Großbritannien 2011 - Originaltitel:
Tinker, Tailor, Soldier, Spy - Regie: Tomas Alfredson - Darsteller: Gary Oldman, Colin Firth, Tom Hardy, Mark Strong,
John Hurt, Toby Jones - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 127 min.
"Man muss den Film
zweifellos mehrmals sehen, um diese komplexe Konstruktion und den artistischen
Witz, der darin steckt, zu erfassen." Das schrieb der Tagesspiegel. Allerdings nicht über Tomas Alfredsons „Tinker Tailor
Soldier Spy“, sondern vor ungefähr drei Jahrzehnten über Chris Markers
Filmessay „Sans Soleil“.
Ähnlich dürfte es den meisten
Kinogängern nach „Tinker Tailor Soldier Spy“ ergangen sein. Mainstream-Fans mussten
sich mit der Erfahrung auseinandersetzen, dass der mehrfach OSCAR-nominierte
und von der Kritik gefeierte Agententhriller auf den ersten Blick schwere
Kinokost ist, auf den zweiten Blick aber immer mehr von der cleveren
Konstruktion offenlegt, mit der Alfredson die erneute Verfilmung des berühmten Klassikers
von John le Carré ins Bild gesetzt hat. Für den zweiten Blick gibt’s jetzt die
„Limited Edition“ auf Bluray.
Die betrogenen Betrüger
Natürlich geht es in einem
Agentenfilm um Geheimnisse, Spionage und Gegenspionage, um das Spiel mit
doppeltem Boden, das Betrügen des Feindes, aber auch das Intrigieren in den
eigenen Reihen. In „Tinker Tailor Soldier Spy“ steht Control (John Hurt), der Leiter des britischen MI6, gleich zu
Anfang vor seinem ganz persönlichen Scherbenhaufen: sein Verdacht, dass in den
eigenen Reihen ein Maulwurf Geheimnisse an die Russen verscherbelt, wird allerdings
von den elitären Mitarbeitern seiner Führungscrew im "Circus“, der Londoner
Zentrale des MI6, nicht geteilt. Nach einem fehlgeschlagenen Einsatz in
Budapest, bei dem ein Agent vermeintlich ums Leben kommt, wird Control in die
Rente geschickt – und mit ihm auch Smiley (Gary Oldman), seine langjährige
rechte Hand. Aber keine Intrige ohne Gegenintrige: der für das MI6 zuständige
Staatsekretär beauftragt heimlich den ausgemusterten Smiley mit der Suche nach
dem Maulwurf.
John le Carré hat nach dem
Zweiten Weltkrieg als aktiver Mitarbeiter ausgiebig Erfahrungen im britischen
Geheimdienst gesammelt. Seine Skepsis angesichts der Praktiken während des
Kalten Krieges löste seinen anfänglichen Enthusiasmus bald ab. Historiker mögen
das anders sehen, aber letztendlich ist die Geschichte des britischen MI6 eine
durchaus wechselhafte: Man verdankte herbe Rückschläge einem berüchtigten
Maulwurf (Kim Philby), konnte ab den 1960er Jahren aber selbst eine Reihe
sowjetischer Hochkaräter umdrehen. In den Ups und Downs führen aufgedeckte
Geheimnisse allerdings nur zur Konstruktion neuer Rätsel: „Aber wenn man die
letzte Tür und den letzten Safe öffnet, findet man nur Leere“, resümierte John le
Carré.
Die Erzählung ist nicht leicht zu verdauen
Diese düstere Grundstimmung
prägt auch „Tinker Tailor Soldier Spy“. Ausgerechnet ein schwedischer Regisseur
wirft hier einen fiktiven Blick auf ein ur-englisches Thema und ein Zugpferd
des Genrekinos. Tomas Alfredson („So finster die Nacht“) macht seine Sache gut.
Alfredson erzählt Smileys Jagd nach dem Feind in den eigenen Reihen in einer
sehr elliptischen Formsprache, die allerdings gewöhnungsbedürftig ist und hohe
Aufmerksamkeit verlangt. Kurze Szenen lösen sich abrupt ab, verstecken ihre
Information eher als dass sie diese offenlegen. Übergänge enthüllen erst viel
später ihren Sinn, längere Sequenzen sind eher die Ausnahme und wenn sie
auftauchen, haben sie eine entscheidende Bedeutung. Zudem unterbrechen nicht immer
leicht nachvollziehbare Zeitsprünge die Erzählung, die komplex verschachtelt
ist. Besonders die ambivalenten Flashbacks sorgen immer wieder für Irritation. Waren
dies nun Fakten, die man gesehen hat, oder ist alles nur die Erinnerung eines
der Beteiligten oder etwa eine neue Täuschung? Getäuscht werden also nicht nur
die Figuren, auch der Zuschauer befindet sich ständig auf dünnem Eis. Enträtseln
lässt sich alles nur durch die exakte Rekonstruktion des bereits Geschehenen
und weniger durch neue Ereignisse und neue Fakten. Leider büßen einige Figuren
dabei die erforderliche Differenzierung ein, die notwendig gewesen wäre, um den
Zuschauer auch emotional im kühlen Kosmos des Circus zu faszinieren.
Mit wilden Actionszenen darf
der Zuschauer nicht rechnen. „Tinker Tailor Soldier Spy“ ist kein James
Bond-Film und auch keine Fortsetzung des Jason Bourne-Universums. Fast
altmodisch findet das Puzzlespiel in Büros und dunklen Wohnungen statt, Dialoge
treten an die Stelle physischer Aktionen. Aber gerade dieses Durchkreuzen der
Erwartungen trägt dazu bei, dass sich schleichend Spannung entwickelt. Sie besitzt
(leider) nur selten psychologische Natur, denn Alfredson zeigt seine Figuren
weitgehend aus der Distanz, fast schon als Marionetten der geheimen Regeln, an
deren Fäden alle im „Circus“ hängen. Ein Blick hinter die kalten Außenansichten
der Figuren kann daher nur bedingt stattfinden und es ist ausgerechnet einer
der jüngeren Agenten (Tom Hardy als Ricki Tarr), der noch in der Lage ist,
seine Gefühle zu zeigen.
In diesem Eishaus spielt
Gary Oldman die Rolle seines Lebens: sein Smiley ist ein Mann, der nur einmal
die Miene verzieht, nämlich als er herausfindet, mit wem seine Frau ihn
betrügt. Trotz seines maskenhaften Misstrauens und seiner höflich-unterkühlten
Distanz zu den Regungen seiner Gesprächspartner sind es die dezenten mimischen
Akzente, mit denen Oldman knapp das Wechselspiel von innerer Leere und ausgehärtetem
Durchsetzungswillen eines alternden Spions skizziert. Wenn Smiley lapidar über
seine erste Begegnung mit Karla, seinem großen sowjetischen Gegenspieler
berichtet, erreicht Oldman eine Intensität, die man selten im Kino sieht.
Allein diese Szene hätte einen OSCAR verdient. Am Ende wird Smiley in den
Circus zurückkehren und in einem leeren Raum seine Aktentasche auf den Platz
des toten Control legen. Und erneut wird man in seinem Gesicht nichts lesen
können.
Großartige Mitspieler in dem
düsteren Agententhriller sind nicht nur John Hurt, sondern auch Toby Jones als
„Tinker/As“, Colin Firth als „Tailor/König“, Ciarán Hinds als „Soldier/Dame“
und David Dencik als „Poorman/Bube“ – Decknamen, die sowohl mit Kartenspielen
als auch mit Schach zu tun haben. In überzeugenden Nebenrollen sind Benedict
Cumberbatch und Batman-Gegenspieler Tim Hardy zu sehen.
Auch dank eines exzellenten
Scores kann der Thriller punkten. Komponiert hat die Filmmusik Alberto Iglesias
(2006 Europäischer Filmpreis für „Volver“, 2007 Golden Globe Award für
„Drachenläufer“), der Hauskomponist von Pedro Almodóvar.
Bild und Ton und Extras
Freunde von
referenzverdächtigen High Def-Filmen werden enttäuscht sein. Alfredson hat sich
bei seiner Inszenierung auf natürliche Lichtquellen verlassen, die dem Bild
einen überwiegend naturalistischen Charakter verleihen, aber gelegentlich milchig
aussehen. Stimmig ist das schon, auch das unübersehbare Filmkorn und die
grau-braunen Farben passen zur Atmosphäre des Films.
Allerdings gibt es technische
Probleme mit einer zu prägnanten Helligkeit und dem geringen Kontrast und in
dunklen Szenen bricht der Schwarzwert ein. An der Schärfe gibt es wenig zu
bemängeln, allerdings stellt sich ein plastisches HD-Feeling nur dann ein, wenn
es nach draußen und damit ins Tageslicht geht. Wer nicht aus Gewohnheit zur
Bluray greift, kann hier mit gutem Gewissen die DVD kaufen.
Die DTS HD 5.1.-Tonspur kann
sich hören lassen: der Mix ist sehr präsent, besonders die Dialoge sind auch in
feineren Nuancen klar zu hören.
Noten: Bild = 3, Ton = 2.
Fazit: die
Literaturverfilmung von Tomas Alfredson bietet eine neue Lesart der Vorlage an,
die überwiegend von der Atmosphäre der Settings und dem exzellenten
Hauptdarsteller lebt. Obwohl „Tinker Tailor Soldier Spy“ im Kern eine
klassische Who dunit-Geschichte ist, sollte man diesen Film besser zweimal
sehen. Freunde einer komplexen Narration werden deshalb auf ihre Kosten kommen.
Gesamtnoten: BigDoc = 2,
Melonie = 3.