Dienstag, 2. Mai 2017

Train to Busan

Dass ein Zombiefilm seine Premiere auf den Internationalen Filmfestspielen von Cannes feiert, ist ungewöhnlich. „Train to Busan“ schaffte nicht nur das, sondern wurde auch 2016 als der erfolgreichste südkoreanische Film des Jahres gefeiert. Weit über 11 Mio. Zuschauer wollten die koreanische Version einer Zombie-Apocalypse sehen. Nicht zu Unrecht, denn Regisseur Yeon Sang-ho spielt mit seinem ersten Realfilm Hollywood-Blockbuster wie „World War Z“ glatt an die Wand. 

Natürlich erinnert „Train to Busan“ an den koreanischen Hit „Snowpiercer“. Dafür sorgen die Settings. Wie in „Snowpiercer“ entwickelt sich die Geschichte von „Train to Busan“ ebenfalls in einem Zug, dem Hochgeschwindigkeitszug KTX, der von Seoul nach Busan fahren soll. Allerdings scheint bereits vor der Abfahrt in Seoul einiges nicht mehr zu stimmen. Als sich der Zug endlich in Bewegung setzt, sieht das kleine Mädchen Su-an von ihrem Fensterplatz aus (Kim Su-an mit berührender Performance), wie auf dem Bahnsteig ein Mitarbeiter der Seoul Station von einem Tollwütigen angegriffen wird. Und von keinem bemerkt, schleppt sich ein schwerverletztes junges Mädchen in den Zug. Als sie kurz danach stirbt und sofort danach eine Zugbegleiterin anfällt, bricht im Zug die Hölle los.


Reif für den internationalen Filmmarkt

„Train to Busan“ spielte weltweit fast 90 Mio. US-Dollar ein, schaffte es in Deutschland aber nur in wenige Kinos und wird nun in der Direct-to-DVD-Schiene vermarktet. Das liegt wohl kaum am Zombiegenre, das im Kino nur in Ausnahmefällen die Schmuddelecke der B- und C-Movies verlässt, sich ansonsten aber als florierendes Geschäft erweist. 147 einschlägige Exemplare wurden weltweit in den Jahren 2002-2009 produziert, ab 2010 bis heute kamen weitere 150 Filme über Untote hinzu. Die USA und Großbritannien dominieren in dieser Genrenische, südkoreanische Filme – und erst recht asiatische Zombiefilme – lassen sich nicht so einfach vermarkten. Am ehesten gelang dies noch der südkoreanischen Regie-Ikone Bong Joon-ho mit dem Endzeitthriller „Snowpiercer“ (2013). Der mit einem Produktionsbudget von 40 Millionen Dollar teuerste südkoreanischen Film mit Tilda Swinton als Supporting Actor und Zugpferd wurde in 167 Länder verkauft.

So verwundert es nicht, dass sich Yeon Sang-ho mit „Train to Busan“ an den Ansprüchen des internationalen Filmmarktes orientiert hat. Der Film bietet zwei Stunden lang Non-Stop-Action, ist höllisch gut fotografiert, auch die Montage steigert die Spannung bis zur Belastungsgrenze. Der Hochgeschwindigkeitszug verwandelt sich nicht nur wegen seiner klaustrophischen Enge in ein apokalyptisches Schlachtfeld, das Narrativ zeigt mit einigen witzigen Ideen, dass er mehr zu bieten hat als die konventionellen Erzählfloskeln und Splattereffekte des Genres.
So stürzen Zombies, die sich wie Trauben an Flugzeugen festgeklammert haben, aus großer Höhe ab, um nach dem Aufprall sofort loszurennen. Und wenn am Ende die wenigen Überlebenden mit einer Lok zu fliehen versuchen, hängt sich eine riesige Traube ineinander verkeilter Untoter an den Zug, wird immer länger und länger und damit auch zu einem bizarren Tableau, das gut in einen Comic passen würde. Auch die Actionszenen im Inneren des Zuges sind raffiniert gefilmt. Lee Hyung-deoks Kamera gleitet an den Kämpfenden vorbei, fliegt über sie hinweg und entwickelt eine visuelle Dynamik, die atemberaubend ist.
Train to Busan“ muss den Vergleich mit US-Blockbustern also nicht scheuen.
 
Natürlich hat auch „Train to Busan“ den Kernplot vieler Zombiefilme im Fokus: Das Überleben einer Notgemeinschaft inmitten einer apokalyptischen Situation, die eine Gesellschaft nicht nur technisch und logistisch kollabieren lässt, sondern eben auch moralisch. Damit ist der klassische Zombiefilm offen für Allegorien und Parabeln. Auch Yeon Sang-hos Version ist da nicht anders und so steht auch sein Film durchaus in der Tradition von George A. Romeros Klassiker „The Night of the Living Dead“ und weniger in der von „The Walking Dead“. Dass die erfolgreiche US-TV-Serie thematisch breiter aufgestellt ist, ist in einer seriellen Erzählung keine Überraschung. „Train to Busan“ geht seine Themen dafür direkter an, wirkt dabei gelegentlich etwas holzschnittartig, allerdings ohne sich dabei in Sujetklischees zu verlieren.


Konfuzius im Zombiefilm

Dass die Beziehung der Figuren in Yeon Sang-hos Film grob konturiert erscheint, liegt weniger an erzählerischen Unzulänglichkeiten, sondern an der koreanischen Kultur. Die traditionelle Definition der Familienwerte orientiert sich in Südkorea immer noch an Konfuzius, die Sozialbeziehungen besitzen eine strenge vertikale Hierarchieorientierung, in der Autorität und Anpassung genauso wichtig sind wie die immer etwas steif und formelhaft wirkende Höflichkeit. Dass sich emotionale Vertrauensbeziehungen unter diesen Bedingungen schwer herstellen lassen, aber durchaus erwünscht sind, führt dann dazu, dass viele Dialoge (erst recht nach der Synchronisation) nicht nur in koreanischen Filmen mal naiv, dann wieder zu pathetisch wirken.

Aber um die Prägungen durch die konfuzianischen Kultur und ihre Gefährdung in einer post-modernen Gesellschaft geht es in „Train to Busan“. Menschlichkeit, Sittlichkeit als streng formalisiertes Verhalten, Loyalität und Gemeinschaftssinn werden auf den Prüfstand gestellt. Für einen westlichen Zuschauer ist das nicht einfach zu durchschauen, auch wenn westliche Zombiefilme der besseren Art ähnliche Fragen stellen. 

Der Pre-Plot von
„Train to Busan“ zeigt dies deutlich. Das kleine Mädchen Su-an lebt bei ihrem Vater Seok-woo (Gong Yoo), einem erfolgreichen Fondsmanager, der sich von seiner Frau getrennt hat. Der Prolog des Films zeigt übergroß, dass der Vater seine Tochter vernachlässigt. Seok-woo legt ein auffällig egoistisches Verhalten an den Tag, während sich seine Tochter mitten in der Zombieapokalypse intuitiv sehr altruistisch verhält. So spielt der Film geschickt mit den Traditionen der koreanischen Kultur und deren Auflösungserscheinungen in einem technologisch orientierten Korea, das sich ökonomisch zwar auf der Überholspur befindet, menschlich dabei aber schwere Verluste einfährt.
 

In „Train to Busan“ bildet sich schnell ein sozialer Mikrokosmos, der überdeutlich konfuzianische Themen wie Familie, Verantwortung für die Gemeinschaft, Loyalität und Opferbereitschaft durchdekliniert. Allerdings unter erschwerten Bedingungen. Neben Seok-woo und seiner kleinen Tochter werden innerhalb weniger Minuten die Fahrgäste von einer Horde Zombies überrannt, die sich in einem wahren Höllentempo reproduzieren. Die Verwandlung nach einem Biss dauert wenige Sekunden, die Untoten bewegen sich so schnell wie in „28 Days Later“ (GB 2002, Danny Boyle), „28 Weeks Later“ (GB 2007, Juan Carlos Fresnadillo) oder Zack Snyders Remake von „Dawn of the Dead“ (USA 2004) und treiben die Fahrgäste vor sich her. 
Inmitten der Massenpanik erweist sich der sarkastische Bud Spencer-Typ Sang-hwa (Ma Dong-seok war vor seiner Schauspielerkarriere Trainer einige bekannter Mixed-Martials-Arts-Kämpfer) als physisch extrem effiziente Kampfmaschine, der nicht nur seine schwangere Frau Sung-kyung (Jeong Yu-mi) verteidigt, sondern sich auch für die Notgemeinschaft einsetzt. Mit von der Partie ist auch eine Gruppe jugendlicher Baseballspieler, ein Obdachloser, aber auch der CEO Yong-suk (Kim Ui-seong), der sich als verschlagener Feigling und Egoist entpuppt und dank seiner gesellschaftlichen Stellung das Zugpersonal und eine Handvoll Fahrgäste erfolgreich manipulieren kann. Als sich die Gruppe um Sang-hwa und Seok-woo in Yong-suks Abteil in Sicherheit bringen will, sperrt dieser aus Angst vor Infizierung die Tür ab und erweist sich auch später als kompletter Gegenentwurf zu den konfuzianischen Tugenden, während der zunächst egoistische Vater Seok-woo eine kulturelle Rückbesinnung im Schnelldurchgang erlebt.

Zombifizierung durch kalten Egoismus

Damit knüpft der als Animationsfilmer bekannt gewordene Yeon Sang-ho auch an das Prequel des Films an, nämlich an „Seoul Station“ (2016). In diesem Animationsfilm wird die Vorgeschichte von „Train to Busan“ erzählt, aber eher aus dem Blickwinkel eines kritischen Sozialdramas, das vorführt, wie sich die koreanische Gesellschaft kalt und egoistisch von den sozial Hilfsbedürftigen und den obdachlosen Außenseitern abwendet und in der von untoten Monstern heimgesuchten Stadt ihr wahres, unmenschliches Gesicht zeigt.
„Seoul Station“ ist auch wegen der Schärfe seiner sozialen Thematik deutlich härter und dunkler ausgefallen als „Train to Busan“ und steht damit in der thematischen Tradition von Yeon Sang-ho mehrfach ausgezeichnetem Film „The King of Pigs“ (2011), der von den moralischen Abgründen der koreanischen Klassengesellschaft erzählt.
Damit nähert sich Yeon Sang-ho Regisseuren wie Bon Joon-ho an, der nicht nur mit seinen Filmen „Memories of Murder“ (2003) und „Mother“ (2010) zeigte, dass der zunehmende Wohlstand Koreas mit dem Zerbrechen traditioneller Familienstrukturen korreliert, während gleichzeitig Egoismus und Konsumgier Überhand gewinnen und besonders die Vertreter der Oberschicht in einer hierarchieorientierten Gesellschaft die konfuzianischen Tugenden mit den Füßen treten.
„Snowpiercer“ wurde dann fast folgerichtig von der Kritik als anti-kapitalitische Systemkritik gefeiert.
 
Yeon Sang-ho geht zwar nicht so weit, zeichnet aber das Allegorische und Sozialkritische seiner Geschichte in kräftigen Konturen. Seok-woo, der seine Vaterrolle nur unzulänglich ausfüllt, ist ausgerechnet jener Manager, der den Fond des Biotech-Unternehmens betreut, das für den Ausbruch der Seuche verantwortlich ist. Sang-hwa bezeichnet ihn sarkastisch als Experten für die Entsorgung nutzlos gewordener Menschen.
Die eigentliche Zombifizierung ist das Ergebnis eines hemmungslosen Egoismus. Während Seok-woo zunächst noch seiner Tochter einimpft, dass man in Zeiten wie diesen nur an sich selbst denken müsse, verwandelt er sich – natürlich vorhersehbar – dann doch in einen selbstlosen Menschen, der sich nicht nur für seine Tochter, sondern auch für das Überleben der Gemeinschaft opfert. Dieser Erzählduktus mag pathetisch erscheinen, erschließt sich aber aus dem geschilderten kulturellen Kontext.

Aber überleben, das tun nur die wenigsten. Und die, die es tun, rettet am Ende ein in furchtbarer Angst gesungenes Kinderlied. Auf Artechok.de wurde die Schlussszene als „traurig mutlos“, wenn nicht gar als Unverschämtheit gedeutet. Natürlich zitiert „Train to Busan“ am Ende sein Vorbild „Night of the Living Dead“, bürstet es tatsächlich gegen den Strich, aber dies ist nicht die vermutete Versöhnungsgeste, sondern das sarkastische Ende eines bitter-schwarzen Films, in dem es am Ende auch deshalb nur wenig Hoffnung gibt, weil die Gesellschaft an einem anderen Virus leidet als jenem, der Menschen in Untote verwandelt.

Note: BigDoc = 2

 
Train to Busan (Busanhaeng) – Südkorea 2016 – Regie: Yeon Sang-ho – Buch: Park Yoo-suk – Kamera: Lee Hyung-deok – Schnitt: Yang Jin-mo – Laufzeit: 118 Minuten – FSK: ab 16 Jahren – Darsteller: Gong Yoo, Ma Dong-seok, Kim Su-an, Kim Ui-seong u.a.