Sonntag, 12. August 2012

Bluray-Review: Dame, König, As, Spion


Großbritannien 2011 - Originaltitel: Tinker, Tailor, Soldier, Spy - Regie: Tomas Alfredson - Darsteller: Gary Oldman, Colin Firth, Tom Hardy, Mark Strong, John Hurt, Toby Jones - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 127 min.

"Man muss den Film zweifellos mehrmals sehen, um diese komplexe Konstruktion und den artistischen Witz, der darin steckt, zu erfassen." Das schrieb der Tagesspiegel. Allerdings nicht über Tomas Alfredsons „Tinker Tailor Soldier Spy“, sondern vor ungefähr drei Jahrzehnten über Chris Markers Filmessay „Sans Soleil“.
Ähnlich dürfte es den meisten Kinogängern nach „Tinker Tailor Soldier Spy“ ergangen sein. Mainstream-Fans mussten sich mit der Erfahrung auseinandersetzen, dass der mehrfach OSCAR-nominierte und von der Kritik gefeierte Agententhriller auf den ersten Blick schwere Kinokost ist, auf den zweiten Blick aber immer mehr von der cleveren Konstruktion offenlegt, mit der Alfredson die erneute Verfilmung des berühmten Klassikers von John le Carré ins Bild gesetzt hat. Für den zweiten Blick gibt’s jetzt die „Limited Edition“ auf Bluray.

Die betrogenen Betrüger
Natürlich geht es in einem Agentenfilm um Geheimnisse, Spionage und Gegenspionage, um das Spiel mit doppeltem Boden, das Betrügen des Feindes, aber auch das Intrigieren in den eigenen Reihen. In „Tinker Tailor Soldier Spy“ steht Control (John Hurt), der Leiter des britischen MI6, gleich zu Anfang vor seinem ganz persönlichen Scherbenhaufen: sein Verdacht, dass in den eigenen Reihen ein Maulwurf Geheimnisse an die Russen verscherbelt, wird allerdings von den elitären Mitarbeitern seiner Führungscrew im "Circus“, der Londoner Zentrale des MI6, nicht geteilt. Nach einem fehlgeschlagenen Einsatz in Budapest, bei dem ein Agent vermeintlich ums Leben kommt, wird Control in die Rente geschickt – und mit ihm auch Smiley (Gary Oldman), seine langjährige rechte Hand. Aber keine Intrige ohne Gegenintrige: der für das MI6 zuständige Staatsekretär beauftragt heimlich den ausgemusterten Smiley mit der Suche nach dem Maulwurf.
John le Carré hat nach dem Zweiten Weltkrieg als aktiver Mitarbeiter ausgiebig Erfahrungen im britischen Geheimdienst gesammelt. Seine Skepsis angesichts der Praktiken während des Kalten Krieges löste seinen anfänglichen Enthusiasmus bald ab. Historiker mögen das anders sehen, aber letztendlich ist die Geschichte des britischen MI6 eine durchaus wechselhafte: Man verdankte herbe Rückschläge einem berüchtigten Maulwurf (Kim Philby), konnte ab den 1960er Jahren aber selbst eine Reihe sowjetischer Hochkaräter umdrehen. In den Ups und Downs führen aufgedeckte Geheimnisse allerdings nur zur Konstruktion neuer Rätsel: „Aber wenn man die letzte Tür und den letzten Safe öffnet, findet man nur Leere“, resümierte John le Carré.

Die Erzählung ist nicht leicht zu verdauen
Diese düstere Grundstimmung prägt auch „Tinker Tailor Soldier Spy“. Ausgerechnet ein schwedischer Regisseur wirft hier einen fiktiven Blick auf ein ur-englisches Thema und ein Zugpferd des Genrekinos. Tomas Alfredson („So finster die Nacht“) macht seine Sache gut. Alfredson erzählt Smileys Jagd nach dem Feind in den eigenen Reihen in einer sehr elliptischen Formsprache, die allerdings gewöhnungsbedürftig ist und hohe Aufmerksamkeit verlangt. Kurze Szenen lösen sich abrupt ab, verstecken ihre Information eher als dass sie diese offenlegen. Übergänge enthüllen erst viel später ihren Sinn, längere Sequenzen sind eher die Ausnahme und wenn sie auftauchen, haben sie eine entscheidende Bedeutung. Zudem unterbrechen nicht immer leicht nachvollziehbare Zeitsprünge die Erzählung, die komplex verschachtelt ist. Besonders die ambivalenten Flashbacks sorgen immer wieder für Irritation. Waren dies nun Fakten, die man gesehen hat, oder ist alles nur die Erinnerung eines der Beteiligten oder etwa eine neue Täuschung? Getäuscht werden also nicht nur die Figuren, auch der Zuschauer befindet sich ständig auf dünnem Eis. Enträtseln lässt sich alles nur durch die exakte Rekonstruktion des bereits Geschehenen und weniger durch neue Ereignisse und neue Fakten. Leider büßen einige Figuren dabei die erforderliche Differenzierung ein, die notwendig gewesen wäre, um den Zuschauer auch emotional im kühlen Kosmos des Circus zu faszinieren.

Mit wilden Actionszenen darf der Zuschauer nicht rechnen. „Tinker Tailor Soldier Spy“ ist kein James Bond-Film und auch keine Fortsetzung des Jason Bourne-Universums. Fast altmodisch findet das Puzzlespiel in Büros und dunklen Wohnungen statt, Dialoge treten an die Stelle physischer Aktionen. Aber gerade dieses Durchkreuzen der Erwartungen trägt dazu bei, dass sich schleichend Spannung entwickelt. Sie besitzt (leider) nur selten psychologische Natur, denn Alfredson zeigt seine Figuren weitgehend aus der Distanz, fast schon als Marionetten der geheimen Regeln, an deren Fäden alle im „Circus“ hängen. Ein Blick hinter die kalten Außenansichten der Figuren kann daher nur bedingt stattfinden und es ist ausgerechnet einer der jüngeren Agenten (Tom Hardy als Ricki Tarr), der noch in der Lage ist, seine Gefühle zu zeigen.

In diesem Eishaus spielt Gary Oldman die Rolle seines Lebens: sein Smiley ist ein Mann, der nur einmal die Miene verzieht, nämlich als er herausfindet, mit wem seine Frau ihn betrügt. Trotz seines maskenhaften Misstrauens und seiner höflich-unterkühlten Distanz zu den Regungen seiner Gesprächspartner sind es die dezenten mimischen Akzente, mit denen Oldman knapp das Wechselspiel von innerer Leere und ausgehärtetem Durchsetzungswillen eines alternden Spions skizziert. Wenn Smiley lapidar über seine erste Begegnung mit Karla, seinem großen sowjetischen Gegenspieler berichtet, erreicht Oldman eine Intensität, die man selten im Kino sieht. Allein diese Szene hätte einen OSCAR verdient. Am Ende wird Smiley in den Circus zurückkehren und in einem leeren Raum seine Aktentasche auf den Platz des toten Control legen. Und erneut wird man in seinem Gesicht nichts lesen können.

Großartige Mitspieler in dem düsteren Agententhriller sind nicht nur John Hurt, sondern auch Toby Jones als „Tinker/As“, Colin Firth als „Tailor/König“, Ciarán Hinds als „Soldier/Dame“ und David Dencik als „Poorman/Bube“ – Decknamen, die sowohl mit Kartenspielen als auch mit Schach zu tun haben. In überzeugenden Nebenrollen sind Benedict Cumberbatch und Batman-Gegenspieler Tim Hardy zu sehen.
Auch dank eines exzellenten Scores kann der Thriller punkten. Komponiert hat die Filmmusik Alberto Iglesias (2006 Europäischer Filmpreis für „Volver“, 2007 Golden Globe Award für „Drachenläufer“), der Hauskomponist von Pedro Almodóvar.

Bild und Ton und Extras
Freunde von referenzverdächtigen High Def-Filmen werden enttäuscht sein. Alfredson hat sich bei seiner Inszenierung auf natürliche Lichtquellen verlassen, die dem Bild einen überwiegend naturalistischen Charakter verleihen, aber gelegentlich milchig aussehen. Stimmig ist das schon, auch das unübersehbare Filmkorn und die grau-braunen Farben passen zur Atmosphäre des Films.
Allerdings gibt es technische Probleme mit einer zu prägnanten Helligkeit und dem geringen Kontrast und in dunklen Szenen bricht der Schwarzwert ein. An der Schärfe gibt es wenig zu bemängeln, allerdings stellt sich ein plastisches HD-Feeling nur dann ein, wenn es nach draußen und damit ins Tageslicht geht. Wer nicht aus Gewohnheit zur Bluray greift, kann hier mit gutem Gewissen die DVD kaufen.

Die DTS HD 5.1.-Tonspur kann sich hören lassen: der Mix ist sehr präsent, besonders die Dialoge sind auch in feineren Nuancen klar zu hören.
Noten: Bild = 3, Ton = 2.

Fazit: die Literaturverfilmung von Tomas Alfredson bietet eine neue Lesart der Vorlage an, die überwiegend von der Atmosphäre der Settings und dem exzellenten Hauptdarsteller lebt. Obwohl „Tinker Tailor Soldier Spy“ im Kern eine klassische Who dunit-Geschichte ist, sollte man diesen Film besser zweimal sehen. Freunde einer komplexen Narration werden deshalb auf ihre Kosten kommen.

Gesamtnoten: BigDoc = 2, Melonie = 3.