Dienstag, 6. Mai 2014

Inside Llewyn Davis

Oscar Isaac spielt im neuen Film von Joel und Ethan Coen den Folk-Musiker Llewyn Davis. Llewyn ist gut und erfolglos. Und das in den USA, wo im Showbiz ‚gut’ und ‚erfolgreich’ beinahe ein Synonym sind. „Inside Llewyn Davis“ ist eine Hommage an die Folkmusik der 1960er, aber mehr noch an die vergessenen und gescheiterten Künstlergenies, die es einfach nicht fertig bringen, ihr Talent in Geld zu verwandeln. Ein ruhiger und depressiver Film, in dem der schwarze Humor der Coens nur am Rande eine Rolle spielt.

„Ist das Arthouse?“, wurde im Filmclub gefragt. „Ja, das ist Arthouse“, lautet die Antwort, wenn man wenn weiß, dass der neue Film der Coen-Brothers in den USA zunächst nur in einer begrenzten Anzahl von Kinos aufgeführt wurde. Und ja, ein Film mit einem geschätzten Budget von 11 Mio. US-Dollar und einem Einspielergebnis von 13 Mio. $ (Stand: März 2014) ist dann wohl Arthouse, wenn die amerikanische Filmindustrie eigentlich nur noch Blockbustern und Remakes traut, die mit Budgets im dreistelligen Millionenbereich produziert werden. 
Dann auch noch dies: „Inside Llewyn Davis“ gewinnt den Großen Preis der Jury bei den Filmfestspielen in Cannes 2013, den zweitwichtigsten Preis, der in erster Linie Filme mit großer Innovationskraft adressiert. Und ja: „Inside Llewyn Davis“ wurde später 2x in Nebenkategorien für den Oscar 2014 nominiert (Beste Kamera, Bester Ton). Alles verdächtige Hinweise.

Mitten im Niemandsland

Und last but not least: Die Coens haben Film über einen Abschnitt der amerikanischen Musikgeschichte gemacht, der scheinbar banaler nicht sein kann, denn er spielt Anfang der 1960er Jahre in einem kulturellen Niemandsland. Die Beat Generation beginnt ihre Anziehungskraft zu verlieren, der phänomenale Durchbruch der Folkmusik steht bevor, aber die Coens widmen sich den mauen Jahren dazwischen. Jenen Jahren, in denen unglaublich begabte Folksänger und Folkgruppen im Greenwich Village auftraten, jenem New Yorker Künstlerviertel, in dem 1961 auch Bob Dylan landete und in dem die Mieten billig waren, aber so gut wie nichts mit der Musik zu verdienen war.
In dieser Zwischenwelt kurz vor dem Aufstieg von Dylan, Simon & Garfunkel oder Peter, Paul & Mary lebt Llewyn. 
"I don't see a lot of money here", wird ihm ein bekannter Impresario, gespielt von F. Murray Abraham, kalt ins Gesicht sagen. Und ihm dann mitteilen, dass er eigentlich ganz gut sei. Da gäbe es ein Trio, vielleicht wäre das etwas. Llewyn wird ablehnen und er wird wieder und wieder solche Fehler machen, denn – wir ahnen es – er hat gerade den Einstieg bei Peter, Paul & Mary versaut und möglicherweise einige Millionen verzockt.

New York, 1961, die erste Szene: Llewyn Davis singt in einem kleinen Club „Hang me, oh hang me“. Das tut er hingebungsvoll und der Applaus ist warm. Doch mit der Gage wird er nicht weit kommen. Vor dem Club wartet ein Mann auf ihn, der ihn zusammenschlägt. Das bleibt zunächst rätselhaft.
 Dann sehen wir den Künstler in seiner ganzen Misere. Llewyn Davis hat keine eigene Wohnung, er lebt von der Hand in den Mund und sucht sich bei Gönnern und Freunden eine Bleibe für die nächste Nacht. Dort landet er entweder auf der Couch oder auf dem blanken Boden. Und da ihm nichts gelingen will, läuft ihm auch immer wieder der Kater seiner Gastgeber weg – das Symbol einer Tristesse, die wie ein graues Tuch über diesem Mann hängt.
Zuvor war Llewyn Teil eines Duos, das eine reichlich erfolglose Platte veröffentlicht hat, sein Partner ist von einer Brücke gesprungen. Ob dies Llewyn bitter gemacht hat, erzählen uns die Coens nicht, sie zeigen uns aber in einem überwiegend episodisch gestrickten Film ohne klassische Plotstruktur einen Hochbegabten, der – offen gestanden – nicht nur ein Unsympath ist, sondern tatsächlich ein richtiges Arschloch. 

Das folksüchtige Ehepaar Gorfein, beim dem Llewyn gerade in der Upper West Side nächtigt, beleidigt er übel, weil er es als todernster Künstler hasst, dass bei seinen Liedern der Part seines toten Partners mitgesungen wird. Und seine Ex-Freundin Jean (Carey Mulligan), die nach einem erneuten Tête-à-Tête schwanger geworden ist, bleibt dem Musiker fremd. Zusammen mit ihrem Mann Jim (Justin Timberlake mit einer beachtlichen Performance) bildet sie ein Folkduo, für dessen massentaugliche Musik Llewyn nur Verachtung übrig hat. Dafür hat Jean ihm verschwiegen, dass sie bereits vor Jahren ein Kind von ihm bekommen hatte.

Im Finsterland der Coens

In diesem Struggle for Life zwischen Heimatlosigkeit und gelegentlichen Gigs erscheinen Llewyn die Katzen wie ein unerwünschtes Missing Link, das er nicht deuten kann. Er hat ständig mit ihnen zu tun. Nicht nur, dass er für die Gorfeins das falsche Tier eingefangen hat, er schleppt die heimatlose Katze, für die er eigentlich wenig Mitgefühl hegt, ständig mit sich herum.
Die Coens berichten davon, dass sie damit den Plot strukturieren wollten. Man sollte ihnen nicht glauben: die gefühlsneutrale Beziehung zwischen den beiden Einzelgängern spiegelt präzise das von Zufällen und Katastrophen geprägte Leben der Titelfigur präzise wider.

„Inside Llewyn Davis“ ist so gesehen beinahe ein ironischer Titel, denn in die Hauptfigur mag man sich weder einfühlen noch vermag man richtig zu verstehen, was sie im Innersten bewegt. Die Coens zeigen, und das ist eben ein häufiges Merkmal ihrer Filme, eher die Außenperspektive, weniger die psychologische Binnensicht. Aufmerksamkeit verdienen vielmehr die Situationen, in die Coens ihre Figuren hineinstellen, gerade wenn diese Obskures und Grenzwertiges bereithalten. Beinahe so, als wollten die Filmemacher wie in einem Laborversuch austesten, was ihr Personal gleich tun wird.

Llewyn wird dies auf einer merkwürdigen Reise nach Chicago erfahren. Die haben sich die Coens extra für John Goodman („Barton Fink“, „The Hudsucker Proxy“, „The Big Lebowski“, „O Brother, Where Art Thou?“) ausgedacht und es ist ein merkwürdiges Trio dabei zusammengekommen: Llewyn will – natürlich mit Katze - den Promoter Bud Grossman (F. Murray Abraham) treffen; was der reiche und heroinsüchtige Roland Turner (John Goodman) und sein Fahrer, der wortkarge Beat Poet Johnny Five (Garrett Hedlund übernahm in Walter Salles „On the Road“ treffenderweise die Rolle des Dean Moriarty aka Neal Cassady) eigentlich in Chicago wollen, ist nicht ganz klar. Aber die grandios von Kameramann Bruno Delbonnel gefilmte Sequenz, die beinahe ein kleines Roadmovie ist, führt mitten in das nächtliche Finsterland der Coens. 
Goodman gibt einen unwiderstehlich kratzbürstig-zynischen Jazzmusiker, für den Folk nur Kinderkram ist und der dunkle Andeutungen über seine voodoo-ähnlichen Fähigkeiten macht, mit denen er dafür sorgen könne, dass Llewyn alles misslänge, was er fortan versuchen würde.
Während der Fahrt wird dann eine andere Katze angefahren und später wird ein Cop Johnny Five verhaften, während der zugedröhnte Turner bewusstlos auf dem Rücksitz liegt. Llewyn steht orientierungslos auf der Straße und starrt ‚seine’ Katze an, die ihm aber nicht mehr folgen will. Dies sind die kleinen metaphysischen Momente, die man in Coen-Filmen so liebt: eine Katze trifft eine Entscheidung, Llewyn tut dies auch, aber wie so oft ist es die falsche.

Ein Pflegefall der Sprache

Natürlich ist „Inside Llewyn Davis“ auch eine Hommage an die Folkmusik – oder besser gesagt: an die Musik, die von den Coens sehr ausgiebig und mit vollständig ausgespielten Titeln zu Gehör gebracht wird - nicht am Beispiel ihrer Vorzeigeexemplare, sondern durch einen erfolglosen Einzelgänger. 
Für die Titelfigur ist Oscar Isaac eine nahezu perfekte Besetzung. Nicht nur, weil er die Lieder in dem Film selbst gesungen hat. Issac setzt virtuos die Misere des Künstlers zwischen Sein und Schein, Fehldeutungen und Selbstüberschätzung um. Sein Äußeres lässt auf einen feinfühligen introvertierten Künstler schließen, sein beleidigend ehrliches und gelegentlich zynisches Auftreten und seine beinahe laszive Depressivität konterkarieren dies. Wir haben es mit einem Mann zu tun, der die Sprache der Musik beherrscht, im harten Leben des Showbiz aber nicht das Marketing in eigener Sache versteht. Wer sich nicht verkaufen kann und keine Netzwerke schafft, so lautet die Lektion, wird auf der Strecke bleiben.
Llewyn Davis verpasst deshalb am Vorabend der Folk-Ära nahezu jede Chance, an der neuen Welle zu partizipieren, von der keiner etwas ahnen kann, und wir sehen auch einen Mann, der eigentlich nur mit seiner Musik kommunizieren kann.
Wenn Llewyn kurz vor Ende des Films für seinen Vater, der als Pflegefall mit versteinerter Miene in einem heruntergekommenen Heimzimmer sitzt, einen Traditional über die Fischer und das Meer singt, dann bewegt der Alte kurz den Kopf und blickt entrückt aus dem Fenster. Dann, wenn der Song zu Ende ist, wendet er den Blick wieder Llewyn zu und für einen Moment spürt man so etwas wie einen emotionalen Kontakt. Dann erstarrt der alte Mann erneut. Viel zu sagen haben sich beide ohnehin nichts. Dafür hat Llewyn – wieder einmal – einfühlsam gesungen. Das kann er.

Am Ende werden Llewyns Davis' Versuche zur Handelsmarine zurückzukehren beinahe grotesk scheitern. Wie alles andere auch. Er landet wieder im Greenwich Village und singt den gleichen Song wie Anfang. Doch dann trifft er draußen den mysteriösen Mann, der ihn zusammenschlägt. Wir wissen nun auch, warum: Llewyn hat die Frau des Unbekannten bei ihrem Auftritt öffentlich angepöbelt und die Prügel waren die Quittung. Aber weil Llewyn die Bar kurz verlassen hat, verpasst er den Auftritt eines jungen Sängers mit krächzender Stimme – es ist Bob Dylan. Die Coens haben uns am Anfang des Films also das Ende gezeigt. Diesen narrativen Kniff kann man wortwörtlich verstehen.

Ganz entfernt erinnert der neue Film der Coens an den Dokumentarfilm „Searching for Sugar Man“. Dort gibt es aber ein verspätetes Happy End für einen vergessenen Musiker, der angeblich besser als Bob Dylan war. Man erinnert sich auch an "O Brother Where Art Thou", in dem es auch um reichlich verkrachte Folkmusiker ging. Auch da gab es ein Happy End. Die stilsichere Tragikomödie "Inside Llewyn Davis" ist dagegen einer der wenigen Filme der Coens, in denen man für die Hauptfigur so gut wie nichts empfinden kann. Das gibt dem Ganzen eine gewisse Sperrigkeit und auch Unschlüssigkeit. Nicht jedem Coen-Fan wird dieser depressive Film gefallen.

Im Filmclub gab es neben einem "todlangweilig" eher verhaltene Zustimmung.

Noten: Melonie, Klawer, BigDoc = 2,5; Mr. Mendez = 4,5
 
„Inside Llewyn Davis“ ist seit April auf DVD und Bluray erhältlich.

Inside Llewyn Davis (USA 2013) - 105 Minuten – FSK: ab 6 Jahren - Regie und Buch: Joel und Ethan Coen. Kamera: Bruno Delbonnel. D.: Oscar Isaac, Carey Mulligan, John Goodman, Justin Timberlake.