USA / Neuseeland / Belgien 2010 - Originaltitel:
The Adventures of Tintin - Regie: Steven Spielberg - Darsteller: (Motion Capture) Jamie Bell, Andy Serkis, Daniel
Craig, Simon Pegg, Nick Frost, Cary Elwes, Toby Jones - FSK:
ab 6 - Länge: 107 min.
Tintin, der hierzulande eingedeutscht „Tim“ heißt, und sein
kluger Hund Milou, der im gleichen Zuge den unsäglichen Namen „Struppi“
verpasst bekam, sind nicht einfach nur Comic-Figuren, sondern noch mehr
pop-kulturelle Ikonen. Das liegt nicht nur an ihrer unbestreitbaren
Popolarität, sondern auch an der Ästhetik ihres Schöpfers Hergé. Man kann durchaus
Frames aus seinen Geschichten nehmen, vergrößern und ähnlich wie das Bild einer
Tomatendose von Warhol an die Wand hängen. Jeder kennt die Figuren – nicht nur
Tintin und Milou, sondern auch den trinklustigen Kapitän Haddock oder den
schrulligen Professor Bienlein - und die Konsistenz der Bilder erledigt dann
den Rest: Tintin und Milou und alle anderen sind Kunstfiguren
in Kunstwerken, die über die Jahrzehnte Zeitgeist geatmet haben und ihn nun als
Teil der Pop-Ästhetik verkörpern können.
Gelegentlich haben sie ihn auch ausgeatmet, den Zeitgeist,
und die Geschichte der Widerstände und Proteste gegen die Geschichten Hergé
sind ein Kapitel für sich. Sehr häufig und nicht immer zu Unrecht wurde auf
Political Correctness bestanden. Nun hat sich Steven Spielberg der Geschichten
des belgischen Comicautors Georges Prosper Remi (1907 – 1983) angenommen und
dies bedeutet fast zwangsläufig, dass die Adaption der „Aventures de Tintin“
ganz gewiss korrekt sind und garantiert kein garstigen Politikum auf der
Leinwand erscheinen wird.
Technik
und Erzählung ergänzen sich perfekt
Zunächst plante Spielberg einen Realfilm, aber nach der
Sichtung der zusammen mit Peter Jackson („Der Herr der Ringe“) entwickelten
Probeaufnahmen, die mit der Perfomance-Capture-Technologie
produziert wurden, realisierten beide einen
3 D-Animationsfilm, der als erster Teil einer Tintin-Trilogie angelegt wurde.
3 D-Animationsfilm, der als erster Teil einer Tintin-Trilogie angelegt wurde.
Das Ergebnis ist verblüffend, man mag es sogar einen ´großen
Wurf` nennen, denn Spielberg und Jackson, der im ersten Teil Produzent war und
im zweiten Teil vermutlich Regie führen wird, haben zusammen einen Film auf die
Leinwand gebracht, der (offen gestanden auch für mich ganz unerwartet) die
Technik ganz der Geschichte unterordnet.
Im Gegensatz zu vielen abgespeckten und billig aussehenden
Pseudo-3 D-Filmen und auch im Gegensatz zu den effektsüchtigen Jahrmarkttricks,
mit denen der 3 D-Brille tragenden Zuschauer verblüfft werden soll, vergisst
man bereits nach wenigen Minuten, bewusst über die 3 D-Ästhetik nachzudenken
und ständig die Güte der Effekte zu bewerten. Vielmehr folgt man ganz entspannt
der Geschichte. So soll Kino sein und trotz seiner exzellenten Qualität habe
ich dies bei „Avatar“ noch anders erlebt. Da konnte man den Film erst im
Heimkino in der 2 D-Version richtig entdecken.
Dass Spielberg / Jackson hier bereits den ersten fetten
Pluspunkt einfahren, liegt auch an der erwähnten
Perfomance-Capture-Technologie, die als Weiterentwicklung des
Motion-Capture-Verfahrens nicht nur Körper-, sondern auch das Mienenspiel
perfekt scannt. Mit etlichen Kameras werden dabei die Bewegungsabläufe der
Protagonisten mithilfe von speziellen Markern aufgezeichnet, die an den
Schauspielern befestigt werden. Diese Daten können von speziellen Programmen
gelesen und auf 3 D-Modelle übertragen werden. Alternativ können diese Daten
auch mit so genannten Body Suits erzeugt werden.
Als Ergebnis sieht man nach Abschluss der kompletten
Entwicklungsphase sehr realistisch wirkende virtuelle Figuren, die nicht nur
die Bewegungen der Schauspieler wiedergeben, sondern auch in punkto
Physiognomie sehr menschlich wirken.
Wie zu erwarten wurde von einigen Kritikern der Umstand aufs
Korn genommen, dass die berühmte „Ligne Claire“ in Spielbergs Film dabei auf
der Strecke geblieben ist, jene ausgefeilte Zeichenästhetik Hergés, die
monochrome Farben und präzise Figurenkonturierung ohne Schatten vor
realistischen Hintergründen zu einem unverwechselbaren Markenzeichen des
Belgiers machte. Das mag man bedauern, allerdings sollte man bei einer
computerbasierten Adaption den Machern ihre eigene Gestaltungsfreiheit
einräumen. Auf mich wirkt es geradezu frivol, Spielberg / Jackson vorzuwerfen,
dass die Herkunft aus dem Computer in ihrem Film nicht zu übersehen sei. Man
kann dem Steak natürlich ebenfalls vorwerfen, dass man ihm ansieht, dass es in
der Pfanne gebraten wurde.
Tatsächlich funktionieren Technik und Erzählung in „Die
Abenteuer von Tim und Struppi“ über die Maßen gut, weil Spielberg die
Geschichte einer Schatzsuche zwar erkennbar auch als Hommage an seine „Indiana
Jones“-Filme gestaltet, dabei aber zunächst mit großer Sorgfalt erzählt und den
Figuren den notwenigen Raum lässt. Dazu gehört eine Bildmontage, die wirklich
überzeugend die Anforderungen der 3 D-Animation umsetzt: der Schnittrhythmus
ist ausgewogen, es gibt (zunächst) keine hektische Staccato-Schnittorgie.
Vielmehr nutzt die virtuelle Kamera mit Fahrten in den Raum und um die Figuren
herum ganz unaufdringlich die Möglichkeiten des dreidimensionalen Mediums,
sodass der Eindruck überwiegt, dass die Technik der Geschichte erst richtig auf
die Beine hilft.
Neben intelligenten und überraschenden Bildübergängen, bei
denen sich ein wallender Vorhang schon einmal in eine heiße Wüste verwandeln
darf, und einigen netten Gimmicks, orientiert sich Spielberg zum Glück vorrangig
an der Dramaturgie der Geschichte. Aber gerade bei Spielberg sollte man in
seinen Mainstream-Filmen den Figuren nicht psychologisch nachstellen: wie in
der Vorlage bleibt Tintin ein Held ohne Ambivalenz, eine Figur, die der
narrativen Dynamik des traditionellen Comics geschuldet ist und fast ohne
Entwicklung das bleibt, was er ist: ein jugendlicher Draufgänger, stilisiert
bis zur Eindimensionalität. Die Nebenfiguren erscheinen, auch das ist bekannt,
häufig differenzierter, was Spielberg überzeugend an der Vorlage an der Figur
des Kapitän Haddock vorführt, auch wenn dabei einige Ecken und Kanten auf der
Strecke bleiben. Zugenommen macht alles richtig Spaß beim Zuschauen, auch wenn
man in den virtuellen Figuren durchaus Mühe hat, die modellgebenden Darsteller,
zum Beispiel Jamie Bell und Daniel Craig, wiederzuerkennen.
Gelungene
Einführung in den Hergé-Kosmos
Da ich schon lange nicht mehr einen Hergé-Band in der
Hand hatte, will ich mich nicht an den manchmal etwas puristisch wirkenden
Diskussionen über die Storyline beteiligen, in die Erzählstränge aus den drei Comic-Bänden Die Krabbe mit den goldenen Scheren, Das Geheimnis der „Einhorn“, sowie Der Schatz Rackhams des Roten eingeflossen sind.
Wie so häufig
bei Hergé führt die Geschichte ihre Helden rund um die Welt.
In „Das Geheimnis der Einhorn“, dem ersten Teil der
Kino-Trilogie, entdecken Reporter Tim (Jamie Bell) und sein Foxterrier Struppi
ein Schiffsmodell, in dem sich Hinweise auf einen geheimnisvollen Schatz
verbergen. Beide geraten an den Schurken Sakharin (Daniel Craig), der natürlich
auch den Schatz in seinen Besitz bringen will.
Natürlich muss der Film den Spagat zwischen einer
temporeichen Erzählung und der Einführung weiterer Figuren aus dem Hergé-Kosmos
bewerkstelligen. Das gelingt durchaus: neben den skurrilen Detektiven Dupont und Dupond (Nick Frost, Simon
Pegg), dts. Schulze und Schultze, taucht natürlich auch der bei den
Tintin-Nerds überaus beliebte Kapitän
Haddock auf, dessen Vorfahre dereinst
gegen den gefährlichen Piraten „Rackham der Rote“ um jenen Schatz kämpfte, den
Tintin und seine Freunde nun an allerlei exotischen Schauplätzen suchen. Es ist
anzunehmen, dass der geniale Professeur Tryphon Tournesol, dts.
Professor Bienlein, mit Sicherheit im zweiten Teil seinen großen Auftritt haben
wird.
Spaßkino,
das mit einer überflüssigen Bildorgie endet
Insgesamt ist Steven Spielberg eine üppige Portion
Spaßkino gelungen, die genauso schmeckt wie sie auf dem Teller aussieht: ein 3
D-Film, der über weite Strecken einen ganz wichtigen Schritt auf dem Weg zu
einer Erzählweise getan hat, die dem freidimensionalen Raum angemessen ist –
nämlich diesen Raum zu erkunden, sich dafür die nötige Zeit zu nehmen und die
Gelassenheit zu besitzen, auf Effekte zu verzichten, an denen man sich schnell
satt gesehen hat.
Das gelingt aber nicht durchgehend. Gelegentlich wird
auch in „Das Geheimnis der Einhorn“ zu früh geschnitten, wo doch zwei
zusätzliche Sekunden ganz bestimmt mehr von dem Reiz des jeweiligen
Schauplatzes gezeigt hätten.
Das kann man noch verkraften.
Weniger erfreulich und leider auch enttäuschend ist
das große Finale, das sich als spektakuläre Actionorgie entpuppt und damit den
zuvor teilweise meisterhaft vorgetragenen Erzählrhythmus völlig über Bord
wirft. Die ohren- und augenbetäubende Hektik des Finales verrät, dass Spielberg
an dieser Stelle seinen Instinkt für ein emotional überzeugendes Ende zugunsten
eines Bildrausches aufgegeben hat, in dem Duelle mit großen Baukränen
ausgefochten werden und eine ganze Stadt mehr oder weniger in Schutt und Asche
gelegt wird. Und so verließ nicht nur der Kritiker ziemlich betäubt das Kino,
sondern möglicherweise auch der eine andere jüngere Zuschauer, der auf diese
Weise mit der Bildhybris Hollywoods konfrontiert wurde, die bislang noch fast
jede Geschichte zerstört hat, die mit viel versprechenden Ansätzen begann.
Schade um einen Film, der so charmant begonnen hat.
Noten: Melonie = 1, BigDoc = 2, Mr. Mendez = 2,5
(wobei anzumerken ist, dass meine Begleiter erklärte
Tim und Struppi-Fans sind und zumindest einer der beiden mit allergrößter
Skepsis den Weg ins Kino antrat. Beide waren am Ende begeistert, der eine mehr,
der andere eine Spur weniger).