Sonntag, 1. Mai 2016

The First Avenger: Civil War - Superhelden im Clinch

Es gibt Arthouse-sozialisierte Filmkritiker, die gutes Geschichtenerzählen und Blockbuster in etwa so unvereinbar halten wie Materie und Antimaterie. Jeder Versuch der Koexistenz endet mit einer fürchterlichen Zerstörung. Im ersten Film der sogenannten Phase 3 des Marvel Cinematic Universe (MCU) kommt es zwar zu epochalen Entladungen, aber die Geschichte erweist sich als sehr belastbar: „The First Avenger: Civil War“ ist ein richtig guter Film geworden.

Das sehen einige natürlich anders. Wie der bekannte Filmkritiker Jan K., der in „Civil War“ nur eine große Dreschflegelei beobachtete. Warum die Superhelden sich da gegenseitig hauen? Keine Ahnung, dazu müsse man wohl einen Doktor in „Marvel“ haben. Man liest und versteht: der Mann hat sich nicht angestrengt.

Andere Kritiker, die (wie der Verfasser dieser Zeilen) zwei Dekaden lang die schäbige Erfahrung gemacht haben, dass man für Kritiken über Arthouse-Filme nicht einmal die Wochenmiete zusammenschreiben kann, genießen die Freiheit des Bloggens, weil ihnen kein Redakteur im Nacken sitzt, der gefühlt vor dreißig Jahren mahnend Beiträge ablehnt, weil ‚man über Comic-Verfilmungen nicht seriös schreiben kann.’
Wie schön! Da sitzt man nun unbelastet im Kino, darf schreiben was man will und fremdelt trotzdem mit den Szenen, in denen Iron Man den armen Captain America in einen Scyscraper wirft, der schwungvoll zusammenkracht, während der geschundene Freiheitskämpfer – natürlich unbeschadet – aus den Trümmer steigt, um seinerseits den ehemaligen Teamkollegen Mores zu lehren. Etwas langweilig ist das schon.



Das alles nimmt man hin, um endlich die wenigen One-Liner des Captains zu hören, der wieder mal erklärt, dass mehr Sicherheit auch weniger Freiheit bedeutet und dass er eigentlich nur noch Individuen traut.
Nun ja, Iron Man traute im vorletzten Film nur Robotern und hypermodernen Sicherheitssystemen, die von einer KI gelenkt werden, die wiederum nach seinem Vorbild geschaffen worden ist. Kann ja nicht gut gehen, so viel Hybris wird bestraft. Nun traut der neo-liberale und selbst ernannte Boss der Avengers in
„Civil War“ plötzlich Institutionen, fatal!
Man sitzt also im Kino und freut sich darüber, dass bei den Marvel-Strategen, die diese Blockbuster geplant haben, trotz der hohen Gewinnerwartungen offenbar links-liberales Blut durch die Adern fließt. Und trotz aller Bedenken ahnt man, dass man das Marvel-Universum liebt, in den Augen der Fans vielleicht aus den völlig falschen Gründen. Fazit: der Kritiker kann eigentlich nur alles falsch machen, wenn er sich auf dieses verminte Terrain begibt.
An sich sollte man Fehler nicht zweimal machen, aber da diese Schwäche sehr menschlich ist, zudem Spaß macht und Superhelden und Filmkritiker trotz ihrer übermächtigen Kräfte auch nur Menschen sind (die meisten jedenfalls), müssen sie offenbar ihre Lektionen mehrfach lernen. Das macht sie sympathisch, aber wenig berechenbar. Aber wenn selbst die FAZ als Fazit
Danke dafür“ schreibt, weiß man, dass die Captaim America und die Avengers ganz ehrenwert im Feuilleton angekommen sind.

Worum geht es? „Civil War“ macht dort weiter, wo „Avengers- Age of Ultron“ aufhörte. Dort hatte sich das ehemalige Team der SHIELD-Enforcer nachdrücklich darum bemüht, bei der Schlacht um Sokovia zivile Kollateralschäden zu vermeiden. Klappte nicht ganz. In „Civil War“ wird Iron Man nun mit einer Mutter konfrontiert, die dort ihren Sohn verloren hat. Das sitzt.

Und dies ist auch der einzige Webfehler innerhalb der ansonsten ausgeklügelten Erzähllogik des MCU. Sokovia war ein Teil der irren Weltvernichtungsstrategie der bösen KI Ultron – die Rettung der Welt müssen sich die Avengers trotzdem ankreiden lassen. Hat da jemand aus der PR-Abteilung des Heldenteams geschlafen?
Es scheint so. In „Age of Ultron“ wurden Iron Mans hilfsbereite Roboterarmeen von der Zivilbevölkerung wütend mit fauligem Gemüse beworfen, in „Civil War“ wird ihnen von Regierung und Medien eine Bilanz des Schreckens vorgelegt, die mit der Rettung New Yorks beginnt und in Nigeria endet. Aus Rettern werden Täter, die Opfer dagegen können Gut und Böse nicht mehr auseinanderhalten und wollen nicht mehr die Alien-Armeen aus dem Weltall bändigen, sondern ausgerechnet jene, die gerade eben die Welt gerettet haben und auch weiterhin retten werden. Eine verquere Welt, die Mastermind Kevin Feige (Executive Producer) und sein erfolgreiches Autorenteam Christopher Markus und Stephen McFeely da entwerfen.


To Big to Fail?

Gut, in Lagos ist tatsächlich einiges schief gelaufen. Captain America (Chris Evans), Black Widow (Scarlett Johansson) und ihre „Lehrlinge“ Scarlet Witch (Elisabeth Olsen) und Falcon (Anthony Mackie) können im Prolog von „Civil War“ während einer explosiven Schurkenbekämpfung in der nigerianischen Hauptstadt den Tod von zahlreichen unbeteiligten Zivilisten und einiger Gastarbeiter aus dem benachbarten Wakanda also nicht verhindern. Sehr ärgerlich, denn dies führt endgültig zu einem Meinungsumschwung in der öffentlichen Wahrnehmung der Avengers-Initiative, die nach der Auflösung von SHIELD offenbar ungesteuert agiert. Die Vereinten Nationen legen den Avengers daher einen unterschriftsreifen Gesetzentwurf vor, der sie vollständig einem UNO-Mandat und der Kontrolle durch den New Yorker Secretary of State Thaddeus „Thunderbolt“ Ross (William Hurt) unterstellen würde. Kennen wir das nicht?

Erneut ist es der wankelmütige Kontrollfreak Tony Stark aka Iron-Man (Robert Downey jr.), der seine vergangenen Fehlentscheidungen gerne ungeschehen machen möchte und nur allzu gerne bereit ist, die Verantwortung für die Avengers-Einsätze an eine globale Institution abzutreten. Nur Captain America, „The First Avenger“, ist skeptisch. 
Wir erinnern uns: In „Return of the First Avenger“ hatte die Comicschmiede Marvel einen sarkastischen Kommentar zu den NSA-Schnüffeleien und dem Patriot Act abgeliefert - nur ein toter Amerikaner kann kein Terrorist werden und das von dem Weltsicherheitsrat abgesegnete Projekt Insight hatte daher die präventive Ermordung einiger Millionen amerikanischer Bürger zum Ziel. Dass letztendlich HYDRA hinter diesen Machenschaften steckte – geschenkt! Dies konnte die generelle Skepsis von Steve Rogers gegenüber den Institutionen nicht beseitigen. Meine auch nicht. Ich liebte Captain America für diese Einsicht.

Auf jeden Fall  ist „Civil War“ wieder mittendrin in jener kongenialen Mischung aus Comicverfilmung und politischer Reflexion. Bislang wurden fast alle „Captain America“-Filme dazu genutzt, um den Paradoxien nachzuspüren, die sich auftun, wenn beim Anti-Terror-Kampf die Bürgerrechte auf der Strecke bleiben. Kevin Feige und sein Kreativteam wussten trotz aller hemmungslosen Übertreibungen immer genau, wo der Schuh drückt. Dem neo-liberalen Industriemogul und Waffenhersteller Tony Stark stellten sie mit Captain America nicht etwa einen konservativen Freiheitsprediger zur Seite, sondern einen buchstäblich aus der Zeit gefallenen Superhelden mit intellektuellem Touch und kritischer Denkkraft. Ganz nebenbei: das entspricht durchaus auch den (Ver-)Wandlungen, die Captain America auch in den Comics immer wieder durchlaufen musste. Dass nicht alle so denken wir Captain America, spaltet die Avengers. Nicht zum ersten Mal. Geprügelt hatten sie sich schon in „Age of Ultron“, unmittelbar vor der Erschaffung von „Vision“, dem schließlich Thor den göttlichen Odem einhauchte.

In „Civil War“ geht es erneut zur Sache. Bei einer UNO-Konferenz in Wien soll das neue Abkommen feierlich unterzeichnet werden, das die Avengers endgültig unter Kuratel stellt. Ausgerechnet bei der Rede des wakandischen Königs T’Chaka (John Kani) fliegt aber alles in die Luft. Als nach dem Blutbad ausgerechnet Captain Americas alter Jugendfreund „Bucky“ Barnes (Sebastian Stan), der „Winter Soldier“, als Verantwortlicher identifiziert wird, schwört der wankandische Prinz T’Challa (Chadwick Boseman) Rache und geht fortan als Black Panther auf die Suche nach „Bucky“, den vormaligen HYDRA-Supersoldaten. Einige Avengers wollen
„Bucky“ ausliefern, die anderen nicht Auf dem Flughafen von Leipzig kommt es zum ersten Showdown in „Civil War“: die verfeindeten Avengers gehen aufeinander los und zum ersten Mal taucht im MCU auch der von Iron Man schnell rekrutierte Spider-Man (Tom Holland) auf.

Storytelling

Spannend war die Frage, wie man die neuen und alten Figuren unter einen Hut bekommt. Die Antwort: es klappte. Der Strippenzieher hinter den Kulissen ist Kevin Feige, der seit über 15 Jahren für Marvel arbeitet. Und obwohl Marvel vom globalen Medienmulti Disney geschluckt wurde, konnte Feige mit unterschiedlichen Regisseuren wie Bryan Singer (Regisseur und Produzent der meisten X-Men Filme) und Kenneth Branagh („Thor“) die Kontinuität der Filme erhalten (zu denen übrigens auch die X-Men gehören), ohne die Comicfans zu verprellen. 
Entstanden ist ein riesiges Crossmedia-Projekt aus Comics, Filmen und TV-Serien (u.a. „Agents Of S.H.I.E.L.D“, in den Sätze fallen wie „Das war nach Sokovia nicht anders zu erwarten“, was dem biederen Quereinsteiger zeigt, dass er dann doch wohl einen Doktor in „Marvel“ braucht).
Das von Feige & Co. geschaffene Marvel Cinematic Universe (MCU) ist ein Teil dieses Franchise und auch dank Feige zu einem der komplexesten Erzähluniversen des Popcorn-Kinos geworden. Keine leichte Aufgabe, denn über allem schwebt ein Meta-Plot. Einerseits dreht sich in den Avengers-Geschichten alles um die berüchtigten Infinity-Steine und den kosmischen Schurke Thanos, andererseits wird in den Captain America-Plots die Comicwelt bevorzugt mit irdischen Problemen geerdet, ohne dass dabei die Bezüge zu den bis ins Jahr 2019 geplanten Filmen der „Phase 3“ verloren gehen dürfen.

In „Civil War“ wird allerdings nicht nur durch den Titel schnell klar, dass man kein weiteres Avengers-Abenteuer zu sehen bekommt, sondern einen „Captain America“-Film. Und der interessiert sich mehr für die Psycho-Dynamik des Teams und weniger für die kosmologischen Aspekt der MCU-Mythologie.
Wer sich noch einmal „Age of Ultron“ genau anschaut, kann dort die Vorbeben erkennen. Nämlich in der Szene, in der Hawkeye (Jeremy Renner) die Avengers in sein Haus einlädt und Hawkeyes Frau in ihrem Garten die von Ultron gründlich aufgemischten und ratlosen Avengers beobachtet. Sie verängstigt der Gedanke, dass diese Götter ausgerechnet ihren Mann benötigen: „Du musst sicher sein, dass sie ein Team sind!“

Aber das waren die Avengers schon vor „Civil War“ nicht mehr. In „Age of Ultron“ setzte es bereits Prügel, weil „Iron Man“ Tony Stark eine superpotente KI schaffen wollte, was gründlich aus dem Ruder lief. Es war unschwer zu übersehen, dass die KI „Ultron“ eine brandgefährliche und wahnsinnige Version von Tony Stark war und dass einige Avengers keinen Bock mehr auf weitere Experimente des Waffenherstellers hatten. „Er macht keinen Unterschied zwischen der Rettung der Welt und ihrer Zerstörung“, beschrieb Wanda/Scarlet Witch die Künstliche Intelligenz. „Von wem hat er das nur?“
Das
Storytelling wurde von Kevin Feige und seinem Team so fein gesponnen, dass sich einige Szenen in „Age of Ultron“ nur dann restlos erschließen, wenn man zuvor „Civil War“ gesehen hat. Ein weiterer Kunstgriff sind nicht etwa die Backstorys der anderen Figuren, die übergreifend und in kleinen Dosierungen erzählt werden, sondern die Effizienz, mit der dies geschieht. Es sind die kleinen, pointierten Szenen, die den Hauptplot geschickt unterfüttern und verhindern, dass aus den Comic-Helden holzschnittartige Abziehbilder werden.
Da geht es en passant um Natasha Romanoff/Black Widow, die ein Auge auf den Hulk geworfen. Aber der ist verschwunden. Die zu Selbstzweifeln neigende Wanda/Scarlet Witch (Elisabeth Olsen) hat ebenso ihre kleine Geschichte wie Don Cheadle, der mit seinen Witzen bei den Kollegen nicht landet und sich woanders ein Publikum für seine Pointen suchen muss.

Man muss das nicht mögen, aber eins kann man Kevin Feige gewiss nicht vorwerfen – dass er kein Händchen für Figurenentwicklung hat.


Handwerklich ist das alles wirklich gut gemacht. Selbst Nebenfiguren wie „Hobbit" Martin Freeman („Sherlock", „Fargo") gehen nicht unter, obwohl man das Gefühl hat, dass der Cast vielleicht ein wenig over-sized ist. Man sieht Kevin Feige förmlich vor einem Haufen voller Zettelchen sitzen, auf die er all diese feinen Streben zwischen den Figuren notiert und dabei schon die MCU-Filme der Jahre 2018 und 2019 im Kopf hat. Dank dieser Sorgfalt gelingt auch die reibungslose Integration von Spider-Man in den Plot. Seine Figur wurde im Kino etwas zu oft recycelt, nun aber spielt Tom Holland recht witzig den Spinnenmann als schwatzhaften Jugendlichen, der seine Aktionen mit coolen und genre-affinen Sprüchen kommentiert. Das spätestens an dieser Stelle der Plot nicht auseinanderfällt, ist schon verblüffend.

„Comics sind große Literatur, da habe ich keinen Zweifel. Sie können es mit den Klassikern aufnehmen. Einige der besten Geschichten, die sich Menschen jemals ausgedacht haben, finden Sie in Marvel-Comics“, hat Feige unlängst festgestellt und wohl auch deshalb dem Abspann von „Age of Ultron“ einen schönen Abspann verpasst, in dem die Avengers so aussehen wie die legendären Figuren des Pergamon-Altars. Und dort geht es ja bekanntlich um den Kampf der Giganten gegen die Götter des Olymps.


Es gibt auch einen Bösewicht

Aber auch Götter und Giganten werden nicht immer vom Großen Ganzen geleitet, sondern mitunter von privaten Gefühlen und sentimentalen Anwandlungen. Da reicht es schon, dass der vom bedingungslosen Patrioten zum innerlich zerrissenen Skeptiker gewandelte Captain America seinem Jugendfreund „Bucky“ loyal verbunden bleibt, obwohl der nun wirklich kein Sympathieträger ist. Als es bei einer UNO-Konferenz in Wien zu einem Blutbad kommt, das dem ehemaligen HYDRA-Killer „Bucky“ angelastet wird, ist es eben jener Winter Soldier, der den „Cap“ darüber aufklärt, dass der Verantwortlich für den Anschlag der geheimnisvolle Baron Helmut Zemo (Daniel Brühl) ist. Zemo ist es auch gewesen, der den zum Killer programmierten Winter Soldier erneut reaktiviert hat. Nun will ihm Iron Man an den Kragen.
Zur Fraktion um Tony Stark gesellen sich War Machine, die eigentlich unschlüssige Black Widow, der Android Vision (Paul Bettany), Black Panther und Spider-Man. Captain America verteidigt seinen Freund mit Falcon (Anthony Mackie), Scarlet Witch, Hawkeye und Ant-Man (Paul Rudd). Und mittendrin ist „Bucky“ Barnes, der „Winter Soldier“.

Die große Keilerei der Superhelden findet auf dem Leipziger Flughafen statt. Überhaupt wurde einiges in Deutschland gedreht, was wohl an den Filmförderungsmittel lag, die der deutsche Steuerzahler den Marvel-Machern spendierte. Richtig viel ist es nicht gewesen, aber für einen deutschen Darsteller als neuen Mega-Schurken hat es gereicht und Daniel Brühl macht seine Sache auch auch recht gut. Seine Performance als Zemo ist deutlich nuancierter als die brachiale Hausmannskost, die Thomas Kretschmann als Baron von Strucker abliefern musste.

Während der Superhelden-Dreschflegelei in Leipzig geht wieder einmal einiges zu Bruch, aber der Clash der Titanen erhält durch die humoristischen Einlagen von Spider-Man und Ant-Man das notwendige Comic Relief. Ansonsten wäre diese Prügelei, bei der es naturgemäß keine Sieger geben kann, wohl eher langweilig.
Im Finale des Films geht es dann doch deutlich ernster und damit dramatischer zu. Nachdem der Winter Soldier entlastet werden konnte, spüren die versöhnten Captain America, Iron und Black Panther den wahren Schurken in einer unterirdischen HYDRA-Anlage in Sibirien auf. Baron Zemo ging es mit dem ganzen Hustle nur darum, den Tod seiner Eltern in Sukovia zu rächen und beiläufig erfährt Iron Man nun auch, wer 1991 seine Eltern umgebracht hat. Und schon ist es vorbei mit dem neuen alten Teamgeist der Avengers.

Ob Comics es mit den alten Klassikern aufnehmen? Na ja. Allerdings schätze ich den Enthusiasmus von Kevin Feige. Wer sich daran erinnert, wie öde und hirnlos Comic-Adaptionen vor drei Jahrzehnten auf die Landwand gebracht wurden, wird das epische MCU-Konstrukt schätzen. Marvel nimmt allerdings schon lange mehr Rücksicht auf jene Kinogänger, die sich in ihrem Universum nicht auskennen. Einen „Doktor in Marvel“ müssen sie mittlerweile haben. Dafür erhalten sie gut getimte Geschichten, die mal ins Kosmologische abwandern, dann wieder ins Banal-Irdische. Von der immer wieder vermuteten Infantilität der Comics taucht in den Marvel-Blockbustern weniger auf als man vermuten sollte. Marvel-Filme sind Pop- und Popcorn-Kultur mit wahrhaft olympischen Themen wie Freundschaft und Verrat, Selbstzweifel, Schuld und Sühne, Charakter, Schicksal und Heldentum. Und es gibt wie in der griechischen Tragödie kaum eine Chance, nicht schuldig zu werden. Denn Kriege, die aus guten Gründen geführt werden,
das hat auch Captain America erkannt, beginnen in der Regel mit dem Tod der Unschuldigen. Da die Menschen sich seit über 2500 Jahren beinahe ergebnislos mit diesen Fragen und Problemen herumschlagen, darf man auch von Marvel keine Antwort erwarten. Schlagfertig verhandelt wird es von unseren Superhelden dann doch. Das mit dem Häusereinschmeißen ist eine Zugabe. 


Noten: BigDoc = 2

Pressespiegel


Während der Film im englischen Sprachraum gefeiert wurde, schrieb die deutsche Presse wohlwollend, aber nicht unbedingt enthusiastisch. Der Kritiker Rüdiger Suchsland sieht die Macher dagegen in der geistigen Nähe der AFD:

„Allerdings wird die sehr deutliche, gar nicht verklausulierte Kritik, die die Comicvorlage an der US-Überwachungspolitik und Sicherheits-Hysterie übt, im Film eher abgeschwächt. Stattdessen spielt der Film mit populistischer Staatskritik à la AfD, in der die Politik per se korrupt und Rechtsstaatlichkeit nur eine Waffe der Schurken ist – und erweist sich so als Produkt des rechten Hollywood. (...) Alles in allem ein formal konfuser und surrealer, inhaltlich unsympathischer, überlanger Film, in der Milliardäre die Welt retten und Tony Stark weniger Iron-, als Trump-Man ist.“
Rüdiger Suchsland: ARTECHOCK
 

Das unabhängige Magazin „The Conversation“, das ein akademisches Publikum adressiert, betonte in einer lesenswerten Analyse dagegen den anti-autoritären Grundton des Plots, da das Narrativ auch in den vergangenen Filmen unverhohlen auf die jüngere amerikanische Geschichte reagiert hat:

„Despite good intentions, Cap’s movie history shows that any organisation can be corrupted – and, ultimately, individuals have to decide if their leaders are trustworthy. While other characters would ask: “Who watches the watchmen?” Cap asks: “Who watches our watchers?” Both previous Captain America movies (and the comics they’re drawn from, published in 2006-7) have echoed the real-world War on Terror and the increased state powers assumed since the PATRIOT Act. (...) To dismiss superheroes in blockbusters as superficial ignores the fact that these movies can be meaningful, both personally and politically. Civil War manages to fit all this together. Despite being about a team divided, the movie unites its many ideas.“

Quelle: The Conversation (ohne Autorenangabe)

Ergänzt werden kann dies mit dem Hinweis, dass in „Civil War“ keineswegs eine demokratische Kontrolle der Superheroes geplant ist, sondern sich die Macht in den Händen eines einzigen Mannes konzentrieren soll. Wer Eisenhowers Warnung vor dem ‚militärisch-industriellen Komplex’ kennt, kann die codierten Anspielungen der Filme besser verstehen.


Captain America: Civil War – Deutscher Verleihtitel: The First Avenger: Civil War – USA 2016 – Laufzeit: 147 Minuten – Executive Producer: Kevin Feige – Regie: Anthony & Joe Russo – Buch: Christopher Markus und Stephen McFeely – D.: Chris Evans, Robert Downey junior, Scarlett Johansson, Sebastian Stan, Jeremy Renner, Paul Bettany, Daniel Brühl u.a.