Donnerstag, 8. Juni 2023

„The Last of Us" und die Tropen

HBO kann es doch noch. Mit der Verfilmung des erfolgreichen Videospiels „The Last of Us“ erzielte der Pionier des Kabelfernsehens eine Reichweite von 40 Mio. Zuschauern in zwei Monaten.
Die Serie entwickelt neun Episoden lang eine ungeheure Erzählwucht, ist extrem spannend und besitzt mit Pedro Pascal und der non-binären Bella Ramsey zwei exzellente Darsteller, die perfekt in die post-apokalyptische Dystopie passen. Der nachfolgende Text ist keine Rezension, sondern beschäftigt sich mit einigen Aspekten der Erzähltheorie des seriellen Erzählens: den Tropen.

Was sind Tropen?

Natürlich kennen wir alle das Wort „Tropen“ als Bezeichnung einer Klimazone. Deutlich komplizierter geht es in der Literatur- und Medienwissenschaft zu. Und dort hat der Begriff eine Menge mit uns, dem Leser oder Zuschauer, zu tun.

Der aus dem Griechischen stammende Begriff „Tropé“ bedeutet „Wendung“, was die Bedeutung von Tropen in fiktiven Kino- und TV-Erzählungen aber nicht vollständig erfasst. Auch weil wir mit dem Begriff „Wendung“ eher einen Plot Twist verbinden.

„Tropé“ kann man auch als „Ausschmückung“ verstehen. Zum Beispiel in der Kirchenmusik. Dort lohnt sich ein Blick ins 16. Jh., denn auf dem berühmt-berüchtigten Konzil von Trient veröffentlichte die römisch-katholische Kirche nicht nur eine Liste der verbotenen Bücher, sondern missbilligte auch die Tropen in liturgischen Gesängen.
Besser versteht man die Bedeutung der Tropen, wenn man sie als rhetorisches Stilmittel definiert. Und das ist leicht verständlich: die Allegorie, die Ironie, der Sarkasmus, der Euphemismus u.v.a. sind allesamt Tropen. Auch die Metapher gehört dazu.
Die von mir aufgezählten Beispiele sind alltagstauglich. Wenn also ein Politiker etwas Unangenehmes beschönigt und klimabedingte Hitzekatastrophen als „freundliche Erwärmung“ bezeichnet, dann kann man „Aha, ein Tropus!“ rufen. Denn der sogenannte Euphemismus (beschönigende Beschreibung eines Sachverhalts) gehört auch zu den Tropen.

Und nun verstehen wir auch das Hauptcharakteristikum der Tropen: Das Gesagte ist nicht immer das Gemeinte. Damit geben sich die meisten Wissenschaftler zufrieden. Hinzuzufügen wäre allerdings, dass man im Falle einer Trope das Gemeinte durchaus erkennen kann. Wer im Restaurant versehentlich ein Glas zerbricht und vom Nebentisch gerufen wird „Das haben Sie aber gut hingekriegt!“, dann weiß der Unglücksrabe, dass dies kein ehrliches Lob war.

Genres und Tropen

Mittlerweile werden auch in Kinofilmen und Serien die spezifischen Tropen untersucht. Sehen wir dort Science-Fiction, Comicverfilmungen oder einen alten Western, wissen wir, um welches Genre es sich handelt. Ausgehend von der medientheoretisch etablierten Definition, dass Genres in Filmen und Serien auf einen Fundus etablierter Erzählkonventionen zurückgreifen, kann etwas Wichtiges gefolgert werden: der Zuschauer hat zum einen gelernt hat, Genres zu erkennen und zu klassifizieren. Zum anderen leitet er daraus konventionelle Erwartungen ab, wenn er einen Genrefilm oder eine Genreserie konsumieren möchte: in einem Western wird am Ende ein Showdown erwartet. Das ist ein Tropus.

Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte haben sich unzählige derartiger Erzählmuster entwickelt, die unter dem Begriff (der) Tropus oder (die) Trope zusammengefasst werden. Thema dieses Aufsatzes ist die Untersuchung, welche Tropen als sich wiederholendes Motiv und als Erzählmuster/-element in der Videospiel-Verfilmung „The Last of Us“ wichtig sind.
Da „The Last of Us“ eine dystopische Serie ist und in einer postapokalyptischen Gesellschaft spielt, wird sie mit der erfolgreichsten dystopischen Serie der letzten Dekade vergleichen: „The Walking Dead“. Dabei wird die Hypothese untersucht, dass ein Tropus nur begrenzt ein statisches Element sein darf, sondern am besten funktioniert, wenn er sich dynamisch weiterentwickelt.

Beispiele für wichtige Tropen: Zuschauer sind Deppen

Zunächst einige Beispiele. In den Star Trek-Serien und -filmen ist die „Zeitreise“ ein häufig verwendetes Erzählelement. Motivisch kann man zwischen Subtypen unterscheiden: die Figuren reisen in die Zukunft und können nicht mehr zurückkehren (Star Trek: Discovery); die Figuren reisen in die Vergangenheit, um Dinge ungeschehen zu machen (Star Trek: Picard).

Ein Tropus, den jeder schon einmal gesehen hat, ist der „Gott aus der Maschine“ (Deus ex machina). Gemeint ist damit das unerwartete Auftreten eines Retters in auswegloser Situation, eine Figur, die quasi aus dem Nichts auftaucht (in „Jurassic Park“ werden die Kinder vor den Velociraptoren durch einen plötzlich aus heiterem Himmel erscheinenden Tyrannosaurus Rex „gerettet“).

Nicht nur in der Handlung, sondern auch bei der Entwicklung der Figuren können Tropen entdeckt werden. Der Tropus „Vom Saulus zum Paulus“ charakterisiert eine Figur, die zunächst als Bösewicht auftaucht und sich zum Helden wandelt (Negan in „The Walking Dead“). Dies ist deutlich interessanter als ein statischer Charakter, der sich nicht ändert.

Statische Figuren wurden übrigens in den frühen Serien der 20. Jh. ausdrücklich gefordert. In einer vertikal erzählten Serie würde die Charakterentwicklung ein episodenübergreifendes Element einführen, die Figur hätte eine eigene Geschichte bekommen. Eine Gefahr für die Vermarktung der Serien, zum Beispiel beim Verkauf beliebig zusammengestellter Episoden-Pakete. Stichwort: Content-Syndication.

Selbst auf der extradiegetischen Ebene (also Elemente außerhalb der fiktiven Erzählwelt) gibt es Tropen: der „Viewers Are Morons“-Tropus, übersetzt: „Zuschauer sind Deppen“, beschreibt eine Strategie der Programmplaner, nämlich davon ausgehen zu müssen, dass die Inhalte eines Films oder einer Serie sich am denkbar dümmsten Zuschauer orientieren müssen (der Pilotfilm für „Star Trek: The Original Series“ war den Entscheidern des Networks NBC zu intelligent (!) und zu anspruchsvoll). So gesehen müsste es auch einen „Viewers Are Not Morons“-Tropus geben, der Medienprodukte wie die HBO-Serie „The Wire“ einschließt. Immerhin hat die euphorische Bewertung dazu geführt, dass viele die Serie kauften, ins heimische Regal stellten – und sich nie eine Folge anschauten! „The Wire“-Ignoranten gelten seither als hochgebildete Menschen.

Gemäß der Definition der Website „tvtropes.org“ beschreibt man mit Tropen generelle Aspekte, die in Kategorien ausdifferenziert werden: Narrative Tropen, Genretropen, Medien-Tropen, thematische Tropen, Sonstiges. Leider überflutet die Website den Leser mit Hunderten von Tropen. Aber nicht jedes Erzählelement ist ein Tropus. Ironisch formuliert: Erst wenn es so hartnäckig wiederholt wird, bis es einem lästig wird, ist es ein Tropus. Allerdings ein statischer.

Was daher am wichtigsten ist: Tropen vollziehen einen Balanceakt zwischen vertrauten Konventionen und innovativen Ideen. Würde man immer nur das Bekannte wiederkäuen (was einige Serien erfolgreich tun), wären die Geschichten langweilig. Stellt man alles auf den Kopf, könnte dies dagegen enttäuschend sein, denn niemand möchte sehen, dass am Ende eines Western der Schurke gewinnt und in die untergehende Sonne reitet.

Inhaltszusammenfassung von „The Last of Us“

Die HBO-Serie „The Last of Us“ ist eine Verfilmung des gleichnamigen Videospiels.

Im Jahr 2023 verbreitet sich in Indonesien rasend schnell ein tödlicher Erreger, der in Nahrungsmitteln mutierte. Auslöser ist der Pilz Cordyceps, der Menschen in zombieähnliche Kreaturen verwandelt. Cordyceps gilt im asiatischen Raum als Heilpflanze. Tatsächlich gemeint war in der Serie Ophiocordyceps unilateralis: der Pilz setzt sich im Gehirn von Ameisen fest und übernimmt die Steuerung des Wirtskörpers. In der Serie springt er auf den Menschen über: Infizierte jagen Nichtinfizierte, wer gebissen wird, verliert die Kontrolle über seinen Verstand und seinen Körper. Die Seuche verwandelt sich in eine Pandemie. Die US-Army liquidiert in den ersten Wochen der Pandemie nicht nur Infizierte, sondern auch Abertausende Menschen, auch Kinder, um sie als potentielle Wirte auszuschalten.

Die Geschichte von „The Last of Us“ beginnt 20 Jahre später in Boston. Kontrolliert wird Boston wie viele andere Städte inzwischen von der Federal Disaster Response Agency (FEDRA), die den Ruf einer faschistischen Militärdiktatur hat und von einer nicht minder gewalttätigen Widerstandsbewegung bekämpft wird, den Fireflies. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen Joel (Pedro Pascal: „Game of Thrones“, „The Mandalorian“) und die 14-jährige Ellie (Bella Ramsey: „Game of Thrones“). Joels Tochter wurde in den ersten Tagen der Pandemie von einem Soldaten erschossen, nun ist der 56-Jährige ein gewalttätiger Schmuggler. Bei einem Deal wird Joel betrogen und trifft Marlene (Merle Dandridge), die lokale Anführerin der Fireflies. Joel nimmt einen neuen Deal an: er soll Ellie aus der Quarantäne-Zone schmuggeln und zu einem medizinischen Spezialteam in Massachusetts bringen. Ellie ist immun gegen den Pilz, man hofft, mit ihrer Hilfe ein Serum gegen den Erreger zu entwickeln.

Zusammen mit Joels Partnerin Tess (Anna Torv) und Ellie bricht Joel auf, findet aber am Übergabeort nur tote Fireflies. Bei einem Angriff der Infizierten kommt Tess um Leben. Joel versucht widerwillig sein Versprechen zu halten, nämlich Ellie zu einer anderen Einrichtung der Fireflies zu bringen. Es beginnt eine Odyssee durch Missouri und Wyoming bis nach Utah, aber zunächst will Joel will als Erstes seinen verschollenen Bruder Tommy (Gabriel Luna) finden.

Genres und Tropen in „The Last of Us“

„The Last of Us“ ist eine Genre-Mélange aus Roadmovie, Science-Fiction- und Horrorfilm. Letzteres, weil die Infizierten wie Zombies handeln. Aber sie sind keine Untoten. Infizierte sind im Stadium der „Runner“ so schnell wie die Untoten bei Zack Snyder („Dawn of the Dead“, 2004). Den „Stalkern“ sieht man das fortgeschrittene Stadium der Infektion bereits an. Und der „Clicker“ kann nicht mehr sehen, da sein Kopf von Pilzen bedeckt ist. Eine besondere Mutante ist der „Bloater“ (Episode 5: „Endure and Survive“), ein Infizierter im Endstadium, der wie ein riesiger Hulk über enorme Kräfte verfügt, aber sehr langsam ist.

Science-Fiction ist die Serie im Sinne einer dystopischen Post-Apokalypse, die in einer nahen Zukunft spielt und davon erzählt, mit welchen Mitteln Menschen überleben wollen. Die sind meistens von Übel, denn sonst wäre es eine utopische Post-Apokalypse.

Der wichtigste Tropus eines Roadmovies ist die Buddy Story, die dadurch charakterisiert wird, dass zwei antagonistische Figuren durch die Umstände gezwungen werden, ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Am Ende einer Buddy Story erwartet man, dass die Figuren dicke Freunde geworden sind.
In der HBO-Serie sind die Hauptfiguren tatsächlich nicht kompatibel: Joel ist nach dem Verlust seiner Tochter traumatisiert. Seine dunkle Vergangenheit wird immer wieder angedeutet – offenbar schreckte Joel auch nicht vor Mord zurück, um seine Geschäfte erfolgreich abzuwickeln. Ellie dagegen ist eine selbstbewusste Jugendliche, die mit ihrer Arroganz und einer giftigen Rhetorik Joel penetrant provoziert. Gemäß den Konventionen einer Buddy Story müssen die beiden emotional zueinanderfinden. Da dieser Tropus starke lebensweltliche Bezüge zu den Erfahrungen der meisten Zuschauer aufweist, gehört er zu den nachhaltigsten Erzählmustern, und das genreübergreifend.

Strukturell ist „The Last of Us“ eine vertikal-horizontale Serie mit regelmäßigen Flashbacks, die als Plot Twists relevante Informationen über die Vergangenheit der Hauptfiguren vermitteln und häufig auch am Anfang einer Episode platziert werden.
Der Metaplot ist die Reise zum Zielort, zu den Subplots gehört eine Standalone-Episode (Ep 3: „Long, Long Time“), in der die Geschichte zweier Homosexueller in den Jahren 2007-2023 erzählt wird.
Nach dem Prolog erzählen die weiteren Episoden überwiegend abgeschlossene Geschichten, die zum Metaplot gehören. Ep 2: „Infected“: Tess stirbt; Ep 4 „Please Hold to My Hand“ und Ep 5 „Endure and Survive“ erzählen dagegen die Geschichte einer Fireflies-Community in Kansas City; in Ep 6 „Kin“ findet Joel seinen Bruder in einer Community in Wyoming; Ep 7 „Left Behind“ ist dagegen wie Ep 3 eine Flashback-Standalone-Episode, die von einem dramatischen Vorfall in Ellies Leben berichtet; in Ep 8 „When We Are in Need“ wird Ellie von einer religiösen Community entführt, deren Mitglieder sich als Kannibalen entpuppen; in Ep 9 „Look for the Light“ endet das Roadmovie mit dem Erreichen des Zielortes und einem erschreckenden Plot Twist, der mit einem kurzen Epilog die erste Staffel abschließt.

Das Narrativ von „The Last of Us“ ist also alles andere als schematisch. Die Serie überrascht nicht nur durch extrem unterschiedliche Laufzeiten bis hin zur Kinofilmlänge, sondern auch durch ein Pacing, das sich sehr viel Zeit nimmt, um die Entwicklung der Hauptfiguren plausibel und nuanciert erscheinen zu lassen.

Dabei sind Joel und Ellie nicht auf Anhieb sympathisch. Aber sie werden nicht negativ skizziert, sondern ambivalent. Nicht nur bei Ellie, sondern auch bei dem hartleibigen Joel ist immer die Fähigkeit erkennbar, aus ihren zum Teil äußerst brutalen Erlebnissen ein reflexives Potential abzuleiten, dass die Figuren in kleinen Schritten verändert. Am Ende sind Joel und Ellie nicht mehr die Menschen, die in Boston aufgebrochen sind. Die Buddy Story hat sich in eine Vater-Tochter-Geschichte verwandelt – und das ist genau das, was Joel um jeden Preis verhindern wollte.
Obwohl die in den Geschichten auftauchenden Tropen nicht neu sind, gewinnen sie dank der herausragenden Darsteller und der finessenreichen Drehbücher einen emotionalen Impact, dem man sich nur schwer entziehen kann. Mit „The Last of Us“ ist HBO (wieder einmal) ein Meilenstein der Seriengeschichte gelungen. Auch deshalb sollen die Tropen von „The Last of Us“ etwas genauer beleuchtet werden.

Postapokalypse, Pilze und Untote: „The Last of Us“ und “The Walking Dead” im Vergleich

Angesichts einiger Parallelen im Handlungskonstrukt ist es interessant, „The Last of Us“ (LoU) mit der AMC-Serie „The Walking Dead“ (TWD)  zu vergleichen und nach gemeinsamen Tropen zu suchen. Interessant ist dies, weil die extrem erfolgreiche Zombie-Serie nach der 6. Staffel in einen Downdrift rutschte, der seinesgleichen in der jüngeren Seriengeschichte sucht.

Tropus 1: Es werden wichtige Figuren getötet

In TWD wurden immer wieder Nebenfiguren und natürlich auch Schurken getötet. Zur Philosophie der Serie gehörte auch die Drohung, dass jederzeit wichtige Hauptfiguren getötet werden können. Das war allerdings nicht innovativ. Im Jahre 1980 schockierte der vermeintliche Tod von J.R. Ewing die Fans der Serie „Dallas“. Der Cliffhanger erschütterte 50 Mio. Zuschauer. Doch J.R. war nicht tot, wie man Monate später erfuhr. Fünf Jahre später „starb“ Bobby Ewing (Patrick Duffy war aus der Serie ausgestiegen) den Serientod, aber er kehrte dank höherer Gage zurück und die gesamte letzte Staffel wurde zum Traum erklärt.

Ein emotional verstörender Tod in „The Walking Dead“ war der von Lizzie, einem jungen Mädchen, das von Carol erschossen wird. Lizzie war durch die Ereignisse in Staffel 3 schwer traumatisiert und brachte ihre kleine Schwester um. Sie wollte beweisen, dass Zombies harmlos sind und nur „spielen wollen.“ Carols Entscheidung diente nicht der Strafe, sondern der Prävention. Die verstörte Lizzie war zu einer unkalkulierbaren Gefahr geworden. Der moralische Konflikt war allerdings nicht auflösbar – die Tötung war definitiv eine No-Win-Entscheidung, die Täterin veränderte sich auf dramatische Weise.

Allerdings war TWD voller moralischer Konflikte, in denen die Überlebenden um Rick Grimes immer wieder herausfinden mussten, ob die Moral von gestern in einer Post-Apokalypse noch von Wert ist. Erzählerisch war „The Groove“ (Schonung), die 14. Episode der 4. Staffel, ein ungeheurer Tabubruch, der aber folgerichtig ein Schlüsselthema der Serie behandelte und dem Zuschauer mit voller Wucht erklärte, was er weiterhin zu erwarten hat.

In LoU stirbt in der zweiten Episode mit Tess eine Figur, die ein enormes Potential besaß und sehr spannend als moralisches Korrektiv von Joel die Serie mitgetragen hätte. Daraus wurde nichts. Und über ihren Tod hinaus hatte die Tote auch keinen entscheidenden Einfluss auf Joels Entscheidungen. LoU setzte hier wie auch TWD auf das Töten wichtiger Figuren als Schockmoment, was allerdings unter dem qualitativen Level der erwähnten TWD-Episode lag.

Ganz anders funktionierte der Tod von Henry und Sam in LoU am Ende der Doppelfolgen 4 und 5. Nachdem Joel und Ellie unter großem Risiko Henry und seinen kleinen Bruder vor der Fireflies-Community retten konnten, entwickelt sich zwischen Ellie und dem kleinen Sam eine liebevolle Freundschaft. Um so schockierender war der finale Plot Twist: Sam wird infiziert und von Henry erschossen. Dann erschießt Henry sich selbst.
Dies war zwar ein Schock, aber das Erzählelement folgte der inhärenten Handlungslogik. Ellies Optimismus wurde zerstört, sie selbst blieb traumatisiert zurück, während Joels Skepsis bestätigt wurde: Man befand sich eben nicht auf einer Adventure-Tour, sondern konnte jederzeit alles verlieren. Damit agierte LoU auf Aufhöhe mit der TWD-Folge „The Groove“.

TWD gelang der Einsatz dieser Trope aber nicht immer. In „The Day will Come When You Won’t Be”, der ersten Episode der 7. Staffel, werden zwei der beliebtesten Figuren der Zombie-Serie vom Schurken Negan brutal erschlagen: Glenn und Abraham. TWD verlor auf einen Schlag 5 Mio. Zuschauer, konnte der Downdrift nicht mehr aufhalten und büßte innerhalb von zwei Jahren fast 10 Mio. Zuschauer ein. Danach folgte ein langsames Sterben auf Raten.

Natürlich ist das Killen wichtiger Figuren hinsichtlich der Spannungsdramaturgie ein effektives Erzählelement. Und zwar weil es die Negation einer anderen Trope ist: „Helden sterben niemals.“ Natürlich kann ein unsterblicher Held langweilig werden, aber das kann man durch interessante Plot-Ideen kompensieren. Eine Hauptfigur zu töten ist dagegen riskant, da es mit einem Schlag die Bindungskräfte einer seriellen Erzählung zerstören kann. In einem Spielfilm kann dies allerdings funktionieren.

Der Unterschied zwischen TWD und LoU ist evident: TWD ging mehrere Male All-in, produzierte einige brillante Serientode wichtiger Figuren, ruinierte aber mit einer Fehlentscheidung die ganze Serie. LuO umschiffte dieses heikle Thema clever, setzte es sparsam ein, konnte der Versuchung aber nicht ganz widerstehen.

Tropus 2: Death Fakes

Eine Idee, um die drohenden Risiken zu umgehen, ist nämlich der Death Fake. Der Held liegt im Sterben oder scheint tot zu sein. Allerdings ist dieser Serientod nur vorgetäuscht und in der folgenden Episode erfreut er sich bester Gesundheit. Oder viel später.

Ein umstrittener Death Fake war in TWD in „Thank You“ (Danke), der 3. Episode der 6. Staffel, zu sehen. Glenn ist von Beißern umzingelt und rettet sich auf einen Müllcontainer, stürzt aber in die Tiefe und wird vermeintlich von den Untoten zerfleischt. Es dauerte einige Episoden, bis der Zuschauer erfuhr, dass sich Glenn retten konnte. Die Fans waren empört.
Was war schiefgelaufen? Der/die Showrunner der Serie hatten die Trope als billigen Trick verwendet. An sich hätte dies funktionieren können, aber da die Auflösung künstlich verzögert wurde, wurde das Erzählelement als Manipulation erlebt. Und das macht einen Serienfan selten glücklich.

In LoU konnten die Showrunner Graig Mazin und Neil Druckman dieser Trope nicht völlig widerstehen. In Ep 6 „Kin“ wird Joel von einem Plünderer schwer verletzt und scheint dies nicht zu überleben. Der Cliffhanger lässt die Situation aber offen, aber Joel überlebt. Das überrascht nicht, weil in einer Buddy Story kein Buddy sterben darf (irgendwann wird jemand diese Regel brechen). Anders formuliert: ein Tropus dominierte einen anderen. Aber auch hier sieht man, dass die Bewertung einer Erzählung nicht ausschließlich durch die Analyse von Tropen erfolgen kann. Der erzählerische Kontext erschließt sich auch emotional oder intuitiv. Spätestens in der vorletzten Folge „When We Are in Need“ zeigte sich daher, dass der Death Fake die Funktion hatte, die emotionale Beziehung zwischen Joel und Ellie endgültig zu klären.

Tropus 3: Cliffhanger

Dass die beiden beschriebenen Tropen in der Regel mit einem Cliffhanger kombiniert werden, dürfte klar sein. Mann verschenkt ungern das Spannungselement. Aber ist der Cliffhanger überhaupt eine Trope? Darüber kann man streiten. Vincent Fröhlich definiert den Cliffhanger als Teil der Erzähltechnik. Wer es genau wissen will, kann in Fröhlichs „Der Cliffhanger und die serielle Narration“ nachlesen (S. 95 ff.). Dies ist allerdings ein Buch für Medienwissenschaftler, wobei für den Laien einige Kapitel trotzdem sehr gut lesbar sind.

Zwischenfazit: Die bislang vorgestellten Tropen „The Last of Us” zeigen, wie sehr Tropen im seriellen Erzählen von den Erwartungshaltungen des Zuschauers abhängen. Ein Bruch mit diesen Erwartungen kann zu ungewöhnlich eindrucksvollen Geschichten führen. Er kann sie aber auch ruinieren. Nicht alle Tropen sind so riskant. Aber man erkennt auch, dass sie nicht auf ewig in Stein gemeißelt sind. Nur ein innovativer Umgang mit ihnen führt zu einer erzählerischen Dynamik, die nicht im Klischee endet, sondern neue und erwartete Facetten entwickelt.

Alle Geschichten sind tragisch

Innerhalb der wissenschaftlichen Debatte sind Tropen ein Teil der Erzähltheorie. Die ist aber sehr komplex und soll an dieser Stelle nicht erläutert werden. Nur eins muss erwähnt werden: Geschichten schildern Handlungen und Ereignisse, die folgende Eigenschaften haben: sie sind kausal miteinander verknüpft (was Mindfuck- Filme und -Serien auf die Probe stellen) und sie müssen Wendungen enthalten, die sowohl für die Figuren als auch für die Rezipienten eine Reihe von Ungewissheiten bereithalten. Alle Geschichten sind daher ein Drama in dem Sinne, dass sie einen Konflikt verhandeln, der ohne tragische Elemente nicht funktionieren kann. Daher sind Erwartungsbrüche die Essenz einer gelungenen Erzählung. Und die Analyse der Tropen zeigt, dass viele Geschichten sich gleichen, weil sie auf bewährte Erzählelemente setzen, aber nur dann gut sind, wenn sie diese Elemente dynamisch variieren.

Vergleicht man „The Last of Us” mit “The Walking Dead”, so können Ähnlichkeiten nicht geleugnet werden. Dies hängt mit dem Genre zusammen, aber auch mit einigen Tropen. TWD war lange so erfolgreich, weil die Serie erzähltechnisch außergewöhnlich innovativ war. Dass die Serie zudem einen philosophischen Metatext besaß, soll hier nicht weiter behandelt werden. Dann wurde die Erwartungsbrüche von den Zuschauern nicht mehr toleriert und TWD zeigte zudem nur noch das Immergleiche.

„The Last of Us” macht dagegen vieles richtig, zum Teil auch besser und erinnert an die Wucht, die TWD in den ersten Jahren besaß. Aber der HBO-Erfolgshit ist kein Selbstläufer. Das sah man besonders in der vorletzten Folge „When We Are in Need“, in der sich ein charmanter Ex-Lehrer am Ende einer ungemein brutalen Folge als Anführer einer Kannibalen-Sekte entpuppte.
Das ist übrigens die Paulus/Saulus-Trope (man kann sie auch  „Lupus est Homo homini, non homo“-Trope nennen: Ein Wolf ist der Mensch dem Menschen, kein Mensch), die in der dritten und vierten Staffel von „The Walking Dead“ zum Einsatz kam. Der soziopathische Governor von Woodbury und die Terminus-Kannibalen waren in TWD der Anfang einer Reihe von durchgeknallten und lebensgefährlichen Communitys, eine Trope, die sich auch nach dem Savior-Kapitel wiederholte und damit das Immergleiche wiederkäute.
Das sterbenslangweilige Stilmittel wurde in LoU ungeniert zitiert, es gab keinen Erwartungsbruch beim Zuschauen. Nein, es passierte leider genau das, was man erwartet hatte. Überzeugend war das nicht und man darf gespannt sein, wie sich LoU in Zukunft entwickelt.

Zum Glück hängt eine gute Geschichte auch von der Glaubwürdigkeit der Figuren ab. Und die sind in „The Last of Us“ phantastisch, weil die Darsteller es sind. Inwieweit dies mit den Tropen zusammenhängt, muss jeder allerdings selbst herausfinden!

Quellen:

  • Narratologie: Uni Passau (o. D.): https://www.uni-passau.de/arbeitskreis-mediensemiotik/forschungsfelder/narratologie
  • Tropen: tvtropes (dts./engl, o.D.) https://tvtropes.org/