Donnerstag, 17. November 2011

The Tree of Life


USA 2011 - Regie: Terrence Malick - Darsteller: Brad Pitt, Sean Penn, Jessica Chastain, Fiona Shaw, McCracken, Laramie Eppler, Tye Sheridan, Joanna Going, Jackson Hurst, Crystal Mantecon - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 138 min.

(Die zitierten Forumsbeiträge wurden unbearbeitet übernommen. Dies gilt auch für Orthografie und Interpunktion etc.)

Es sind gewaltige Bilder, schönste Stille, ruhige Musik, eine wahre Botschaft. Es ist ein Film, der das Leben zeigt, nicht nur das Leben eines Menschen, das Leben der ganzen Welt. Noch nie habe ich ein derart ergreifendes Meisterwerk gesehen und ich würde es jedem, der noch nicht im vollkommen schnellen Sog der alltäglichen Welt versunken ist, jedem, der noch ein wenig Zeit hat, ans Herz legen, sich diesen Film anzusehen! (Forumsbeitrag)
Ich kann nur 22 Minuten und 18 Sekunden dieses Films beurteilen, da mir mein Player dann leid tat. Er flehte mich an, dieses Trauerspiel zu beenden, da er sich ansonsten meucheln würde - und ich solle doch an die vielen schönen Stunden denken, die wir schon verlebt hatten (Forumsbeitrag).

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Mir hat Terrence Malicks neuer Film „The Tree of Life“ sehr gut gefallen. Allerdings hatte ich keine überwältigenden emotionalen Erlebnisse. Auch spirituelle Erfahrungen wollten sich nicht einstellen. Ich spürte weder Erhabenheit noch völlige Verständnislosigkeit, sondern eine überwiegend sehr kontrollierte Freude an dem Film. Meine Erinnerungen glitten zurück zu Tarkowskis „Der Spiegel“, aber auch zu dessen Film „Stalker“. Beide sind ähnlich hermetisch wie „The Tree of Life“, aber möglicherweise von anderen Grundsätzen geformt worden, wobei Malicks und Tarkowskis Subjektivismus wohl zwangsläufig zu einigen Bildern geführt hat, die nur dem jeweiligen Regisseur etwas bedeuten können. Andere lassen sich besser deuten, wenn man bereit ist, ein wenig in die Tiefen des Kaninchenbaus hinabzusteigen.
Andrei Tarkowski ist neben Malick der andere große Monomane des Kinos, der nicht weniger von der Kunst erwartet als ‚Welterfahrung‘, ‚Sinn‘ und ‚Wahrheit‘. Alles sehr enigmatisch und mitunter weit entfernt von psychologisch-realistischen Erzählweisen mit ihren zielgelenkten Projektionen begrifflicher und vernünftiger Analyse. Aber Tarkowski hat sein Programm kommuniziert.
Was Malick bewegt, weiß man nicht. Er redet nicht zu uns. Seine Filme tun dies. Und wie bei der menschlichen Sprache sind Missverständnisse vorprogrammiert, vielleicht sogar als Teil des Programms.
Bei beiden Regisseuren stellt sich ein freier Fluss der Assoziationen ein. Und wenn man sich „The Tree of Life“ so anschaut, wie man Musik hört, dann wird man als Zuschauer zu einer Art von Resonanzboden, der Schwingungen erzeugt, die wiederum Erinnerungen auslösen, die man nicht ohne Weiteres erwarten konnte. Das ist doch schon eine Menge, oder?

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Ich habe "Der schmale Grad" (1) gesehen und war deshalb mit dem etwas eigenwilligen Stil von Terrence Malick vertraut. Aber was uns hier zugemutet wird, spottet jeder Beschreibung. Ein pseudophilosophisches Werk, das wohl nicht mal Terrence Malick zu verstehen weiß, wird hier dargeboten (Forumsbeitrag). (1) Hier muss ich dann wohl eingreifen, da der dts. Verleihtitel nun einmal „Der schmale Grat“ lautet, was durchaus ein wichtiger Unterschied ist.

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Fremdartigkeit, dieser unvorhersehbare Ausbruch von Originalität, kennzeichnet diejenigen Kunstwerke, die nachfolgenden Generationen immer wieder Rätsel aufgeben, Debatten und ehrfurchtsvolles Staunen auslösen (Paul Schrader). 

Ein grundsätzliches Problem bei der Wahrnehmung vom Kunstwerken besteht darin, dass viele Menschen keine klare Vorstellung davon besitzen, was ‚Verstehen‘ für sie bedeuten kann. Sie suchen nach einer Version des objektiven Verstehens und es ist in diesem Kontext sinnvoll, Paul Schraders Aufsatz über Aufstieg und Fall des Kanons zu lesen, der eben nicht nur von den Kriterien der Kanonisierung in Literatur und Film berichtet, sondern auch von der Konfrontation tradierter Kunstvorstellungen und ihren Masterpieces mit dem vermeintlichen Trash der Unterhaltungsindustrie und den Dekonstruktionen der Moderne und Post-Moderne: „Kanonfutter – All die Filme, ohne die wir nichts wären“ (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kino-kanonfutter-all-die-filme-ohne-die-wir-nichts-waeren-1410840.html; Kanonfutter ist kein Rechtschreibfehler, ich zitiere die Quelle wortwörtlich).
Neben diesen historischen Aspekten gibt es auch (kunst)-psychologische: so existiert auch ohne explizite Kenntnisse kunsthistorischer Debatten bei vielen Menschen ein Spannungsfeld zwischen der Vorstellung, dass Kunst bestimmten Regeln unterworfen werden kann und muss, die man lernen kann und muss, damit man am Ende etwas versteht, und der völlig entgegengesetzten Erfahrung, dass plötzlich unerklärliche, oft bedrohlich empfundene Stimmungen entstehen, die sich nicht an Regeln halten, sich nur schwer deuten lassen und vor denen die gewohnten Deutungsgewohnheiten schlichtweg versagen. In der recht kurzen Rezeptionsgeschichte von „The Tree of Life“ kann man dies recht gut nachzeichnen, denn selten konnte man so viele kontroverse und widersprüchliche Reaktionen lesen – von normalen Kinogängern bis hin zu Kritikern, die in einigen Fällen die Contents genau zusammenfassen, aber bei der Conclusio das Handtuch werfen oder sich in Allgemeinplätze flüchten.
Die meisten Menschen wollen keine Unklarheiten, sie wollen Gewissheiten. Wenn man ihnen folgend Regeln anwendet, so soll man gemäß der Vorstellung vieler und besonders im Alltag technisch orientierter Manschen aus dem Werk etwas extrahieren, was man je nach Laune ‚Sinn‘, ‚Aussage‘ oder ‚objektiven Gehalt‘ nennen kann. Viele Menschen sind so, ohne es zu wissen, irgendwie Romantiker oder irgendwie Hegelianer oder befinden sich an der Schwelle zum 19. Jh. -  einer Zeit, in der eine Ästhetik als Wissenschaft vom Schönen mitsamt ihrer Kanons eine Reihe apodiktischer Gebrauchsanweisungen für eine ‚richtige‘ Ausdeutung gab. Das erinnert mich immer ein wenig an technische Anleitungen wie etwa „Wie flicke ich einen kaputten Fahrradschlauch?“. Trotzdem: das Bedürfnis nach Derartigem ist auch heute ungemindert und es ist nicht unberechtigt.

Zu bedenken ist: wie sieht die Gegenthese aus?
In allen Zeiten war Bildungsferne ein Auslöser für Unverständnis – heute erscheint diese in Form schneller Meinungen. Voreiliges Urteilen und die Gültigkeit des Vor-Urteils hat es schon immer gegeben: Das digitale Zeitalter hat dies lediglich potenziert und es gibt mittlerweile wohl einen inneren Treib, sofort und ad hoc anderen etwas mitzuteilen – selbstverständlich ohne längeres Nachdenken.
Da Kunst sich nicht versteckt, erst recht nicht in ihren populären Erscheinungsformen, hat mittlerweile jeder sofort eine Meinung, und die vervielfältigt sich im Internet genauso schnell wie das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. War es früher das Privileg gebildeter Bürger, mehr zu wissen und dies offen zu kommunizieren, ist es heute eine Notwendigkeit, anhaltend zu schweigen, um nicht im Mahlstrom des Geplappers unterzugehen. Doch auch das hilft nicht wirklich.
Geplapper führt häufig in ein spekulatives Reich der Stimmungen und Gefühle, der Wut und der Aversionen, ein Reich, das sich mit einer Reihe von Prädikaten umgibt: schön, hässlich, erhaben, langweilig und kitschig, hochtrabend und intellektuell (dass Letzteres zum Attribut des Negativen werden würde, habe ich mir allerdings nicht träumen lassen). Dies sind in der Praxis sehr subjektive Wahrnehmungen, aber sie sind nicht illegitim.
Man kann „The Tree of Life“ wie eine Symphonie in sich aufnehmen, aber ob man anderen anschließend von dem Film berichten kann? Was ich nich ohne Weiteres toleriere, sind die Botschafter des Unbedingten, die uns mit großer Militanz einige der angeführten Attribute nur so um die Ohren hauen, denn sie tragen leider – darauf hat schon Kant hingewiesen – ihre Sache mit dem Anspruch auf Gültigkeit vor. Dann heißt es „Dieser Film ist kitschig“, aber nicht „Der Film war für mich kitschig“.
Sprache hilft halt beim Totschlagen.

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-The Tree of Life- ist ein Film für stille Stunden. Für Besinnung und Ruhe.
Ein Schwergewicht, das nicht leicht zu konsumieren ist. Es gibt keine Action, keinen leicht erkennbaren Sinn hinter all diesen Bildern
(Forumsbeitrag).
Meine Freundin hat mich angefleht das Kino zu verlassen, leider habe ich nicht auf sie gehört und die Hoffnung bis zum Ende des Films nicht aufgegeben. Ich bereue es bis heute. Und entschuldige mich hiermit ganz doll bei meiner Freundin. Es tut mir leid!! (Forumsbeitrag).

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Natürlich ist Malick größenwahnsinnig. Am Anfang und am Ende des Films zeigt er uns einen Nebel voller Licht und Farben.
Gott?
Das kann jeder halten wie er will. Jeder wirklich interessante Künstler hat eine ganz persönliche Sicht der Welt. Bei David Lynch findet man das Hässliche im Schönen, bei Terrence Malick sieht man oft das Schöne im Alltäglichen. Jedem, dem dies nichts bedeutet, kann zumindest versuchen, darüber nachzudenken, wie oft oder wie selten wir überhaupt noch ruhig etwas anschauen können, ohne gleichzeitig die Deutungsmaschine im Kopf anzuwerfen. Und die, falls ihr nichts einfällt, den einen oder anderen zwingt, die entstandene Leerstelle mit Spott zu füllen.

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Alles in allem ein Film der nichts neues bietet, weder neue Fragen aufwirft noch beantwortet. Ein Film der Raum lässt zur Selbstinterpretation, leider viel zu viel davon (Forumsbeitrag).

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Am Anfang wird im Off vom Weg der Gnade und vom Weg der Natur berichtet. Beides wird definiert und die Gnade erscheint als etwas Friedvolles und als Eins-Sein mit der Natur, was natürlich allen esoterisch gestimmten Menschen schon in „Dances with Wolves“ und zuletzt in „Avatar“ so gut gefallen hat.
Die Natur ist in „The Tree of Life“, so lässt es eine erste vordergründige Deutung erkennen, quasi die populärwissenschaftlich und auf wenige Begriffe heruntergebrochene Version des Darwinismus, der besonders von oberflächlich Hinschauenden immer als brutaler Struggle for Life verstanden wird und auch von Skeptikern nolens volens in sozialdarwinistische Philosophiekonzepte hineingelesen wird. 

In „The Tree of Life“ besteht der einzige vertraute narrative Faden darin, dass Malick uns diese beiden Prinzipien an der Familie O’Brien vorzuführen scheint, die zu Anfang vom Tod eines ihrer drei Söhne erfährt. Gnade und Natur treten uns bei der Reise durch die Familiengeschichte, die überwiegend in der 1950er Jahren spielt, in Gestalt der liebevollen Mutter (Jessica Chastain) und des strengen Vaters (Brad Pitt) gegenüber, der als leitender Angestellter in einer Raffinerie arbeitet, zahlreiche Patente sein eigen nennt, und seine Söhne zunehmend mit äußerster Strenge zu Männern erziehen will, die sich im Struggle for Life behaupten können.
 
Bevor Malick uns dies zeigt, führt er uns in einer Zeitreise zurück an die Anfänge des Seins, zum Big Bang, und rast mit uns durch die Evolutionsgeschichte des Kosmos, dann hin zur Entstehung der Erde und zur Entwicklung der Arten.
Natürlich erinnert dies optisch an Kubricks „2001“ (tatsächlich hat Kubricks Trickspezialist Douglas Trumbull auch in „The Tree of Life“ mitgewirkt), aber Kubrick und Malick unterscheiden sich essentiell voneinander. Hier sei nur angemerkt, dass Malicks bildgewaltige Tour de Force durch die Äonen offen für Fragen ist: Alles göttlicher Plan oder schön anzuschauender Zufall? Nur eins ist klar: dass die ein wenig von Hybris geprägte Reise in Texas endet, bei einer auf den ersten Blick nicht ungewöhnlichen Familie, hat wohl etwas Exemplarisches. Nur ist es, wie wir sehen werden, nicht leicht  aufzudröseln.

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Schade um die Zeit, die ich mit diesem Film verschwendet habe. Ich denke, dass hier der Versuch unternommen wurde besonders hochtrabend und intellektuell zu wirken. Geht voll in die Hose! (Forumsbeitrag)

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Gnade und Natur, dualistische Prinzipien, die walten: philosophisch ist die Projektion von Dichotomien auf unser Leben offenbar ein roter Faden, der unsere Geschichte durchläuft. Auf der Suche nach dem Sinn zerfällt alles in antagonistische Begriffe: Tod und Leben, Liebe und Hass, Gewalt und Frieden, Wahrnehmen und Denken.
Auch Malicks Version von Gnade und Natur, die programmatisch dem Film vorangestellt wird, bedient diese fest in uns verankerte und offenbar apriorische Denkform, die förmlich nach strenger Gesetzmäßigkeit riecht und so herrlich plausibel wirkt.
 
Manchmal weiß ich aber nicht, ob dies nicht doch nur Gestank ist, der über die Jahrtausende aus dem Erbe platonischer Schulung emporsteigt – die Welt der Erscheinungen wird profanisiert, weil hinten den Dingen eine göttliche Wahrheit waltet. 
Und um die geht es, ist doch alles andere unheilig.
Mit all den Wesensgewissheiten, die wir auf diese Weise gewinnen, nähern wir uns aber schlimmstenfalls auch einer Schwammigkeit, die alles oder nichts meint. Das vermeintlich so sauber geordnete dichotomische Universum dröhnt „Gute oder böse: Wähle!“ und verschweigt uns so die recht banalen Grautöne und auch den Blick auf das Zufällige und Zerstreute.
Gerade die ehrfurchtsgebietende Pose Malicks ist mir daher doch das eine oder andere Mal auf die Nerven gegangen. Sein Film ist mitunter ein Fass ohne Boden, das empfänglich ist für Deutungen jedweder Art: die berüchtigte Saurierszene kann man als Versöhnung zwischen der barbarischen Natur und der Gnade deuten, oder auch, abhängig von der Stimmungslage, als puren und lächerlichen und bedeutungslosen Zufall, als Tatsache ohne Idee.
Bereits in „The Thin Red Line“ zeigt uns Malick bereits beide Optionen in der Auseinandersetzung zwischen dem skeptischen Edward Welsh (Sean Penn) und dem spirituellen Private Witt (James Caviezel): die Welt (Natur) ist erhaben (Witt) und eine metaphysische Theaterbühne oder sie ist völlig entzaubert (Welsh); sie kümmert sich nicht um die Männer, die sich bei den Kämpfen um einen Hügel abschlachten. Ein Eingeborener geht achtlos an den Soldaten, die sich der Kampfzone nähern, vorbei.
Beide Sichtweisen sind offenbar möglich, wir müssen uns nur entscheiden, auf irgendeine Weise Malicks Fragen zu beantworten: „Dieses Böse, woher kommt es? Wie stiehlt es sich in diese Welt?“ und „Wie kam es, dass wir das Gute verloren, das uns gegeben war?“.
Das wird in „The Thin Red Line“ im Off gefragt. Vielleicht ist die Welt ja trotz ihrer Pracht, die eine menschliche Anschauungsform ist, nur eine Ansammlung gleichgültiger und zufälliger Tatsachen? Vieles weist daraufhin, dass Malick dies ganz anders sieht.

Kino gegen die Entzauberung

Null Handlung, zwischendurch immer Ausschnitte aus Naturdokumentationen, kaum Dialoge und der ganze Film ist echt langatmig. Er dauert fast 2h. Verstehe echt nicht, wieso sich zwei so gute Schaupieler für sowas hergeben, echt nicht (Forumsbeitrag).

Wie finde ich das Glück? Wie kann ich Schönheit wahrnehmen und ihr Relevanz beimessen? -Ich weiß es nicht, du weißt es nicht, der Film weiß es nicht, aber wir arbeitet stetig daran es uns zu erklären. Ein unfassbares Meisterwerk! (Forumsbeitrag)

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Um an dieser Stelle etwas Greifbares anzubieten, möchte ich Eric Repphuns Aufsatz „Look Out Through My Eyes: The Enchantments of Terrence Malick“ vorstellen (http://escholarship.library.usyd.edu.au/journals/index.php/SSR/article/viewFile/711/703.)

Repphun ist Dozent an der University Otago, New Zealand, und hat als Religions- und Filmwissenschaftler bemerkenswerte Brückenschläge zwischen Religion und Popularkultur hergestellt (ich empfehle Genrefreunden besonders seinen Aufsatz 'You Can't Hide from the Things that You've Done Anymore: Battlestar Galactica and the Clash of Civilisations Debate'. Westminster Papers in Communication and Culture, Spring 2011: http://www.westminster.ac.uk/__data/assets/pdf_file/0003/116616/eWPCC_Vol8issue2.pdf).

Das titelgebende Enchantment bedeutet in Repphuns Arbeit über Terrence Malick nicht nur ‘Zauber‘, sondern viel mehr ‚Wieder-Verzauberung‘ im Sinne von Re-Enchantment. Sie ist die philosophische, religiöse und künstlerische Antwort auf die Entzauberung der Welt durch die Säkularisierung des Westens im Zeitalter der Industrialisierung. Repphun führt als Kronzeugen nachdrücklich Max Weber und sein Buch „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ an, bezieht sich dabei explizit auf eine Interpretation des britischen Soziologen Nicholas Gane: “The transition to modernity is driven by a process of cultural rationalization, one in which ultimate values rationalize and devalue themselves, and are replaced increasingly by the pursuit of materialistic, mundane ends. This process of devaluation or disenchantment, gives rise to a condition of cultural nihilism in which the intrinsic value or meaning of values or actions are subordinated increasingly to a “rational” quest for efficiency and control.”
Die Moderne als Prozess einer zerstörerischen Rationalisierung, bei dem unschätzbare Werte sich selbst zerstören und im Profanen einer nur an Zwecken orientierten Effizienz landen - ein Prozess, den Weber selbst nicht ohne Weiteres für umkehrbar hielt.

Kennen wir diese Kritik nicht? Ist es nicht der Fundus der kulturkonservativen Gegenrevolte? Repphun zeigt in seinem Aufsatz, wo man dabei landen kann: in magischen Welten, banaler Wellness-Spiritualität – oder in einer neuen, an Werten orientierten Rationalität.

Damit ist der Kriegsschauplatz abgesteckt. Auch wenn uns dies nicht gerade zügig zu Malick führt, so erfährt man doch einiges und Repphun verweist auf eine Reihe aktueller Beispiele in der angelsächsischen Debatte über ein Denken, das religiöse oder kulturkritische Antworten auf die Entzauberung der Welt bereithält. Sie fordert in letzter Konsequenz die Restaurierung der prä-technologischen voraufklärerischen Gesellschaft mit einer neuen, alten Kultur, in der Seele und Kosmos (wieder) vereint sind und der die Welt wieder verzaubert wird.

Für Repphun liegt die Schlussfolgerung auf der Hand - Terrence Malick gehört zu den Vertretern dieser neo-konservativen Denkrichtung, die in der Wiederentdeckung der Verzauberung eigentlich eine neue, alte transzendentale Spiritualität erkennen: (he) “is one of the great contemporary artists whose work both represents and participates in the process of re-enchantment. Malick’s work is often discussed in religious terms and there are good reasons to approach his films from a religious standpoint, as we approach him here from the standpoint of reenchantment.”

In der Filmgeschichte tritt uns diese grundlegende Form der Rückbesinnung als ‘transzendentaler Stil’ gegenüber, so wie ihn Paul Schrader 1972 in Transcendental Style in Film und unter Bezugnahme auf Yasujiro Ozu, Robert Bresson und Carl Dreyer beschrieben hat.
Was andere möglicherweise als Sujet erwarten, ist für Schrader zunächst Stil, der sich durch drei Eigenschaften und Erzählhaltungen auszeichnet: die Beobachtung des alltäglichen Lebens, das Motiv der zunehmenden Uneinigkeit (wir würden eher von Entfremdung reden) zwischen den Menschen und ihrer Umgebung (der Natur?) und zuletzt die Beschreibung des Stillstands, ein erstarrter Zustand, der die Entfremdung nicht überwindet, aber transzendiert: „Complete stasis, or frozen motion, is the trademark of religious art in every culture.
It establishes an image of a second reality which can stand beside the ordinary reality; it represents the Wholly Other” (Schrader, ebd., S. 49) und über Ozu (was Repphun nahtlos auch für Malick als zutreffend bezeichnet): „In effect, he accepts a construct such as this: there exists a deep ground of compassion and awareness which man and nature can touch intermittently. This, of course, is the Transcendent.”
 
Der Schritt zu André Bazin ist natürlich nicht weit und dieser merkte zu Robert Bressons “Diary of a Country Priest” an, dass die Transzendenz der Gnade etwas ist, was wir in aller Freiheit ablehnen können.
„This form of transcendence”, so folgert Repphun, „is deeply ironic and unquestionably postmodern, and we can see it in Malick’s films. Like Bresson, who lamented the rising secularization and industrialization of Europe and Ozu, who grappled endlessly with the Westernizing of Japan following the Second World War, in this irony Malick’s films are studies in loss, elegies for a vanished world.”

Stilistisch, so Repphun, erleben wir Parallelen zwischen Ozu und Malick in den ‘Codas’, langen statischen Einstellungen von Natur oder Wasser, mit denen Ruhe und Stille Einzug halten. Wenn wir Codas „The Thin Red Line“ sehen und auch in „The Tree of Life“, so steht dies wie auch in anderen Filmen Malicks ein, so Repphun, für die Wiedervereinigung von Geist und Körper, Menschlichkeit und Natur, Wissenschaft und Religion, Kunst und alltäglichem Leben.

Disparates
So spannend diese luzide Deutung auch sein mag, ich sehe hier einige Probleme in Hinblick auf „The Tree of Life“. Zum einen macht es wenig Sinn, den Weg der Gnade und den Weg der Natur als rivalisierende Gegensätze zu beschreiben, denn damit würde Malick urplötzlich eine andere Sicht der Natur als in "The Thin Red Line" anbieten und dies steht im Widerspruch zu Repphuns Deutung. 
Oder ist hier der aktuelle Zustand unserer gesellschaftlichen Natur als einer entfremdeten gemeint? 
Im Gegensatz zu der Stringenz, die man in „The Thin Red Line“ entdecken kann, wirkt der Natur-Begriff in Malicks „The Tree of Life“ daher irgendwie kontingent. Oder macht sich Malick einen Spaß daraus, seinen eigenen Themenpark ein wenig durcheinander zu wirbeln?

Nach Malicks 20-minütigem rauschhafter Tour de Force vom Big Bang bis zu den Sauriern landet der Zuschauer in Texas. Ist das die Quintessenz der Evolution? Steht am Ende des göttlichen Plans eine zunächst glückliche Familie, die immer mehr Zerstörendes in sich aufnimmt („Wie kam es, dass wir das Gute verloren, das uns gegeben war?“).

Sieht man sich den Teil der Erzählung an, der sich mit der Familie O’Brien beschäftigt, so bietet es sich an, die Figur des Vaters als Repräsentanten der technischen Intelligenz zu deuten – einen Patriarchen, der gleichzeitig aber auch einen Wertecodex vertritt, der sich aber nicht ausschließlich einem darwinistischen Selbstbehauptungswillen verdankt. Im Gegenteil, die Figur wird nicht durchgehend als unsympathisch dargestellt und darf an einer Stelle sogar sagen „Die Pracht um uns herum“, so als würde Malick die Charaktere von Caviezel und Pitt amalgamieren. Klar ist aber, dass die Figur des Vaters einen Riss in der Familie erzeugt, der sich Hass seines Sohnes Jack niederschlägt, der sich als Erwachsener (Sean Penn) traumatisiert durchs Leben schlägt.
Und die Mutter? Sie ist eine vage Nebenfigur in dem Patriarchat, die – bei allem Wohlwollen irgendwie zwischen anti-autoritärer Erziehung und Blümchen-Esoterik niederlässt. Tiefere Einsichten liefert diese Figur nicht, genauso wenig wie die Figur des erwachsenen Jack, der merkwürdig durch den Film geistert. 
Erst vor kurzem hat sich Sean Penn geoutet (http://latimesblogs.latimes.com/movies/2011/08/sean-penn-terrence-malick-tree-of-life-critical.html) und festgestellt, dass ihm seine Rolle in dem Film unverständlich geblieben ist: "I didn’t at all find on the screen the emotion of the script, which is the most magnificent one that I’ve ever read. A clearer and more conventional narrative would have helped the film without, in my opinion, lessening its beauty and its impact… Frankly, I’m still trying to figure out what I’m doing there and what I was supposed to add in that context. ... Terry himself never managed to explain it to me clearly."
Am Ende darf Penn mit anderen Menschen über einen Strand wandeln und so etwas wie Versöhnung erfahren. Eine Szene, die auffällig mit Nahtoderfahrungen übereinstimmen, so wie sie von Betroffenen häufig als ‚Gemeinschaft der Glückseligen‘ beschrieben wurde.

Aber was hat dann das Filmende thematisch und inhaltlich mit den Auszügen aus dem Buch Hiob zu tun, das alttestamentarisch von einer Wette zwischen Gott und dem Satan berichtet? Ist der menschliche Teil der Evolutionsgeschichte etwa der satanische Anteil dieser Wette und die Versöhnung mit Gott nach allen Peinigungen eine Gnade, die er ohne eigenes Zutun erwirbt?

Der Verfasser dieser Zeilen muss (im Moment) eine Antwort schuldig bleiben und je tiefer er in den Kaninchenbau vorgedrungen ist, desto weit verzweigter wird das Labyrinth der Gänge. Auf seiner Suche hat der Autor viele interessante Entdeckungen gemacht und er wurde auch inspiriert durch die Erfahrungswelt kenntnisreicher Filmliebhaber, von denen er dank des globalen Internets lesen durfte. Und vielleicht ist dies auch der Mehrwert dieser Arbeit.
Auch hat der Verfasser immer dafür plädiert, dass gute Filme wie alle Kunstwerke einen gewissen Grad an Mehrdeutigkeit besitzen müssen, weil sie uns so immer wieder neue Angebote machen. Und mal ganz ehrlich: selbst wenn es konsistente Ästhetik gäbe – wäre es nicht schrecklich, mit einer schlüssigen und widerspruchsfreien Deutung ins Kino zu marschieren? Wäre es nicht langweilig, in einer enträtselten Welt zu leben?

Nur ist leider so, dass die schillernde Mehrdeutigkeit eines Kunstwerkes an sich kein Perpetuum mobile ist und nicht unbegrenzt Energie zur Verfügung stellt, ohne dass ihm welche zugeführt wird. Vielmehr ist es das deutende Erkenntnissubjekt, das die Apparatur in Schwung hält, aber die Bauweise der technischen Konstruktion erlaubt uns dabei keine Willkürlichkeiten die Freiheit beim Deuten ist nicht unbegrenzt. Tradition, Thema und Sujet setzen im Regelfall Grenzen.
Terrence Malicks Stärke ist daher auch sein Schwachpunkt: der ehemalige Philosophielehrer und Übersetzer von Martin Heidegger (Man beachte Repphuns Anmerkung: „There is no denying that Heidegger’s unease over the nature of technology and its ever-increasing presence in human life underscores Malick’s films“) hat seine Filme so enigmatisch verschlüsselt, dass man mit der De-Codierung (zum Beispiel die leicht umformulierten Ausschnitte aus Gedichten von Woodsworth in „The Thin Red Line“) sein ganzes Leben verbringen kann. 
Der profunde Bildungsbürger Malick distanziert sich von den philosophischen Leichtgewichten und den romantischen Stimmungsgewinnern ‚da draußen‘ durch Schweigen und lässt eine schmale Tür nur für jene offen, die seinen Diskursen in aller Tiefe folgen können. Allen anderen erscheinen seine Filme, und dies gilt besonders für „The Tree of Life“, als Schwamm, der ohne mit der Wimper zu zucken, die widersprüchlichsten Deutungen aufsaugt.
Der Preis, den Malick zahlen muss, ist nicht gering: wahlloses Fabulieren, voreilige Trugschlüsse und Projektionen, wahllose Versimplifizierungen begleiten ein Werk, das zweifellos zu den wichtigsten im Kino gehört, aber immer dem Generalverdacht ausgesetzt ist, den Zuschauer arrogant abzuweisen.

Noten: Klawer, BigDoc = 1,5