Dienstag, 10. Mai 2016

Taxi Teheran

Iranische Filmemacher sind gefährlich. Besonders dann, wenn sie ihre Kamera auf die Wirklichkeit richten. Wirklichkeitstreue wollen die Herrschenden allerdings auch, nur meinen sie halt etwas ganz anderes damit: die ‚wirkliche’ Wirklichkeit, ihre Realität – und da muss alles positiv sein. ‚Zeigbare’ Filme sollen die Künstler drehen, keine Schwarz-Weiß-Malerei. Damit dies klappt, stellt man den Künstlern den passenden Wertekanon zur Verfügung.

Der iranische Regisseurs Jafa Panahi konnte bislang nichts mit einer Kino-Leitkultur anfangen. 2010 wurde er verhaftet. Sechs Jahre Gefängnis verhängte das Regime, 20 Jahre Berufsverbot gab es als Nachschlag. Filme dreht er weiter, heimlich. Er schmuggelt sie ins Ausland und wartet gleichzeitig auf das Urteil der Berufungsinstanz. Mit „Taxi Teheran“ gewann er 2015 in Berlin den Goldenen Bären.


Abstruses und Alltägliches

Ein grandioses Spektakel darf man nicht erwarten. „Taxi Teheran“ kommt nur langsam in Fahrt. Jafar Panahi spielt einen Taxifahrer, gleichzeitig aber auch sich selbst. Im Inneren des Fahrzeugs wurden Videokameras installiert, die mal die Fahrersicht auf die Straßen der iranischen Hauptstadt zeigen, meistens aber das Innere und damit die Fahrgäste, die Panahi befördert. Einer erkennt auch prompt den ‚Berufskollegen’ – es ist Omid, ein illegaler Videohändler, der seine Kunden nicht nur mit der brandneuen Staffel von „The Walking Dead“, sondern auch mit Komödien von Woody Allen beliefert. In einem repressiven System offenbar ein lukratives Geschäft.
In Panahis Auto können sich die Kunden ihre Mitfahrer nicht aussuchen, es wird diskutiert, geschritten und verhandelt. Eine Lehrerin lehnt die drakonische Strafverfolgung von Kleinkriminellen ab, ihr Gesprächspartner ist dagegen ein begeisterter Anhänger der Scharia, natürlich für die Todesstrafe und überhaupt generell für „Law and Order“, besonders dann, wenn Autoreifen geklaut werden. Er outet sich am Ende als Taschendieb. Das sei natürlich etwas völlig Anderes.


„Taxi Teheran“ fängt gelegentlich Abstruses, Widersprüchliches ein. Wie etwa die Geschichte der zwei Frauen, die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zwei Fische in einem Goldfischglas zu einer heiligen Quelle bringen müssen – ansonsten müssten sie sterben. Der von Jafa Panahi gespielte Taxifahrer mischt sich dabei kaum ein, beobachtet, bleibt höflich und fühlt sich nur gelegentlich etwas unwohl – ein Beobachter, der sein Bildmaterial scheinbar by the way einsammelt. Trotz einiger Skurrilitäten sind es alltägliche Geschichten, scheinbar ohne Zusammenhang, tatsächlich aber subtil vernetzt. Das findet man aber erst heraus, wenn man den Film vollständig gesehen hat. Panahi konterkariert seine Szenen nämlich geschickt mit gegenläufigen Positionen, etwa wenn ihm sein ehemaliger Nachbar erzählt, dass er brutal überfallen wurde und in den maskierten Tätern leider gute Freunde erkannte, die er auf keinen Fall der Justiz ausliefern wolle. Stichwort: Todesstrafe. So fügen sich anfangs scheinbar disparate Inhalte zu einem schlüssigen Gesamtbild.

Aber „Taxi Teheran“ ist kein Dokumentarfilm, sondern Mokumentary. Also jenes Genre, das aussieht wie ein Dokumentarfilm, tatsächlich aber gescriptet ist – also eine „Fiktion im Modus der Nichtfiktion“ (Lexikon der Filmbegriffe). Nur ohne beißenden Spott und die parodistischen Elemente des Genres. Panahi verzichtet zudem auf programmatische Sequenzen, die den Figuren politische Statements in den Mund legen. „Taxi Teheran“ wird mit zunehmender Spieldauer vielmehr zu einer stillen, sehr intelligenten Reflexion über den Künstler, der in der eigenen Heimat im Exil lebt, und über das, was Kino eigentlich ausmacht. Und das ist gewiss kein Kanon.


Ein Gespenst geht um - die Leitkultur

Pars pro toto verhandelt dies die Kamera seiner Nicht Hana (Hana Saeidi), die Panahi aus der Schule abholt. Hana soll als Hausaufgabe einen ‚zeigbaren Film’ drehen. Dieser soll unbedingt wirklichkeitsgetreu sein, aber natürlich gelten die islamische Kleiderordnung, das Berührungsverbot von Männern und Frauen und eine Reihe anderer Regeln, die genau vorschreiben, was nicht gezeigt werden darf. Hana, die vorpubertäre und ständig plappernde Göre, verzweifelt beinahe daran. Als sie einen gleichaltrigen Jungen beobachtet, der auf der Straße einen Geldschein findet und einsteckt, anstatt ihn dem Besitzer zurückzugeben, findet Hana schnell die Lösung: Sie überredet den Jungen zu einer sozial adäquaten Handlung und will dies mit der Handykamera festhalten. Ihr Film wäre dann ‚zeigbar’.
Wer sich nun aus westlicher Perspektive über Zensur und islamische Kulturpolitik mokiert, sollte nicht vergessen, dass eine deutsche populistische Partei etwas Ähnliches im Sinn hat: eine „deutsche Leitkultur“, deren Künstler „zur Identifikation mit unserem Land anregen“ sollen. Am Kanon und dem „Willen zur Zensur“ (Deutschlandradio) sind wir näher dran, als man glauben sollte. Das Erschütternde daran ist, dass Repression offenbar nur gelingen kann, wenn sich ein Teil der Bevölkerung mit Derartigem tatsächlich auch identifizieren kann.

Panahi erzählt seine kleinen, nicht immer undramatischen Geschichten mit überraschend humorvollem Charme. Wenn seine Kamera die Fahrerperspektive einnimmt, zeigt er eine ruhige, aufgeräumte Stadt, die mitten in Europa liegen könnte. Männer in westlicher Kleidung, Frauen mit Kopftüchern, kaum in der Burka. Man sieht auch keine Sittenwächter, die unterwegs sind und Regelbrecher einkassieren - eine Orwellsche Beklemmung geht von den Bildern nicht aus. Die Teheraner skizziert Panahi stattdessen als clevere Überlebens- und Anpassungskünstler, die sich arrangiert haben und dabei scheinbar problemlos in ihren kulturellen Gegenwelten leben.

Am Ende wird Jafar Panahis Taxi aufgebrochen, die Kameras werden entwendet, eine Speicherkarte wird nicht entdeckt. Diebe? Oder der iranische Geheimdienst? Panahi zeigt damit, dass „Taxi Teheran“ formal eine Fiktion ist, aber keine Täuschung, und dass man Filme auch dann nicht verhindern kann, wenn man die Kamera stiehlt.


Noten: BigDoc, Klawer = 2

Taxi Teheran – Iran 2015 – Regie, Drehbuch: Jafar Panahi – Laufzeit: 82 Minuten – FSK: 0 – D.: Jafar Panahi, Hana Saeidi u.a.