Mittwoch, 18. November 2015

Big Eyes

Wenn man aufmerksam ist, kann man bei jedem Stadtbummel große Augen sehen. Auf Plakaten, in der Werbung. Erst neulich sah ich im Vorbeifahren an einer Litfasssäule ein Foto mit „Big Eyes“, ähnlich wie jene, die von der amerikanischen Künstlerin Margaret Keane seit über 60 Jahren gemalt werden. Tim Burtons „Big Eyes“ erzählt nicht nur von ihrer Vorgeschichte, sondern auch von einem Kunstskandal – und vom Identitätsverlust einer Künstlerin, die ihre Kunst spürt, aber nicht erklären kann.

Margaret Keanes Mann Walter kann erklären. so ziemlich alles. Das muss er auch. Immerhin behauptet er, dass die Bilder von ihm stammen. Und dass er die Kinder mit den überdimensionalen Augen deshalb malt, weil er als Künstler an die vielen Kindern erinnern möchte, die in all den vielen Kriege millionenfaches Leiden erfahren haben. So etwas befriedigt die Kunstwelt und das trendige Gerede sichert ihm dann auch einen begehrten Ausstellungsplatz bei der New Yorker Weltausstellung 1964.
Dort zeigt das Bild „Tomorrow Forever“ eine Armee großäugiger Kinder aus allen Ethnien der Welt, eine Potenzierung des Motivs, die auch den Gigantismus des Möchtegern-Künstlers demonstriert. Gemalt hat dieses Bild nämlich seine Frau Margaret. Viel alle anderen auch. Niemand weiß davon, nicht einmal ihre Tochter. Erst als Margaret beschließt, mit dem Betrug an die Öffentlichkeit zu gehen, bricht das Kartenhaus der Lügen zusammen.

Tim Burton erzählt in „Big Eyes“ die authentische Geschichte eines berühmten Kunstskandals. Burton macht daraus eine leichtfüßige Komödie. In den 1950ern lernt Walter (Christoph Waltz) die alleinerziehende Mutter Margaret (Amy Adams) und ihre Tochter Jane (Madeleine Arthur) auf einem Trödelmarkt kennen, wo Margaret für einen Dollar Portraits malt. Er selbst versucht banale Genrebilder zu verkaufen. Der charmante Walter überzeugt die introvertierte Malerin davon, sich nicht unter Wert zu verkaufen. Bald wird geheiratet und Walter entwickelt außergewöhnliche Qualitäten als Verkäufer von Bildern – allerdings nur der seiner Frau. Als man ihn zufällig für den Schöpfer dieser Werke hält, versteht er, dass in der von Männern dominierten Kunstwelt Frauen keine Chance haben. Er bleibt bei der Lüge. Margaret malt von nun an heimlich, selbst ihre Tochter bekommt nichts mit, und aus Walter Keane wird innerhalb weniger Jahre ein Star der Kunstszene San Franciscos.


Schriller Wandel der Kunstwelt

Christoph Waltz spielt den Selfmade-Betrüger mit dem typischen Waltz-Touch -  zunächst durchaus ernsthaft an Margaret interessiert, ein Charmeur mit romantischer Ader, nett, aber auch gerissen. Aus den 5-Dollar-Noten, die er nach Hause bringt, werden größere Scheine. Als er in einem kultigen Club den prominenten Impressario Enrico Banducci (Jon Polito) nach einem Streit attackiert, ist dies keineswegs das gesellschaftliche Aus. Der Skandal ist irgendwie chic, die Szene ist begeistert, die beiden Streithähne wittern das Geschäft und geben dem Affen Zucker. Walter entwickelt nach dieser Lektion seine Talente zur Perfektion, ein geschickter Manipulator, der einen Raum beherrscht, sobald er ihn betritt. Er zieht die Yellow Press auf seine Seite, findet Förderer und Fans. Der Kolumnist Dick Nolan (Danny Huston) nennt ihn einen B-Promi. Immerhin. Der erste Schritt ist getan, bald folgen Ruhm und Big Money. Und Walter beginnt sich mit seiner Rolle zu identifizieren. 
Natürlich ist diese Geschichte für Christoph Waltz ein gefundenes Fressen. „Big Eyes“ wird über weite Strecken eine One-Man-Show, in der Waltz mit einem Schuss Overacting alle Facetten eines schrägen, aber nicht ungefährlichen Mannes präsentiert.
Dass er dabei seine Partnerin nicht an die Wand spielt, liegt daran, dass Amy Adams (
„Man of Steel“, „American Hustle“) der perfekte Cast für die Rolle der Margaret Keane ist. Während Waltz das spielt, was man von ihm erwartet und beinahe zum Selbstzitat wird, agiert Adams nuanciert und unauffällig. Ihre Überwältigung durch einen dominanten Mann verwandelt sich nur langsam in Irritation, dann in Traurigkeit. Adams tupft dies so pointiert und sparsam hin wie es eine minimalistische Künstlerin auf ihrer Leinwand tun würde.
Nur ist Margaret keine Minimalistin, wenn sie den Pinsel in der Hand hält. Die expressiven Bilder hart am Rande des Kitsch drücken aus, was sie fühlt, ohne dass sie wortreich erklären kann, warum sie so und nicht anders malt. Für den theoretischen Überbau sorgt Walter, und das in einer Zeit, die sich radikal von den bürgerlichen Kunstbegriffen entfernt. Aus dem Künstleratelier werden Factorys, Andy Warhol wird 1962 aus Suppendosen Kunstwerke machen und zwei Jahre später Schreibt Susan Sontag ihre „Notes on Camp“. 
In dieser Welt des schrillen Wandels reagiert die Kunstwelt geradezu hysterisch auf Sensationen und solche, die es sein wollen. Nur der Kritiker John Canaday (Terence Stamp) sieht in Keanes Bildern das Trashige, das für alle anderen hip ist. Eine Welt, in der Margaret Keane deplatziert wirkt. Ihr Mann bewegt sich in ihr wie ein Fisch im Wasser. Langsam schleichen sich in diese Beziehung Dissonanzen ein. Als Margaret entdeckt, dass Walter überhaupt nicht malen kann und seine eigenen Bildchen bei einem anderen Maler gekauft hat, begreift sie, dass ihr die eigene Identität trotz oder gerade wegen des enormen kommerziellen Erfolgs aus den Händen gleitet. Amy Adams spielt dies atemberaubend authentisch und dafür gab es zu Recht für sie den Golden Globe Award für die Beste Schauspielerin in der Kategorie „Komödie“. 


Keine Tragikomödie

Zu großen Augen scheint Tim Burton eine spezielle Beziehung zu haben. Bereits in „Frankenweenie“ sah man sie, auch Madeleine Arthur passt mit ihren großen Augen perfekt in den Film. Auch sonst ist „Big Eyes“ ein typischer Burton-Film geworden - mit opulenten Settings und satten Farben, allerdings nicht ganz so schräg wie in früheren Filmen. Einige geometrisch angeordnete Einstellungen des großartigen französischen Kameramanns Bruno Delbonnel („Die fabelhafte Welt der Amélie“, „Harry Potter und der Halbblutprinz“, „Inside Llewyn Davis“) erinnern sogar an die Tableaux Vivants von Wes Anderson, sind aber kein reines Stilmittel, sondern Ausdruck der emotionalen Verfasstheit der beiden Hauptfiguren.

Tim Burton schreckt in seinem Film allerdings vor dem großen Drama zurück. Nur einmal, kurz bevor Margaret mit ihrer Tochter ihren Mann verlässt, bekommt die von Waltz gespielte Figur dämonische und gewalttätige Züge. Dies trifft auch den Kern, denn „Big Eyes“ ist auch das Portrait einer gewaltigen narzisstischen Störung. 

Aber Burton wäre nicht Burton, wenn er eine bedrohliche Dunkelheit in seinen Filmen zulassen würde. In „Big Eyes“ rudert er zurück, der Film wird nicht zur Tragikomödie. Wenn in der Schlussszene Margaret und Walter vor Gericht über die Urheberrechte streiten (was tatsächlich über 20 Jahren nach der Trennung der beiden geschah), inszeniert dies Burton als Farce, in der Christoph Waltz völlig aus dem Ruder läuft. Das kann man in dieser Szene auch vom Film behaupten. Überzeugen kann dies leider nicht so ganz, auch wenn der Richter schließlich eine originelle Entscheidung trifft, mit der Walter nicht rechnen konnte.
 

„Big Eyes“ steht in der Tradition jener Filme wie „Edward mit den Scherenhänden“ oder „Ed Wood“, in denen skurrile und weltfremde Figuren mit der Welt aneinander geraten und sich einen Platz für ihre Träume erkämpfen müssen. In „Ed Wood“ erzählte Burton die authentische Geschichte eines dilettantischen Filmemachers mit dem Ruf, der schlechteste aller Zeiten zu sein. Dort sagt Vincent D’Onofrio als Orson Welles am Ende zu Wood, dass Visionen es wert sind, um sie zu kämpfen. Lange Zeit geschieht dies in „Big Eyes“ nur an der Staffelei, aber dann, wenn es erforderlich ist, handelt Margaret Keane mit einer Entschlossenheit, die anderen Burton-Figuren oft fehlt. 
Die reale Margaret Keane malt immer noch, ihr Mann hat bis zu seinem Tode behauptet, dass die Bilder von ihm sind. Die Realität ist nicht nur in diesem Fall deprimierender als das Kino Tim Burtons.

Noten: Melonie = 1,5, Klawer, BigDoc = 2

Big Eyes – USA 2014 –Regie: Tim Burton – Drehbuch: Scott Alexander, Larry Karaszewski – Kamera: Bruno Delbonnel – Laufzeit: 105 Minuten – FSK = ohne Altersbeschränkung - D.: Amy Adams, Christoph Waltz, Danny Huston, Madeline Arthur, Terence Stamp, Jon Polito.