Freitag, 5. September 2014

Nebraska

Zu den erfreulichen DVD-Reviews der letzten Wochen gehörte „Nebraska“. Der familienfilmerprobte Regisseur Alexander Payne („Sideways“, 2004; „The Descendants“, 2011) hat mit seinen Drehbücher bereits zwei Oscars gewonnen und gilt auf diesem Gebiet als Spezialist für schwierige Fälle. Sein neuer Film ist nicht nur ein gut geöltes Road-Movie, sondern auch eine Hommage an den großartigen Bruce Dern, der für seine Altersrolle im letzten Jahr den Darstellerpreis in Cannes erhielt. Dern hat es verdient.

Gibt es ein Leben vor dem Tod? Biologisch lässt sich die Frage einfach beantworten, in metaphysischer Hinsicht wird es dann schon etwas schwieriger. Wenn man mehr oder weniger ständig betrunken ist, mit einem keifenden Hausdrachen zusammenlebt und sich bereits leichte Senilität breit macht, sollte man besser nicht über das Wesen der eigenen Existenz nachgrübeln und vielleicht auch keine großen Pläne mehr schmieden. Woody Grant (Bruce Dern) sieht das alles allerdings etwas anders. Die Gewinnmitteilung eines Lotterieunternehmens nimmt er wortwörtlich, dass es lediglich ein Werbebrief ist, durchschaut er nicht mehr und so träumt er von den vielen Millionen, die in Lincoln (Nebraska) auf ihn warten. Er muss sie nur abholen. Zur Not halt auch zu Fuß.


Reise in die Provinz

Bei so einem Plot gibt es naturgemäß wenig Auswahl, um die Geschichte zu erzählen. Entweder wird das Ganze ein tristes Sozialdrama oder eine nicht ganz kitschfreie Komödie. Irgendwo dazwischen hat Alexander Payne seine Geschichte als Tragikomödie verortet und das hat er gut hinbekommen. Dazu wird aber ein Katalysator benötigt und der ist Woody Sohn David (Will Forte), der es leid ist, seinen Vater immer wieder auf der Landstraße einzusammeln. Zusammen brechen sie mit dem Auto in Montana auf, um, denkt Woody, den Gewinn abzuholen oder, glaubt David, 900 Meilen weit einem desillusionierenden Ende entgegenzufahren.

Vater-Sohn-Geschichte, Road Movie und eine Fahrt in die tiefste amerikanische Provinz. Richtig originell hört sich das nicht an, aber es funktioniert. Und das liegt zunächst an dem 78-jährigen Bruce Dern, der in mehr guten Filmen mitgespielt hat, als so mancher Kinogänger in seinem ganzen Leben zu sehen bekommt. Dern spielt den alten Grantler von der ersten bis zur letzten Filmminute mit einer stoischen Kratzbürstigkeit, die sich partout nicht mehr ändern lässt. Ein rührseliges Happyend schließt das aus – Woody ist und bleibt, was er ist, ein Mann, der in den Gesprächen mit seinem Sohn die gemeinsame Familiengeschichte auf banale Oneliner und Grobheiten reduziert und keinen Blick in sein Inneres zulässt. Zugegeben: viel Raum bleibt da für Will Forte nicht und ich hätte mir eher Bob Odenkirk (Saul Goodman in „Breaking Bad“), der stattdessen in einer Nebenrolle Woddys ältesten Sohn Ross spielt, in Fortes Rolle gewünscht. Aber dies hätte den Grundton des Films verändert.

Für das comic relief sorgen in „Nebraska“ andere. Als Woody und David durch Woodys Heimatstadt Hawthorne fahren, beschließt David, die Familie zu besuchen. Sein Vater ist alles andere als erfreut. Der Besuch endet in einem Fiasko, das von Payne als Hinterwäldler-Groteske inszeniert wird. Schweigend sitzt man zusammen vor dem großen Fernseher und hat sich nichts zu sagen. Erst als durch einen Zufall bekannt wird, dass Woody ein millionenschwerer Lotteriegewinner sein soll, tauen die Provinzler auf und schnell werden Begehrlichkeiten wach.
Alles gipfelt in der Konfrontation mit Woodys ehemaligem Geschäftspartner Ed Pegram (Stacy Keach mit einer fulminanten Performance), der plötzlich bei Woody alte Schulden eintreiben will, obwohl er es gewesen ist, der Woody einst einen Kompressor gestohlen hat. Und bald kommen andere auf die gleiche Idee. Die große Gier macht sich breit und am Ende überfallen sogar Woodys grenzdebile Neffen ihren Onkel, um an den Wettgewinn heranzukommen. Als die Wahrheit herauskommt, wird Woody mit Häme und Spott bedacht.


Ein Film für Söhne mit knarzigen Vätern

Ohne die großartigen Darsteller und die einfühlsame Regie von Alexander Payne hätte „Nebraska“ leicht in die Nähe einer banalen Provinzklamotte geraten können. Aber Payne kontrastiert die grotesken Momente des Films immer wieder mit stillen Momenten, die hinter der derben Farce eine melancholische Grundstimmung aufscheinen lassen. Diese wird von den wunderbaren Schwarz-Weiß-Bildern des Kameramanns Phedon Papamichael (“The Descendants”, “The Monuments Men”) eindrucksvoll sichtbar gemacht. So gelingt nicht nur ein Road-Movie mit unaufdringlich schönen Momenten, sondern auch ein Stimmungsbild des amerikanischen Mittelwestens und seiner Städte, die häufig einer ungewissen wirtschaftlichen Zukunft entgegenblicken.
 

Und natürlich kommen sich auch Vater und Sohn am Ende etwas näher, spätestens dann, wenn David etwas über von den traumatischen Korea-Erfahrungen seines Vaters erfährt. Spätestens in diesen Momenten dürfte so mancher männliche Midlife-Zuschauer einen emotionalen Berührungspunkt zu dem alten Mann finden, der am Ende zwar nicht der Millionengewinn erhält, dennoch triumphierend am Steuer eines nagelneuen Pick-Ups durch seine alte Heimatstadt fährt und es allen noch einmal zeigt. Das war sein eigentlicher Traum. “Nebraska” ist ein sehenswerter Film für Söhne mit alten, knarzigen und bockigen Vätern.

Noten: Klawer = 1,5, Melonie, BigDoc = 2

Nebraska – Laufzeit: 114 Minuten - Regie: Alexander Payne – Kamera: Phedon Papamichael - Darsteller: Bruce Dern, Will Forte, June Squibb, Bob Odenkirk, Stacey Keach – FSK: ab 6 Jahren.