Donnerstag, 3. November 2011

The Fighter


USA 2010 - Regie: David O. Russell - Darsteller: Mark Wahlberg, Christian Bale, Amy Adams, Melissa Leo, Jack McGee, Dendrie Taylor, Melissa McMeekin, Bianca Hunter, Erica McDermott, Jill Quigg, Kate B. O'Brien, Jenna Lamia - FSK: ab 12 - Länge: 116 min.

The Fighter ist ein Film über zwei Boxer, aber auch die Geschichte der Stadt Lowell, Massachusetts, in der die irisch stämmigen Menschen stolz auf ihre Boxsportler sind. Mickey "Irish" Ward (Mark Wahlberg) ist ein Teil dieser reichlich mythengeschwängerten Kultur: seinem Halbbruder Dick „Dicky“ Eklund (Christian Bale) gelang es auf dem Höhepunkt seiner Karriere, den amtierenden Weltmeister Sugar Ray Leonard wenigstens einmal auf die Bretter zu schicken und dieser – allerdings umstrittene - Niederschlag machte den ehemaligen New England Champion im Weltergewicht zum „Pride of Lowell“ –geliebt und verehrt von den Menschen, aber noch mehr von der eigenen Familie, die sich nun ganz in den Dienst der Karriere seines Halbbruders Micky stellt.
Mutter Alice (Melissa Leo) führt dabei als Managerin die Regie, umgeben von ihrer überwiegend aus Töchtern bestehenden Großfamilie, während das „Boxgenie“ Dicky seinem Bruder immer noch sagen will, wo es lang geht. Doch dessen Weg führt ziemlich steil nach unten: Micky bekommt schlechte Kämpfe und Dicky ist längst ein durch Crack ausgezehrtes Drogenwrack, das nicht einmal mitbekommt, dass das HBO-TV-Team, das ihn seit Monaten begleitet, keineswegs ein Feature über sein Comeback machen will, sondern eine brutale Absteigerstudie: das später für den Oskar nominierte Doku High on Crack Street: Lost Lives in Lowell lief tatsächlich 1995 im TV und Regisseur David O. Russell baut die Dreharbeiten zu diesem Film als Baustein einer maroden Familiengeschichte konsequent in seinen Film ein.

Nach einer erneuten Niederlage zweifelt Micky endgültig an seinem Können, bis er die in einer Bar arbeitende Charlene (Amy Adams) trifft. Während die Familie seine selbstbewusste Freundin ablehnt und für Mickys Zweifel verantwortlich macht und Dicky ins Gefängnis muss, beginnt Mickey sich langsam aus dem familiären Korsett zurückzuziehen. Wie es trotz schwerer körperlicher Verletzungen und einem angeknacksten Ego am Ende doch noch für den ganz großen Kampf reicht und wie man sich zudem noch mit einer Familie aussöhnen kann, deren Mythologie einen zu ersticken droht, erzählt Russell in einem bemerkenswert unsentimentalen, aber dennoch sehr emotionalen Film.

Der Trottel am Seil
Ein „Rope-a-Dope“ ist im Boxen -frei übersetzt- ein Trottel am Seil, der sich passiv hinstellt und sich mit Schlägen eindecken lässt, bis der Gegner sich müde geprügelt hat. Dann schlägt der ‚Trottel‘ zurück – und gewinnt. So ähnlich lief der berühmte Kampf zwischen George Foreman und Muhammad Ali 1974 in Kinshasa ab, den Ali in Runde 8 mit zwei Links-rechts-Kombinationen für sich entschied. Bis heute eine Legende.

Zu den nicht ganz so bekannten Boxmythen gehört der Sieg von Mickey Ward gegen Shea Neary, den Ward am 11. März 2000 mit einer schnellen Kombination aus Körpertreffer und Uppercut für sich entschied, nachdem er zuvor einige Runden lang kräftig Dresche bezogen hatte. Dank der Rope-a-Dope-Taktik wurde Ward WBU-Weltmeister im Halbweltergewicht. „He did it again! He did it again!“, schrie der TV-Reporter perplex – zu Recht, denn Ward, dessen Boxerkarriere eigentlich schon am Boden lag, hatte bereits zuvor mit der Trottel-Strategie einen Kampf als krasser Außenseiter gewonnen. Dieser Sieg spülte einen Boxer, der bestenfalls Gagen im 5-stelligen Bereich erhalten hatte, in einen nicht mehr für möglich gehaltenen Titelkampf.

Das ist natürlich guter Stoff für einen Sportfilm. Und dies wiederum ist ein Genre, wie es typischer nicht sein kann für das US-amerikanische Kino: Nie aufgeben, Niederlagen wegstecken, wieder aufstehen und an sich glauben, auch wenn alle anderen es längst nicht mehr tun. Zu den beliebten Varianten dieses Genres gehören deshals Plots, in denen ein Ex-Profi eine Gruppe von mäßig talentierten und zudem noch rassisch und sozial diskriminierten Außenseitern zusammenschweißt und auf den Olymp führt. Rückschläge eingeschlossen.

Eine andere Form von Realismus
Sportfilme werden häufig anderen Genres zugeschlagen. Möglicherweise zu Unrecht, denn kein anderes Sub-Genre greift emotional so tief auf die populären moralischen Grundkonflikte der amerikanischen Gesellschaft zu wie der Sportfilm: sei es als Plädoyer für die Überwindung rassischer Vorurteile in Gegen jede Regel (Remember the Titans, R.: Boaz Yakin, USA 2000), sei es als Plädoyer für eine christliche Lebenseinstellung wie in Facing the Giants (USA 2006, Alex Kendrick), als simpler Stand-up-and-fight-Plot wie in The Replacements (USA 2000, Howard Deutch) oder etwas empathischer in Sie waren Helden (We are Marshall, USA 2006, McG), aber auch als sozialkritischer Realismus in Spiel auf Bewährung (Gridiron Gang, USA 2006, Phil Joanou).
In vielen der erwähnten Filme war es gerade die Mischung aus wuchtiger Emotionalität und präziser Nähe zum geschilderten Milieu, die zu überzeugenden Ergebnissen führte. Kulminationspunkt dieser in den letzten zehn Jahren sehr ausgeprägten Entwicklung war Darren Aronofskys The Wrestler.

Die Geschichte, die David O. Russel in The Fighter über Micky Ward erzählt, ist als Boxerfilm natürlich die Geschichte des alles entscheidenden Kampfes und sie endet auch wie die klassischen Vertreter dieser Gattung auf dem Höhepunkt des Erfolgs, aber sie ist wie die erwähnten gelungenen Sportfilme der jüngeren Vergangenheit auch genaue Milieustudie und realistisches Drama, dabei auch eine hochgradig emotionale Familiengeschichte.

Es ist keine Überraschung, dass Mark Wahlberg, der in The Fighter nicht nur die Hauptrolle spielte und sich als Produzent auch frühzeitig die Rechte an dem Stoff sicherte, ursprünglich Darren Aronofsky (The Wrestler) als Regisseur ins Boot holen wollte. Dieser entschied sich aber für Black Swan, agierte aber als Produzent im Hintergrund, sodass der bereits in der Branche nach dem zu intellektuellen Kassenflop I Heart Huckabees fast abgeschriebene David O. Russell die Chance zu einem Comeback erhielt.

Die treibende Kraft in diesem Projekt dürfte allerdings Wahlberg gewesen sein. Wahlberg hat bereits als Co-Produzent der Therapeutenserie In Treatment gezeigt, dass er auch im TV ambitionierte Projekte auf den Weg bringen kann. The Fighter hat eine andere Vorgeschichte: Wahlberg ist in dem Milieu, über das der Film berichtet, groß geworden. Es ist die weiße Arbeiterklasse, die in ihren Stadtteilen genauso eine eigenständige Sozialkultur prägt wie dies andere Ethnien in den ihrigen tun. Eine Kultur, die von Ups und Downs, Drogen und Kriminalität (Wahlberg selbst befand sich mehrmals mehr als nur am Rande der Kriminalität), Familiensinn und Stolz genauso geprägt ist wie die anderer Ethnien, nur dass sich ihre weniger schönen Seiten im diskriminierenden Begriff White Trash spiegeln - ein Wort, das auch nur eine andere Erscheinungsform des Rassismus ist.

Unsentimental und präzise und doch hochemotional
David O. Russell und Produzent Mark Wahlberg haben einen Film realisiert, den man im besten Sinne als ‘amerikanischen Realismus’ bezeichnen kann. Ganz unmittelbar und physisch wird dies in Wahlbergs Rollenadaption sichtbar: in der vierjährigen Vorlaufphase trainierte er jeden Tag von 04.00 – 06.00 Uhr hart und regelmäßig, um sich die die Rolle des Micky Ward vorzubereiten.
Dass mag man Marotte abtun, aber die exakte Rekonstruktion des Äußeren bis ins Detail, die Interpretation einer Rolle über die Physis und die Psychologie gleichermaßen, sind keineswegs untypisch für das amerikanische Kino.

Erzählerisch orientiert sich David O. Russell kaum überraschend und sehr explizit an Rocky, während meiner Meinung nach der andere große Boxerfilm der letzten Jahre, Million Dollar Baby, als Aufsteigerstudie eher als weiteres Vorbild herangezogen werden kann. Clint Eastwoods melodramatische Geschichte einer dem White Trash zugeordneten jungen Frau taugt eher zum Vergleich als der in diesem Zusammenhang oft genannte und grandiose, aber doch eher (im positiven Sinne) artifizielle Raging Bull von Martin Scorsese.  

Was The Fighter aber auf jeden Fall von den genannten Vorbildern unterscheidet, ist die unsentimentale gradlinige Erzählung, die auch in der Produktion sichtbar wird. Gedreht wurde im echten Lowell - trotz des Risikos, dass sich die Bevölkerung und die am Set präsenten echten Dicky und Micky gegen eine denkbare und möglicherweise zu schroffe Entmythologisierung wehren würden. Das blieb aus.
Einige Rolle wurden von den echten Personen, zum Teil Freunden und Verwandten der Familie Ward, verkörpert. So spielt der Trainer von Micky sich in dem Film selbst und Sugar Ray Leonard hat einen Cameo-Auftritt in dem Film.  Die Boxkämpfe wurden – eigentlich völlig untypisch – nicht per Storyboard geplant und für die szenische Auflösung choreographiert, sondern in einem Stück unter Mitarbeit von erfahrenen TV-Teams abgedreht. Nicht nur dies, sondern auch die ziemliche nüchterne und direkte Kameraarbeit des Schweizers Hoyte van Hoytema (mit dem Schwedischen Filmpreis ausgezeichnet für So finster die Nacht) trägt mit ihrem dokumentarischen Stil (zum Glück ohne Wackeln) zum Gelingen des Ganzen bei.

Getragen wird der Film jedoch von den außergewöhnlichen darstellerischen Leistungen. Mark Wahlberg ist
die Rolle des gradlinigen Arbeiterkindes Mickey Ward geradezu auf den Leib geschrieben, während Christian Bale als brüderlicher Crackjunkie nicht nur wegen seiner exzessiven Gewichtsreduzierung zur Höchstform aufläuft: wenn Dicky im Knast mit seinen Zellengenossen ‚seinen‘ Film High on Crack Street sieht, nur um zu erkennen, dass hier ein zerstörtes Leben vorgeführt und gnadenlos desillusioniert wird, sieht man großes Schauspielerkino, für das Bale 2011 den Oscar als Bester Nebendarsteller erhielt. Sieben Oscar-Nominierungen erhielt „The Fighter“ und neben Bale erhielt Melissa Leo ebenfalls einen Oskar für die Beste Nebendarstellerin in der Rolle der omnipotenten Mutter Alice Ward.
Auch wenn man im europäischen Kino den filmischen Realismus sicher anders und möglicherweise zu intellektuell definiert, so schreibt The Fighter auf seine sehr authentische Art und Weise ein eigenes Kapitel dieser filmischen Traditionsgeschichte.

Die entscheidenden Kämpfe

Ein wichtiger Plot-Point in The Fighter ist Micky Wards Entscheidung, mit einem neuen Manager noch einmal einen neuen Anlauf zu wagen. Nach einigen erfolgreichen Aufbaukämpfen muss Ward 1997 gegen den ungeschlagenen Alfonso Sanchez antreten, der von Anfang an seine Überlegenheit ausspielt. Obwohl Ward mit seinem Trainer eine andere Taktik vereinbart hat, erinnert er sich in aussichtsloser Situation an einen Tipp seines Bruders, den Micky bei einem Besuch im Knast erhalten hat. Hier der Originalkampf (Ward in grüner Hose):


In The Fighter geht es dann sehr schnell weiter mit dem entscheidenden Kampf um den „WBU Light Welterweight Title“. Tatsächlich erfolgten vor dem WM-Kampf noch weitere Kämpfe. Hier der Originalkampf (Ward in weißer Hose) gegen Shea Neary am 11.3.2000, ebenfalls gewonnen durch einen überfallartigen Konter in schwieriger Situation:

 

Noten: BigDoc, Mr. Mendez, Klawer, Melonie = alle 2