USA /
Frankreich 2011 - Regie: Duncan Jones - Darsteller:
Jake Gyllenhaal, Michelle Monaghan, Vera Farmiga, Jeffrey Wright, Michael
Arden, Cas Anvar, Russell Peters, Brent Skagford, Craig Thomas, Gordon Masten,
Susan Bain - FSK: ab 12 - Länge: 93
min. - Start: 2.6.2011
Kurz vor Chikago fliegt ein
Personenzug in die Luft: ein Terrorakt, dem angeblich weitere folgen sollen.
Und plötzlich wacht der Hubschrauberpilot Colter Stevens (Jake Gyllenhaal) in
einem Zug auf (es ist DER Zug) und sitzt einer hübschen jungen Frau gegenüber,
die ihn als eine Person anspricht, die er nicht ist.
Stevens weiß nicht, warum
und wie in diese Situation gekommen ist. Ein Blick in den Spiegel verrät zudem,
dass sein Bewusstsein sich offenbar in dem Körper eines anderen Mannes befindet.
Es bleibt kaum Zeit, sich an den Schock zu gewöhnen und schon fliegt dem
kampferprobten Soldaten der Zug um die Ohren. Er ist tot.
Das, was nun folgt, ist kaum
besser: Stevens erwacht in einem Tank. Ein Monitor ist die einzige Möglichkeit
mit der Außenwelt zu kommunizieren, aber er sieht dort nur den weiblichen
Air-Force-Captain Coleen Goodwin (Vera Farmiga), der keineswegs zur Aufklärung
beiträgt und ihn ihn ohne viel Federlesen zurück in den Zug schickt, wo sich
alles zu wiederholen scheint.
Die Rätsel der Quantenphysik
Nein, Source Code ist kein
Film über das ‚Leben nach dem Tod’ und es ist kein erneuter Beitrag zum Thema
‚Virtuelle Welten’. Nein, Duncan Jones’ Film ist vielmehr eine spekulative
Abhandlung über die metaphysischen und ethischen Konsequenzen der
Quantenphysik, genauer gesagt: der Many-Worlds-Interpretation (dts.
Viel-Welten-Theorie) des Physikers Hugh Everett, die wiederum auf einer
bestimmten, kontrovers diskutierten Deutung der so genannten Kopenhagener
Deutung basiert. Und die wiederum beschreibt quantenmechanische
Überlagerungszustände und unter anderem die Folgen, die eintreten, wenn man sie
messen versucht.
Kollaps oder Konstanz?
Zustandsbeschreibung oder doch reale Welt?
Wenn Everett Recht hat, dann
existiert neben dem uns bekannten Kosmos eine schier unendliche Anzahl von
Parallelwelten, wobei einige der unseren bis auf Nuancen ähnlich sind und in anderen
Adolf Hitler den Krieg gewonnen hat.
Sie verstehen nur Bahnhof?
Ja, das ist verständlich, denn die Quantenphysik versteht trotz verzweifelt
bemühter populärwissenschaftlicher Werke möglicherweise nur eine Handvoll
Menschen auf diesem Planeten, obwohl mittlerweile fast ein Drittel unser
avancierten Technologien ohne die Postulate der Quantenphysik nicht
funktionieren würden. Auch die Interpretation des vermeintlichen Paradoxons von
„Schrödingers Katze“, die in einem Tank durch eine bestimmte Versuchsanordnung
eine Fifty-Fifty-Chance hat, nämlich tot oder lebendig zu sein, wird nur selten
verstanden. Die Idee, dass man als Beobachter über ihr Schicksal entscheidet,
wenn man in den Tank schaut, wird häufig als empirischer Versuch interpretiert,
während das berühmte Beispiel doch eigentlich nur aufzeigen will, dass die
Katze beides zugleich ist – nämlich tot und lebendig, aber eben nur mit einer
gewissen Wahrscheinlichkeit.
So ein Thema ist im
US-amerikanischen Kino an sich der Tod des Autors und seines Regisseurs, denn
immer noch gilt, dass Filme narrativ und inhaltlich auf den kleinsten
gemeinsamen Nenner, also den dümmsten anzunehmenden Zuschauer,
heruntergebrochen werden müssen. So betrachtet grenzt es schon an ein Wunder,
dass Duncan Jones seinen Film überhaupt machen durfte.
Schrödingers Katze meets „Und täglich grüßt das
Murmeltier“
In Source Code begnügt sich
Drehbuchautor Ben Ripley mit einigen sehr vagen Hinweisen auf eine neue
Technik, die an dem Afghanistan-Veteranen Stevens ausprobiert wird: eine
besondere Forschungseinheit der Army hat unter den Toten, die dem Anschlag zum
Opfer gefallen sind, einen ‚kompatiblen’ Körper gefunden, dessen
Gedächtnis-Engramme es mit einigen quantenmechanischen Tricks erlauben, Stevens
in die letzten acht Minuten vor der Detonation zu versetzen, den so genannten
Source Code. Dort soll er den Täter finden und nicht etwa das Unglück verhindern,
denn die Opfer sind tot und die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen.
Von nun an befindet sich
Colter Stevens in einer Situation, die wir aus Und täglich grüßt das
Murmeltier kennen: er weiß bei jedem Eintauchen in die acht Minuten immer mehr
über die Ereignisse, die aber erstaunlicherweise in kleinen Nuancen voneinander
abweichen. Mal findet er die Bombe, ist aber kurz danach tot. Und mal findet er einen
falschen Täter und auch das hat fatale Folgen. Nur einmal gelingt es ihm, die
hübsche junge Christina (Michelle Monagham) zu retten, aber das ist, so
bedeuten ihm seine Auftraggeber, letztlich irrelevant.
Ähnlich wie in Moon, dem
viel beachteten ersten Film von Duncan Jones, entfaltet sich in Source Code
erneut das Schreckenspanoptikum einer depravierten Lebensform, die mehr ist als
sie zu glauben weiß und die für andere nur verfügbare Biomasse ist. Sie hängt,
obwohl sie fühlt und denkt und leidet, wie eine Marionette an den Fäden
inhumaner Strippenzieher, die ihr Opfer zum Objekt erklären und zu einer
verdinglichten Existenz verdammen. Der Weg zurück in das, was wir Menschsein
nennen, besteht bei Jones allemal darin, das Singuläre der eigenen Existenz
anzunehmen und das Beste daraus zu machen. Viel Raum für 08/15-Moral lässt dies
nicht.
Die Physik ist in Source Code kein McGuffin
Das Besondere an Source Code
(den man vermutlich mehr als einmal sehen muss, um den raffinierten Plot
wirklich in seiner ganzen Ambivalenz zu verstehen) ist der Umstand, dass der
Kinogänger etwas über Quantenphysik verstehen muss. Diese ist nicht ein
McGuffin oder eine leere Worthülse wie in anderen Filmen des Sci-Fi-Genres,
sondern die conditio sine qua non, ohne die keine Logik beim Betrachten entsteht.
In Source Code glauben die
verantwortlichen Wissenschaftler, dass sie kaum mehr als eine Simulation
betreiben, die auf ihren informativen Gehalt geprüft werden kann. Tatsächlich
aber landet Colter Stevens immer wieder in Paralleluniversen, die real sind und
in dem die Menschen wie auch der Körper von Stevens Alter ego real sterben, nur
dass Stevens immer wieder per Reset aufs Neue in ein anderes Paralleluniversum
geschickt wird, in dem sich alles auf ähnliche oder besser gesagt: auf
wahrscheinlich gleiche Weise wiederholt.
Dass die Rückkehr in einen
Tank tatsächlich eine Illusion, ein Fake ist, bildet die perfide Spitze des
Eisberges, denn Stevens selbst ist bereits selbst bei einem Einsatz in
Afghanistan gestorben, während die Reste seines Körpers künstlich am Leben
erhalten werden, damit seine noch vorhandenen Hirnströme den Weg in eine
andere, nur probalistisch zu beschreibende Realität finden.
Und da Kino keine
Handreichung à la ‚Per Anhalter durch die Quantenphysik’ ist, sondern handfeste
moralische und emotionale Konflikte benötigt, besteht die Quintessenz in Source
Code darin, dass der sehr empathische Held am Ende die Versuchsanordnung besser
versteht als seine gefühlskalten Schöpfer: Es war keineswegs irrelevant, die
Opfer des Anschlags zu retten und am Ende ist es die instinktive moralische
Integrität des Helden und seine messerscharfe Intuition, die ihm das Leben
retten und ihn – so will es das Kino – am Ende auch die Frau erobern lässt,
wobei ähnlich wie ihn Matrix der lange finale Filmkuss wieder einmal
metaphysisch als Erlösung fungiert und den kalkulierenden Verstand in die
zweite Reihe verweist. Aber das ist ein anderes Thema.
Thriller mit einigen Schwächen
So gesehen ist Source Code
ein Film, der trotz der intellektuellen Raffinesse seines Plots einige
handfeste Standardformeln benutzt, die man als ärgerlich oder als notwendiges
Zugeständnis an das breite Publikum betrachten kann. Sie erlauben es, dass man den
Film sehr emotional und auch durchaus legitim einfach nur als Thriller
konsumieren kann. Und als solcher funktioniert Duncan Jones’ Film durchaus
passabel, aber nicht immer gelungen.
Leise Kritik kommt auf, wenn
man sich die Nebenfiguren genauer anschaut: Während Vera Farmiga Stevens’
primäre Bezugsperson durchaus glaubwürdig verkörpert, lässt ihr das sehr auf
den Kernplot konzentrierte Script wenig Raum, um wirklich eine interessante Figur
zu werden. Dagegen ist der für alles verantwortliche Versuchsleiter Dr.
Rutledge (Jeffrey Wright) nicht anderes als das abgegriffene Klischee eines
amoralischen ‚Mad Scientist’, der holzschnittartig konturiert wird. Leider gilt
diese Nachlässigkeit bei der Figurenzeichnung auch für Christina, die schöne
Unbekannte aus dem Zug, bei der das Potential von Michelle Monaghan (Gone Baby
Gone) verschenkt wird.
Dies sind keine lässlichen
Schwächen, denn Filme fesseln eben nicht dank brillanter intellektueller
Spekulationen, sondern durch glaubwürdige und interessante Figuren. Der Rest
kommt später. Und so hinterlässt Source Code zwar einen finessenreichen,
letztlich sogar bestechend logischen Eindruck, bleibt aber im Umgang mit seinem
Personal irgendwie etwas autistisch.
Einstein hat übrigens nicht
besonders viel von Quantenphysik gehalten. Dass sich im Mikrokosmos Dinge nur
noch im Rahmen von Wahrscheinlichkeitsaussagen beschreiben lassen, erschien dem
an einen deterministischen Kosmos glaubenden Genie als uneleganter Gedanke
(„Gott würfelt nicht“), aber wenn der Zuschauer trotz dieser Vorbehalte einige
essentielle Grundaussagen der Quantenphysik und der Stringtheorie kennt, wird
er mehr als nur ahnen zu können, wie der Source Code funktioniert und dass sich
hinter Duncan Jones’ faszinierender Fiktion letztlich die Frage verbirgt: Was
ist eine Person?
Noten: der Film hinterließ im
Filmclub gespaltene Fraktionen. Einzelne Statements zeigten deutlich, dass der
Plot tatsächlich ohne einige Grundkenntnisse der Quantenphysik unverständlich
bleibt oder falsch interpretiert wird. Auch der Verfasser dieser Zeilen konnte sich
nur nach längerem Nachdenken dazu durchringen, seine spontan vergebene
Note etwas aufzuwerten, Source Code ist eben ein Film mit Haken und Ösen.
Noten: Melonie, Mr. Mendez =
4, Klawer, BigDoc = 3
Vorgestellt wurde der Film
auf Bluray. Im Gegensatz zu den euphorischen Kommentaren in einschlägigen Foren
waren bei der KINOWELT-Edition leider erhebliche Mängel zu verzeichnen: das
Bild ruckelte regelmäßig und der Schwarzwert begann in den dunklen Szenen
grobflächig zu flackern. Insgesamt konnte das Bild aber durch exzellente
Schärfe und gute Kontraste überzeugen, die allerdings die ärgerlichen
Schwachpunkte nicht auszubügeln vermochten.