Samstag, 29. Oktober 2011

Die Abenteuer von Tim und Struppi - Das Geheimnis der Einhorn


USA / Neuseeland / Belgien 2010 - Originaltitel: The Adventures of Tintin - Regie: Steven Spielberg - Darsteller: (Motion Capture) Jamie Bell, Andy Serkis, Daniel Craig, Simon Pegg, Nick Frost, Cary Elwes, Toby Jones - FSK: ab 6 - Länge: 107 min.

Tintin, der hierzulande eingedeutscht „Tim“ heißt, und sein kluger Hund Milou, der im gleichen Zuge den unsäglichen Namen „Struppi“ verpasst bekam, sind nicht einfach nur Comic-Figuren, sondern noch mehr pop-kulturelle Ikonen. Das liegt nicht nur an ihrer unbestreitbaren Popolarität, sondern auch an der Ästhetik ihres Schöpfers Hergé. Man kann durchaus Frames aus seinen Geschichten nehmen, vergrößern und ähnlich wie das Bild einer Tomatendose von Warhol an die Wand hängen. Jeder kennt die Figuren – nicht nur Tintin und Milou, sondern auch den trinklustigen Kapitän Haddock oder den schrulligen Professor Bienlein - und die Konsistenz der Bilder erledigt dann den Rest: Tintin und Milou und alle anderen sind Kunstfiguren in Kunstwerken, die über die Jahrzehnte Zeitgeist geatmet haben und ihn nun als Teil der Pop-Ästhetik verkörpern können.

Gelegentlich haben sie ihn auch ausgeatmet, den Zeitgeist, und die Geschichte der Widerstände und Proteste gegen die Geschichten Hergé sind ein Kapitel für sich. Sehr häufig und nicht immer zu Unrecht wurde auf Political Correctness bestanden. Nun hat sich Steven Spielberg der Geschichten des belgischen Comicautors Georges Prosper Remi (1907 – 1983) angenommen und dies bedeutet fast zwangsläufig, dass die Adaption der „Aventures de Tintin“ ganz gewiss korrekt sind und garantiert kein garstigen Politikum auf der Leinwand erscheinen wird.

Technik und Erzählung ergänzen sich perfekt
Zunächst plante Spielberg einen Realfilm, aber nach der Sichtung der zusammen mit Peter Jackson („Der Herr der Ringe“) entwickelten Probeaufnahmen, die mit der Perfomance-Capture-Technologie produziert wurden, realisierten beide einen
3 D-Animationsfilm, der als erster Teil einer Tintin-Trilogie angelegt wurde.
Das Ergebnis ist verblüffend, man mag es sogar einen ´großen Wurf` nennen, denn Spielberg und Jackson, der im ersten Teil Produzent war und im zweiten Teil vermutlich Regie führen wird, haben zusammen einen Film auf die Leinwand gebracht, der (offen gestanden auch für mich ganz unerwartet) die Technik ganz der Geschichte unterordnet.
Im Gegensatz zu vielen abgespeckten und billig aussehenden Pseudo-3 D-Filmen und auch im Gegensatz zu den effektsüchtigen Jahrmarkttricks, mit denen der 3 D-Brille tragenden Zuschauer verblüfft werden soll, vergisst man bereits nach wenigen Minuten, bewusst über die 3 D-Ästhetik nachzudenken und ständig die Güte der Effekte zu bewerten. Vielmehr folgt man ganz entspannt der Geschichte. So soll Kino sein und trotz seiner exzellenten Qualität habe ich dies bei „Avatar“ noch anders erlebt. Da konnte man den Film erst im Heimkino in der 2 D-Version richtig entdecken.

Dass Spielberg / Jackson hier bereits den ersten fetten Pluspunkt einfahren, liegt auch an der erwähnten Perfomance-Capture-Technologie, die als Weiterentwicklung des Motion-Capture-Verfahrens nicht nur Körper-, sondern auch das Mienenspiel perfekt scannt. Mit etlichen Kameras werden dabei die Bewegungsabläufe der Protagonisten mithilfe von speziellen Markern aufgezeichnet, die an den Schauspielern befestigt werden. Diese Daten können von speziellen Programmen gelesen und auf 3 D-Modelle übertragen werden. Alternativ können diese Daten auch mit so genannten Body Suits erzeugt werden.
Als Ergebnis sieht man nach Abschluss der kompletten Entwicklungsphase sehr realistisch wirkende virtuelle Figuren, die nicht nur die Bewegungen der Schauspieler wiedergeben, sondern auch in punkto Physiognomie sehr menschlich wirken.
Wie zu erwarten wurde von einigen Kritikern der Umstand aufs Korn genommen, dass die berühmte „Ligne Claire“ in Spielbergs Film dabei auf der Strecke geblieben ist, jene ausgefeilte Zeichenästhetik Hergés, die monochrome Farben und präzise Figurenkonturierung ohne Schatten vor realistischen Hintergründen zu einem unverwechselbaren Markenzeichen des Belgiers machte. Das mag man bedauern, allerdings sollte man bei einer computerbasierten Adaption den Machern ihre eigene Gestaltungsfreiheit einräumen. Auf mich wirkt es geradezu frivol, Spielberg / Jackson vorzuwerfen, dass die Herkunft aus dem Computer in ihrem Film nicht zu übersehen sei. Man kann dem Steak natürlich ebenfalls vorwerfen, dass man ihm ansieht, dass es in der Pfanne gebraten wurde.

Tatsächlich funktionieren Technik und Erzählung in „Die Abenteuer von Tim und Struppi“ über die Maßen gut, weil Spielberg die Geschichte einer Schatzsuche zwar erkennbar auch als Hommage an seine „Indiana Jones“-Filme gestaltet, dabei aber zunächst mit großer Sorgfalt erzählt und den Figuren den notwenigen Raum lässt. Dazu gehört eine Bildmontage, die wirklich überzeugend die Anforderungen der 3 D-Animation umsetzt: der Schnittrhythmus ist ausgewogen, es gibt (zunächst) keine hektische Staccato-Schnittorgie. Vielmehr nutzt die virtuelle Kamera mit Fahrten in den Raum und um die Figuren herum ganz unaufdringlich die Möglichkeiten des dreidimensionalen Mediums, sodass der Eindruck überwiegt, dass die Technik der Geschichte erst richtig auf die Beine hilft.
Neben intelligenten und überraschenden Bildübergängen, bei denen sich ein wallender Vorhang schon einmal in eine heiße Wüste verwandeln darf, und einigen netten Gimmicks, orientiert sich Spielberg zum Glück vorrangig an der Dramaturgie der Geschichte. Aber gerade bei Spielberg sollte man in seinen Mainstream-Filmen den Figuren nicht psychologisch nachstellen: wie in der Vorlage bleibt Tintin ein Held ohne Ambivalenz, eine Figur, die der narrativen Dynamik des traditionellen Comics geschuldet ist und fast ohne Entwicklung das bleibt, was er ist: ein jugendlicher Draufgänger, stilisiert bis zur Eindimensionalität. Die Nebenfiguren erscheinen, auch das ist bekannt, häufig differenzierter, was Spielberg überzeugend an der Vorlage an der Figur des Kapitän Haddock vorführt, auch wenn dabei einige Ecken und Kanten auf der Strecke bleiben. Zugenommen macht alles richtig Spaß beim Zuschauen, auch wenn man in den virtuellen Figuren durchaus Mühe hat, die modellgebenden Darsteller, zum Beispiel Jamie Bell und Daniel Craig, wiederzuerkennen.

Gelungene Einführung in den Hergé-Kosmos
Da ich schon lange nicht mehr einen Hergé-Band in der Hand hatte, will ich mich nicht an den manchmal etwas puristisch wirkenden Diskussionen über die Storyline beteiligen, in die Erzählstränge aus den drei Comic-Bänden Die Krabbe mit den goldenen Scheren, Das Geheimnis der „Einhorn“, sowie Der Schatz Rackhams des Roten eingeflossen sind.

Wie so häufig bei Hergé führt die Geschichte ihre Helden rund um die Welt.
In „Das Geheimnis der Einhorn“, dem ersten Teil der Kino-Trilogie, entdecken Reporter Tim (Jamie Bell) und sein Foxterrier Struppi ein Schiffsmodell, in dem sich Hinweise auf einen geheimnisvollen Schatz verbergen. Beide geraten an den Schurken Sakharin (Daniel Craig), der natürlich auch den Schatz in seinen Besitz bringen will.
Natürlich muss der Film den Spagat zwischen einer temporeichen Erzählung und der Einführung weiterer Figuren aus dem Hergé-Kosmos bewerkstelligen. Das gelingt durchaus: neben den skurrilen Detektiven Dupont und Dupond (Nick Frost, Simon Pegg), dts. Schulze und Schultze, taucht natürlich auch der bei den Tintin-Nerds überaus beliebte Kapitän Haddock auf, dessen Vorfahre dereinst gegen den gefährlichen Piraten „Rackham der Rote“ um jenen Schatz kämpfte, den Tintin und seine Freunde nun an allerlei exotischen Schauplätzen suchen. Es ist anzunehmen, dass der geniale Professeur Tryphon Tournesol, dts. Professor Bienlein, mit Sicherheit im zweiten Teil seinen großen Auftritt haben wird.

Spaßkino, das mit einer überflüssigen Bildorgie endet
Insgesamt ist Steven Spielberg eine üppige Portion Spaßkino gelungen, die genauso schmeckt wie sie auf dem Teller aussieht: ein 3 D-Film, der über weite Strecken einen ganz wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer Erzählweise getan hat, die dem freidimensionalen Raum angemessen ist – nämlich diesen Raum zu erkunden, sich dafür die nötige Zeit zu nehmen und die Gelassenheit zu besitzen, auf Effekte zu verzichten, an denen man sich schnell satt gesehen hat.
Das gelingt aber nicht durchgehend. Gelegentlich wird auch in „Das Geheimnis der Einhorn“ zu früh geschnitten, wo doch zwei zusätzliche Sekunden ganz bestimmt mehr von dem Reiz des jeweiligen Schauplatzes gezeigt hätten.
Das kann man noch verkraften.

Weniger erfreulich und leider auch enttäuschend ist das große Finale, das sich als spektakuläre Actionorgie entpuppt und damit den zuvor teilweise meisterhaft vorgetragenen Erzählrhythmus völlig über Bord wirft. Die ohren- und augenbetäubende Hektik des Finales verrät, dass Spielberg an dieser Stelle seinen Instinkt für ein emotional überzeugendes Ende zugunsten eines Bildrausches aufgegeben hat, in dem Duelle mit großen Baukränen ausgefochten werden und eine ganze Stadt mehr oder weniger in Schutt und Asche gelegt wird. Und so verließ nicht nur der Kritiker ziemlich betäubt das Kino, sondern möglicherweise auch der eine andere jüngere Zuschauer, der auf diese Weise mit der Bildhybris Hollywoods konfrontiert wurde, die bislang noch fast jede Geschichte zerstört hat, die mit viel versprechenden Ansätzen begann. Schade um einen Film, der so charmant begonnen hat.

Noten: Melonie = 1, BigDoc = 2, Mr. Mendez = 2,5
(wobei anzumerken ist, dass meine Begleiter erklärte Tim und Struppi-Fans sind und zumindest einer der beiden mit allergrößter Skepsis den Weg ins Kino antrat. Beide waren am Ende begeistert, der eine mehr, der andere eine Spur weniger).