Samstag, 14. Januar 2012

Verblendung

USA 2011 - Originaltitel: The Girl with the Dragon Tattoo - Regie: David Fincher - Darsteller: Daniel Craig, Rooney Mara, Christopher Plummer, Stellan Skarsgård, Steven Berkoff, Robin Wright, Yorick van Wageningen - FSK: ab 16 - Länge: 158 min.

Das US-Remake des ersten Teils der Stieg Larsson-Verfilmung „Verblendung“ (Män som hatar kvinnor, 2009) setzt ganz auf Qualität: mit David Fincher konnte einer der innovativsten Regisseure der letzten 20 Jahre gewonnen werden, Bond-Darsteller Daniel Craig spielt den Journalisten Mikael Blomkvist und der qualitätserprobte OSCAR-Gewinner Steven Zaillian schrieb das Drehbuch. Da kann eigentlich nichts schief gehen. Tut es auch nicht.
Wenn man das Original nicht kennt.


Mit Serienmördern kennt sich David Fincher aus. Bereits mit seinem zweiten Film hat Fincher Maßstäbe in einem Genre gesetzt, das in den 1990er Jahren besonders florierte: dem Serial Killer-Genre. In „Se7en“ vollzog das Genre nach „The Silence oft the Lambs“ endgültig den Sprung vom B-Movie in die Welt der literarischen Allegorien, einer Welt, in der nicht nur der zynisch philosophierende Täter seine Pinselstriche in einer vermeintlich amoralischen Gesellschaft hinterlässt, sondern auch der Cop als Bildungsbürger und Schöngeist der leidende Repräsentant einer Kultur ist, deren Niedergang er nur noch pessimistisch kommentieren darf, ohne wirklich etwas ändern zu können.
Die Welt des Stieg Larsson ist nicht weniger düster, eigentlich ist sie sogar auf fast comichafte Weise völlig wahnsinnig geworden, denn in ihr ist das Böse auf geradezu diabolisch lasterhafte Weise mit Naziwahn, Antisemitismus, krankhaftem Frauenhass, Inzest, sexueller Perversion und sadistischen Foltermorden verknüpft, in denen erneut biblische Allegorien ihren festen Platz haben. Und ähnlich wie in „Se7en“ müssen die Hauptfiguren in „The Girl with the Dragon Tattoo“ mediale Artefakte untersuchen, nur sind es diesmal keine Botschaften des Täters, für deren Verständnis man durchaus Dante Alighieri kennen muss, sondern Fotos, aus denen man den erkenntnisgewinnenden Mehrwert per Laptop und einer geeigneten Software herausdestillieren kann.

Formal beeindruckend
Dass Fincher in „The Girl with the Dragon Tattoo“ ähnlich wie in „Se7en“ bereits im Vorspann nach ästhetischen Zeichen des kommenden Unheils sucht, sorgt zunächst für ein inspiriertes Intro, in dem schwarz daher fließende Körperkonstruktionen einer fast eleganten und endlosen Metamorphose ausgesetzt werden, während dem Zuschauer fast kontrapunktisch eine Coverversion von Led Zeppelins „Immigrant Song“ um die Ohren gehauen wird.
Nichts ist das, was es zu sein scheint, und einen Ruhepunkt, auf den die Formen zustreben, gibt es auch nicht. Auflösung ja, aber völliger Verlust der Form? Nein. Das beschreibt auch ein wenig das, was danach kommt.
Und das ist bekannt: der Journalist Mikael Blomkvist hat gerade eine schwere Niederlage im Kampf gegen den kriminellen Unternehmer Wennerström einstecken müssen, als ihn der Unternehmer Henrik Vanger darum bittet, das Verschwinden seiner Nichte Harriet aufzuklären, die sich im Sommer 1966 buchstäblich in Luft auflöste. Unterstützt wird Blomkvist von der jungen Ermittlungsspezialisten Lisbeth Salander, die als Zehnjährige versucht hat, ihren Vater umzubringen und nun aufgrund eines psychiatrischen Gutachtens unter Vormundschaft steht. Am Ende ist es Lisbeth, die im letzten Moment verhindert, dass der Journalist im Netz seiner Enthüllungen selbst Opfer des sadistischen Serienmörders wird.

In seinem Remake beweist Fincher (Sieben, Fight Club, Zodiac) erneut sein sicheres Gespür für Settings: sein Schweden ist in einer Welt aus Eis und Schnee versunken und selbst die Ankunft Blomkvists im herrschaftlichen Anwesen der Vangers gerät zu einer düsteren Kamerafahrt, die allein durch ihre schleichende Bewegung ein unterschwelliges Gefühl der Bedrohung auslöst.
Kameramann Eric Kress, der bereits bei der Verfilmung eines Wallander-Plots von Henning Mankell Hand angelegt hat, zieht zudem aus den düsteren Bildern die Farbe ab, alles bewegt sich Grenzbereich des Grau-Bräunlichen. Ein Farbdesign, das gut zu den historischen Fotos passt, aus denen Blomkvist und Salander mit digitalen Techniken das Puzzle eines vermeintlichen Mordes zusammensetzen, der am Ende keiner gewesen ist.
Fincher und Kress halten auch in der Kadrierung ihre Figuren auf Abstand. Close-ups sind selten, es dominieren Halbtotalen und Naheinstellungen. Fincher sorgt in seinem Film für erneut für eine angemessen unterkühlte, aber keineswegs völlig emotionslose Erzählweise.

Verändertes Personal
Formal versteht der Film es also auf beeindruckende Weise zu punkten. Deutlich spannender ist die Frage, wie Fincher sein Personal interpretiert, das im schwedisch-deutschen Original gerade wegen der außerordentlichen Performance von Noomi Rapace als Lisbeth Salander für einen nachhaltigen Eindruck sorgte. Hier bricht „The Girl with the Dragon Tattoo“ trotz seines programmatischen Titels ein wenig weg.
Dabei bietet der Film wenig Neues und das ist auch gut so: Drehbuchautor Steven Zaillian (Schindlers Liste, Gangs of New York, American Gangster) hält sich weitgehend an das szenische Gerüst des Extended Cuts (178) von „Verblendung“ und strafft die Handlung ohne erkennbare Nachteile auf 158 Minuten. Die von Craig interpretierte Rolle des investigativen Journalisten fällt etwas härter aus, aber zum Glück setzt Fincher die Glaubwürdigkeit der Figur und des Plots nicht aufs Spiel und erspart uns überflüssige Actionszenen des Bond-Darstellers. Im Gegenteil: Craigs physische Präsenz ist limitiert und wenn er nach einem kurzen Sprint stehen bleibt, darf er ruhig atemlos schnaufen. Besonders in der Schlussszene, wenn er wie ein Häufchen Elend im Folterkeller des Mörders buchstäblich in den Seilen hängt, bleibt der Bond in Daniel Graig endgültig auf der Strecke.

Etwas anders ist die Figur Lisbeth Salanders angelegt und hier verliert der Film nach Punkten.
Die von Noomi Rapace interpretierte Hackerin verstörte als kaputte Borderlinerin in jeder Szene. Rapace gab der Figur dabei etwas grotesk Marionettenhaftes, das die Salander-Figur zu einer Getriebenen machte, die nicht nur gegen die fremden, sondern auch ihre eigenen Dämonen kämpft. Ihr Rachefeldzug gegen ihren Vormund, der sie aufs brutalste sexuell nötigte, ging nicht zuletzt auch deswegen unter die Haut, weil dem sorgfältig geplanten Gegenschlag jedwede Emotion fehlte. Rapace war wie Glas: zerbrechlich und lichtdurchlässig, aber auch völlig erstarrt und in der Form ausgehärtet.

Fincher legt die Rolle der Lisbeth anders an. Rooney Mara (A Nightmare on Elm Street, The Social Network) wirkt von Anfang an wie ein neurotischer Engel, dem nur ein wenig Zuspruch fehlt, um sich aus einer verzauberten Prinzessin in eine ‚richtige‘ Frau zu verwandeln. Dies liegt zum einen daran, dass Fincher die Scheußlichkeiten ganz auf die Seite der kaputten Täter verlagert. Was Lisbeth an sexuellen Peinigungen wiederfährt, wird für einen amerikanischen Film überraschend deutlicher und entschieden hässlicher ausgemalt: so darf sich der Vormund vor der analen Vergewaltigung in aller Ruhe ein Kondom überziehen, während er das Opfer verbal demütigt.
Natürlich darf Lisbeth auch bei Fincher entschlossen Rache nehmen, aber ihre anale Penetration des Täters wirkt eher wie ein biblischer Akt der Vergeltung und besitzt bei weitem nicht die verstörende Qualität des Originals. Dort wurde Rapace auch dadurch zur dominierenden Figur der Trilogie, weil sie spüren ließ, dass sie die erfahrene Gewalt dissoziativ von sich abspaltete. Das verstörte ungemein.

Ganz deutlich wird das auch in der veränderten Nuancierung des Love Interest à la Fincher.
Und zwar in zwei Szenen: wenn Lisbeth in Finchers Film zum zweiten Mal mit Blomkvist schläft, liegt dieser auf dem Rücken und geht die Fakten des Falls durch, während Lisbeth kurz vor dem Orgasmus steht. Hier ist es der Mann, der zum empathiefreien Grenzgänger wird.
Und überdeutlich wird dies ganz am Schluss, wenn Lisbeth über ihr Verhältnis zu dem Journalisten spricht und eingesteht: „Ich bin glücklich!“
Dass dies der ‚echten‘ Lisbeth nie über die Lippen gekommen wäre und angesichts des eher polygamen Sexlebens Blomkvists auch gründlich in die Hose geht, das gibt am Ende nicht nur den notwendigen Cliffhanger ab, sondern ist auch eine ärgerliche Umdeutung einer Figur, die ihre durch Männer erfahrenen Verletzungen und ihre Verletzlichkeit durch fast sprachlose Unnahbarkeit zu kontrollieren versuchte.
Noomi Rapace blieb ein Rätsel. Das hat David Fincher dem Zuschauer nicht zumuten wollen.
Leider ist das der Unterschied.

Was bleibt? Zum einen leider die Erkenntnis, dass Fincher soliden Durchschnitt produziert, aber nichts Überragendes mehr dabei ist. Bereits „The Social Network“ hat mich nicht sonderlich beeindruckt. Seine Version der „Verblendung“ kann man sich anschauen, muss es aber nicht.
Und das zu sagen, wäre mir früher beim einem Fincher-Film sehr schwer gefallen.

Note: BigDoc = 3