Sonntag, 17. Februar 2019

Black Earth Rising - komplexer Politthriller bei Netflix

Der aktuell von Netflix gestreamte Politthriller „Black Earth Rising“ gehört mit zum Besten, was derzeit zu sehen ist. Auch zum Schwierigsten. Man kann sich leicht im Plot verirren, man sollte sich sogar über den Völkermord in Ruanda und die aktuelle Geschichte des Landes einiges anlesen, bevor man sich dem Binge Watching hingibt.
 
„Die Koproduktion von BBC Two und Netflix mutet dem Publikum vieles zu. Sie balanciert immer wieder auf der Grenze zur Überforderung, überschreitet diese hier und da und sammelt die Zuschauer erst spät mit Erklärungen wieder ein“, schrieb Benedict Frank in der „Süddeutschen“. Das trifft den Kern, nur bringen diese Erklärungen dann am Ende auch die gewünschte Klarheit. Sehenswert.



You want it darker. We kill the flame

Dass „Black Earth Rising“ anders ist als andere Serien sieht man, wenn sich der immer noch beleibte, aber nicht mehr monströs adipöse John Goodman in einen See stürzt, um einer Frau das Leben zu retten, mit dem sie gerade abgeschlossen hatte. John Goodman spielt Michael Ennis, einen internationalen Strafanwalt, der Völkermörder und Kriegsverbrecher vor den Schranken des Internationalen Gerichtshofes anklagt. Die Frau, der er das Leben rettet, ist Kate Ashby, die von Michaela Coel („Monsters: Dark Continent“, 2014) mit einer derart emotionalen Wucht gespielt wird, dass einem beim Zusehen Hören und Sehen vergeht.
Diese Kate Ashby hat gerade erfahren, wer sie wirklich ist. Es hat ihrer Identität förmlich zerfetzt, es geht um mehr als ihre ethnische Zugehörigkeit, es geht darum, dass ihr Leben, das sie ganz der Verfolgung der für den Genozid an den Tutsi Verantwortlichen verschrieben hat, nun in Scherben vor ihr liegt. Und schlimmer noch: sie wurde von den Menschen, die sie vor den Macheten und Knüppeln der Hutu gerettet haben, systematisch belogen und für eine politische Agenda instrumentalisiert.

Es ist diese Szene, die grandios die von BBC Two und Netflix produzierte Serie rettet. Nicht, dass sie zuvor schlecht gewesen wäre. Im Gegenteil. Vielmehr war achtteilige Serie zuvor so komplex, dass man streckenweise vor dem Anspruch kapitulierte, all dem folgen zu können, was sie transportierte und einforderte: Kenntnisse der Kolonialgeschichte Rundas, Kenntnisse über den 1994 von Hutus an den Tutsis verübten Genozid, Kenntnisse darüber, welche Rolle die Ruandische Patriotische Front (RPF) damals und heute gespielt hat. Überhaupt Kenntnisse. Am besten über ganz Afrika, über die Kongokriege, die Ausbeutung von Bodenschätzen und die Rolle der ehemaligen Kolonialmächte und der Konzerne, die bis heute wie Heuschrecken über die afrikanischen Nationen herfallen.
Alles zu viel, alles zu anstrengend. Und doch fügt sich alles am Ende so klar und verständlich zusammen, dass einem schaudert. 
Man hätte es wissen können, man musste nur Leonard Cohens tiefschwarzer Kritik an einem grausamen und zynischen Gott lauschen. „If you are the dealer, I'm out of the game. If you are the healer, it means I'm broken and lame. If thine is the glory then mine must be the shame“, singt Cohen in der Main Title Sequence und lamentiert schließlich: „You want it darker. We kill the flame.“



Unschuldig ist keiner, lügen tun sie alle

Produziert wurde die Serie von Greg Brenman („Billy Elliot“, Produzent, 2000) und Hugo Blick („The Honourable Woman“, Regisseur, Autor, 2014), dem Experten für verschachtelte Plots. Alles beginnt damit, dass Ennis‘ Mitarbeiterin Eve Ashby (Harriet Walter) den ruandischen General Simon Nyamoya vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag anklagen will. Nyamoya ist mittlerweile ein Warlord, der seiner eigenen Agenda folgt. Für Kate ist er ein Held, denn Nyamoya beendete mit seinen RPF-Truppen den Genozid, bei dem eine Million Tutsi von ihren Hutu-Nachbarn viehisch abgeschlachtet wurden. Eve Ashby hielt sich damals in Ruanda auf und rettete der kleinen Kate nicht nur das Leben, sondern adoptierte sie. Kate, die mittlerweile für Ennis und ihre Mutter arbeitet, ist zu einer schwer traumatisierten Frau herangewachsen, die alles dafür tut, die für den Genozid verantwortlichen Hutu zur Rechenschaft zu ziehen – und Simon Nyamoya ist ihr Held.
Doch alles kommt anders: bei einem erfolgreichen Mordanschlag auf Nyamoya wird auch Eve Ashby liquidiert. Michael Ennis und Kate Ashby setzen den Kampf alleine fort und konzentrieren sich nun auf Patrice Ganimana (Tyrone Huggins), einen führenden Hutu, der entscheidend an der Planung und Durchführung des Genozids beteiligt war.



Komplexer Verschwörungsplot

Es ist eine komplizierte Geschichte, die in „Black Earth Rising“ ausgebreitet wird. Sie erzählt von der Taten- und Hilflosigkeit der westlichen Nationen und der UN, die dem Morden nichts entgegenzusetzen hatten. Sie erzählt von der ambivalenten Rolle Frankreichs, aber nicht davon, dass es die ehemalige Kolonialmacht Belgien war, die willkürlich die Bevölkerung ihres Mandatsgebietes in die ethnischen Gruppen der Tutsi, Hutu und Twa aufteilte und einem rassistischen Modell folgend den hellhäutigen Tutsi eine politische Vormachtstellung gegenüber den negroiden Hutu einräumte. Nach einem Kurswechsel in den 1950er Jahren war Belgien daran beteiligt war, den Hutu mehr Macht in Ruanda zu überlassen. Bis heute ist die Aufarbeitung der nachfolgenden Geschehnisse auch für Historiker eine Herausforderung.

Einer realistischen Darstellung des Genozids verweigert sich die Serie. Die Rückblenden in die 1990er Jahre werden mit anderen ästhetischen Mitteln gestaltet, nämlich mit Animationen, die wie Comics aussehen. Dieser Point of View entzieht sich zwar nicht der Debatte darüber, ob man das Unbeschreibliche zeigen darf oder nicht – wir kennen dies in Deutschland als immer wiederkehrenden Diskurs über die Darstellung des Holocausts im Kino und TV – aber er findet einen Weg, das Unbegreifliche symbolisch auszudrücken und dabei dem Dilemma zu entgehen, das eine authentische Darstellung auslösen würde: naturalistisch und authentisch zu sein, ohne etwas zu bewirken - außer dem Entsetzen. Terry Jones, der Regisseur von „Hotel Ruanda“ hat dies gewusst: „Wie kann ich das Unmögliche auf die Leinwand bringen und zeigen, wie Menschen andere Menschen mit Macheten zerhacken?“

„Black Earth Rising“ hat sich dieser Frage auf andere Weise gestellt: die Serie zeigt die Folgen des Genozids für die Überlebende, aber auch für die Täter, zeichnet ihre Traumata nach und verknüpft alles geschickt mit einem komplexen Verschwörungsplot. Die Figuren spiegeln also die historischen Dissonanzen wider und machen sie so auch für die Zuschauer emotional greifbar.


Geschichte ist komplex - meist anders als erwartet

So wird schnell klar, dass die Geschichte zynisch über ihre Vergangenheit hinwegrollt und bereits neue Grausamkeiten vorbereitet. Und forderte die Serie bereits zuvor eine Menge Vorwissen ein, so sind die Intrigen und Lügen der Akteure in der Gegenwart ein Synonym dafür, dass Ruanda nicht nur tief in die Aufarbeitung der Ereignisse verstrickt ist, sondern auch in neue Begehrlichkeiten. Die der alten Kolonialmächte, aber auch jene der Konzerne, die an der Exploration der Bodenschätze interessiert sind und auf keinen Fall an einem neuerlichen Aufflammen des alten Hasses interessiert sind. Auch die neue politische Elite in Ruanda will keinen Blick in die Vergangenheit, sondern eine geeinte marktkompatible Nation, die Vergangenes erfolgreich verdrängt. Gerade deutsche Zuschauer sollten da genau hinschauen.

Und so ist es Bibi Mundzani (Abena Ayivor), die ruandische Präsidentin, und ihr Berater David Runihura (Lucian Msamati), die zwischen die Fronten geraten und jeweils unterschiedliche Schlüsse ziehen. Aber es ist noch komplizierter. Denn Bibi Mundzani ist die Adoptivschwester von Alice Munezero (Noma Dumezweni), einer ehemaligen Generalin der ruandischen RPF – und die setzt alles daran, dass es keine Zukunft ohne Rückbesinnung auf die Vergangenheit geben kann.
Das ist clever erzählt, aber man muss auch wissen, dass die fiktive Figur der Bibi Mundzani nicht nur die wichtige politische Rolle der Frauen in der Gesellschaft Ruandas widerspiegelt, sondern auch recht eindeutig Züge des ruandischen Staatspräsidenten Paul Kagame
trägt. Und der hat Ruanda in eine ökonomisch relativ erfolgreiche Autokratie verwandelt, in der rigoros alles Trennende unter Strafe steht: von Tutsi, Hutu und Twa darf nicht mehr gesprochen werden, alle Ruander haben sich Banyarwanda zu nennen.
Mittendrin im Geflecht aus Lügen und Intrigen, blutigen Morden und Vertuschungen sind auch Michael Ennis und die ermordete Eve Ashby keine Gralshüter der Moral, sondern Vertreter einer Gerechtigkeit, die wenig Skrupel haben darf, wenn sie ihre Ziele erreichen will.
In dieser wirklich nicht leicht anzuschauenden und sehr fordernden Serie ist es Kate Ashby, die zum zweiten Mal zu einem Opfer wird, als sie erfährt, dass sie von Michael und Eve jahrelang belogen wurde: Kate war eben keine Tutsi, sondern eine Hutu. Aber eine überlebende Tutsi war halt politisch korrekter und passte Michael und Eve politisch besser in den Kram.
An dieser genialen Volte wird letztendlich sichtbar und erlebbar, was die Auslöschung einer Identität bedeuten kann, gerade wenn man mit unerbittlicher Kompromisslosigkeit sein Leben unter das Diktat der Wahrheit gestellt hat. Da überrascht es am Ende kaum noch, dass Kate in Ruanda herausfindet, dass auch die RPF, also die Tutsi, für Massaker an den Hutu verantwortlich war.

Geschichte ist komplex, das lehrt „Black Earth Rising“. Aber sie erzählt auch davon, dass einen die Vergangenheit anders einholen kann, als man es erwartet und geplant hat. Am Ende werden die komplexen Erzählebenen dieser bemerkenswerten Serie allerdings folgerichtig zusammengeführt und man beginnt nicht nur die Ursachen und Zusammenhänge der Ereignisse zu verstehen, sondern auch, was die Serienmacher im Sinn hatten: das Schwierige ist nicht einfach zu erzählen, aber man hat eine Chance etwas zu verstehen, wenn man bereit ist, das Widersprüchliche auszuhalten. 


Man kann „Black Earth Rising“ im Sinne von Leonard Chohens „You want it darker. We kill the flame“ zivilisationsskeptisch interpretieren und darüber sinnieren, ob die Menschen ihrem grausamen Gott, der all dies zulässt, zur Seite stehen und das Licht der Menschlichkeit auch noch freiwillig auslöschen. Oder man freut sich über eine intelligente Serie, die nicht auf alles eine Antwort gibt, sondern leise andeutet, dass man erst einmal die richtigen Fragen stellen muss, bevor man eine Antwort erhält: „A million candles burning for the help that never came. You want it darker.“


Note: BigDoc = 1,5


Black Earth Rising – BBC Two, Netflix 2018 – Executive Producer: Greg Brenman, Hugo Blick – 8 Episoden (60 Minuten) – D.: Michaela Coel, John Goddman, Noma Dumezweni, Harriet Walter, Abena Ayivor, Lucian Msamati u.a.