Donnerstag, 7. Februar 2008

Der Nebel

USA 2007 - Originaltitel: The Mist - Regie: Frank Darabont - Darsteller: Thomas Jane, Laurie Holden, Nathan Gamble, Marcia Gay Harden, Andre Braugher, William Sadler, Gregg Brazzel, Alexa Davalos, Jack Hurst, Susan Malerstein - FSK: ab 16 - Länge: 124 min.

Schon lange nicht mehr gab es im Filmclub eine so herbe Abfuhr für einen Film wie für Frank Darabonts „Der Nebel“, wobei nicht sonderlich höfliche Gemüter dem Originaltitel unterstellten, dass er – nomen est omen – deutlich signalisiere, wessen Geistes Kind er sei: „The Mist“.
„Was für ein Mist!“, entfuhr es also spontan einem an sich geschulten Filmclub-Mitglied und in der Folge hagelte es zwei Sechsen und eine Fünf. Der Chronist wurde in den Sog der Häme gezogen, beließ es aber bei einer 4,5, weil er der allegorischen Funktion und den guten Darstellern trotz einer etwas drögen Dramaturgie etwas abgewinnen konnte.
Selten so geirrt: der Film verdient eigentlich Bestnoten, aber in aufgeheizter Atmosphäre war nichts mehr zu retten.

Dabei könnte man sich einige Gedanken über den Film des Machers von „Die Verurteilten“ und „The Green Mile“ machen, aber dazu müsste man sich erst einmal grundsätzlich damit auseinandersetzen, was eine Allegorie ist und wie sie funktioniert. Alles sehr kompliziert, aber grundsätzlich kann man sagen, dass die Allegorie einem Text eine Bedeutung unterlegt, die erst durch Auslegung und Interpretation gewonnen werden kann.
Und wenn die Auslegung nicht stimmt? Nun, da sind wir mittendrin in einer schönen Sache, die man gemeinhin "Diskurs" nennt.
Eins steht auf jeden Fall fest: Der Allegorie wurde schon immer vorgeworfen, sei kalt und intellektuell, andererseits erkannten Kunsttheoretiker wie Walter Benjamin im vergangenen Jahrhundert in der Allegorie die bevorzugte Ausdrucksform der Moderne.

Zurück zum "Nebel": Was ist dort der „Text“? Der Text ist zunächst die vordergründige Schilderung der Ereignisse. Wir sehen eine Gruppe von Menschen, die in einem Supermarkt eingeschlossen ist und durch einen mysteriösen Nebel bedroht wird, der über der amerikanischen Kleinstadt liegt und in dem ganz offensichtlich tödliche Gefahren lauern.
Da jeder Filmplot einen rational-kausalen Kern benötigt, wird uns irgendwann erklärt, dass die Militärs schlimme Experimente mit dem Raum-Zeit-Kontinuum angestellt haben und durch die Öffnung einer Raumspalte schreckliche Monster in unser Universum gelassen haben. An sich kann uns dies egal sein, denn dieser Plotkern funktioniert so wie einer der berühmten McGuffins von Altmeister Hitchcock – sie sind notwendig, um die Handlung auszulösen und zu entwickeln.

Und was zeigt uns die Handlung weiter? Nun, wir sehen, wie sich die eingeschlossene Gruppe unter der Angst aufspaltet: Ein Teil der Gruppe leugnet „rational“ die Gefahr, andere verhalten sich völlig pragmatisch und der letzte, der dritte Teil verfällt einer religiös-paranoiden Person, die am Ende vorsintflutliche archaische Verhaltensmuster etabliert. Menschen sollen geopfert werden. Wir sind nicht im Mittelalter, sondern noch einen Schritt weiter zurück im Niemandsland vor-zivilisatorischer Rituale gelandet.

Hört sich spannend an, aber wo ist der allegorische Kern? In der „Auslegung“ beharren einige Kritiker darauf, dass „The Mist“ ein sarkastischer Kommentar ist: Gemeint sei der religiöse Fundamentalismus der Bush-Ära. Andere verorten den Film genre-immanent und zitieren Beispiele wie Romeros „Dawn of the Dead“ und stecken dabei die bekannten Topoi „Supermarkt – eingeschlossene Gruppe – äußere Bedrohung“ ab, die zwangsläufig eine gesellschaftskritische Bedeutung haben, da sie exemplarisch den Zusammenbruch der sozialen Spielregeln unter bestimmten Bedingungen vorführen. Klingt plausibel, kennt man aber.

Wir merken, worauf es hinausläuft: Hat die „Auslegung“ wenig mit dem „Text“ zu tun, ist sie also lediglich eine Projektion bereits erprobter Deutungsmuster, dann ist sie – und dies ist das geringste Übel – einfach langweilig. Enthält der „Text“ jedoch unverbrauchte, neue Informationen, dann wird das Exemplarische, das Beispielhafte der Allegorie wieder mit Bedeutung aufgelanden.

Nun kann jeder für sich selbst entscheiden, ob dies in „Der Nebel“ der Fall ist.
Das eigentliche Problem scheint ein anderes zu sein: Viele Filmkenner sind „abgefüllt“ mit allegorisch aufgeladenen Genrefilmen – ihnen hängt schlicht und einfach dieser formale Kniff zum Halse heraus. Und sie haben nicht Unrecht: Auch mir hängen schäbige, unoriginelle C-Movies, in denen irgendetwas Allegorisches wie ein Qualitätsstempel drangepappt wird, mittlerweile zum Halse heraus. Im Falle von „Der Nebel“ bin ich mir aber sicher, dass der Film einen zweiten, unaufgeregten Blick verdient. Deshalb werte ich ihn gegen meine Gewohnheiten kräftig auf: 2,5! Punkt!

Pressespiegel:
„Die filmische Nacherzählung dieser Geschichte durch den Regisseur Frank Darabont ist eine veritable Neuinterpretation vor dem Hintergrund der aktuellen Verfasstheit der USA…. Im Gegensatz zu Kings hoffnungslosem Abbruch hat Darabont einen wirklich furchtbaren Ausdruck hoffnungsloser Hoffnung gefunden - einen Schluss, dessen emotionale Grausamkeit unvergesslich ist… Wäre Darabont nur ein originellerer Regisseur!“ (Peter Uehling, Berliner Zeitung).

„Das Ende – mit dem Darabont deutlich von Kings Vorlage abweicht – dürfte eines der überraschendsten und verstörendsten sein, die man seit langem im Mainstreamkino zu sehen bekam. In seiner Radikalität ist es mutiger und wahrscheinlich stärker als alle vorherigen Versuche des Films, sich dem Menschen als soziales Wesen zu nähern.“ (Rochus Wolff, critic.de)

„Doch anders als 'Erdbeben', 'Die Höllenfahrt der Poseidon' oder 'Flammendes Inferno' ist die Katastrophe in Der Nebel nicht auf Versagen der Technik oder die Rache der Natur zurückzuführen, sie ist der Einbruch der Irrationalität selbst. Die Protagonisten stehen nicht vor der Aufgabe, zu handeln, Wege zu finden, sich zu retten, sondern vor allem zu verstehen.“ (Oliver Nöding, Schnitt).

„(Die) Angst vor dem, was da draußen ist…ist das eigentliche Übel, dem Frank Darabont in seinen klaren, an George A. Romeros Filme der Siebziger gemahnenden Bildern Ausdruck verleiht. Die Furcht geht einher mit dem Schlaf der Vernunft, und der gebiert, das wissen wir seit Goya, die schrecklichsten aller Monster. Was die von der wahrhaft Furcht einflößenden Mrs. Carmody aufgestachelten Gläubigen anrichten, stellt alles in den Schatten, was man in den letzten Jahren in einem Horrorfilm gesehen hat.“ (Sachsa Westphal, Welt Online).


Noten: Mr. Mendenz = 6, Melonie = 6, Klawer = 5, BigDoc = 2,5