Montag, 13. Februar 2017

Jason Bourne

Neun Jahre sind vergangen, seit Matt Damon als arg malträtierter, aber unbesiegbarer Super-Agent Jason Bourne vor der Kamera stand. Nun hat es Paul Greengrass erneut versucht und das Treadstone-Fossil in die digitale Welt der Social Media und Big Data gestoßen. Bourne bekommt davon nichts mit oder es interessiert ihn nicht. Das Fossil hat ausgedient.

Jason Bourne muss es richtig schlecht bekommen sein, das letzte Jahrzehnt. Die Jahre im Untergrund hatten nur ein Ziel: zu überleben. Sein Geld verdient der ehemalige CIA-Elitekiller in schäbigen Boxkämpfen, die an schäbigen Orten im griechisch-albanischen Grenzgebiet ausgetragen werden. Wenn Bourne lustlos ist, haut er seine muskelbepackten Gegner gleich mit dem ersten Schlag um. Wenn er den geifernden Zuschauern etwas Show bieten will, lässt er sich vorher ein wenig verprügeln. Ein Leben ist das nicht, aber Paul Greengrass zeigt gleich am Anfang, dass auch die anderen keins haben. Zumindest die Griechen nicht. Die erste längere Action-Sequenz findet daher inmitten einer Straßenschlacht zwischen Griechen und der griechischer Polizei auf dem Syntagma-Platz in Athen statt. Es sind brutale Szenen, die die Kamera von Barry Ackroyd einfängt, und wie immer bei Greengrass sind es die Bildfetzen einer taumelnden Shaky Cam, die am Schnitttisch zu einem Bildgewitter zusammengesetzt werden, bei dem man die Dinge mehr erahnt als das man sie tatsächlich sieht.


Paul Greengrass hat neun Jahre später sein ästhetisches Konzept nicht über Bord geworfen, aber seine Wackelbilder sind längst nicht mehr das Maß aller Dinge. Sie wirken aus der Zeit gefallen. Genau wie der Held, der sich vor nunmehr 15 Jahren zum ersten Mal mit der CIA herumschlagen musste, die in Geheimprogrammen perfekte Supersoldaten züchten wollte. Das erinnert irgendwie an die Aliens und ihre menschlichen Kollaborateure in Akte X, nur dass dort das Blut grün war.
Bourne war einer der beinahe unbesiegbaren CIA-Killermaschinen, er verlor sein Gedächtnis und alle Geschichten, die sich nach „Die Bourne Identität“ (2002) ereigneten, waren auch eine Suche nach der eigenen Identität. Auch im fünften Film der Bourne-Filmserie geht es darum.

Alles beginnt damit, dass seine langjährige Kollegin und heimliche Freundin Nicky Parsons (Julia Stiles) sich in den Zentralserver der CIA hackt. Die geklauten Daten beweisen, dass – wen wundert’s – schon wieder geheime Programme gestartet wurden, in denen natürlich unsäglich Illegales auf den Weg gebracht werden soll. Die Daten will Nicky ihrem Freund geben, doch der beginnt sich erst dafür zu interessieren, als er in Berlin mithilfe eines Hackers herausfindet, dass sein Vater einst der für das Treadstone-Programm Verantwortliche gewesen ist. Hat Bournes Vater aus seinem Sohn das gemacht, was er ist? Fragen, die Bourne quälen, der zudem von grässlichen Flashbacks heimgesucht wird.


Die Formelhaftigkeit wird zum Selbstzweck

Natürlich entgeht dies der CIA nicht. Der finstere Strippenzieher ist diesmal Tommy Lee Jones, der den CIA-Direktor Robert Dewey gibt. Der knarzige Grantler hetzt etliche Einsatzteams auf Jason Bourne, setzt tatsächlich aber auf die Tötungskünste des Profikillers Asset (Vincent Cassel), der noch eine alte Rechnung mit dem Gejagten zu begleichen hat.
Das hört sich formelhaft an, ist es auch, wird aber spannend erzählt, nachdem der Film endlich Fahrt aufgenommen hat. Was in Paul Greengrass’ Film aber den Nerv tötet, ist nicht die Bourne-typische Staccato-Musik von John Powell und David Buckley, die schon in anderen Bourne-Filmen für redundanten Drive gesorgt haben, sondern der Impetus des Films, der unbedingt auf der Höhe des Zeitgeists agieren will.

Greengrass zeigt, dass die digitale CIA längst dem überwiegend analog agierenden Bourne einen Schritt voraus zu sein scheint. Dabei geht es nicht nur um die allumfassende Kameraüberwachung an allen Orten der Welt und die Gesichtserkennungs-Software, die bald auch wohl privaten Nutzern zur Verfügung stehen wird. Stichwort: FindFace. Es geht auch nicht darum, dass die CIA wie all die anderen Big Data-Kraken mit perfekten Algorithmen blitzschnell aus dem Datenwust die essentiellen Informationen heraussaugen und Edward Snowdens Enthüllungen wie die längst überholten Fakten eines Gutmenschen von gestern aussehen lassen.
Nein, es geht darum, dass wir uns längst daran gewöhnt haben, dass im US-Kino seit den ersten Paranoia-Movies der 1960er und 1970er Jahre die eigentlichen Schurken immer in Langley, Virginia, hocken. Oder bei der NSA oder dem FBI oder anderen Diensten, die keiner so richtig kennt. Vielleicht war dies einmal ein kritischer Ansatz, nun erzeugt dies nur noch narrativen Leerlauf, auch wenn Greengrass die Gesellschaft 4.0 aufs Korn nimmt.

„Erzählfolien“, darauf hat schon Habermas hingewiesen, bieten nämlich keinen faktisch-erklärenden Rahmen. Diesen fand er eher in der Psychoanalyse, wo biografisches Material vor dem Hintergrund eines durch den Analytiker vorgegebenen Deutungsrahmens wieder erfahrbar wird: Wer ist man, wie ist man das geworden und was will man sein? Das sind auch Jason Bournes Fragen.
Tatsächlich haben Erzählfolien
aber auch einen unangenehmen Nebeeffekt: sie sind eher formelhafte Einrahmungen des Erzählmaterials, das vorab gedeutet wurde und nun durch die zu häufige Wiederholung zur Floskel wird. Ihr Gegenspieler, zumindest in der Literaturtheorie, ist die spontane Erzählung, die das zur Floskel Erstarrte wieder geschmeidig und offen für neue Deutungspersepktiven macht. Eigentlich eine schöne Aufgabe für das Kino, solche Geschichten zu erzählen. Independent Movies gelingt dies mitunter, Blockbuster wie
„Jason Bourne“ erstarren dagegen in ihrer Formelhaftigkeit. Und deren Floskeln haben nun einmal die Eigenschaft, dass sie irgendwann niemand mehr hören will. Die Konsequenz ist einfach: das bis zum Überdruss Wiederholte besitzt zwar noch seinen wahren Kern, aber der verblasst zum Klischee, wenn stereotyp immer wieder das Gleiche erzählt wird. Die echten Fakten werden vom Kinomythos eingehüllt.

Daran leidet auch „Jason Bourne“. Die Schurken im Staatsdienst werden so grell überzeichnet, dass man sich nicht mehr dafür interessiert, was die realen Dienste in der Welt jenseits der Kinofiktion so alles treiben. Sie marschieren durch die entgleiste Welt des Paul Greengrass und töten so wahllos, dass das Thrillergenre, in dem Greengrass früher einmal in gewisser Weise Maßstäbe gesetzt hat, zu einer Pantomime des Horrors und zu einem Gruselkabinett des Schreckens wird. Allen voran Vincent Cassell, dessen „Asset“ bereits Menschen erschießt, nur weil sie einfach im Weg stehen und ihn bei der Hatz stören. Der letzte Bourne-Film – ein knallbunte Farce über das Genre und über unsere digitale Welt, die geradewegs auf Orwells „1984“ zumarschiert? Es scheint so.

 

Auch die Big Data-Kritik ist ein alter Schuh

Das gilt dann wohl auch für die Mission des Robert Dewey. Der will den totalen Zugriff auf alles. Kommunikation, Social Media, E-Mails, Telefonate – eben alles, was normale Menschen bereits freiwillig bei den Diensten abliefern, wenn sie ihr Smartphone anmachen. Und dazu hat er sich – welch charmanter Einfall – natürlich mit dem Social Media-Guru Aaron Kalloor (Riz Ahmed) zusammengetan, der in der Öffentlichkeit als CEO der Plattform „Deep Dream“ (ein herrlicher Euphemismus) als Gesicht des „ehrlichen Umgangs“ mit Daten gefeiert wird. Natürlich hat sich Kalloor schon vorher an die CIA verkauft – nun soll er „Iron Hand“ (das ist nun aber kein Euphemismus) auf den Weg bringen, ein Programm, dass die totale Massenüberwachung in Echtzeit ermöglicht. Kalloor entdeckt plötzlich aber die Moral und will nicht mehr. Klar, dass ihn Dewey in aller Öffentlichkeit liquidieren lassen will. Das in in etwas das Gleiche, als würde die CIA beschließen, Mark Zuckerberg während einer Pressekonferenz zu erschießen.

Ja natürlich, alle sind korrupt. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass alle auch Idioten sind. Zum Glück hat die Realität mittlerweile mehr zu bieten als das Kino. Auch in Sachen Idiotie oder Missbrauch der Persönlichkeitsrechte. Aber es scheint trotz der Whistleblower und der medialen Aufklärung auch keinen großartig zu interessieren, denn alle twittern wie besinnungslos, liefern via Facebook & Co. freiwillig ihre Daten ab, laufen mit Activity Trackern und Smartwatches herum oder schicken ihre Kühlschränke im
Internet of Things online. Es ist nicht anzunehmen, dass ein Blockbuster plötzlich einen selbstreflexiven Schub auslöst. Es gibt ja bereits Software, mit der private Nutzer eigenhändig ihre im Web verstreuten Informationen rekonstruieren können, um zu sehen, was andere über sie wissen. Insofern ist auch die Erzählfolie von „Jason Bourne“ obsolet. Einen kritischer Impetus besitzt sie nicht, auch wenn sich der Film pflichtschuldig aktuell gibt.

Jason Bourne interessiert das alles ohnehin nicht. Er ist immer noch auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Dass er einigermaßen ungeschoren davonkommt, verdankt er schließlich einer Intrige im inneren Zirkel der Agency. Ausgerechnet Heather Lee (Alicia Vikander), die ehrgeizige Leiterin der CIA Cyber Ops Division, will ihren Chef Robert Dewey aus dem Weg räumen. Das schafft sie auch, aber Bourne zurück in den Dienst am Vaterland zu holen, das klappt nicht. Bourne traut niemandem mehr und am Ende greift er sogar zu moderner Technik, um dies allen klar zu machen.

„Jason Bourne“ ist, und das haben sowohl Matt Damon als auch Paul Greengrass schon vor neuen Jahren erkannt, ist auserzählt. Auch stilistisch hat der Film daher nichts Neues zu bieten, auch wenn der Film mit einer spektakulären massenmörderischen Autoverfolgungsjagd endet, die aber eher in eine Comicverfilmung passen würde. Paul Greengrass’ Film erstickt an der Formelhaftigkeit seiner verwackelten Bilder, den Schnittsalven, die kaum noch erkennen lassen, was da überhaupt im Bild so alles passiert. Greengrass würde selbst bei dem Versuch, einen vor dem Haus abgestellten Mülleimer zu filmen, passende Bilder montieren, die verhindern, dass der Zuschauer den Mülleimer erkennt.

Die alles fragmentierende Bildästhetik des Paul Greengrass hat allerdings doch etwas zu sagen: sie spiegelt das Unwohlsein der Menschen wider, denen die Wirklichkeit über den Kopf wächst und die nicht einmal im Kino richtigen Trost finden. Komisch ist nur, dass sie sich nicht von dem Schrott trennen, der sie entmündigt. Nein, sie machen einfach weiter und wählen stattdessen einen Politiker, der alternative facts per Twitter verbreitet und handfeste Fakten als Fake News bezeichnet.
Nein, die Realität hat das Kino längst überholt. Und Jason Bourne kann uns nicht helfen. Er ist gegangen. Und das ist gut so.



Noten: BigDoc = 4

Jason Bourne - USA 2016 - Regie: Paul Greengrass - Drehbuch: Paul Greengrass, Christopher Rouse – Laufzeit: 123 Minuten - D.: Matt Damon, Julia Stiles, Alicia Vikander, Tommy Lee Jones, Vincent Cassel, Riz Ahmed, Gregg Henry, Albert Finney