Deutschland
/ Frankreich 2009 - Regie: Jo Baier - Darsteller:
Julien Boisselier, Joachim Król, Roger Casamajor, Armelle Deutsch, Chloé
Stefani, Ulrich Noethen, Devid Striesow, Hannelore Hoger, Gabriela Maria
Schmeide - FSK: ab 12 - Länge: 155
min.
Neues aus der Anstalt
Nachdem die
Privaten mit „Game of Thrones“ klug investiert haben und mit einem innovativen
Sendeschema die Fantasy-Saga zum Quotenhit machten, legte die ARD mit der Jo
Baier-Verfilmung „Henri 4“ am Karfreitag im kleineren Zuschnitt nach: die
Anstalt hatte sich an den satten 20 Millionen, die die deutsch-französisch-österreichisch-spanische
Co-Produktion gekostet hat, investitionsfreudig beteiligt und statt an drei
Abenden wurde die fast drei lange TV-Fassung, natürlich, an einem Abend
gezeigt. Das hätte etwas werden können. Doch Pustekuchen. Nach einer knappen
Stunde half nur noch der Notgriff zur Fernbedienung. Es war die Rettung:
Einfach wegzappen und die Qual beenden.
Augenrollen
am Rande der Hysterie
Da steht
der kleine Prinz von Navarra unschuldig im Badezuber, als eine Gestalt
augenrollend und mit ausgestreckten Armen die Gemächer betritt und auf den verschreckten
Zehnjährigen zuwankt. Mein Gott, „The Walking Dead“ gleich nach der Tagesschau?
Nein, der Knattermime, der dem Knaben ganz tief in die Augen schaut, ist Nostradamus und der sieht in dem Jungen Heinrich den zukünftigen König von Frankreich.
Nein, der Knattermime, der dem Knaben ganz tief in die Augen schaut, ist Nostradamus und der sieht in dem Jungen Heinrich den zukünftigen König von Frankreich.
10 Jahre
soll das Kino- und nun auch TV-Debakel vorbereitet worden sein. 10 Jahre, in
denen man die Chance hatte, mit einem ausgefeilten Drehbuch über die
Auseinandersetzungen zwischen den Hugenotten und den herrschenden Katholiken im
Frankreich des 16. Jh. zu erzählen. Ein Stoff, der nicht nur eine adäquate
Verfilmung des Heinrich Mann-Romans „Die
Jugend des Königs Henri Quatre“ (1935) hätte sein können und sollen, sondern
auch eine Geschichtslektion über Dogmatismus, Machtspiele und das Massaker der
Bartholomäusnacht, aber auch über die Ideen der zögerlich aufkommenden
Aufklärung. Eine wunderbare Herausforderung für die Anstalt. Bildungsauftrag
und Unterhaltung, alles in einem großen Wurf unter Dach und Fach gebracht!
Stattdessen: Darsteller am Rande der Hysterie, Schreien, irres Augenrollen
und wirre Blicke. Dialoge, deren Plattheit man zunächst ungläubig ausgesetzt
war, bis man merkte, dass das Ganze wohl System hat und nicht mehr besser
werden wird. Und eine sonderbare Distanz zu den historischen Gegebenheiten, die
einen der bedeutendsten Religionskriege auf kleinkarierten Thronfolge-Soap
herunterbrach. Das Sex und Crime-Spetakel als austauschbare Handlungshülse. 14.
Jh., 15. oder 16. Jh.? Egal, es passt immer. Anything goes.
Dabei hatte die Anstalt als Co-Produzent aufgefahren, was Rang und Namen
hat: Joachim Król, Hannelore Hoger, Ulrich Noethen, David Striesow, Katharina
Thalbach, Wotan Wilke Möhring – da kann man wohl nicht viel falsch machen.
Julien Boisselier als Henri IV machte nicht einmal die schlechteste Figur, aber Hoger als Katharina von Medici und Noethen als ihr Sohn König Karl IX wurden durch die misslungene Darstellerführung Jo Baiers zu einer Performance hart am Rande der Fehlbesetzung getrieben. Besonders Noethen zeigte dem Zuschauer, was man wenig schmeichelhaft mit den Begriff „outrieren“ und „chargieren“ meint: grelle Übertreibung, Schmierenkomödie, wildes Gestikulieren und Grimassieren. Doch, auch wenn es vielleicht niemand am Set gewusst hat, die Tage des Stummfilms sind vorbei.
Julien Boisselier als Henri IV machte nicht einmal die schlechteste Figur, aber Hoger als Katharina von Medici und Noethen als ihr Sohn König Karl IX wurden durch die misslungene Darstellerführung Jo Baiers zu einer Performance hart am Rande der Fehlbesetzung getrieben. Besonders Noethen zeigte dem Zuschauer, was man wenig schmeichelhaft mit den Begriff „outrieren“ und „chargieren“ meint: grelle Übertreibung, Schmierenkomödie, wildes Gestikulieren und Grimassieren. Doch, auch wenn es vielleicht niemand am Set gewusst hat, die Tage des Stummfilms sind vorbei.
Geschichtsrecycling
für die Doofen?
Vielleicht muss man das Ganze auch mal ganz anders sehen. Statt sich mit
den üblichen Kriterien einer Filmkritik herumzuschlagen, sollte man das Ganze
als Produkt und Dienstleistung betrachten, alles auf der Grundlage einer
Medienstrategie, die nur funktionieren kann, wenn man die Quote fest im Auge
behält und sich zu diesem Behufe im Geiste vorstellt, wer da wohl am heimischen
Fernseher sitzt und was dieser womöglich von einem Historienstoff erwartet.
Historische
Genauigkeit, genaue Figurenzeichnung: Fehlanzeige, will keiner wissen. Sex:
unbedingt, hat schon bei den „Borgias“ funktioniert und so wird gevögelt, was
das Zeug hält und hübsch brutal darf es auch sein (vor 22.00 Uhr!), und
Hannelore Hoger darf Margot, der künftigen Frau des Prinzen von Navarra, kräftig
in den Arsch beißen. Henri IV trifft den Philosophen Montaigne (immerhin eine
Schlüsselszene im Roman): Montaigne? Wird gestrichen, kennt keine Sau, bei
Philosophie zappt der Plebs ja gleich weg. Gewalt: ja, aber in Maßen, auch wenn
die FSK-Freigabe ab 12 Jahren irgendwie nicht zur erwähnten Vögelei passen
will.
Schade nur,
dass sich der promovierte Theaterwissenschaftler und mit Preisen überhäufte Jo
Baier und die Bundesverdienstkreuzträgerin und Erfolgsproduzentin Regina
Ziegler nicht entblöden konnten. Zynische Publikumsverachtung mag ich so
intelligenten Menschen allerdings nicht unterstellen. Warum eigentlich nicht?
Den
Privaten wurde häufig vorgeworfen, dass sie Unterschichten-TV unters Volk
bringen.
Doch dieses Konzept funktioniert nicht deshalb, weil es die Unterschicht gibt, sondern weil die Programmmacher sich vorstellen, es gäbe eine. Und sie wissen: denen darf man nichts zumuten. Und so setzt man ihnen quotengepeinigt genau das vor, was im Laufe der Jahre aus dem Zuschauer das machen soll, was man ihm immer schon unterstellt hat.
Die Öffentlich-Rechtlichen haben sich dieser Strategie unterworfen. Nicht erst seit gestern.
Doch dieses Konzept funktioniert nicht deshalb, weil es die Unterschicht gibt, sondern weil die Programmmacher sich vorstellen, es gäbe eine. Und sie wissen: denen darf man nichts zumuten. Und so setzt man ihnen quotengepeinigt genau das vor, was im Laufe der Jahre aus dem Zuschauer das machen soll, was man ihm immer schon unterstellt hat.
Die Öffentlich-Rechtlichen haben sich dieser Strategie unterworfen. Nicht erst seit gestern.
Als
unlängst auf einem Symposium des Kölner Initiativkreises Öffentlicher Rundfunk
diskutiert wurde, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk für die Gesellschaft
leisten soll, gerieten nicht nur die Talkshows als die üblichen Verdächtigen
unter die Räder. Der Medienrechtler Helge Rossen-Stadtfeld mahnte an, dass die
öffentlich-rechtlichen Programmanbieter der „unproduktiven Verschmelzung von
Programm und Unterhaltung“ und dem „quotenmaximierenden ‘More of the same‘ widerstehen“
müssen. Und: „Unterschichtenfernsehen ist verfassungswidrig“, stellte er fest.
Ich bin
gespannt.
Ach ja,
offenbar ist der Zuschauer doch nicht so doof, wie die Macher in der Anstalt es
glauben. „Henri 4“ ist gestern Abend (wie schon im Kino) gefloppt. Erzielte der
erste Teil lausige 8,3%, so hatten beim zweiten schon viele ganz weggeschaltet.
Warum wohl?