banalen Nichtigkeit fällt der Verdacht des Kartells auf den Counselor, aber auch auf Reiner und Westray. Deren Uhr beginnt zu ticken, die Zeit ist bald abgelaufen, es gibt keine Nachverhandlungen. Menschen werden gefoltert und sterben, andere sterben und werden zuvor nicht gefoltert, aber tot sind sie auch.



Der Conselor landet irgendwann in einem mexikanischen Drecksloch. Als er mitten in der Nacht eine Bar verlassen will, warnt ihn der Wirt, davor nach draußen zu gehen und vor den Menschen, die dort warten: „Wenn sie jemanden auf der Straße hören, dann schießen sie. Dann machen sie das Licht, um zu sehen, wer tot ist.“ „Warum?“, fragt der Conselor. „Um zu zeigen, dass der Tod ein Witz ist. Dass er egal ist!“, antwortet der Wirt.
  • „Vielmehr ist dieser Film … eine Tragödie nahezu altgriechischen Charakters, in der es keinen Ausweg gibt für die meisten Beteiligten. Sie wissen das allerdings nicht, was die Sache nur noch schrecklicher macht“ (Anke Westphal, Frankfurter Rundschau).
Die Welt, die der Counselor besser nicht betreten hätte, kennen wir aus „Breaking Bad“, „No Country For Old Men“ und dem nicht weniger bemerkenswerten „Das Paradies der Mörder“. Es ist das amerikanisch-mexikanische Grenzgebiet, seien es nun Albuquerque, wo Walter White sein Meth kocht, oder der Terrell County der Coens und am schlimmsten El Paso, das an das berüchtigte Ciudas Juárez grenzt. Jenes mexikanische Juárez, auf dessen Straße pro Jahr einige Tausend Menschen getötet und liegen gelassen werden. Darunter abertausende Frauen, für deren Leichen sich kaum jemand interessiert.
Als der Conselor die Kneipe verlässt, landet er mitten in einer politischen Demonstration aufgebrachter Menschen. Auf Plakaten die Fotos verschwundener oder ermordeter Frauen. In einer Nebengasse wartet ein MG-bestückter Panzerwagen. Falls alles aus dem Ruder läuft. Ob der Counselor, seinen Namen erfährt man nicht, versteht, worum es geht? Man darf es bezweifeln.
Die Szene ist kurz, sie dauert nur einige Sekunden. Sie ist die einzige Brücke zur Realität, die in dem McCarthy-Kosmos existiert. Aber man sollte sich das Ganze merken.
Der Rest des Films spielt im sicheren El Paso, in Amsterdam, in London. In den teuren Wohnungen und Lofts der durch Drogendeals reich Gewordenen, die sich mit mehr oder weniger geschmackvollen Möbeln und Kunstwerken und mehr oder weniger gut ausgewählten Frauen umgeben und einfach noch viel mehr von all dem haben wollen. Es sind Menschen, die sich beim Reden nicht näher kommen, auch wenn sie ständig die intimsten Details ausplaudern.



Absurdes Theater mit Raubtieren


Cormac McCarthy hat das Drehbuch zu dem Ganzen geschrieben. Ridley Scott hat zusammen mit seinem exzellenten Kameramann Dariusz Wolski („Pirates of the Caribbean“, „Prometheus“) alles in Bilder übersetzt, die elegant, präzise und gelegentlich roh sind. Musik ist kaum zu hören, und wenn, dann fällt sie nicht auf. Wir sind mitten drin in der hermetischen Welt Cormac McCarthys, einem Kosmos mit eigenen Regeln. Wir sind mitten drin in einem Film, der wie ein Neo-Noir-Thriller wirkt, aber keineswegs dessen Look besitzt. Die Drogengeschichte und die teilweise verwickelten Raubzüge erinnern dagegen in ihrer Komplexität ein wenig an den Neo-Noir-Klassiker „L-A. Confidential“, sind aber nicht ganz so schwer zu verstehen. Aber all diese Drogendeals  scheinen nur ein McGuffin zu sein, die äußere Hülle des inneren Kerns.
  • „Cormac McCarthy meint es ja ernst. Er erfindet bedeutungsschwangere Zeilen wie "Wahrheit hat keine Temperatur" oder Vor der Trauer verblasst der Wert" nicht zu unserem Amüsement, auch wenn es für Schauspieler schwierig sein muss, beim Rezitieren ein Kichern zu unterdrücken“ (Hanns-Georg Rodek, DIE WELT).
Tatsächlich dreht sich alles um absurdes Theater mit Raubtieren. Absurd, weil McCarthy mit der zentnerschweren Dialoglastigkeit und theaterhaften Geschichte das Neo-Noir-Genre kräftig unterminiert (die klassischen Noir-Filme der 1930er und 1840er Jahre spielten allerdings sehr häufig in Innenräumen). Und absurd (im Sinne von unverständlich), weil alle Figuren Bestandteile einer Kunstwelt sind, in der schöne Menschen in schönen Settings Dialoge produzieren, als hätten sie ihr ganzes Lebens nichts anderes getan, als über Männer und Frauen, Tod und Vergänglichkeit und die Reinheit im Herzen der Bestien zu philosophieren.
  • "Ridley Scott hat den ersten und hoffentlich auch letzten didaktischen Mafiafilm gedreht, man erhält in diesem Werk derart viele Ratschläge, nach denen man nie gefragt hat, dass eine per Gericht verordnete Therapiesitzung im Vergleich unterhaltsam wäre" (Frankfurter Allgemeine, Daniel Haas).
Der Prolog ist glasklar (dazu muss man aber vermutlich den Film zweimal sehen): Ridley Scott zeigt in der ersten Einstellung zwei Menschen, die unter weißen Laken verborgen sind. Es sind der Counselor und seine Freundin Laura (Penélope Cruz). Er, der sexuell erfahrenere, ist verliebt und will seine Zukünftige nicht nur mit gutem Sex, sondern auch mit Luxus beglücken. Leider fehlt das erforderliche Geld, wie wir bald erfahren werden.

Dann ein Schnitt: zwei Menschen in der Wüste. Es sind Reiner (Javier Bardem) und seine Geliebte Malkina (Cameron Diaz), die in gemütlicher Picknick-Atmosphäre zuschauen, wie einer der beiden Geparde der schönen Malkina in der Wüste des amerikanisch-mexikanischen Grenzlandes einen Hasen jagt. Ob sie etwas vermisse, fragt Reiner. „Vermissen bedeutet zu hoffen, dass etwas zurückkehrt: Das geschieht aber nicht!“, erwidert Malkina. Ob das nicht etwas unterkühlt sei? „Die Wahrheit hat keine Temperatur“, erwidert sie.
Es ist die Philosophie eines Raubtiers, das seinen Blick auf die nächste Beute lenkt und nicht lange darüber nachdenkt, ob der entkommene Hase freiwillig zurückkehrt. 
Zwei Naive und zwei Jäger in ihren eigenen Welten. Beide Welten werden sich bald berühren und einer der beiden Männer und eine der beiden Frauen werden dies nicht überleben.

  • „Nicht dass all die Gespräche, die hier geführt werden, Bockmist wären. McCarthy weiß schließlich, wie man so etwas schreibt, und sicherlich hat er auch etwas zu sagen. Doch Papier ist eben geduldiger als Celluloid - und spätestens, wenn zu Beginn des Films Bruno Ganz als Diamantenhändler ins Philosophieren gerät, ohne dass sein Monolog zu großem Erkenntnisgewinn für den Rest des Films führt, stehen die Zeichen auf bedeutungsschwangere Langeweile“ (stern.de).
Dann sehen wir den Counselor bei einem Diamantenhändler (Bruno Ganz) in Amsterdam. Auch dieser philosophiert ausgiebig: über die schöne Unvergänglichkeit der Diamanten. Vielleicht auch über deren unvergängliche Schönheit. Aber möglicherweise ist die Suche nach Schönheit und Dauer einfach nur irrational. Und so interessiert sich der Diamantenhändler für die Einschlüsse im edlen Stein, für den kleinen Makel, der den Diamanten für ihn interessant macht.
Bruno Ganz erklärt dies höflich und beinahe bescheiden und Michael Fassbender hört ihm zu wie ein lernendes staunendes Kind, dem eine Illusion weggenommen wird, aber alles irgendwie doch nicht begreift. Hier lernt man die titelgebende Figur kennen: cool, clever, adäquater Dresscode, gute Umgangsformen. Dahinter wenig Tiefgang, viel Naivität, ein Mann, der nur in seine Welt passt, aber nicht in die, in der er leichtes Geld verdienen will.

Die drei ersten Szenen des Films sind grandios gespielt, sie gehören beinahe schon zum Besten, was der Film zu bieten hat. Der Rest der Geschichte wird eine Reise antreten, die mit der Unvergänglichkeit beginnt und mit dem schäbigen Tod endet. Spätestens dann, wenn schöne Frauenkörper auf schmutzigen Müllhalden entsorgt werden.


Es werden Köpfe rollen

Nun ist „The Counselor“ in den Staaten abgestürzt. Wenn der Kassenflop ausgewertet wird, so ein Kritiker, würden Köpfe rollen. Nun könnte der auf Krawall gebürstete Verfasser dieser Zeilen eine lange Suada über die Amis vom Stapel lassen, über eine böse Filmindustrie, die Kinomachen als Gelddruckmaschine betrachtet und am liebsten Blockbuster produziert, in denen turmhohe Kampfroboter lärmend aufeinander einschlagen oder berühmte Comic-Helden gleich im Dutzendpack die Welt retten. Und dass man, müde geworden, lieber Qualitätsserien sehen sollte, wenn man verhindern möchte, dass einem im Kino das Gehirn auf Walnussgröße schrumpft.
Aber auch das ist ein dämlicher Allgemeinplatz. Das US-Kino macht nämlich immer wieder und nicht nur gelegentlich sehr gute Filme und wie lange das mit den guten Serien weitergeht, weiß auch kein Mensch.

  • „‘Der schlechteste Film der je gemacht wurde‘, dröhnte der sonst so besonnene Andrew O'Hehir vom Online-Magazin Salon.com, ohne Frage eine der wichtigsten Stimmen unter den anspruchsvollen US-Kritikern […] Die Deutschen Filmkritiker beten die US-Kritik nun nach. Jedenfalls die schlechteren, oberflächlicheren unter ihnen. Sie werfen dem Film ‚Konstruiertheit, seine Kälte, sein Peepshowtum‘ vor, was sie noch nie gestört hat, wenn der Regisseur Michael Haneke, Lars von Trier oder Apichatpong Weerasethakul heißt. Und wenn es dann poetisch oder philosophisch wird und heißt ‚Wahrheit hat keine Temperatur‘ oder ‚Vor der Trauer verblasst der Wert‘, dann überlegt der deutsche Kritiker nicht, was das meinen könnte, sondern fordert ‚unser Amüsement‘ und beschwert sich über das ‚Bedeutungsschwangere‘ der Dialoge“ (Rüdiger Suchsland, Telepolis).

Zum Glück gibt es ja Europa mit seiner reichen Kinokultur und mittendrin Deutschland mit seiner tollen Filmförderung. Vielleicht schaut man hier genauer hin und nimmt sich die Zeit für einen schwierigen Film? Weit gefehlt! „The Councelor“ wurde auch bei uns (von einigen nachdenklichen Ausnahmen abgesehen) geradezu hingerichtet, zynisch durch den Kakao gezogen, mit Häme übergossen und gar als „eine der größten Enttäuschungen des aktuellen Kinojahres“ (SPON) abgewatscht. Das ist sogar noch höflich formuliert, denn (natürlich) folgten auch Einschätzungen wie „schlechtester Film seit Dekaden“ und im britischen „The Observer“ setzte der Kritiker mit einem „Blah bloody blah“ einen markanten stilistischen Schlusspunkt unter seiner Einlassungen.


Aber die Briten müssen mit ihren Kritikern leben, wir mit unseren. Und in unseren Feuilletons wiederholt sich oft folgendes Schema (Achtung: Polemik!): Filmkunst ist das, was im Kino keiner sehen will und Unterhaltungskino sollten überschaubar dämlich sei. Das regt keinen auf. Blockbuster oder groß angelegte Genrefilme, die riskant experimentieren und sich ins Arthouse drängen, werden schäumend vor Wut angegriffen. 
Klar, sie brechen alle Regeln. Das ist Lars Kraumes „Die kommenden Tage“ so gagangen, vor gut einem Jahr wurde „Cloud Atlas“ als nächste Sau durchs Dorf getrieben und nun ist Ridley Scotts „The Counselor“ dran – ein Film, der es wagt, einigen Mittelklasse-Gangstern und Dealern und einem mexikanischen Drogenboss Worte in den Munde zu legen, als hätte die ganze Bande mindestens ihr halbes Leben Kierkegaard, Schopenhauer, Sartre, etwas Quantenphysik und einige Konstruktivisten gelesen. Heute sind viele Kritiker dagegen nur noch daran interessiert, flott zu texten und den Lesern passable Freizeitempfehlungen mit auf den Weg zu geben. Sie sind anti-intellektuell und zelebrieren eine letztlich cinéphobe Einstellung, als hätte es in diesem Land nie Autoren wie Hans-Christoph Blumenberg oder Wolf Donner gegeben.
  • „Viel entscheidender aber ist der zweite Teil des Films, in dem der Counselor erkennen muss, dass ihm jede Kontrolle über sein Schicksal, und jede Initiative dazu entglitten ist. Ein Nicht-Held, auf dessen Handlungen es gar nicht mehr ankommt, weil sie sowieso nichts ändern werden - das ist geradezu unerhört im amerikanischen Kino. Es erschüttert die Grundfesten eines Weltbildes, dem wir nicht nur auf der Leinwand täglich huldigen“ (Tobias Kniebe, Süddeutsche Zeitung).
Dabei muss der Zuschauer keine Angst vor dem Film haben. Gute Filme haben keine Botschaft, die man enträtselt oder an denen man scheitert. Sie führen vielmehr Gespräche mit dem Zuschauer, nur dass der Zuschauer nicht einfach nachfragen kann, wenn er etwas nicht versteht. Man muss schon etwas Geduld haben. Wer aber „The Counselor“ für zu prätentiös hält, wird sich ärgern. Wer sich sorgt, ihn nicht zu verstehen, muss ihn allerdings nicht sehen. Das ist sein gutes Recht, das ist der Preis der Freiheit. 
Es wird zu viel geredet? Gut, das war auch bei Eric Rohmer der Fall, aber das war Arthouse und keiner hat sich beklagt.
  • „But awake or dreaming, “The Counselor” is a ravishing object — a triumph of mood and style, form as an expression of content, and dialogue that finds a kind of apocalyptic comedy in this charnel-house existence … “The Counselor” is one of the best films Ridley Scott has made in a career that is not often enough credited for just how remarkable it has been“) Scott Foundas, VARIETY).

 

Die Eleganz des Bösen


„The Counselor“ ist als Thriller ein Wolf im Schafspelz. Er funktioniert wie eine Kneipe, die harmlos aussieht, vor der alle warnen, weil dort nachts die bösen Jungs sitzen und man dort besser nicht sein Bier trinkt. Wenn man reingeht, muss man auf alles gefasst sein. 
Ich selbst habe mich beim Zuschauen an einen Film erinnert, der mich ähnlich gepackt und begeistert war und den man beim ersten Mal auch nicht ganz versteht: und zwar „Lone Star“ von John Sayles (1996), ein Film, der auch in einer texanischen Stadt nahe der mexikanischen Grenzen spielt und in dem viel geredet wird. Auch über Tod und Gewalt und verschwundene Leichen. Allerdings war Sayles Film nicht so zynisch und nicht so hermetisch wie der „Counselor“, sondern historisch aufklärend, politisch und sozial konkreter und ehrlicher und alles andere als agnostisch. Sayles zeigt ein Grenzland, in dem sich die Kulturen begegnen und verstehen können, McCarthys und Scotts Film schiebt dem einen Riegel vor.

  • „Wirklich wundern, wenn der Film in einigen Jahren plötzlich als Kultklassiker wiederentdeckt wird, würde man sich allerdings auch nicht“ (stern.de).
Und das ist es auch, was am Ende ein wenig abstößt: der ausweglose, fast schon boshafte Nihilismus des großen alten Mannes der amerikanischen Literatur. „The Counselor“ ist ein Film von Cormac McCarthy und weniger von Ridley Scott. Er ist eine bitter-böse Studie über das Zerschellen des American Dream im texanisch-mexikanischen Grenzgebiet, das sich in einen magischen Ort verwandelt. Dem der Film einen genauen Blick verweigert. Er streift die andere Kultur, das tatsächliche Leben der Mexikaner, nur aus den Augenwinkeln wie in der erwähnten Demonstrationsszene. 
Und so wird das Brutale und Gefährliche, das jenseits der Grenze auf den vom Counselor repräsentierten Lifestyle wartet, dann ‚nur‘ zu einer Studie über die Eleganz des Bösen. Denn tatsächlich ist „The Counselor“ in seinem Kern eine misanthropische Studie über Finsternis, Ausweglosigkeit und Hoffnungslosigkeit und gleichzeitig eine elegant fotografierte Elegie über Raubtiere, deren schlimmstes eine Soziopathin ist, die für ihren Nihilismus sogar ästhetische Qualitäten reklamiert.
Es ist ausgerechnet die Frau, die am meisten mit diesem magischen Ort anfangen kann, der Trostlosigkeit der Wüste, dem achtlosen Tod, der alles Dauerhafte ad absurdum führt.
Zunächst mit einem großen Coup gescheitert, dann aber mit eisiger Brutalität doch noch an die fette Kohle herangekommen, mahnt sie am Ende ihren Banker in einem noblen Londoner Restaurant, nun schleunigst auszusteigen, da es sonst gefährlich für ihn werden könne. Auf ihre Geparde angesprochen, antwortet sie: „Der Jäger hat Schönheit, Anmut und Reinheit im Herzen. Man kann nicht unterscheiden zwischen dem, was er ist und dem, was er tut. Und was er tut ist Töten! Und es wurde nicht langweilig, dabei zuzuschauen, wie die Beute mit Eleganz getötet wurde.“ Dann bestellt sich das Monster lächelnd etwas zu essen, weil es halb verhungert ist.

  •  „Movie history is littered with films that we all sneered at and we all laughed at and we all thought were terrible and the critics hated them and no-one went to see them, and then 40 years later they fetch up on programmes like this (gemeint ist die BBC-Sendung ‚Film 2013‘, d. Verf.) with everyone saying ‚what a masterpiece!‘“ (Danny Leigh, BBC).
Noten: BigDoc = 1,5