Dienstag, 20. Juli 2010

Quick Review: die Halbjahres-Bilanz

Der Umstand, dass unser schöner Blog einige Wochen mit Notstrom gefahren wurde, kann nicht verhindern, dass in einer Quick Review die wichtigsten Filme der letzten Wochen mit galliger Schärfe oder humorvoller Zustimmung vorgestellt werden – je nachdem, was sie verdient haben.

Nicht aktuell im Kino, aber als DVD-Neuerscheinung lief John Crowleys Boy A (2007), ein britisches Drama, das mit 2,6 eine erfreuliche Note erreichte. Der mehrfach preisgekrönte Film erzählt die Geschichte von Jack Burridge (ausgezeichnet: Andrew Garfield), der wegen eines gemeinschaftlich begangenen Mordes bereits mit 14 Jahren in den Knast einwanderte. Nach der Entlassung versucht Jack Fuß zu fassen, scheitert aber an der gandenlosen Hetzjagd der Medien und der Unversöhnlichkeit der Gesellschaft.
Im Club erwies sich der Film immerhin als Auslöser einer der selten gewordenen Debatten, wobei der Chronist bei der Darstellung des Mordes einen Schuss Krzysztof Kieślowski forderte und sich damit mehr Realismus und ein härteres Täterprofil wünschte, um die Hauptfigur nicht nur als Opfer, sondern auch in ihrer Ambivalenz als kindlicher Mörder zu zeigen. Oupps, das fand nur wenig Gehör.

Etwas einstimmiger war die Meinung einige Wochen zuvor, als mit Der fantastische Mr. Fox (englischer Originaltitel: Fantastic Mr. Fox) ein US-amerikanischer Stop-Motion-Animationsfilm aus dem Jahr 2009 bei uns lief. Der Film wurde als Bester Animationsfilm 2010 für den Oscar nominiert und alle waren von der eleganten und geistreichen Tierfabel begeistert. Nach Up (derzeit Platz 1) hat es ein zweiter Animationsfilm mit einer sehr guten Note (2,1) in die Top Ten geschafft. Interessant. Ich werde mir den Film auf jeden Fall noch einmal im Original anschauen. Dort warten folgende englische Sprecher auf mich: Meryl Streep, George Clooney, Jason Schwartzman, Bill Murray, Owen Wilson, Willem Dafoe u.v.a.

Die Note für den geistreichen Fuchs wurde allerdings von Sturm getoppt. Der deutsch-dänisch-niederländischer Spielfilm aus dem Jahr 2009 zeigt meiner Meinung nach, dass Hans-Christian Schmid (Lichter, Requiem) zu den besten deutschen Filmemachern gehört. Schmid findet nicht nur provozierende Themen, sondern verbindet sehr viel Originalität auf authentische Weise mit der gewünschten Nachdenklichkeit. Und so gab es von allen eine Zwei, was bei einem nicht immer ganz einfachen Kriegsverbrecher-Drama am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag keine Selbstverständlichkeit ist. Politische Filme sind halt nicht jedermanns Sache, aber Schmid bringt sie an den Mann und die Frau. Ich hoffe, dass ich in den nächsten Wichen eine ausführliche Kritik hinbekomme.

Natürlich gibt es auch im Filmclub etwas zum Lachen. Jason Reitman hat nach Thank you for smoking und Juno eine spritzige Komödie mit George Clooney auf die Leinwand gebracht, die leider ihr politisch-satirisches Potential nicht ganz ausreizt: Clooney spielt in Up in the air einen Spezialisten, der für seine Auftraggeber die unangenehmen Entlassungsgespräche führt. Das heißt: er feuert Leute. Rhetorisch ansprechend, mit viel Mitgefühl und einem Schuss Lebensweisheit. Und zu diesem Zweck fliegt er pausenlos: Ryans großes Ziel ist es nämlich, die Zehn-Millionen-Frequent-Flyer-Meilen-Schallmauer zu überwinden. Leider verfolgt Reitman nicht den galligen Michael Moore-Ansatz des ersten Filmdrittels weiter, sondern entscheidet sich, das tragikomische Psychogramm eines Mannes zu zeichnen, der zu echten menschlichen Bindungen nicht mehr fähig ist. Das gelingt ihm recht gut, erfüllt aber nicht meine intimsten Wünsche. Muss es auch nicht.

Passend zur Fußball-WM wurde District 9 von Neill Blokamp (Produzent: Peter Jackson) vorgestellt. Mit einer Note von 2,4 schaffte es der im Blog bereits im Vorjahr rezensierte Film in die Top Ten, stieß aber bei einem Mitglied auf großen Widerstand – ungeachtet der Analogien zur Situation in Südafrika. Der auch formal sehenswerte Film hat gewiss seine Schwächen, ist unbestreitbar aber einer der originellsten Sci-Fi-Filme der letzten Jahre. Wenn der Schmuddellook nicht den einen oder anderen abnerven würde.

Gediegener und noch direkter am Thema Südafrika und Sport dran ist Invictus, Clint Eastwoods neuester Film, der sogar auf einer frisch aus Great Britain importierten Bluray präsentiert wurde. Das änderte nichts daran, dass die Lager (wieder einmal) gespalten waren: 2x Top, 1x hop („stinklangweilig) brachten den Film dennoch mit einer Note von 2,4 auf den derzeitigen 6. Platz der Top Ten. Eastwood erzählt etwas betulich die Geschichte vom Gewinn der Rugby-Weltmeisterschaft 1995 durch die bei den Schwarzen verhassten Springboks und darüber hinaus ein Kapitel aus der Geschichte Nelson Mandelas (Morgan Freeman), der mit dem weißen Mannschaftskapitän Francois Pienaar (Matt Damon) einen Pakt schließt, der die neue südafrikanische Nation vereinen soll. Am Ende jubeln auch die Schwarzen über den Turniersieg, aber der stocksolide und politisch korrekte Film stößt immer dann etwas sauer auf, wenn man sich daran erinnert, wie nah Südafrika in den Jahren zuvor am Abgrund der Anarchie stand und welche ups und downs die Nation in den Post-Apartheid-Jahren bis heute erleben musste. Ich erinnere nur an die unselige Leugnung des HIV-Virus durch die Regierung und den Versuch, Aids mit dem regelmäßigen Verzehr von Gemüse zu bekämpfen. So verzieht man beim pathetischen Happy-End doch etwas die Miene, auch wenn Morgan Freeman glänzend schauspielert und Damon regelrecht an die Wand spielt. Invictus ist sicher keines der großen Meisterwerke von Clint Eastwood, aber ein integrer und ordentlich inszenierter Film.
Ich habe nach einem halben Jahr jedoch das Gefühl, dass Invictus auch ein wenig das Filmjahr 2010 repräsentiert. Die ganz großen Kracher fehlen, sieht man mal von Avatar ab, und in der zweiten Jahreshälfte kann es eigentlich nur besser werden.