Donnerstag, 20. April 2017

Homeland – Season 6

Homeland wurde bislang eine prophetische Qualität bei der Themenwahl bescheinigt. Diesmal jedoch hätten, glaubten einige Kritiker, die Serienmacher nicht vorhergesehen, dass ein Rechtspopulist wie Donald Trump neuer US-Präsident werden könne. In Season 6 geht es auch um einen neuen Präsidenten, doch der ist eine Frau und die ist ziemlich pazifistisch. Hat die Serie den Siebten Sinn für den Zeitgeist verloren? Eher nicht. Die Showtime-Serie ist noch näher am Puls der Zeit, als man auf den ersten Blick erkennen kann. Denn es kommt alles anders. Man muss nur das Ende kennen.
 

Näher an der Schaltzentrale der Macht war Carrie Mathison (Claire Danes) noch nie. Einige Monate nach den Ereignissen in Berlin ist die Ex-CIA-Agentin zurück in den Staaten, lebt mit ihrer kleinen Tochter in Brooklyn und arbeitet für eine Bürgerrechtsbewegung, die sich für Muslime einsetzt. Heimlich ist die Spezialistin für heikle Geheimdienstaktionen aber Beraterin der neu gewählten US-Präsidenten Elizabeth Keane (Elizabeth Marvel), die als President Elect auf ihre Amtseinführung wartet und sich inzwischen mit brisanten Briefings auseinandersetzen muss. Für den Strippenzieher Dar Adal (F. Murray Abraham) ist dieses kleine Zeitfenster die womöglich letzte Chance, die ehemalige New Yorker Senatorin nach seinen Vorstellungen zu manipulieren. Und die sind klar: Dar Adal – und mit ihm der israelische Mossad – wollen der zukünftigen mächtigsten Frau der Welt beweisen, dass sie die Iran-Politik der USA auf den Prüfstand stellen muss.

Es geht also um den JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action), das internationale Abkommen, mit dem die nuklearen Aktivitäten des Iran restriktiv geregelt werden. Dar Adal und seine Verbündeten versuchen Keane davon zu überzeugen, dass der Iran mithilfe Nordkoreas in Wahrheit heimlich an einer Atombombe bastelt.
Damit hat „Homeland“ wohl doch ins Schwarze getroffen, denn aktuell stellt auch Donald Trumps Administration den JCPOA auf den Prüfstand. Ähnlich wie Carrie ahnt man nichts Gutes, doch in der Showtime-Serie ist von Anfang an klar, dass die Beweise nichts wert sind. Offenbar soll die Präsidentin in spe zu einem präventiven Militärschlag gegen den Iran ermutigt werden, Nordkorea wird dann nebenbei verfrühstückt. Nicht einfach für die Intrigenspinner, denn Elizabeth Keane folgt eher einer zurückhaltenden Agenda, in der die USA künftig nicht mehr den allmächtigen Weltpolizisten spielen sollen.

Auch wenn Keane damit zum Gegenentwurf des realen US-Präsidenten wird, zeigt „Homeland“ in bewährter Weise die offenkundigen und auch die heimlichen Verstrickungen des US-Politik in ein unübersichtliches Interessengemenge, in dem der Besitz von Informationen und deren Manipulation genauso entscheidend ist wie die Kontrolle der Machtverhältnisse im Kongress. 

Ein Räderwerk, in dem Carrie Mathison recht schnell landen wird, als Dar Adal herausfindet, welche Rolle Carrie in der Entourage von Elizabeth Keane spielt. Der intrigante Black Ops-Stratege braucht nicht lange, um herauszufinden, welche Angriffsflächen Carrie bietet und wie er sie nutzen kann. Als Sekou Bah (J. Mallory McCree), ein islamischer Internet-Aktivist und Klient von Carrie, mitten in New York mit seinem Van in einer riesigen Explosion in die Luft fliegt, ist schnell ein Terrorakt zusammengestrickt, der Carries Image beschädigt. Dar Adals Netz zieht sich endgültig zusammen, als es ihm gelingt, die Jugendbehörde von N.Y, davon zu überzeugen, dass die bipolare Mutter keineswegs in der Lage ist, ihr Kind sicher und behütet zu erziehen. Carrie verliert ihr Kind und ist wieder einmal ganz unten angekommen.


„Homeland“ wird zum „Home of Paranoia“

„Die erste Revolution findet statt, wenn Du infrage stellst, wie Du die Dinge ansiehst und du feststellst, es könnte andere Sichtweisen geben, die dir nicht zur Verfügungen standen.“

 

Die Main Title Sequence enthält bereits das ganze Programm der neuen Staffel, kaum dass man einige Takte von „Home of the Brave“ gehört hat. Das ästhetische Konzept ähnelt der MTS der 5. Staffel, die Bilder sind neu. Während im Off die Stimme von Gil Scott-Heron, einem farbigen amerikanischen Künstler und Politaktivisten zu hören ist, skizzieren die neuen Opening Credits ein zerrissenes Amerika. Bilder von paramilitärischen Polizeikräften, Aufstände sind zu sehen, dazu Demonstrationen gegen die NYPD-Übergriffe nach 9/11. Die Stimmen der Journalisten Jeremy Scahill und Glenn Greenwald berichten im Off, wie FBI und CIA immer häufiger Moslem-Gemeinden ins Visier nehmen. Putin mit Sonnenbrille und seine russische Hacker attackieren die USA. Die heimlichen Kriege der USA gibt es immer noch, die neuen finden auf der Straße statt, die entscheidenden sind digital.

„Die Revolution läuft nicht im Fernsehen“, kündigt die Stimme des 2011 verstorbenen Dichters Scott-Heron an. „Du kannst nicht zu Hause bleiben, Bruder. Du kannst dich nicht einbringen und dann wieder aussteigen. Die Revolution setzt dich ans Steuer. Die Revolution läuft nicht im Fernsehen. Es gibt keine Wiederholungen, Brüder und Schwestern. Die Revolution wird live sein.“
Antagonistisch werden Scott-Herons 1970 verfasstes Gedicht
„The Revolution Will Not Be Televised“ und die Realitäten des aktuellen Amerikas von „Homeland“ gegeneinander in Stellung gebracht. Aber stimmt Scott-Herons Credo denn noch, in einem Amerika, in dem die neuen Kriege nicht nur zwischen der weißen Oberschicht und ethnischen Minderheiten, also dem omnipotenten Machtapparat und den Bürgerrechtlern, sondern auch mit und gegen die Medien ausgetragen werden?
„Homeland“ wird dieses Narrativ, angekündigt von einer der besten Main Title Sequences des jungen Jahres
(wieder einmal), in eigene Bilder fassen. Ein Themenbogen, der eine Prise Edward Snowden enthält und direkt zu einem geplanten Präsidentenmord führen wird, für den die Verschwörer bereits einen neuen Lee Harvey Oswald in der Hinterhand haben. Schön wird es nicht enden.

Aber ganz am Ende der
Opening Credits wird noch eine zweite Geschichte angekündigt. „You save me ... Why?“, hört man. Es ist die Stimme von Peter Quinn. Rupert Friend, jener fantastische Darsteller, der seit Beginn der Serie den von Dar Adal geführten Black Ops-Killer Peter Quinn gespielt hat, ist von den Toten auferstanden. Und er ist wieder auf Carries Seite, wie immer extrem professionell und gewaltbereit. Es ist jener Peter Quinn, der am Ende der 5. Staffel um sein Leben kämpft, nachdem islamistische Terroristen in Berlin an ihm die Wirkung von Sarin-Gas ausprobiert haben. Nun ist er zurück, ein körperliches Wrack, das kaum noch sprechen kann, sich aber mit allen Kräften auf Carries Seite stellt und auch der Erste ist, der ahnt, welches Ausmaß die Verschwörung hat, in die Carrie da hineingetappt ist.
„Du hast mich gerettet“, hört man ihn in den
Opening Credits. Und als Carrie antwortet: „Ja!“, fragt er nach dem Warum. 

„Homeland“ ist immer schon ein psychologisches Drama gewesen, in dem die mächtigen Kräfte an den kaputten und beschädigten Figuren, die die Serie bevölkern, auch in den kleinsten Winkeln ihrer privaten Existenz zerren.
Bereits in der letzten Staffel hatte Peter Quinn festgestellt, dass Carrie nie frei sein würde. Und er sollte Recht behalten. Auch Peter Quinn wird dies zu spüren bekommen, als er erfährt, dass Carrie in Berlin mehr oder weniger dafür verantwortlich war, dass er zwar überlebte, aber für den Rest seines Lebens irreversibel geschädigt bleiben wird. „Homeland“ wird dieser Figur eines treuen Freundes und heimlichen Liebenden einige große Momente schenken. Aber auch dieses Spiel von Schuld und Verantwortung, Loyalität und Vertrauensverlust wird nicht schön enden.

Der militärisch-industrielle Komplex führt einen erbarmungslosen Krieg

Am Ende landet „Homeland“ im totalen politischen Fiasko. Niemand kommt ungeschoren davon. Carries alter Mentor Saul Berenson (Mandy Patinkin) scheitert beim Versuch, die neue Präsidentin von den Intrigen ihrer Geheimdienste in der Iran-Nordkorea-Affäre zu überzeugen. Elizabeth Keane wird dies erst klar werden, als sie begreift, dass es im Kern darum geht, sie bereits vor der Amtseinführung aus dem Verkehr zu ziehen. Aber den loyalen Berenson wird dies nicht retten, als die große Säuberung beginnt.

„Homeland“ begibt sich dabei, auch das ist nicht neu, in spekulative Gefilde. „Don’t go to war with your own national security establishment! It’s a war you won’t win“, teilt Dar Adal seiner neuen Chefin am Anfang zynisch mit. Doch Dar Adal, und hier wird „Homeland“ zur bissigen Politsatire, hat sich völlig verrechnet. Der Meister der Intrige hat sich Kräfte ins Boot geholt, die ihrer eigenen Agenda folgen. Es sind die heimlichen Machthaber, die Vertreter des MIC (Military Industrial Complex), die zusammen mit dem TV-Host Brett O’Keefe (grandios fies: Jake Weber) an einem ganz anderen Home of the Brave basteln.
Während O’Keefe in seinen TV-Shows (Stephen Bannons „Breitbart“ lässt grüßen) infame Attacken gegen Elizabeth Keane und deren im Irak gefallenen Sohn führt, arbeitet er im Stillen bereits an der totalen Überwachung und Manipulation der Bevölkerung. In unterirdischen Silos arbeiten Hunderte genau gebriefter Internet-Trolle daran, die Foren zu besetzen und die öffentliche Meinungsbildung zu beeinflussen.
Das Heraufdämmern eines digitalen Faschismus gehört dann auch zu den stärksten Momenten in „Homeland“: radikale Massenbewegungen müssen gar nicht existieren, um eine Nation in Aufruhr zu versetzen. Man muss sie nur geschickt simulieren. Am Ende, als dann tatsächlich brutal geputscht wird und die Präsidentin ermordet werden soll, begreift auch Dar Adal, dass er zum alten Eisen gehört. Der Meister der Intrige ist selbst hinters Licht geführt worden, er hat es mit Mächten zu tun, die er nicht mehr kontrollieren kann. Seine letzten Tage dürfte er nun in Guantanamo verbringen.
 

So gesehen hat „Homeland“ keineswegs den Willen zur Vision eingebüßt. Aber eigentlich ist es keine Vision, sondern eine finstere Prophezeiung, die uns die Serie erzählt. Interessant ist dabei, dass „Homeland“ scheinbar an die Paranoia Thriller der 1960er und 1970er Jahre anknüpft, dann aber in Sachen Action wie 24aussieht und im Finale Elemente der Deep State“-Theorie gegen den Strich bürstet. An den Deep Stateglauben eher die Neo-Konservativen und die wirren Protagonisten der antisemitischen und rassistischen „All right“-Bewegung. Für diese Kräfte sind es eher die Vertreter einer zionistischen Konspiration, die Amerika unterwandern. Es ist als galliger Kommentar zu werten, dass in „Homeland“ dann ausgerechnet die Vertreter des rechten und des militärischen Establishments den Umsturz planen, den sie der neugewählten liebralen Präsidentin zuvor unterstellt haben. In der postfaktischen Zeit schafft sich die Wirkung halt selbst die erforderliche Ursache. Das sieht in „Homeland“ manchmal reißerisch und grell aus, aber man hat sich schließlich auch daran gewöhnen müssen, dass die Wirklichkeit mittlerweile mühelos und im Wochentakt auch die schrillsten Fiktionen in den Schatten stellen kann.

„Homeland“ kommt in seiner letzten Episode mit dem ironischen Titel „America First“ beinahe folgerichtig in der völligen Finsternis an. Es hat Tote gegeben, Carrie Mathison wird schwer zu ertragende Verluste hinnehmen müssen und aus den Höhen der Macht abstürzen. Auch politisch werden die USA zum Finsterland. Auch wenn die Verschwörer die Zeche bezahlen müssen, ist ihr Impact auf die neue politische Führung verheerend. Die USA verwandeln sich in einen repressiven Staat, der nur noch Feinde, aber keine Freunde kennt. 
Und aus der liberalen Mrs. President Elect ist eine eiserne Lady geworden, die keine Gnade mehr kennt.
„Homeland“ hat für dieses düstere Narrativ zwölf Episoden lang einen grandiosen Spannungsbogen gesponnen, der atemberaubend ist. Die Showrunner Howard Gordon und Alex Gansa ziehen nach bedächtigem Start immer stärker an den nervlichen Strippen der Zuschauer, immer clever wechselnd zwischen den privaten und menschlichen Dramen und den Dimensionen einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderung, bei der es am Ende keine Gewinner gibt. Wie man die Geschichte weitererzählen wird, dürfte spannend werden.
Und Gil Scott-Herons „The Revolution Will Not Be Televised“? Das war wohl doch ein Irrtum. Die Revolution wird im Fernsehen zu sehen sein und im Internet stattfinden. Doch wir werden, so behauptet
„Homeland“, gar nicht merken, dass sie begonnen hat.

Noten: BigDoc = 1

Homeland – USA 2016 – Network: Showtime - 12 Episoden (Erstausstrahlung: Januar – April 2017; Video-On-Demand Deutschland: Amazon (Omu) – Showrunner: Howard Gordon & Alex Gansa – D.: Claire Danes, Rupert Friend, Elizabeth Marvel, F. Murray Abraham, Mandy Patinkin, Jake Webber, Nina Hoss, Maury Sterling, Robert Knepper, Sebastian Koch (Gastrolle)