Freitag, 22. März 2019

„Trautmann“ – ein Film aus der faktenfreien Zeit

Marcus H. Rosenmüller setzt dem in Deutschland lange unbekannt gebliebenen Torhüter Bernd „Bert“ Trautmann in seinem gleichnamigen Film ein hochemotionales Denkmal. Ein Film über den Deutschen, der bis 1964 insgesamt 545-mal im Fußballtor von Manchester City stand, war überfällig. Er hätte nur gelingen müssen.

„Trautmann“ (The Keeper) ist zwar nicht auf ganzer Linie gescheitert. Der Film bleibt aber mutlos, weil er es mit den Fakten nicht genau nimmt, Trautmanns Biografie sogar verfälscht und sich in den Ambitionen des Regisseurs verzettelt. Rosenmüller umkurvt zugegeben elegant alle politischen und historischen Zumutungen eines spannenden Fußballerlebens und verpasst dem Publikum stattdessen einen kompakten Wellness-Einlauf, der aus der Hauptfigur einen tragischen Helden macht. Enttäuschend.


Englands beliebtester Torwart war ein Deutscher

Als Bernd Trautmann 1964 seine Karriere beendeten, rissen die Man City-Fans ein Tor aus dem Boden. Kein anderer sollte in „seinem“ Tor stehen. Ein spektakuläres Karriereende für einen Fußballer, der in seinem ersten Jahr für den mittlerweile europäischen Topclub noch als „Traut The Kraut“ beschimpft wurde. 1949 konnten die Fans keinen Deutschen in ihrem Tor akzeptieren, der als Hitlerjunge ein glühender Anhänger der Nazi-Ideologie war, sich mit 17 Jahren freiwillig zur Luftwaffe meldete und während des Zweiten Weltkriegs einige Orden einsammelte, darunter auch das Eiserne Kreuz.

Wer sich mit Trautmann auseinsetzen will, muss sich diesem Teil der Biografie eines Mannes stellen, der zum Mythos wurde, weil er in im FA-Cup-Finale 1956 trotz eines Genickbruches das Spiel fortsetzte und seiner Mannschaft mit tollen Paraden den Sieg sicherte. 
Allerdings scheint dies hierzulande ein Problem zu sein, nicht nur aus politischer, sondern auch aus ökonomischer Sicht. Für „Trautmann“ nahm Marcus H. Rosenmüller („Wer früher stirbt ist länger tot“) ein 11 Millionen-Euro-Budget in die Hand, das größte seiner Regiekarriere. Auch am Drehbuch war Trautmann beteiligt. Einen Kassenflop durfte die deutsch-englisch-irische Koproduktion natürlich nicht werden. Und so spürt man von Beginn an, dass Rosenmüller formal sehr geschickt einen Film inszeniert hat, der mainstream-tauglich und gleichzeitig Arthouse-kompatibel ist. Emotionales Kino kann Rosenmüller. Mit David Kross holte sich der Regisseur zudem einen Hauptdarsteller an Bord, der den komplexen Bernd Trautmann faszinierend spielt – inklusive eines nervösen Tics im linken Auge.


Zunächst etwas klamottig, dann wird es ernst

„Trautmann“ beginnt seine Geschichte in einem britischen Kriegsgefangenenlager nahe Ashton-in-Makerfield, in das Bernd Trautmann verlegt wird. Im Lager gibt es nazi-treue Soldaten, aber Rosenmüller lässt seine Figur, die David Kross misstrauisch und verschlossen spielt, auf Distanz gehen. Kontrolliert wird das Lager von dem verbitterten Sergeanten Smythe (Harry Melling), dem es am liebsten wäre, wenn die deutschen Soldaten ihr eigenes Massengrab im Hinterhof ausheben würden.
Für das comic relief sorgt dagegen der Präsident des lokalen Fußballclubs St Helens Town AFC, der Trautmann entdeckt, als er die Kriegsgefangenen beim Kicken beobachtet. Trautmann glänzt im Tor und Jack Friar (John Henshaw) erkennt die Chance, seinen vom Abstieg bedrohten Club mit dem Deutschen im Tor zu retten. 

John Henshaw spielt den Gemüsehändler und Clubpräsidenten als kauzig-knorrige Figur, der man die ruppige Strenge gegenüber dem „Kraut“ nicht abnimmt. Etwas rigoroser tritt da schon Friars Tochter Margaret (Freya Mavor) auf, die wütend reagiert, als Trautmann auch noch im elterlichen Betrieb aushelfen soll. Sie konfrontiert Trautmann mit den Folgen der deutschen Luftangriffe auf ihre Heimat. „Ich hatte keine Wahl“, erwidert der Deutsche. Es wird ein Schlüsselsatz in dem Film werden.


Regisseur Rosenmüller holt den Zuschauer zu Beginn mit einer sorgfältig dosierten Mischung aus Humor und der notwendigen Prise historischer Fakten ab. Die sollen aber nicht zu sehr weh tun. Wenn den deutschen Soldaten im Camp als Umerziehungsmaßnahme ein Film über die KZ-Gräuel gezeigt wird, wendet sich Rosenmüller von der Leinwand ab und zeigt die Gesichter der Soldaten. Rosenmüller tut also, was er glaubt tun zu müssen und so steuert der Film etwas klamottig auf den Vollzug der romantischen Zutaten zu. Das erinnert ein wenig an die Zähmung der Widerspenstigen, denn der von seinen Mitspielern zunächst wütend abgelehnte Nazi im Tor des Dorfclubs rettet nicht nur das Team vor dem sportlichen Knockout, sondern erobert aus das Herz Margarets im Sturm. Allerdings schweigt Trautmann immer noch, wenn er nach seiner Vergangenheit gefragt wird. Bald darauf heiratet er Margaret und es dauert nicht lange, bis Jock Thompson (Gary Lewis), der legendäre Manager von Manchester City, vor der Tür steht, um den Kraut für sein Team anzuheuern.

 

Mythen in der faktenfreien Zeit

Der Rest ist (Fußball-)Geschichte. Bernd Trautmann, den alle „Bert“ nennen, wird in Manchester wütend empfangen. Die Fans gehen auf die Barrikaden, immerhin löste der Deutsche den englischen Nationaltorhüter Frank Swift ab. Doch Trautmanns Paraden sind spektakulär. Rosenmüllers „Trautmann“ funktioniert in diesen Szenen als Sportfilm überzeugend, und spannend ist die Geschichte eines Aufstiegs vom Dorfkeeper zum nationalen Heros ohnehin, denn sogar 1949 trug sie märchenhafte Züge. Heute ist das undenkbar, auch wenn es unlängst mit Hendrik Weydandt einem Fußballer gelang, innerhalb kürzester Zeit den Sprung aus der Kreisliga in die 1. Bundesliga zu schaffen. Solche Geschichten erzählt man gerne im Kino, das Genre lebt vom Mythos. Und der Fußball ohnehin.

Rosenmüller zelebriert den rasanten Karrieresprung mit sehenswerten Fußballszenen, für die Davis Kross monatelang trainieren musste. Den Torhüter nimmt man dem Schauspieler dann auch recht schnell ab, auch das Charisma des Ungebeugten, der einfach nur durch Leistung überzeugen und seine Vergangenheit schnellstmöglich hinter sich lassen will.
Marcus H. Rosenmüller steuert dann auch recht zügig auf den Höhepunkt seiner mythischen Verklärung zu, das berühmte FA-Cup-Finale 1956. Allerdings nicht ohne Peinlichkeiten. So erzählt der Film davon, dass die jüdische Gemeinde Manchesters, angeführt vom Rabbiner Alexander Altmann (Butz Ulrich Buse), vehement gegen den Nazi im City-Tor protestierte und einen fulminanten Fan-Widerstand organisierte. Erst nach einer Brandrede von Trautmann Frau lenkt der Rabbiner ein und gibt seinen Widerstand auf.
Historisch ist das eine Lüge. Alexander Altmann, der rechtzeitig aus Deutschland fliehen konnte, war derjenige, der gleich zu Beginn der Proteste in einer Kolumne des lokalen Blattes zur Toleranz mahnte: „“Each member of the Jewish community is entitled to his own opinion, but there is no concerted action in favour of the proposal to end their support of Manchester City FC. Despite the terrible cruelties we suffered at the hands of the Germans, we would not try to punish an individual German who is unconnected with these crimes of hatred. If this footballer is a decent fellow, I would say there is no harm in it. Each must be judged on its merits.”

Rosenmüllers Unwahrheit erstaunt, denn die tatsächlichen Fakten sind bekannt. Was Rosenmüller hier geritten hat, bleibt wohl sein Geheimnis. Es sind nicht die einzigen Manipulationen in seinem Film. Bereits die Figur des Sergeanten Smythe steht diametral Bernd Trautmanns in zahlreichen Interviews geäußerten und durch seinen Biografen Alan Rowlands bestätigten Aussagen gegenüber, nämlich, dass die Engländer die deutschen Kriegsgefangenen mit unerwarteter Freundlichkeit aufnahmen (fast 20.000 blieben danach in England) und ihnen so viel zu essen gaben wie den eigenen Leuten. Trautmann selbst wurde mit einer Tasse Tee begrüßt. „Am Feind wurde nicht gespart, das hat mich beeindruckt“, erinnerte sich der Torhüter, der sich in seiner neuen Heimat von seinem Antisemitismus und der Begeisterung für Führer und Vaterland endgültig löste.


Doch Rosenmüller hatte wohl ein anderes Bild im Sinn. Nämlich das eines tragischen Helden. Es ist das Jahr 1956, als Trautmann im FA-Cup-Finale das Tor gegen Birmingham City hütet. In der 75. Spielminute wird Trautmann von einem gegnerischen Stürmer mit dem Knie im Nacken getroffen. Trautmann steht wieder auf, spielt weiter und rettet Manchester City den Sieg. Erst drei Tage später wird bei einer Röntgenuntersuchung entdeckt, dass sich Trautmann einen Genickbruch zugezogen hatte. Natürlich avancierte Trautmann bei den Fans danach endgültig zur Legende.
Diese berühmte Sportepisode wäre – realistisch nachgestellt – allein schon sehenswert gewesen. Aber Rosenmüller macht aus seiner Hauptfigur einen Titanen, der sich den anbrandenden Angriffswellen der Gegner immer wieder todesmutig entgegenwirft, mehrfach auf dem Feld zusammenbricht, sich wieder erhebt und weitermacht, bis er auf dem Weg in die Kabine endgültig kollabiert. 

Gut, das ist Kino, möchte man meinen. Und die Essenz des Fußballs ist ja bereits vom schottischen Trainer Bill Shankly ironisch auf den Punkt gebracht worden: „Einige Leute halten Fußball für eine Sache von Leben und Tod. Ich mag diese Einstellung nicht. Ich versichere Ihnen, dass es viel ernster ist!“
Aber es passt noch mehr zur Chuzpe, mit der Rosenmüller an den Schrauben der Faktizität dreht. Nur am Rande: Trautmann war es zeitlebens unangenehm, dass seine Karriere in England an diesem Vorfall festgemacht wird. „Wissen Sie was: Hätte ich in diesem Spiel gewusst, wie schwer meine Verletzung wirklich ist, wäre ich sofort rausgegangen“, erzählte der Keeper später.


„Ich hatte keine Wahl“

Rosenmüller geht noch einen Schritt weiter. Er schreibt dem Torhüter eine traumatische Erfahrung zu, für die es keinen biografischen Nachweis gibt. So erinnert sich der fiktive Trautmann, dass während des Russland-Feldzuges die Soldaten seiner Einheit Kindern den Ball wegnahmen, um selber ein wenig zu kicken. Den Kindern macht das nur wenig Spaß. Aber einer der Soldaten gibt einem Jungen zu verstehen, dass er sich den Ball schnappen darf, während er bis zehn zählen würde – dann müsste der Junge mitsamt Ball außer Reichweite sein. Der Junge greift sich den Ball, der Soldat greift aber sofort zur Luger. Trautmann greift ein, reißt den Arm seines Kameraden zur Seite und verhindert, dass der Junge erschossen wird. Trotzdem verfolgt das Kind Trautmann immer wieder in Nacht- und Tagträumen wie eine Nemesis.

Warum eigentlich? Was der Zuschauer zunächst für einen Flashback hält, enthüllt Rosenmüller am Ende des Films. Ja, die Episode war ein Tagtraum, aber kein Flashback. Dann erinnert sich Trautmann doch an die Wahrheit: der deutsche Soldat schießt dem Kind in den Rücken, Trautmann greift nicht ein.

Auch bei Rosenmüller ist der junge Luftwaffensoldat und spätere Fallschirmjäger Bernd Trautmann ein brüchiger Held, aber hätte der Regisseur es dabei belassen, dann hätte diese Szene mitsamt der Nachtmahre ohne viel Worte gezeigt, wie desillusionierend die Kriegserfahrungen des ehemals begeisterten Hitlerjungen gewesen sind. Aber Markus Rosenmüller war wohl ambitionierter: er deutet die grausame Episode um und stellt sie in einem mythologischen Kontext. Die moralische Verzweiflung seiner Hauptfigur wird mit dem tragischen Tod seines ersten Kindes verknüpft, das von einem Lkw überfahren wird. Trautmann erklärt nach dem Schicksalsschlag seiner Frau, dass dies die Strafe für sein Versagen gewesen sei. Einst hätte er ein Kind retten können, nun würde ihm seins zur Strafe genommen.


Zur Erinnerung: In der griechischen Tragödie werden die Figuren schuldlos schuldig. Durch einen grausamen Scherz der Götter geraten sie einen unauflösbaren Konflikt, den sie nicht lösen können: folgen sie dem Gesetz, so verstoßen sie unweigerlich gegen ein moralisches Gebot. Oder umgekehrt. Wer in der Schule Sophokles‘ „Antigone“ gelesen hat, weiß, wovon die Rede ist. In Rosenmüllers Fiktion muss sich Trautmann zwischen Korpsgeist und moralischer Intuition entscheiden und scheitert fast zwangsläufig. Rosenmüller lässt seine Hauptfigur tragisch leiden, zieht den Zuschauer auf die Seite des zerknirschten Torhüters und leistet damit auch einen Beitrag zu einer jahrzehntelangen Bewältigungsstrategie deutscher Geschichte: Schuldlos schuldig. Nun wird klar, was Rosenmüllers Trautmann mit dem Statement „Ich hatte keine Wahl“ zu seiner Vergangenheit zu sagen hatte. 


Bernd Trautmann hat diesen Film nicht verdient

Ohne moralische Besserwisserei: er hatte eine, er hat sich entschieden, er hat sich freiwillig gemeldet. Wie viele Jugendliche, denen das Gehirn von den Nationalsozialisten gewaschen wurde. Darüber zu debattieren ist eine Sache, eine notwendige sogar. Mittlerweile scheint es aber wieder problematisch geworden zu sein, dies zu thematisieren. In den Foren dominieren nämlich nicht nur Trolle, sondern auch Leser, die offenbar die Schnauze voll haben, wenn Vergangenes in einem kritischen Diskurs verhandelt werden soll. Man lese dazu am besten die Einträge bei SPIEGEL ONLINE, in denen Leser Bernd Trautmann gegen die Zumutungen des Kritikers Kaspar Heinrich verteidigen. Dabei wird kräftig an der Legende gestrickt, dass sich die Soldaten in einem „Befehlsnotstand“ befanden. An dieser Geschichtsklitterung scheinen auch mehrfach belegte Quellen nichts zu ändern. Sie haben bewiesen, dass selbst SS-Männer sich folgenlos einem Mordbefehl entziehen konnten. Auch an Massenerschießungen von Juden beteiligte Soldaten der Wehrmacht konnten sich vom Massenmord freistellen lassen. Entsprechende Versetzungsgesuche sind dutzendfach dokumentiert (s.a. Gröning-Urteil“). Vor diesem Hintergrund ist Trautmann frei erfundenes Kriegstrauma erst recht ein Fake.
Kaspar Heinrich verweist zu Recht darauf, dass Marcus H. Rosenmüller dem Publikum die Widersprüchlichkeit seine Hauptfigur ersparen wollte. Dabei wäre das nicht nötig gewesen. Ein Film über Trautmann als Naziwolf im Schafspelz wäre genauso verlogen gewesen wie die Schmonzette, die Rosenmüller auf die Leinwand gebracht hat. Zu den Fakten gehört nämlich auch, dass Trautmann während des Krieges im Militärgefängnis landete, am Ende desertierte und später in seiner neuen Heimat mit der Trautmann Foundation zu einem wichtigsten Botschafter der deutsch-englischen Freundschaft wurde. 2004 wurde der Fußballer von Queen Elisabeth II. zum Ritter geschlagen, in Deutschland erhielt der Torhüter, der nie in die Nationalmannschaft berufen wurde, 1997 das Bundesverdienstkreuz.

Marcus H. Rosenmüller hätte es also gar nicht nötig gehabt, sein Publikum in Watte zu packen. Stattdessen erfand er eine Geschichte, um in einem bereits hochemotionalen Film das Publikum an der Nase herumzuführen. Hier versagt „Trautmann“ aufs Allerpeinlichste. Dagegen ist die Tatsache, dass Bernd Trautmann vor seiner Ehe mit Margaret Friar bereits ein Kind mit einer Engländerin hatte, eine Nebensächlichkeit. Allerdings hätte auch dies wohl kaum zum romantischen Teil von Rosenmüllers Geschichte gepasst.

Menschen glauben, was ihnen im Kino gezeigt wird. Diese Hoffnung auf Faktentreue sollte nicht enttäuscht werden. Das hat einen Grund: im Kino basieren nicht nur gute Erzählungen auf der Identifikation mit dem Gesehenen und den Figuren, sondern halt auch Propagandafilme.


Noten: BigDoc, Saxophoman = 4
 

"Trautmann" (The Keeper) - Deutschland, Großbritannien, Irland 2018 - Regie: Marcus H. Rosenmüller - Drehbuch: Marcus H. Rosenmüller, Nicholas J. Schofield -Darsteller: David Kross, Freya Mavor, John Henshaw 
- Länge: 120 Minuten - FSK: ab 12 Jahren.

Quellen:

  • Alan Rowlands (2006): Trautmann – The Biography
  • SPIEGEL ONLINE: „Ich habe mich gefühlt wie ein Affe im Zoo“ (Interview mit Bernd Trautmann, 13.12.2010)
  • NewStatesman: „How the English fell in love with German football“ (Artikel über deutsch-englische Fußballgeschichte und über Bernd Trautmann in Manchester) 
  • Sven Golmann, Der Tagesspiegel: „Falsches Spiel mit einer Legende“ (Filmkritik)