Dienstag, 19. März 2019

A Star Is Born

Ein gefeierter Country-Rockstar entdeckt ein schüchternes Mädchen, das phantastisch singen kann. Er holt die Widerstrebende bei einem Gig auf die Bühne. Sie singt sich die Seele aus dem Leib. Ein entscheidendes Momentum: A star is born. Das Mädchen wird zum Pop-Star, der Rockstar versinkt in Drogen und Alkohol, ruiniert seine Karriere und bringt sich um. 

Plotbeschreibung oder Spoiler? Weder noch. Eher schon eine Symptombeschreibung, denn die Krankheit, an der Bradley Coopers Melodram „A Star Is Born“ leidet, heißt Recycling. Was in der Müllverwertung eine tolle Sache ist, das führt im Filmbusiness leider nur zu oft zu einem riesigen Haufen neuen Schrotts.



Trotz großer Nase ein Star

Immerhin ist es Schrott, der sich gut verkauft hat. Das Musiker-Melodram, in dem Regisseur Bradley Cooper („The Hangover“, 2009) an der Seite von Lady Gaga auch die männliche Hauptrolle übernommen hat, lief an der Kasse wie geschnitten Brot und wurde achtmal bei den Academy Awards und fünfmal bei den Golden Globe Awards nominiert. In beiden Wettbewerben reichte es dann aber nur für eine Auszeichnung, und zwar für den „Best Original Song.“
Den erhielt der von Cooper und Gaga gesungene Song „Shallow“, und der überstrahlt nicht nur musikalisch, sondern auch beinahe metaphysisch, zumindest aber reflexiv den ganzen Film. Denn übersetzt heißt Shallow nichts anderes als Untiefe, und adjektivisch ist das Wort aufschlussreich konnotiert: flach, hohl oberflächlich, seicht ist gemeint.
Nur ist per se gegen ein Melodram nichts einzuwenden. Der wunderbare Douglas Sirk hat vor etlichen Jahrzehnten gezeigt, was in diesem Genre steckt. Und ja, Melodramen sind formelhaft und erzählen Geschichten in unterschiedlichen Varianten. „A Star Is Born“ bringt das sogar schelmisch auf den Punkt, wenn kurz vor dem Ende die Oktave als musikalisches Mittel des Gleichklangs beschrieben wird, mit deren Hilfe in der Musik die immer gleichen Geschichten erzählt werden können. Die Oktave steht dabei für Konsonanz, ihr Feind ist die Dissonanz.
Leider gibt es in „A Star Is Born“ dann doch einige Dissonanzen. Spüren wir dem nach. Bradley Cooper spielt den ungemein erfolgreichen Country-Rockstar Jackson Maine, der auf dem Höhepunkt seiner Karriere ist und als Star gefeiert wird. Allerdings ziehen dunkle Wolken auf, denn der Sänger ist nicht nur massiv alkoholabhängig, sondern auch drogensüchtig. Dies liegt nicht nur in seiner lausigen Jugend und einem dem Suff verfallenen Vater, sondern auch an einem massiven Tinnitus, der mit einem irreversiblen Hörverlust einhergeht. 
Als Jackson eher zufällig eine x-beliebige Bar aufsucht, singt dort eine junge Frau namens Ally hingebungsvoll und beinahe ätherisch vor einem LGBT-Publikum „La vie en rose.“ Jackson ist begeistert, er und Ally kommen sich näher. Ally beklagt, dass in der von Männern beherrschten Musikbranche eine zu große Nase ihre Karriere als Sängerin verhindert habe. Jackson findet aber nicht nur die Nase wunderschön. Er nimmt die junge Frau mit auf eine Tour, platziert sie im Backstage und holt die sich vergeblich wehrende Ally auf die Bühne, um mit ihr „Shallow“ zu singen – einen Song, den Ally geschrieben hat. Die von beiden performte Nummer wird über Nacht zum viralen Hit. Ally wird zum Star. Trotz Nase.



Zum Recycling

Blicken wir zurück. 1937: Esther, das „Mädchen vom Lande“, will in Hollywood Schauspielerin werden, scheitert aber auf ganzer Linie. Erst als sie von dem Filmstar Norman Maine entdeckt wird, gelingt fast über Nacht der Durchbruch. Gleichzeitig geht Normans Karriere den Bach runter. Der Alkoholiker wird von Hollywood verstoßen und ertränkt sich, nachdem er heimlich davon erfahren hat, dass Esther ihre Karriere aufgeben will, um sich ganz seiner Rehabilitation zu verschreiben.

Die 1937er-Version von „A Star is Born“ wurde vom legendären David O. Selznick produziert, Regie führte der bei den allerersten Academy Awards mit einem OSCAR (Bester Film) ausgezeichnete Regieveteran William A. Wellman. 1937 wurde diese Art von Selbstbespiegelung von der Branche noch als skandalös aufgenommen.


1954: In dem von George Cukor inszenierten Remake spielt Judy Garland nun die Rolle der Esther, James Mason ist der trunksüchtige Norman Maine. Auch Cukors Version folgt dem Thumbs up-Thumbs down-Prinzip des Showbiz: Esthers Aufstieg als Sängerin und Filmstar ist zwar nicht für Normans Absturz verantwortlich, beide Lebenslinien scheinen aber unsichtbar miteinander verknüpft zu sein. Auch James Masons Figur bringt sich um, während sich Esther am Ende öffentlich zu ihm bekennt.

Interessant an Cukors Remake war die Besetzung der weiblichen Hauptrolle mit Judy Garland, deren Stern bereits im Sinken war. Cukor, für seine Feinfühligkeit auch bekannt als „Frauen-Regisseur“, konnte zwar Garlands Image aufpolieren, aber trotz der Tanz- und Gesangseinlagen und etlicher Nominierungen bei den Academy Awards floppte der Film an der Kasse. Wohl auch, weil Warner Bros. den fast drei Stunden langen Film aus verleihtechnischen Gründen um ein Drittel kürzte und damit vollständig verstümmelte.


1976: Das zweite Remake zeigt nun endlich eine Frau mit großer Nase, diesmal in der Welt des Rock und Pop. Kris Kristofferson spielt den Trinker, einen Rockstar, der nun John Norman Howard heißt, Barbara Streisand ist Esther. Die narrativen Schemata der vorangegangenen Version von „A Star Is Born“ werden nur geringfügig variiert, allerdings nimmt Regisseur Frank Pierson eine Szene aus Bradleys Coopers Film vorweg, als John während eines seiner Konzerte Esther beinahe zwingt, die Bühne zu betreten und zu singen. Dies wird ihr Durchbruch, aber Johns und Esthers Love Affair wird zu einem Suff- und Drogendrama. Am Ende bringt sich John zwar nicht um, stirbt aber bei einem Unfall. 
Sonderlich beliebt bei der Kritik war der Film nicht. „A Star is born“ ist ein überlebensgroßer Ego-Trip: Narzissmus mit selbstzerstörerischen Zügen“, schrieb die ZEIT, auch weil bekannt wurde, dass Barbara Streisand den Film als Vehikel der Selbstinszenierung an sich gerissen hatte. Immerhin gab es einen Oscar für den ‚Besten Song‘, dazu fünf Golden Globes und auch Platz 3 in der Liste der umsatzstärksten Filme zeigte, dass die Recycling-Maschine wie geölt zu funktionieren schien.

Und nun zum vierten Mal…

„Tell me something girl, are you happy in this modern world?“, singt Jackson fast programmatisch in „Shallow“. Ja, Ally wird ebenfalls berühmt und dabei viel verlieren. Mittlerweile ist die Musikbranche als Topos der permanent gefährdeten Authentizität nichts Neues mehr. Wahrhaftig zu bleiben ist im zynischen Showbiz dem Untergang oder zumindest einer radikalen Unterwerfung unter das Regiment des Erfolgs geweiht - das ist ein zwar realistisches, aber auch abgegriffenes Narrativ zahlloser Filme geworden. Auch „A Star Is Born“ war über die Jahrzehnte immer auch der mehr oder weniger gelungene Versuch, den Publicity-Fleischwolf Hollywood und später auch die nicht weniger gierige Film- und Musikbranche zu hinterfragen. 

Ob dies mehr als eine gefällige Attitüde ist, sei dahingestellt. Bradley Coopers Version des scheinbar immergrünen Sujets kann man stattdessen und sarkastisch als Oscar-Generator sehen. Auch die Vorgänger hatten fast mühelos ihre Nominierungen erhalten. Und zum Narrativ dieser Filme gehört wenigstens ansatzweise immer ein kritischer Impetus. 
Doch diesmal hat das dritte Remake aufreizend wenig zu diesem Thema zu sagen. Im Gegenteil: Allys Ruhm ist zwar schicksalhaft an die Image- und Marketing-Strategie ihres Managers Rez Gavron (Rafi Gavron) gekettet, der aus der subtilen Songwriterin eine Popsängerin zusammenstylt. Irgendwie hat man das Gefühl, dass da jemand singt, der zwar seine Musik verrät, aber nicht gerade wenig Spaß dabei hat. 

Schicksalhaft bedeutet aber auch: Gegenwehr ist zwecklos. Halbherziger Widerstand von Ally gegen die Zumutungen ihres Managers wird von Cooper nur beiläufig gezeigt, etwa wenn Ally ohne Backing vocals auftreten will oder sich weigert, ihre Haarfarbe zu wechseln. Beides vergeblich. Immerhin peitscht Rez die Sängerin in Windeseile zum Grammy. Wie Bradley Cooper in seiner ersten Regiearbeit das Thema Camouflage als lästige Pflichtübung aber aus dem Film verschwinden lässt, ist allein schon anstößig. Und das, obwohl die von ihm gespielte Figur des authentischen Rocksängers immer wieder durchklingen lässt, dass Rock die ehrlichere Musik ist. Mag sein, dass auch dies nur ein Mythos ist. Aber wie wenig dieses Thema noch verhandelt wird, verblüfft in der zweiten Hälfte des Film dann doch.

Die Rolle der Manager, Promoter und Produzenten haben in diesem Showbiz zwischen inszenierten Legenden und harter Realität auch in den früheren Filmen eine mehr oder weniger wichtige Rolle gespielt. Coopers Film tauchen sie in Person von Bobby Maine (Sam Elliott) und Rez Gavron auf. Der Eine ein halbherziger Wegbegleiter und sogar Halbbruder Jacksons, dem es nicht gelingt, seinen Schützling vor weiteren Schädigungen seines Gehörs bewahren. Aber dieses Scheitern kriegt der wieder einmal grandiose Sam Eliott wirklich gut hin. 
Rez ist dagegen der Schurke in persona, der es am Ende schafft, den beinahe von seiner Alkoholsucht genesenen Rocksänger mit wenigen Worten in den Selbstmord zu treiben. Glaubhaft ist diese Suggestionskraft nicht, überzeugende Charakterstudien wirft es zumindest angesichts der bescheidenen Schauspielkünste von Rafi Gavron auch nicht ab. Man muss schon beide Augen zudrücken, um zu glauben, dass Jackson danach keinen  Ausweg erkennt und in die Garage schlurft, um sich dort an seinem Hosengürtel aufzuhängen.

Da der Film in der zweiten Hälfte den Bach runtergeht, bleiben auch interessante Nebenfiguren wie Dave Chapelle als „Noodles“, Jacksons bester Freund, bloß schlichte Stichwortgeber, wenn es darum geht, Jacksons Reise in den vermeintlich nicht aufzuhaltenden Untergang zu unterbrechen.
Psychologisch schwimmt Bradley Coopers Film daher brav an der Oberfläche. Jackson Maines irrationale Abwehr aller Rettungsanker wird pflichtschuldig auf seine tragische Kindheit und auf die Fatalität des Alkohols als Krankheit heruntergebrochen – eine überzeugende Deutung seiner offenkundigen Todessehnsucht will sich aber nicht einstellen.
 

Dabei kann man weder Bradley Cooper noch Lady Gaga vorwerfen, dass sie ihren Figuren keine Konturen verliehen hätten. Im Gegenteil: die erste Hälfte des mit 136 Minuten langen Films hat Charme und ist mitreißend gespielt, was mit Sicherheit auch an der tollen musikalischen Performance der beiden Akteure liegt. Wenn beide singen, spürt man eine heilende Kraft, die aber verpufft. 

Spätestens mit Allys Aufstieg und dem Abspulen der allzu vertrauten Plotwendungen verliert „A Star Is born“ dann aber restlos seinen Reiz. Jacksons Untergang strebt einfach zu stereotyp seinem Finale zu. Das war programmiert und auch der Cinderella-Mythos wird in „A Star Is Born“ mechanisch wie von einem Uhrwerk durchdekliniert.
"Tell me something boy, aren’t you tired tryin' to fill that void?", singt Ally in „Shallow“. Aber dies bleibt nur eine Behauptung. So richtig will Coopers Film dann doch nicht davon erzählen, wie man der Leere entkommt. Wäre es nicht mutig gewesen, stattdessen eine Geschichte zu erzählen, in der alles gut ausgeht? Gut, auch das wäre irgendwie ein Klischee, würde aber wenigstens den Versuch unternehmen, der Recycling-Wut der Filmbranche zu entgehen.
Um zu erkennen, wie klischeebeladen und reflexionsresistent „A Star Is Born“ in seinem Innersten ist, sollte man sich John Carneys „Begin Again“ (dts. „Can A Song Save Your Life?“, 2013) noch einmal anschauen und dabei entdecken, wie Mark Ruffalo und Keira Knightley eine Geschichte davon erzählen, dass Musik tatsächlich ein Leben retten kann, wenn man sich treu bleibt. Aber das ist kein Wunder: John Carney hat schon immer die besseren, weil ehrlicheren Musikfilme gemacht.

Im Filmclub floppte „A Star Is Born“ restlos.

Noten: Klawer = 5, BigDoc = 4,5, Melonie = 4

A Star Is Born – USA 2018 – Regie, Drehbuch: Bradley Cooper – D.: Bradley Cooper, Lady Gaga, Andrew Dice Clay, Sam Elliott, Anthony Ramos, Rafi Gavron, Dave Chappelle – Laufzeit: 136 Minuten – FSK: ab 12.