Donnerstag, 22. Juli 2010

The Wolfman

USA 2008 - Originaltitel: The Wolfman - Regie: Joe Johnston - Darsteller: Benicio Del Toro, Anthony Hopkins, Emily Blunt, Hugo Weaving, Art Malik, Geraldine Chaplin, Kiran Shah, Michael Cronin, Sam Hazeldine - FSK: ab 16 - Länge: Bluray "The Wolfman - Extended Version": 119 min.

England, 1891: Der gefeierte Shakespeare-Mime Lawrence Talbot (Benicio Del Toro) kehrt in sein Heimatdorf Blackmoore zurück, um seinen verschwundenen Bruder zu suchen. In den finsteren Wäldern wütet eine geheimnisvolle Bestie. Doch Talbot kommt zwei Tage zu spät: die fürchterlich verstümmelte Leiche des Vermissten liegt bereits aufgebahrt in der Leichenhalle. Lawrence verspricht der Verlobten seines Bruders (Emily Blunt), das geheimnisvolle Verbrechen aufzuklären. Auf dem heruntergekommene Anwesen der Familie warten sein distanzierte Vater (Anthony Hopkins) und dessen Sikh-Diener, der bereits vorsorglich silberne Kugeln gießt.

Universal hat mit The Wolfman den Versuch unternommen, an die glorreiche Horrorfilm-Tradition der 1920-1940er Jahre anzuknüpfen. Ob die Neuauflage von The Wolf Man (1941) mit Lon Chaney jr. nun eine Welle von Remakes auslösen wird, steht nach mageren 61 Mio. Dollar (Box Office IMDb, März 2010) in den Sternen. The Wolfman (2010) verdoppelte die Produktionskosten auf 150 Mio. Dollar und ohne durchschlagenden Markterfolg ist es schwer vorstellbar, dass wir in allzu naher Zukunft Frankenstein, Dracula und The Mummy zu sehen bekommen, zumal die Vampir-Mythologie in den letzten Jahrzehnten bis hin zur moderaten Teenie-Version in Twilight entschlossener durchdekliniert wurde als das Thema der Transformation eines Mannes in einen Wolf. Und auch die Mumie hat bereits das Stadium der Persiflage durchschritten, was schon in den alten Universal Studios der 50er Jahre das Aus für die Veteranen der Horrorgeschichte einläutete.

Überhaupt ist der Werwolf-Mythos eher ein spätes Kind des Horrorfilms. Bereits 1931 hatten Tod Browning (Dracula) und besonders James Whale (Frankenstein) eine neue Ästhetik des Gruselfilms begründet, die thematisch ein ganzes Jahrzehnt lang variiert wurde, ehe mit dem Wolfsmenschen 1941 ein später Nachzügler den Weg auf die Leinwand fand. Glücklicherweise hat Universal zuletzt eine vorzügliche DVD-Edition auf den Markt gebracht, in der die alten Klassiker bestaunt werden können – angereichert mit kinohistorisch überzeugenden Dokumentationen, die den jüngeren Filmfreunden ein guten Einblick in das gewähren, was die Menschen vor 80 Jahren aus der Fassung gebracht hat. Der Blick lohnt sich: man wird sicher überrascht sein, wie wenig explizit die Urahnen des Genres waren, die gemessen an der heutigen Splatter-Ästhetik geradezu als handzahm zu bezeichnen sind. Und doch sind es die Bilder unserer Kino-Kindheit, die sich den meisten von uns unauslöschlich ins visuelle Gedächtnis eingebrannt haben.

Stinkkonservatives Remake - aber bitte nur auf Bluray!
Eine vergleichbar gute Qualität wie die Wolf Man Legacy Collection bietet die in Großbritannien bereits vorliegenden Bluray (mit dts. Tonspur), mit der Universal die sich abzeichnenden Verluste in Grenzen halten will. Sie enthält nicht nur die Kinofassung, sondern auch den über eine Viertelstunde längeren Extended Cut. Die folgende Kritik bezieht sich nur auf diese Version, denn – man staune – der Kinofassung fehlen nicht etwa die expliziten Splatter-Effekte, sondern vielmehr viele Szenen, in denen das psychologische Profil der Hauptfiguren deutlicher gemacht wird. So vermisst man in der Kinofassung die gesamte Einleitung, die unentbehrlich für den Stimmungsaufbau ist, darunter auch eine schöne Szene mit einem Kurzauftritt von Max von Sydow. Auch später wurde geschnippelt, meistens dann, wenn die Figuren im Extended Cut mehr Tiefe erhalten. Was auch immer wen zu diesen Eingriffen bewogen hat: sie gingen gründlich in die Hose.

Schade, denn für das Remake von The Wolf Man hat sich Universal geballte Qualität ins Boot geholt: Benicio del Toro übernimmt Lon Chaneys Part als Lawrence Talbot, Anthony Hopkins beerbt Claude Rains in der Rolle des Vaters, Geraldine Chaplin macht die Rolle der alten Zigeunerin zu einer kleinen Perle (was auch im Original dank Maria Ouspenskaya der Fall war, die nicht aus heutiger Sicht Lon Chaney jr. an die Wand gespielt hat) und der sechsfach oscargekrönte Make-up-Designers Rick Baker verwandelte schon mehrfach gestandene Männer mit innovativer Maskentechnik in Werwölfe, zuerst 1981 in American Werwolf.
Actionspezialist Joe Johnston zeigt gleich zu Anfang, worum es Universal wohl ging: dunkle Moore, in denen der Nebel wabert, verfallene Schlösser, schwarze Kutschen, die durch die Nacht rasen und eine bis ins Detail liebevoll gestaltete Ausstattung lassen die düstere Atmosphäre des Originals wieder auferstehen und steigern den romantischen Gruselflair mit moderner Digitaltechnik, ohne den Charakter der altehrwürdigen Studiokulissen zu verraten. The Wolfman ist so gesehen ein streng konventioneller Film, der keine neue Sehgewohnheiten evozieren will, sondern sich streng an einen vertrauten Kanon hält und in seinen stimmungsvollsten Bildern sogar einen Hauch Hammer Film einfließen lässt, jenes britische Studio, das in den 1950er und 1960er-Jahren die gothic novels mit morbidem und oft auch leicht anzüglichem Charme ins Bild setzte. Filmästhetisch überschreitet The Wolfman also keine Grenzen, er ist in seiner Konventionalität sogar anti-innovativ, aber das, was er zeigt, zeigt er in einer ausgefeilten Perfektion, die mehr als positiv überrascht. Einige Bilder geraten zu so prachtvollen Tableaus, dass man sie am liebsten mit der Fernbedienung einfrieren möchte.

Auch inhaltlich geht The Wolfman keine neuen Wege. Und damit ist vor allen Dingen der Verzicht auf allegorische Umdeutungen des Themas, wie ihn ‚moderne’ Varianten klassischer Themen oft (und nicht immer zu Unrecht) anbieten. Man erinnere sich an From Hell (2001), einen Film, der erkennbar die Dämonen des 20. Jh. in das biedere viktorianische London holte. In The Wolfman gibt es übrigens eine kleine Anspielung auf diesen Film, denn Hugo Weaving spielt den Polizeiinspektor Francis Aberline (eine wirklich sehr schöne Nebenrolle Weavings, der keine Karikatur gibt, sondern einen intellektuell geistreichen Ermittler, dem allerdings Tragisches widerfahren wird), der bereits in Sachen Ripper-Morde ermittelte. Wir erinnern uns: Frederick Abberline hieß der in From Hell von Johnny Depp gespielte Inspektor.

Schöne Hommage ohne Tiefgang
Joe Johnstons Film ist ein Kind der Spätromantik geblieben, eine Hommage, die Aufklärung und kritische Distanz aus dem Film heraushält. Wenn Talbot, der von der aufgebrachten Dorfbevölkerung als Werwolf verdächtigt wird, in einer schaurigen Irrenanstalt landet, werden die mittelalterlichen Foltermethoden der ‚modernen Psychiatrie“ nicht persifliert, sondern in ihrer Grausamkeit todernst genommen: Eisbad und Elektroschock. Wie schon in vielen Universal-Klassikern bleibt der Moderne der Zutritt verwehrt und auch in The Wolfman ist das viktorianische England der einzig denkbare Ort, an dem Mythen, Monster und altmodischer Plüsch ihre berechtigte Existenz haben. Natürlich legt das Remake die Figuren in psychologischer Hinsicht etwas tiefer an und auch ein Schuss unterdrückte Sexualität und eine Prise Ödipus-Komplex wabern in den Film hinein, aber letztendlich geht es den Machern um den Spaß, ein altes Thema nicht allzu gedankenschwer zu einem unterhaltsamen visuellen Vergnügen zu machen. Man sieht es im Bonusmaterial bei Benicio Del Toro, der in den Che-Extras noch dümmlich-verschlossen parlierte, während er in den Makings of’s von The Wolf Man nicht nur als Darsteller, sondern auch als Produzent kaum zu bremsen ist.
Mir hat das Ganze jedenfalls gut gefallen. So ähnlich wie das Verzehren einer verbotenen Frucht. Sie schmeckt, was man allerdings öffentlich nur ungern zugibt.


Noten: BigDoc = 2,5, Klawer = 3, Melonie = 3, Mr. Mendez = 3

Postskriptum: Der Pressespiegel.
Wieder einmal scheiden sich die Geistern, wieder einmal kompromisslos.
Daniel Ronel schreibt auf Bayern3.de: „Es ist ärgerlich, dass Hollywood seine Klassiker ständig neu verfilmen muss. Außerdem wären del Toros Schlafzimmerblick, die Monster-mischung aus Yeti, King Kong und Hulk, sowie eine mäßig originelle Story genügend Gründe, sich über den Film lustig zu machen. Dennoch muss man ihm zugestehen: er verfehlt seine Wirkung nicht und sorgt für ordentlichen Schauer.“
Genre-Spezialist Frank Arnold ist in epd-Film über Johnstons Film begeistert: So „erweist sich sein „Wolfman“ jetzt als eine angenehme Überraschung, ist er doch so klassisch und angenehm altmodisch ausgefallen, wie man es kaum erwarten durfte, und vermag es auch, der Geschichte einige neue Akzente abzugewinnen.“
In „DerWesten“ ist Uwe Mies völlig anderer Meinung: „Die Regie von Joe Johnston ist … Flickwerk. Mit viktorianischem Plüsch und viel Kunstnebel gelingt ihr lediglich vordergründige Atmosphäre und trägt in allem, was Spannung schüren soll, viel zu dick auf. Es ist ein vulgärer Film, der die tragischen Aspekte mit plumpen Blut- und Ekel-Attraktionen übertüncht und damit leichtfertig an die vermeintlichen Erwartungen des Teenagerpublikums verschenkt.“
Michael Kohler in der Frankfurter Rundschau hat indes einen überzeugenden Film mit vielen Sahnehäubchen gesehen: „Genau das ist hier gelungen: Einen Blockbuster zu drehen, der sich vor der Tradition, die er in einer Szene plündert, schon im nächsten Moment wieder verneigt. Man sieht es daran, wie Johnston immer wieder die Kamera kippt, um die schrägen Perspektiven eines Universal-Klassikers nachzuahmen, wie er seinen englischen Schauplatz im festen Griff von fahlem Dämmerlicht und Nebel hält, und dann ist sein Wolfmensch, wenn er nicht gerade die Zähne fletscht, auch noch der verwunschenen Bestie aus Jean Cocteaus "Die Schöne und das Biest" wie aus dem Gesicht geschnitten.“
Eben diese Qualitäten könnenhalt auch zum Verriss führen: „Und natürlich ist Wolfman schrecklich, natürlich ist er blutig, und natürlich ist er kolossal, aber das alleine macht ihn noch lange nicht gut. Zu abgeschmackt sind die kunstnebligen Bilder der düsteren Seite der Romantik, zu kitschig der symbolträchtige Pathos der brennenden Bilder von Vater, Mutter und verlorenem Sohn, zu billig die nervenaufreibenden Schocktricks, die einen mit kalkulierbarer Regelmäßigkeit im Kinosessel zusammenzucken lassen. Der Horror scheint in Wolfman fast gänzlich aus den Zuschauerköpfen in die Postproduktion verlegt: in die schnellen Schnitte, die visuellen Effekte, das unterschwellig dröhnende Sounddesign“ (Sarah Sander, SCHNITT).
Daniel Haas sieht In DER SPIEGEL das Positive für den Zuschauer: „Nach dem ganzen Rummel um "Twilight", dem Märchen über edle Blutsauger, die das Hämoglobin-Zölibat zur Gefühlssteigerung nutzen, war es höchste Zeit für eine scharfe, blutrünstige Auseinandersetzung mit dem Monströsen in uns. Denn das repräsentieren sie ja, die Vampire, Wölfe, Gestaltwandler: das Andere und Fremde, das wir verdrängen, aber nie ganz loswerden.“
Eben, eben.