Donnerstag, 12. Januar 2012

„The Ides of March“ und „Company Men“ – politische Filme aus den USA

Für einen jungen Kritiker gab es vor 30 Jahren einen schwer zu lösenden Konflikt.
Zum einen erwartete man vom etablierten Studiosystem kaum etwas anderes als leicht durchschaubare Unterhaltungsartikel für die Masse, zum anderen präsentierte sich das „New Hollywood“ Ende der 1960er mit einer Reihe innovativer Regisseure von einer Seite, die man dem ‚System‘ einfach nicht zutraute.
Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang besonders an die Filme von John Cassavetes, Robert Altman, Peter Bogdanovic (mit Abstrichen), Roman Polanski und besonders an Alan J. Pakula, aber auch an Martin Scorsese, Francis Ford Coppola und Sidney Lumet, die man fast ungläubig verschlang, weil sie bis dahin verschlossene Türen öffneten. Trotzdem: Politische oder wenigstens gesellschaftskritische Filme, produziert von einer der größten industriellen Illusionsmaschinen der Welt, das war damals schwer zu glauben.

Doch so politisch war das neue amerikanische Kino keineswegs, wenigstens aus heutiger Sicht, und ich räume ein, dass damals auch die Sprengkraft der so genannten Paranoia-Filme überschätzt wurde. Sieht man sich heute einen Film wie Coppolas „The Conversation“ (1974) (dankenswerterweise von ARTHAUS gerade wieder auf den Markt gebracht), so erlebt man eher ein existenzielles Ein-Mann-Drama als ein einen explizit politischen Film, auch wenn die Implikationen des Films durchaus kongenial auf Watergate verweisen. Ich denke, dass das Beeindruckende an diesen Filmen die beklemmende Atmosphäre war, die einen Schuss noir in das Genre brachten. Und so ist es im Rückblick nicht überraschend, dass es gerade Watergate war, dieses schmutzige Kapitel der US-Politgeschichte, das möglicherweise den einzigen wirklich politischen Film dieser Ära hervorgebracht hat: „Die Unbestechlichen“ (All the President’s Men, 1976) von Alan J. Pakula, der zuvor mit „Klute“ (1971) und „The Parallax View“ (1974) zwei weitere Klassiker des Paranoia-Kino geschaffen hatte.

Ich bin davon überzeugt, dass sich junge Kritiker heute in einer ähnlichen Zwickmühle befinden wie ich damals, wenn sie sich mit „The Ides of March“ (George Clooney) und „Company Men“ (John Wells) auseinandersetzen müssen: auf der einen Seite werden Themen präsentiert, die es verdienen abgehandelt zu werden, auf der anderen Seite sind beide Filme formal eher konventionell gestrickt und auch stilistisch weit davon entfernt, einen rebellischen Geist zu verströmen. Die Skepsis, die ich Anfang der 19070er Jahre verspürte und die – zugegeben - durchaus mit einem Schuss Hoffnung verbunden war, ist heute, so scheint es, bei einigen Kritikern in Sarkasmus umgeschlagen, dem leider zu oft die filmhistorische Rückbesinnung fehlt. So wurde Clooneys Portrait der moralischen Verdorbenheit eines typisch amerikanischen Wahlkampfes milde belächelt und Wells‘ Film hat sogar Hohn und Spott geerntet, weil seine Skizze der in der Finanzkrise untergehenden oberen Mittelschicht wie eine affirmative Gebrauchsanweisung des American Way of Life gelesen werden kann. In beiden Fällen wurde ideologiekritisch einiges mit der heißen Nadel gestrickt, in beiden Filmen sollte nach den Referenzmodellen gesucht werden.

The Ides of March
USA 2011 - Originaltitel: The Ides of March - Regie: George Clooney - Darsteller: Ryan Gosling, George Clooney, Evan Rachel Wood, Paul Giamatti, Marisa Tomei, Philip Seymour Hoffman, Max Minghella, Jeffrey Wright - FSK: ab 12 - Länge: 97 min.

Wenn man in diesen Tagen die Zeitung aufschlägt, kann man einiges über den Vorwahlkampf der Republikaner in den USA lesen. Die angekündigten Schlammschlachten und Rufschädigungen entsprechen weitgehend dem, was George Clooney den Zuschauern vorführt. In „The Ides of March“ (Tage des Verrats) spielt er den demokratischen Kandidaten Mike Morris, der überdeutlich an die Figur Barack Obamas angelehnt ist. Morris tritt als charismatischer Hoffnungsträger auf, der gleich ein Arsenal an schweren linksliberalen Waffen auffährt: Zuhaltung bei militärischen Engagements, mehr Ökologie und eine Steuer für die Reichen. Für das, was Morris fordert, dürfte er zumindest bei der Tea Party als gemeingefährlicher Kommunist gebrandmarkt werden.

Die eigentliche Hauptfigur in Clooneys Film ist jedoch der Medienexperte Stephen Meyers (Ryan Gosling mit einem Oscar-verdächtigen Auftritt), der unter der Leitung von Paul Zara (Philip Seymour-Hoffman) im Wahlkampfteam des Gouverneurs eine zentrale Rolle einnimmt. Als Meyers einen Anruf von Tom Duffy (Paul Giamatti), dem Wahlkampfmanager eines der gegnerischen demokratischen Kandidaten erhält, stimmt er einem Treffen zögernd zu. In einem persönlichen Gespräch versucht Duffy, den jungen Meyers abzuwerben. Ein Trick mit doppeltem Boden, denn Meyers lehnt zwar ab, berichtet aber Zara von dem Treffen. Der abgebrühte Politprofi kann Meyers Aktion nur als Loyalitätsbruch interpretieren und macht ihn zur persona non grata, indem er die Information in der Presse lanciert. Auf diese Weise hat Duffy die Intrige gewonnen: entweder wirbt er Meyers erfolgreich ab oder er schwächt durch dessen Rauswurf das Team seines Gegenspielers.

Der Verlust der moralischen Integrität
Meyers ist nach dieser Volte völlig desillusioniert, erst recht, als er erfährt, dass seine Freundin Molly sich das Leben genommen hat. Meyers hatte kurz zuvor erfahren, dass Molly während eines One Night Stands von Morris geschwängert wurde, und danach mit äußerster Härte dafür gesorgt, dass sie eine Abtreibung vornehmen lässt und aus dem Wahlkampfteam verschwindet. Der Selbstmord verwandelt den Idealisten Meyers endgültig in einen kalten Strategen, der nun zeigen kann, dass er genug gelernt hat, um mit einer cleveren Gegenstrategie und geschickten Erpressungen alles zurückzuerobern, was er verloren hat.
George Clooney erzählt in „The Ides of March“ vom Verlust der moralischen Integrität.
Dies geschieht auf eine fast altbackene Weise, die ein wenig an den idealistischen Grundton eines Frank Capra erinnert. Das Drehbuch verfasste Clooney übrigens selbst, zusammen mit Grant Heslov, der bereits die Buch für Clooneys „Good Night, and Good Luck“ (2005) geschrieben hatte. 
Aber die Zeiten eines Frank Capra sind vorbei und deshalb fällt „The Ides of March“ dunkler und skeptischer aus. Es gibt am Ende keinen Sieg der Moral, sondern bestenfalls einen pragmatische Orientierung an Notwendigkeiten, die nicht länger von der wechselseitigen Sympathie der Protagonisten getragen wird: Meyers wird am Ende den Kandidaten erfolgreich erpressen und sich seinen Job zurückholen, weil er wohl immer noch an das Programm, aber nicht länger an den Mann glaubt. Ob dies eine realistische Perspektive abgibt, darf man bezweifeln. Und so ist Clooneys Film auch als Kommentar zu Obama zu lesen.
Glücklicherweise verzichtet Clooney dabei auf eine zynische Erzählweise und auch auf eine Schwarz-Weiß-Zeichnung des Sujets, denn er ist wohl selbst zu sehr davon überzeugt, dass Filme wie „The Ides of March“ möglicherweise zur Aufklärung beitragen und zumindest einen Teil des interessierten Publikums erreichen können. Seine Figur Mike Morris verkörpert er keineswegs als kalten Strategen der Macht, sondern als zweifelnden und zerrissenen Mann, der immer stärker in den Sumpf der diskreten Vereinbarungen und der intriganten Absprachen hineingezogen wird. Lange sträubt sich Morris gegen ein Arrangement mit dem windigen Senator Thompson (Jeffrey Wright), der mit vorzüglichen Manieren seine Wahlmänner beiden Lagern anbietet und am Ende den in den Sattel heben wird, der ihm den besten Deal bietet. Dies wird Morris sein.

Deutlich interessanter fällt die Figur des jungen Stephen Meyers aus. Ryan Gosling spielt ihn als professionellen, aber geradezu provozierend gradlinigen Mitarbeiter, der gleich zu Anfang in einem Gespräch mit der Journalistin Ida Horowicz (Marisa Tomei) nicht nur für den Kandidaten, sondern auch für dessen und seine Werte wirbt. Ida wird ihn wenig später belehren, dass sie keineswegs Freunde sind, weil es das unter diesen Umständen nicht geben kann, sondern dass sie in einem schmutzigen Spiel lediglich an der besten Story interessiert ist. Meyers L'Éducation sentimentale ist ganz im ironischen Sinne Flauberts als abgeschlossen zu betrachten, wenn er am Ende des Films Ida mit ähnlichen Worten aus dem inneren Kreis der Informationsempfänger ausschließt.

Nun erzählt Clooney mit seinem Film nichts Neues, er fügt dem Thema lediglich eine neue Nuance hinzu, die allerdings wenig Anlass für Optimismus bietet. Letztlich können seine Figuren nur hoffen, dass der nach allen Kuhhandeln wohl designierte Präsident wenigstens einen Teil seiner Versprechungen einlösen wird. Für Sympathie gibt es allerdings keinen Spielraum mehr.

Die Tradition des Politthrillers im US-Kino
Interessanter sind zwei Beobachtungen: zum einen wurde „The Ides of March“ von einigen, aber bei weitem nicht allen Teilen der deutschsprachigen Kritik verrissen, zum anderen sahen sich gerade jüngere Kritiker nicht imstande, den Film in seiner Traditionslinie abzuarbeiten. Dazu gehören besonders zwei Filme, nämlich Michael Ritchies (Regie) und Robert Redfords "The Candidate" (1972) und Tim Robbins Regiedebüt „Bob Roberts“ (1992).
Ritchie erzählte vor 40 Jahren eine Geschichte, an die Clooneys Film heute überdeutlich erinnert, die damals aber noch einen Schritt weiter gehen wollte: der Regisseur und sein Hauptdarsteller hatten durchaus die handfeste Absicht, mit politischer Aufklärung direkt auf den Parteitag der Demokraten Einfluss zu nehmen. Als ich zwanzig Jahre später Robbins‘ Film rezensierte, erinnerte ich daran: „Wer sich heute noch einmal "The Candidate" anschaut und weiß, daß Michael Ritchie und Robert Redford 1972 mit ihrem Film die Absicht verfolgten, die Delegierten des Parteitages der Demokraten positiv zu beeinflußen, mag beiden vielleicht eine gewisse Naivität unterstellen. Natürlich mißlang ihr Vorhaben, weil aufklärerischer Impetus allein nicht reicht, um Filme zum direkten Medium der Politik zu machen. Aber das politische Scheitern von "The Candidate" zeigt in der Rückschau durchaus, daß der Film als ästhetisches Instrument der Diagnose ausreichend sensitiv war, gerade weil die perfekte Beeinflussung der Wähler und die geschickte Manipulation der Werbe- und Nachrichtenmedien, deren Darstellung in "The Candidate" noch ganz auf dem Stand der Zeit war, auf den heutigen Betrachter nur noch so wirkt, als stecke das Ganze noch in den Kinderschuhen.“

Tim Robbins war 20 Jahre später schon ein Stückchen weiter: seine provozierende Politsatire über einen rechtskonservativen Populisten verließ sich nicht mehr auf moralische Reflexionen, sondern zeigte auch in seiner stilistischen Qualität die unauflösliche Vermischung aus Verlogenheit, Medienmanipulation und Missbrauch des Inventars moderner Pop-Kultur. Eine Dekonstruktion, die die politische Kultur auch als Reflex auf die allgegenwärtige Medienästhetik und ihr manipulatives Potential absteckte: „Der zeitliche Sprung von der Wochenschauästhetik der Wahlkampfwerbung in "The Candidate" zu den faschistoiden Videoclips in "Bob Roberts" steckt … den medialen Erfahrungshorizont des Zuschauers ab. Die ästhetische Transformation, die in diesem Sprung stattgefunden hat, ist deswegen so aufschlußreich, weil es Robbins gelingt, ein Psychogramm des konservativen Wählers zu entwickeln, dessen Ängste mit einfachen Mitteln der Video- und Popkultur an die Schwelle zur reaktionären Gewalt getrieben werden.“ 
Schlicht und einfach formuliert: Robbins hat auf seine Weise einen ahnungsvollen Vorentwurf der Neuen Rechten in den USA geliefert, der auch heute noch davon zu überzeugen vermag, dass der politische Filme keine stinkende Leiche ist.

Distanz und Understatement
Ähnliche Qualitäten hat George Clooneys „The Ides of March“ nicht anzubieten. Der Film will einfach nur ehrlich sein. Das ist in diesen Zeiten nicht wenig, aber in gewisser Weise hat der Film damit auch ein wenig die Waffen gesenkt. Dies dürfte erst recht nicht durch die etwas unterkühlte Erzeilweise aufgehoben werden, mit der Clooney seine Protagonisten ins Bild setzt: in langen sparsam geschnittenen Einstellungen ist „The Ides of March“ überwiegend ein Dialogfilm, der zwar einige Thrillmomente bereithält, aber auf vordergründige Spannungselemente verzichtet.
Es ist Distanz und keineswegs Coolness, die Clooney anbietet und irgendwie wirken seine Figuren in den häufig offenen Räumen so verloren wie die Figuren in Pakulas „The Parallax View“. Dass man mit diesem emotionalen Understatement kein breites Publikum erreicht, kann vermutet werden, ist aber keineswegs ein Nachteil.
Aus meiner Sicht passt der Film sehr überzeugend in Clooneys Portfolio, das nicht nur durch seine Filme und Regiearbeiten, sondern auch durch sein politisches und soziales Engagement abgesteckt wird. Das ist natürlich kein Kriterium für eine Kritik. Dennoch sollte man im Zweifelsfall gründlich darüber nachdenken, ob man „The Ides of March“ daran messen sollte, was er zu leisten imstande ist, anstatt für sich herauszufinden, was uns fehlen würde, wenn es ihn nicht gäbe. Wenn jemand dies für einen faulen Kompromiss hält, dann kann ich nur erwidern: Richtig, es ist ein Kompromiss. Nicht mehr und nicht weniger.
Ein Kritiker warf dem Film Redundanz vor, weil Clooney wohl nur ein politisch gebildetes Publikum erreichen kann, das ohnehin wisse, wo es lang geht. Das mag stimmen, bedeutet aber noch lange nicht, dass eine gelungene Variation des Themas konsequenzlos bleibt und kein Vergnügen mehr bereitet.

Company Men
Großbritannien / USA 2010 - Originaltitel: The Company Men - Regie: John Wells - Darsteller: Ben Affleck, Tommy Lee Jones, Chris Cooper, Kevin Costner, Rosemarie DeWitt, Maria Bello, Craig T. Nelson - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge: 105 min.

Man kann den Inhalt auch so erzählen: der Vice President des Bostoner Multi GTX räumt auf dem Höhepunkt der amerikanischen Rezession auf einer Presskonferenz für Börsenanalysten ein, dass der Schiffbau des Unternehmens für das nächste Geschäftsjahr keine Gewinnerwartungen ankündigen kann. Nach seiner Rückkehr erfährt er, dass seine Offenheit ein Brandbeschleuniger für das längst beschlossene Downsizing gewesen ist. Der traditionelle Unternehmenszweig von GTX wird zerschlagen, Hunderte werden entlassen. Gleichzeitig verstärkt der Multi seine Anstrengungen, den Shareholder Value des börsennotierten Unternehmens zu erhöhen, um sich gegen feindliche Übernahmebemühungen abzusichern. Einer erneuten Entlassungswelle fallen diesmal auch prominente Köpfe der Führungsetage zum Opfer. Am Ende kommt es dennoch zu einem Börsendeal, bei dem der Mehrheitseigner von GTX einen dreistelligen Millionenbetrag einstreicht, während sein ältester und mittlerweile gefeuerter Mitstreiter ohne eigenes Zutun ebenfalls Multimillionär wird.

Gut, das hört sich an, als wäre Upton Sinclair aus dem Grabe gestiegen, um mit scharfen und grob konturierten Pinselstrichen eine harsche Kapitalismuskritik auf die Leinwand zu werfen. Und wenn man der Programmatik des längst vergessenen sozialistischen Realismus folgt, dann müsste in den Figuren nicht nur die historisch korrekte Darstellung der Wirklichkeit transportieren, sondern auch etwas von dem revolutionären Geist verkörpern, der eine umwälzende Veränderung der Verhältnisse wenigstens ankündigt.

Doch hoppla, wie sind in Hollywood und dort werden Geschichten anders erzählt. Wenn dort Mitglieder der Führungskaste abstürzen, dann enden sie wie in „There will be Blood“ im Wahnsinn oder müssen ihren Porsche verkaufen. Was nun schlimmer ist, kann sich jeder selbst ausmalen.
Wells führt dies an drei Figuren vor. Da ist zunächst der aufstrebende Starverkäufer Bobby Walker (Ben Affleck), der unmittelbar vor seiner Entlassung noch mit seinem neuen Bahnrekord auf dem Golfparcours prahlt. Gut ausgebildet, optimistisch und erfolgsverwöhnt ist es für ihn nur eine Frage der Seite, bis er wieder einen 100.000-Dollar-Job findet, natürlich mit Boni. Und da ist Phil Woodward (Chris Cooper), der sich in 30 Jahren vom Arbeiter in das obere Management hochgearbeitet hat und gramgebeugt ein Opfer der zweiten Entlassungswelle wird, aber dann doch davon Abstand nimmt, alle mit der Kalaschnikow umzulegen. Und als letzte exemplarische Figur sehen wir Tommy Lee Jones als Gene McClary, den zweiten Mann des Unternehmens, der letztendlich auch gefeuert wird und griesgrämig von den Zeiten träumt, in denen er noch ‚richtige‘ Schiffe bauen durfte, anstatt sich um die aktuellen Börsennotierungen kümmern zu müssen. Allerdings mag er auch die 5000-Dollar-Suiten, die der Beruf so mit sich bringt und darf sich darüber hinaus auch mit eben jener Personalchefin sexuell vergnügen, die ihn mit äußerstem Bedauern seine Kündigung ausgehändigt hat.

Völlig legale Wirtschaftskriminalität
Satire? Kolportage?
Mitnichten. In John Wells („The West Wing“) Wirtschaftskrimi „The Company Men“ geht es nicht darum, uns für die Figuren zu erwärmen. Und das das kriminelle Element ist nicht daran festzumachen, dass sich irgendein Firmenboss ganz legal eine goldene Nase verdient, sondern dass sich erfolgsverwöhnte Macher unangreifbar halten und plötzlich mit ihrem relativen Wert konfrontiert werden. Wobei das Wörtchen ‚relativ‘ im Fall nach unten keine Grenzen kennt und die Protagonisten nicht einmal gelernt haben, was diesen freien Fall bremsen könnte. Bis auf Woodward, der sich später das Leben nehmen wird, sind sie irgendwie asozial, und das im einem Sinne, der sie selbst völlig besinnungslos macht.

John Wells meint es also ziemlich ernst und so erzählt mit besonderer Freude am Detail überwiegend vom Abstieg Walkers, der seine Büro-Habseligkeiten in einem Schuhkarton mitnimmt und in einer Reintegrationsmaßnahme für Manager lernen soll, erneut seinen Individualismus und seinen Erfolgshunger zu stärken. An Anfang glaubt Walker noch, einen 70.000-Dollar in Arkansas ablehnen zu können, dann klammert er sich an seine Mitglied-schaft im Golfclub, während seine Frau schon pragmatisch das häusliche Downsizing betreibt. Und schließlich ist der Porsche dran. Aber das ist längst nicht das Ende, denn im weiteren Verlauf des langen ungebremsten Falls zieht er mit seiner Familie bei seinen Schwiegereltern ein und verdingt sich als Hilfsarbeiter bei seinem ungeliebten Schwager Jack Dolan (Kevin Costner), der als stocksolider Bauhandwerker ein kleines Unternehmen leitet. Hier rächt sich das Leben gründlich an ihm, denn Walker hat bald Schwielen an den Händen, ohne etwas Rechtes zu leisten, während ihm Dolan aus familiärer Solidarität am Ende der Woche einen Bonus von 200 Dollar in die Lohntüte stopft.

Ein konditionierter Anti-Held
Natürlich sieht das nach einer sozialen Rosskur aus, die vordergründig betrachtet den Helden am einfachen ehrlichen Leben des Handwerkes genesen lassen soll. Und tatsächlich schliddert Wells nur ganz haarscharf an diesem Klischee vorbei, etwa dann, wenn er zeigt, dass Walker durch harte körperliche Arbeit und das veränderte soziale Milieu seiner Familie und besonders seinen Kindern wieder nähert kommt. Da darf auch mal ruhig ein Baumhaus gebaut werden.
Aber wer genau hinschaut, der sieht etwas anderes: Walker ist und bleibt ein Anti-Held, der zwar einige Sympathiepunkte sammeln darf, weil er auf fasst unschuldige Weise sehr naiv ist, aber weiterhin mit eisernem Tunnelblick verrät, dass er seiner ökonomischen Konditionierung nicht entrinnen kann. Als sein Schwager Überstunden macht, weil er seinen Mitarbeitern diese nicht bezahlen kann, packt Walker ungerührt seine Sachen und geht nach Hause. Erst als er einen Job findet, spendiert er seinem Schwager großzügig ein paar Überstunden – er kann es sich nun leisten!
Es sind diese Nuancen, die mir an Wells‘ Film so gefallen haben. Jene Mischung aus fehlender Empathie und nie gelernter Solidarität, die aus einer Figur wie Bobby Walker eine depravierte Person macht, die einfach nicht anders kann, als so zu funktionieren, wie sie es gelernt hat. Und wenn am Ende Phil Woodward beerdigt worden ist und Gene McClary seine Millionen in ein marodes Schiffbau-Unternehmen investiert, ist auch Walker zusammen mit einigen seiner arbeitslosen Kollegen mit an Bord, um das Unternehmen flott zu machen. Wie ein Stehaufmännchen spult er in der Schlusseinstellung sein erlerntes Repertoire ab.
In der überaus erfolgreichen TV-Serie „The Walking Dead“ heißen die wie ferngelenkt umherstreunenden Zombies übrigens nicht Zombies, sondern ‚Walker‘. Man muss schon einige Zeit nachdenken, um zu erkennen, dass John Wells keinen aussöhnenden Film gemacht hat, sondern eine bitterböse gallige Satire.

Noten: BigDoc, Melonie, Mr. Mendez = 2,5, Klawer = 3

Pressespiegel

The Ides of March

Schon oft gab es Filme über das Strippenziehen im Hintergrund amerikanischer Polit-Größen: Satiren, Skandal-Dramen, immer wieder Thriller. Dagegen fällt George Clooneys Backstage-Blick hinter die Polit-Bühne vergleichsweise nüchtern aus – umso erschreckender!... Ein dicht gesponnenes, souverän inszeniertes Polit-Drama.“ (Walli Müller, Bayern 3)
 

„Clooney … ist (er) nun allerdings nicht in der Lage, seinen Figuren für ihren Glauben an Politik mehr als ein paar Stichworte (Loyalität, Bürgerrechte, Demokrat sein) mitzugeben. Sein Präsidentschaftskandidat ist ein charismatischer Strahlemann, Eigenschaften hat er keine, Ideale, auch vorgebliche: Fehlanzeige. Die eigentlichen Inhalte von Politik sind vollkommen austauschbar. Der Zynismus, der den Protagonisten Stephen letztlich übermannt, hat von Anfang an gewonnen.“ (Frédéric Jaeger, critic.de)

„Das Kandidatengeschubse um Öffentlichkeit und mediale Präsenz, die kalte Pragmatik bei der Wahl der Machtgefährten, das alles fügt sich bei Clooney zu einem shakespeareschen Königsdrama mit zwei sehr eindeutigen Botschaften. Erstens: Das Volk muss besser sein als seine Regierung. Und zweitens: Das Kino des George Clooney glaubt an die aufklärerische Kraft des Politfilms in der Tradition von Alan J. Pakula oder Sydney Pollack. Das mag vielleicht altmodisch sein, ist aber auch ungeheuer redlich.“ (DIE ZEIT, ohne Autorenangabe).
 

„The Ides of March ist die Adaption eines Theaterstücks und war bereits vor Jahren zum Dreh angesetzt – das Projekt habe aber nicht zur Stimmung des Obama-Aufbruchs gepasst, sagt der Regisseur. Wenn der Film jetzt ins Kino kommt, drückt sich darin sicherlich die Enttäuschung der Hollywoodlinken über den Opportunismus des amtierenden Präsidenten, seine Rückzüge in der Sozial-, Bildungs- und Wirtschaftspolitik aus. Eine Enttäuschung, die Clooneys Freund Matt Damon unmissverständlich formuliert hat: Obama habe sein Mandat verfehlt, auf »audacity«, auf Mut, sei nicht mehr zu hoffen. Die Konstruktion des Plots in The Ides of March, die unoriginelle Fokussierung auf einen libidinösen Fehltritt des Spitzenpolitikers, entschärft den Befund freilich wieder: Es braucht heute gar keine Skandale mehr, um den Demokraten den Schneid abzukaufen – Obama hat sein Programm auch ohne eine Monica im Hinterzimmer geopfert. So funktioniert der Film unterm Strich wie eine etwas kriminellere Version der Serie »The West Wing« – unterhaltend, informiert, mit einer feinen schauspielerischen Ensembleleistung und atmosphärischen Schauplätzen, aber ohne echte Sprengkraft.“ (Sabine Horst, epd-film)
 

„Clooney scheint nach seiner etwas locker geratenen Football-Komödie Leatherheads nun also doch willens und in der Lage, als Nachfolger seines langjährigen Mentors Steven Soderbergh die Tradition politisch unbequemer, komplexer Ensemblefilme auf höchstem Niveau fortzuführen. Die Kontakte zu ähnlich mutigen Schauspielern, Produzenten und Autoren hat er, das inszenatorische Können sowieso, da werden die ganz großen Preise nicht fernbleiben. Man spekuliert bereits, ob The Ides of March dieses Jahr den Oscar als bester Film gewinnen kann. Das ist nebensächlich. Wichtig ist, dass er ihn verdient hätte.“ (Daniel Bickermann, SCHNITT)
 

Company Men

„Der Held des Krisenfilms rettet nicht die Welt und verhindert auch nicht die Auswirkungen einer Finanzkrise. Sein Triumph ist nur durch die individuelle Anpassung an eine neue Situation möglich. Bobbys neue Einstellung besiegt die Krise nicht, aber degradiert sie zum Diskurs und ordnet sie damit dem wieder gestärkten Ego unter. Die Odyssee des Helden ist seine Entwicklung vom überzeugten Diener des Systems zum geläuterten Zyniker – nicht mehr als eine vorläufige Überlebenstaktik in der nach oben neu vermessenen Zone der Verwundbarkeit.“
(Till Kaditzke, critic.de) 



„Mach dich frei von Besitz, dann wirst du frei! So lautet die Botschaft sowohl in der Arbeitslosen-Schnurre "Larry Crowne", die nicht zufällig zu großen Teilen auf einem Garagenflohmarkt spielt, als auch in der "Wall Street"-Fortsetzung vom vergangenen Jahr. Die böse Welt der Spekulationen und Renditesteigerungen wird einfach mit einem puscheligen Nachbarschafts- und Familienkosmos vertauscht, der Raubtier-Kapitalismus verwandelt sich so in einen Streichelzoo. Auch "The Company Men" folgt streckenweise dieser Logik.“ (Christian Buß, SPIEGEL online)


„Was Regisseur John Wells seinem Publikum … jedoch sagen wollte, bleibt sein wohlgehütetes Geheimnis. Wahrscheinlich gar nichts, außer »Ich will einen Preis!«. Aus jeder Pore seines Werks dringen anbiedernde und gefällige Oscar-Ambitionen, die zu nichts führen als schön anzuschauender Prestigeunterhaltung, die sich furchtbar engagiert und problembewusst gibt, sich aber eigentlich sehr darin gefällt, offene Türen einzurennen und das angeschlagene Ego des Mittelstandes mit men-schelnden Durchhalteparolen aufzupeppeln… Das größte Problem sind jedoch die Bilder der großen Kameralegende Roger Deakins, der sonst für die Coen-Brüder und Sam Mendes fotographiert. Nicht dass Deakins hier versagen würde. Ganz im Gegenteil: seine Bilder sind von einer solch aufgeräumten Perfektion, dass sich die Frage stellt, ob es wirklich der richtige Weg sein kann, die zermürbende und entwürdigende Erfahrung, »wegrationalisiert« zu werden, mit so viel Pathos in solch wohl-kadrierten Tableaux einzufangen.“ (Robert Cherkowski, SCHNITT)


„Wells, der erfolgreiche Fernsehserien wie „The West Wing“ und „Emergency Room“ produziert und insgesamt 55 Emmys dafür eingeheimst hat, kann sich bei seinem Debüt als Spielfilmregisseur immerhin auf das visuelle Gespür des Kameramanns Roger Deakins stützen. Dessen Fotografie zählt zu den Pluspunkten des Films, der in einem herbstlich entlaubten, dann winterlichen Boston siedelt. Der Lieblingskameramann der Coen-Brüder hat die passenden Bilder für das kühl-funktionale Bürolabyrinth der Firma gefunden, für das auf Stil getrimmte Ambiente der Einfamilienhäuser und die nach Sägespänen riechende Welt des Baugewerbes, in der Walker zwischenzeitlich Zuflucht findet.“
(Jens Hinrichsen, WELT online)