Montag, 19. Oktober 2015

Er ist wieder da

Die Verfilmung des gleichnamigen Buches von Timur Vermes hat sich recht schnell in den Top 3 der deutschen Kinocharts etabliert. Regisseur David Wnendt hat dabei alles richtig gemacht: Er löst sich von der literarischen Vorlage, schickt Darsteller Oliver Masucci als Gröfaz auf eine Reise durch Deutschland und muss dabei feststellen, dass an einigen Mitbürgern 70 Jahre Demokratiegeschichte spurlos vorübergezogen sind: Sie würden ‚ihm’ wieder folgen.

Teile der deutschen Kritik hielten sich mit der Frage auf, ob man über Hitler lachen darf. Die Antwort hat bereits Charlie Chaplin gegeben. Und der deutsche Kinogänger sowieso: der lässt sich nur ungern vorschreiben, über wen oder was er lachen darf.

Die Frage sollte aber nicht sein, ob man über Hitler lachen darf, sondern eher, ob man es kann. In dem Kino, in dem ich saß, lachte kaum jemand. Nur einmal, als Oliver Masucci (exzellente Performance als
Hitler) in der tiefsten deutschen Provinz einen stromgeladenen Weidezaun anfasst und danach wie wild gewordener Gartenzwerg durch die Gegen hüpft, tobt der Saal. Ja, der Deutsche und die Komödie. Nun fehlen nur noch die Torten, die man sich ins Gesicht wirft, dachte ich. Davon nimmt David Wnendt („Kriegerin“, Feuchtgebiete“) aber Abstand. Zum Glück.

Wie gesagt: Ansonsten wurde kaum gelacht. Und je länger der Film lief, desto leiser wurde es im vollbesetzten Kinosaal. Und wenn der Gröfaz (Größter Feldherr/Führer aller Zeiten) am Ende im offenen Wagen durch Berlin fährt, unterlegt von Bildern, in denen ‚besorgte Bürger’ wie auch militante Rechte aufmarschieren, Flüchtlingsheime brennen und Straßenschlachten zu sehen sind, sagt „Hitler“: „Damit lässt sich arbeiten!“
 

Er scheint Recht zu haben. Dabei ist die Flüchtlingskrise in „Er ist wieder da“ nicht einmal das Hauptthema in Wnendts Film. Die im Film genannten Zahlen über den Flüchtlingszustrom sind von der Realität bereits überholt worden. In den deutschen Foren haben die Rechten die Meinungshoheit übernommen, während einige Idioten auf Facebook posten, dass die Öfen in Auschwitz bereits vorgeheizt werden.
Darauf lässt sich ein neues Deutschland aufbauen, meint auch
der Gröfaz. In „Er ist wieder da“ gelingt es dem wiederauferstandenen Adolf Hitler zwar nicht, die Rechten um sich zu scharen (die aktuellen sind in seinen Augen ohnehin nur unfähige Kretins), aber er wird ein gefeierter Medien-Star – und das ist in der digitalen Mediengesellschaft schon mal der wichtigste Schritt. 

Fiktion und Realität verschwimmen

Timur Vermes Debütroman erreichte vor drei Jahren Platz 1 der Bestsellerliste – und verharrte dort im SPIEGEL für lange Zeit. Bei der Kritik löste dies Reaktionen zwischen Naserümpfen und verhaltener Zustimmung aus. „Erschütternd plausibel“ resümierte DIE ZEIT, „Klamauk“ und „schal“ befand DIE WELT. 
Richtig in Rollen kam Vermes’ Bestseller erst durch die kongeniale Hörbuchfassung, in der Christoph Maria Herbst („Stromberg“) nicht nur dem Ich-Erzähler Adolf Hitler eine Stimme gab. Herbst brillierte und das Hörbuch war danach ebenfalls schnell auf Platz 1.

David Wnendt hat gut daran getan, keine eng an das Original angelehnte Adaption des Stoffes folgen zu lassen. Natürlich wacht auch seine Hauptfigur in einem Berliner Park auf und ist, wie aus dem Nichts erschienen, plötzlich „wieder da“. Oliver Masucci als Gröfaz bekommt es wie im Buch mit respektlosen „Hitlerjungen“ zu tun und wundert sich, dass es den Deutschen so gut geht, habe er doch alles getan, um deren Überleben im Angesicht der Kriegsniederlage zu verhindern. In Wnendts Film taumelt er dann aber in voller Montur durch Berlin, wird zum Objekt unvermeidlicher Selfies, erntet Grinsen und gespielte Begeisterung. Am Ende landet er verstört, aber wissbegierig beim „Kioskbesitzer“ (Lars Rudolph) und liest sich erst einmal durch den Blätterwald.

Danach aber sucht sich David Wnendt seinen eigenen Weg. Der Gröfaz lernt Fabian Sawatzki (Fabian Busch)
kennen, einen freien Mitarbeiter des TV-Senders MyTV. Und Sawatzki, Fabian Busch ist großartig in seiner völligen Naivität, nimmt den Gröfaz mit auf eine Reise durch Deutschland. Wnendt konfrontiert die Menschen mit seinem Darsteller und sprengt damit die Diegese. „Er ist wieder da“ konfrontiert in diesen dokumentarischen Sequenzen seinen Darsteller im Outfit Hitlers mit dem, was man heute „Dunkeldeutschland“ nennt. Und Oliver Masucci, der zum Glück kein bekanntes TV- oder Filmgesicht parat hat, wird tatsächlich ernst genommen. Menschen schildern ihm ihre Ängste und Nöte und wenn ihm unbeholfen der Wunsch nach „Arbeitslagern“ angetragen wird, verspricht er verständnisvoll, sich darum zu kümmern. Richtig gruslig wird es dann, wenn Hitler in einem NPD-Büro seine schlaffen Epigonen zusammenfaltet. Ist das Mockumentary à la „Borat“ oder bereits Scripted Reality? 
Fiktion und Realität verschwimmen in Wnendts Film und das schwemmt verborgene Sedimente aus, die lange verborgen in den abstrakten Zahlen irgendwelcher Statistiken über Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit schlummerten. Wnendt befördert sie aus den Untiefen des ‚völkischen Unbewussten’ ans Tageslicht und das verstört.
Natürlich ist Montage im engeren Sinne immer etwas Manipulatives, denn der Zuschauer sieht nie das, was weggelassen worden. Heute gibt es für das am Schnitttisch Entsorgte ein ‚Making of’, aber das ist vorerst nicht zu sehen. Und so liefert Wnendt nicht ganz frei von Zynismus die Allerdümmsten und die Bösartigsten dem Spott der Nation aus. Erstere werden es vielleicht nicht verstehen und ihre Follower bekommen, die anderen allerdings schon.

Natürlich kehrt Wnendt immer wieder zur erfolgreichen Vorlage zurück. „Hitler“ landet beim skrupellosen Sender MyTV, bei dem sich die neue Programmchefin Katja Bellini (Katja Riemann) und ihr abgezockter, aber nicht sonderlich befähigter Stellvertreter Christoph Sensenbrink (Christoph Maria  Herbst, der auch diese Rolle gut hinkriegt) einen intriganten Rosenkrieg liefern. Im Gegensatz zu Sensenbrink erkennt Bellini in dem Wiedergänger, den sie für einen Method-Acting-Comedian hält, das komödiantische Potential. Und so darf der Gröfaz in der Show „Krass, Alter“ des peinlichen Komikers Michael Witzigmann (Michael Kessler) seinen ersten Auftritt absolvieren. Der Gröfaz überwältigt das Publikum. Durch Schweigen. Dann legt er los.
Die Show wird zum Quotenhit, der Gröfaz lernt die unglaublichen Möglichkeiten des „Internetz“ kennen, wird in Talkshows herumgereicht, landet sogar bei Frank Plasberg. Aber dann wird ein Video publik, in dem „Hitler“ einen Hund erschießt. Spätestens hier vergeht den Deutschen, wie wir wissen, das Lachen endgültig. Ist dies das Ende für den Gröfaz?




„Damit lässt sich arbeiten!“

Als Mediensatire funktioniert „Er ist wieder da“ genauso gut wie das Buch. David Wnendts Film gelingt es zudem recht überzeugend, jene Beklemmung auszulösen, die man bereits im Buch und erst recht im Hörbuch erleben konnte. Dort, wie auch im Film, ist „Hitler“ kein tumber Clown, sondern jemand, der kalt analysieren kann und seine Chance realistisch auslotet. Jahrzehnte nach Ende des Krieges deckt diese fiktive Figur schonungslos auf, was in der Post-Moderne und der neuen schönen digitalen Welt so alles schief läuft. Und hat er nicht gelegentlich Recht mit seinen Feststellungen?
Timur Vermes hat bereits mit diesen ‚bösen Gedanken’ gespielt, David Wnendt tut dies auch – und in seiner Verfilmung präsentiert er dank seiner dokumentarischen Feldversuche noch bedrückender, wie schnell man in die Falle laufen kann. Zwischen post-moderner Beliebigkeit, in der alles nur großer Ulk ist, und rationalem Diskurs sind nicht nur die Bildungsfernen und Minderbemittelten hoffnungslos gestrandet und warten auf einfache Erklärungen.
Aber Wnendt schiebt in einer Schlüsselszene allen Versuchungen einen Riegel vor. Als der Gröfaz aufgrund des Hunde-Videos bei MyTV rausfliegt, kommt er bei seiner Sekretärin Vera Krömeier (Franziska Wulf mit starken Auftritten) unter. Deren demente Großmutter (Gudrun Ritter) erwacht angesichts der Inkarnation des Bösen aus ihrer Umnachtung, erinnert sich an das Grauen, das sie während des Krieges erlebte - und wirft den Gröfaz aus der Wohnung. Spätestens nach dieser Szene erstarb in Kinosaal endgültig das Lachen.

Doch ein „Hitler“ lässt sich auf dem Weg zur Weltherrschaft nicht lange aufhalten. Er schreibt ein Buch, das bald darauf verfilmt wird, und das Quotendesaster bei MyTV führt bei dem mittlerweile zum Programmchef ernannten Christoph Sensenbrink zur Erkenntnis, dass er nicht länger auf den TV-Star seiner Vorgängerin verzichten kann. „Er“ ist wieder da.

Am Ende hat sich der Gröfaz erfolgreich durch den grenzdebilen deutschen Medienmarkt gearbeitet, er weiß, wie der Hase läuft („Goebbels würde sich freuen!“).
Sawatzki, der ihn wie Oma Krömeier erkannt hat und nun weiß, dass Adolf Hitler tatsächlich auferstanden ist, träumt sich dessen Ermordung – aber auch im Traum kehrt der tote Hitler zurück: „Ich bin ein Teil von Dir!“
Aber der Traum ist nur ein Chroma-Key-Effekt, der als vielsagende Metapher in Millionen Pixel zerfällt, und führt dann auch prompt in die Gummizelle.
David Wnendts „Er ist wieder da“ verortet sich treffsicher zwischen galliger Mediensatire und Widerspiegelung des Zeitgeists. Natürlich darf man darüber lachen. Man kann es aber nicht, es fällt schwer. Im Kinosaal ging das Licht an, aber die Zuschauer blieben lange schweigend sitzen. Etwas Besseres lässt sich über den Film nicht berichten.

Note: BigDoc = 1,5

Er ist wieder da – Deutschland 2015 – Regie und Drehbuch: David Wnendt – Laufzeit: 116 Minuten – D.: Oliver Masucci, Fabian Busch, Katja Riemann, Christoph Maria Herbst, Franziska Wulf, Michael Kessler.