Sonntag, 11. Oktober 2009

Appaloosa

Appaloosa Originaltitel: Appaloosa, Produktionsland: USA 2008, Länge: ca. 114 Minuten, FSK 12, Regie: Ed Harris, Drehbuch: Robert Knott, Ed Harris, D: Ed Harris: Virgil Cole, Viggo Mortensen: Everett Hitch, Jeremy Irons: Randall Bragg, Lance Henriksen: Ring Shelton, Renée Zellweger: Allison French

Wenn man einen neuen Western sieht, dann geschieht dies im Bewusstsein, einem alternden, fast vergessenen Genre beizuwohnen. Wie ein guter Freund, der nach all den Jahren nichts von seiner Persönlichkeit, seinem Charme und seinen Gewohnheiten abgelegt hat, begegnet einem im Western selten etwas Neues. Die Geschichten sind erzählt: von der klassischen Phase des Western in den 50er und 60er-Jahren, über die Neo-Western eines Robert Altman bis hin zu den Spätwestern, die uns wie Todeszug nach Yuma lediglich Variationen der bekannten Themen vorlegen. Es geht um Gewalt und Recht, Männerfreundschaften, Loyalität und Landschaften, wobei diese weniger als realistischer Background dienen, sondern schon längst eine Traum- und Phantasielandschaft geworden sind, in denen der mythologische Aspekt des Genres abgearbeitet wird.

In der durchweg überzeugenden ersten Regiearbeit von Ed Harris, den man als Schauspieler in seiner Bedeutung für das amerikanische Kino möglicherweise etwas unterschätzt, begegnet einem die lakonische Seite des Genres. Und die besteht darin, dass Harris den Meta-Plot nur benutzt, um dem Zuschauer seinen Sub-Plot zu erzählen: es ist die Geschichte von zwei Männern, deren Gefühlsleben sich aufgelöst hat und die, von jeglichen Erwartungen befreit, von einem beinahe zynischen Pragmatismus gelenkt werden, der keine großen Fragen mehr stellt, sondern sich eiskalt kalkulierend mit den Abfällen des Lebens zufrieden gibt. In „Appaloosa“ ist dies eine Femme fatale, die ihre jeweiligen Liebhaber rücksichtslos ausbeutet und selbst ausgebeutet wird.
Man braucht eine gewisse Zeit, um zu erkennen, dass die Worte und Gesten der Figuren wenig zählen, sondern nur die Taten. Nur die beiden Professionals können ihren Worten trauen und dem einen der beiden gehen sie sogar zuweilen aus, er ringt sowohl allegorisch als auch symptomatisch mit der Sprache, bis sein Freund ihm weiterhilft. Ein schöner Einfall. Harris schildert die Psychologie und den Moralcodex seiner Protagonisten unaufdringlich, fast mit drögem Tempo, aber nach der ersten Begegnung mit dem Film verlangt alles nach einem zweiten Blick. Das ist schon an sich eine Menge wert.

Natürlich geht es in „Appaloosa“ wieder einmal um einen klassischen Konflikt: der Rinderbaron Randall Bragg (routiniert als kultivierter Bösewicht: Jeremy Irons) terrorisiert nicht nur mit seinen Männern die Kleinstadt Appaloosa in New Mexico, sondern hat auch drei Gesetzeshüter erschossen.
Der Name der Stadt ist auch der Name einer Pferderasse. Appaloosas sind Arbeitspferde, kleine, wendig und ausdauernd auf kurzen Strecken. Genau dies sind die Qualitäten, die Virgil Cole (Ed Harris) und Off-Erzähler Everett Hitch (Viggo Mortensen) benötigten, um die zeitlich und räumlich sehr begrenzten Gunfights zu überleben. Cole nicht mehr der Jüngste, aber immer noch der Schnellste; Hitch ist der intelligentere von beiden, ein Mann, der sehr ökonomisch den Einsatz der Waffen plant – vom Einsatz einer riesigen Schrotflinte bis zur richtigen Körperhaltung beim finalen Show-down. Beide sind Gunmen, also Professionals, dabei aber öffentlich legitimierte Friedenshüter; als US-Marshalls zwar dem Justizministerium unterstehend und verantwortlich für den Schutz des Gerichtswesens, de facto aber Reisende in Sachen Selbstjustiz. Cole und Hitch stehen in der Tradition eines Wyatt Earp: sie heuern dort an, wo man sie braucht, und sie nennen sich selbst ‚Friedenshüter’.

Die Professionals
Harris lässt keinen Zweifel daran, dass in Appaloosa alles ökonomischen Interessen folgt: die Honoratioren der Stadt räumen Cole und Hitch nur deshalb uneingeschränkte Autorität ein, weil Braggs Bande sich in Geschäften und Saloons selbst bedient und nie bezahlt. Bei der legendären Auseinandersetzung der Earp-Brüder mit den Clantons und der Bande der ‚Cowboys’ war dies noch anders: wenn man den historischen Quellen trauen darf, bezahlten die ‚Cowboys’ immer und waren bei den Geschäftsleuten wohlgelitten. Ein kleiner Unterschied. Es verwundert nicht, dass die erste Amtshandlung von Cole darin besteht, die gültige Rechtsverfassung des Ortes aufzulösen und Regeln einzuführen, die zwangsläufig zur Eskalation führen müssen, und zwar bevor die feindlichen Lager sich wieder einigen.
Neu ist dieser Typ von Gunfighter im Western nicht, auch der Zynismus ist nicht neu. Man sieht ihn bereits in John Sturges „The Magnificent Seven“ (1960), wo eine Gruppe professioneller Revolverhelden ein armes Dorf gegen eine ausbeuterische Bande schützt. Fast noch wichtiger für das Genre war Richard Brooks’ „The Professionals“ (1966), wo Gunmen ein Blutbad anrichten, das von Anfang an auf einer hinterhältigen Täuschung basierte.
Claudius Weil und Georg Seeßlen beschreiben den Typus des Gunman als kühl und distanziert: Er hat „fast keine menschlichen Beziehungen zu seiner Umwelt, nicht einmal zu den Leute, für die er kämpft und sein Leben riskiert. Ansporn ist ihm die Freude an der Aktion, die Befriedigung darüber, in ein bestehendes Machtsystem einzugreifen und es auf den Kopf zu stellen (worin vielleicht sogar eine Art verschüttetes Gerechtigkeitsempfinden ausgedrückt ist, das funktioniert, obwohl oder gerade weil die Helden und die Schurken sich viel näher stehen als der Held…“ und seine Auftraggeber.
Auch Cole und Hitch sind Männer ohne große Empathie, aber im Gegensatz zu den cooleren Genrevorbildern reden beide immer wieder über ihre Gefühle und vergewissern sich ständig, dass der Job getan werden muss, handwerklich exakt und ohne große Anteilnahme.

Unters Brennglas gerät diese Lebensphilosophie, als in Appaloosa eine Frau auftaucht: Allison French (Renée Zellwanger) ist eine Frau mit besonderen Fähigkeiten. Nicht nur dass sie Orgel und Klavier spielen kann, nein, Cole wird auch später über sie berichten, dass sie stets reinlich ist, abends immer ein Bad nimmt, gut kochen kann und „alles fickt, was nicht kastriert ist“. Aber Letzteres erfährt erst später über seine Geliebte.
Cole und Hitch entführen Bragg und sorgen dafür, dass der Bandenchef von einem Berichtsrichter für die Morde an einem Sheriff und seinen Deputys zum Tode verurteilt wird. Bragg wird wenig später von zwei anderen Gunmen, die Allie entführt haben, frei gepresst und Cole darf während der Verfolgung beobachten, dass sich Allison bereits dem nächsten Alphamännchen an den Hals geworfen hat.
Dieser Sub-Plot ist das eigentliche Spannungselement in „Appaloosa“. Natürlich kommt es zum Show-Down mit den Entführern, aber nur wenig später ist Bragg vom US-Präsidenten auf mysteriöse Weise begnadigt worden, plötzlich zu Reichtum gekommen und damit ein ehrenwerter Bürger in Appalossa. Harris erzählt die Geschichte also dort weiter, wo andere Western schon längst ihr Ende gefunden hätten. Und je länger die Geschichte dauert, desto deutlicher wird der Grad der Beschädigung, den Harris’ Helden aufweisen, denn nach der vermeintlichen Desillusionierung Coles wird klar, dass dieser einen Stoizismus besitzt, mit dem er sogar seinen Freund überrumpelt. Genau abwägend setzt Cole nämlich seine Beziehung zu Allison fort und hegt sogar Träume von einem Haus mit Veranda. Er hat eine kultivierte Frau, die reinlich ist und guten Sex bietet, und er weiß, dass seine promiskuitive Gefährtin ihn ohne jede Regung an das nächste neue Alphamännchen verraten wird. Hitch wird es am Ende sein, der als einziger zu einer wirklich empathischen Tat fähig ist, bevor er (nicht ohne Ironie und durchaus genre-referentiell im Off geschildert) in den Sonnenuntergang reitet.

Helden ohne Heimat
Das Ganze ist innerhalb der Grenzen des Genres präzise erzählt. Es gibt schöne Dialoge und man muss sehr sorgfältig hinhören. Und es gibt Momente der Ruhe, in sich sehr widersprüchlich, nämlich wenn Cole und Hitch auf der Veranda sitzen, ihre Waffen im Schoß, wenig redend und wartend. Fast ein wenig wie in John Fords „My Darling Clementine“. Es sind Bilder, die man durchaus kennt. Und es gut, dass Harris diese Genregrenzen nicht transzendieren will.
Innerhalb des Gewohnten und innerhalb dieser strengen Immanenz stößt der Zuschauer nicht nur auf Vertrautes, sondern in der Variation auf Ungewöhnliches. Keineswegs neu ist das Gefühl der Heimatlosigkeit in einer gewalttätigen fast vor-zivilisatorischen Gesellschaft, die in sich herzlos und beinahe korrupt ist, und die von den Überlebenswilligen und ruhelos Wandernden außergewöhnliche Anpassungsleistungen verlangt – nicht nur die Professionalität beim Umgang mit den Waffen, sondern jene beim Umgang mit den letztlich nicht vermeidbaren Gefühlen. Dieser Antagonismus ist uns auch in der modernen Arbeitsgesellschaft durchaus vertraut, die gelegentlich und vielleicht immer häufiger ein ruheloses Umherwandern verlangen wird, jene Flexibilität, deren Preis die Veränderung der eigenen Gefühlswelt ist. Neu ist allerdings, dass in „Appaloosa“ auch die letzten Reste von Hoffnung bereits vergiftet sind.

Die Helden im Western sind, wie es Elisabeth Bronfen in ihrer luziden Analyse von John Fords „The Searchers“ dargelegt hat, dauerhaft von einer Heimat, einem ‚Home’, ausgeschlossen. Ihre Konflikte sind einfach strukturiert, was auch jenes kollegiale Umgehen von Cole und Hitch erklärt, das sie mit den beiden Gunmen Braggs’ pflegen, bevor sie sie erschießen. Es sind Männer der ‚einfachen Widersprüche’, die sich in der weiblich-codierten zivilen Behausung immer unwohl fühlen müssen, obwohl diese als Traumfigur in ihren Phantasien eine Rolle spielen muss. Es ist ein fundamentaler Antagonismus, der diese Figuren umtreibt. Wir, die zivilisierten Zuschauer, „können diese Störung inmitten des familiären Lebens ertragen, weil wir von einem tragischen Helden träumen, der an unserer Stelle die Freiheit des einfachen Widerspruches genießt, in der Traumwelt jenseits der Filmleinwand“ (Elisabeth Bronfen).

Allerdings führt der Weg aus der Traumwelt jenseits der Filmleinwand wieder zurück in die Traumlandschaften des Kinos. Man muss sich immer wieder fragen, was man an diesen einsamen desillusinierten Helden so mag. Was spiegeln sie, was sagen sie uns? Wenn man die Traumlandschaften des Western studiert, wird man vielleicht spüren, wie sie zur Reflexion der eigenen Befindlichkeit führen können. In „Appaloosa“ wartet allerdings da "No way out" auf uns, denn Virgil Cole ist eine Figur, die den von Bronfen geschilderten Antagonismus im klaren Bewusstsein seiner zeitlichen Befristung, aber zugunsten seiner Phantasien von Heimat und Zuhause ausleben will. Das bietet Reibungsflächen. Aber das wirklich Bemerkenswerte an Ed Harris’ Western ist, dass zum ersten Mal in einem Spätwestern die Konsistenz des von Frauen definierten ‚Home’ so brutal wegbricht. Sie ist vom „Struggle for Life“ infiziert. Anders als die fürsorglichen und mütterlichen Frauen bei Ford, die ihr ‚Home’ gefunden haben und damit auch definieren, ist Allison immer noch auf der Suche: nach Schutz, nach materieller Sicherheit. Sie dekonstruiert das idyllische 'Home' und setzt es nach Maßgabe durch die ökonomischen Zwänge wieder zusammen. Was sie zu bieten hat, wurde von der Korruption erfasst und muss als Illusion gesehen werden, die man gelassen ertragen muss, wenn man aus ihr die letzten verwertbaren Abfälle des Lebens herauspressen will. Ein Film ohne Hoffnung, wäre da nicht Hitch, der mit einem letzten Freundesdienst dafür sorgt, dass Cole diese Illusion noch ein wenig genießen darf.

Postscriptum: Nachdem ich das Ende der Kritik noch ein wenig überarbeitet habe, fiel mir ein, dass es kaum Western gibt, die den Gunman als als alten Mann zeigen. John Wayne hat in "The Shootist" zumindest noch einen heroischen Abgang. Als einziger hat Sam Peckinpah dieses Thema durchgearbeitet, nicht nur in "Ride the High Country", sondern besonders konsequent in "The Wild Bunch". Dort weniger an den elegischen Endzeit-Charakteren von Holden und Borgnine, sondern am Beispiel des alten, gehässigen, Kautabak kauenden Veteranen, der als einziger überlebt und einfach weitermacht.

Literatur
Elisabeth Bronfen: Heimweh – Illusionsspiele in Hollywood, Berlin 1999.
Seeßlen/Weil: Western-Kino, Hamburg 1979

Noten: Melonie = 2,5, Klawer = 2,5, BigDoc = 2,5