Mittwoch, 3. April 2019

The Highwaymen


Über 50 Jahre nach Arthur Penns mythologisierendem Film „Bonnie an Clyde“ versucht John Lee Hancock Junior mit einem Wechsel der Perspektive eine historisch akkuratere Version der Geschichte um die Barrow-Gang auf die Leinwand zu bringen. Das ist dem Film über weite Strecken gelungen.
Das berüchtigte Gangster-Pärchen ist in dem Film kaum zu sehen. Stattdessen erzählt Hancock („Blind Side – Die große Chance) die Geschichte von Frank Hamer und Maney Gault, den beiden ehemaligen Texas Rangern, die Bonnie und Clyde zusammen mit vier lokalen Polizeibeamten am 23. May 1934 in Louisiana blutig zur Strecke brachten. „The Highwaymen“ ist seit einer Woche ausschließlich bei NETFLIX zu sehen.


 

Über zwei Stunden Entschleunigung

Hancocks Film ist Old Fashioned, also altmodisch. Lange Einstellungen, sparsame Schnitte, viele Dialoge – Hancock nimmt sich die Zeit, um seine Hauptfiguren sorgfältig aufzubauen. Das mag man als langweilig abtun, einige Kritiker haben das auch getan, aber spätestens nach einer halben Stunde spürt man, wie quälend langsam die Zeit auch für Hamer und Gault vergeht. 132 Minuten lang wird der Zuschauer zum Zeugen einer entschleunigten Jagd, die Hamer und Gault quer durch einige Bundesstaaten führt. Oft fahren sie 500 Meilen pro Tag, schlafen in ihrem mit Waffen und Munition vollgestopften Auto und versuchen, aus den Bewegungsmustern der Gesuchten einen möglichen Aufenthaltsort herauszulesen. Keine Spur von den Gimmicks der modernen Kriminologie – „The Highwaymen“ ist der programmatische Gegenentwurf zu allen CSI-Krimis.

Leicht ist das nicht, Gault ist 48 Jahre alt, Hamer bereits 50. Von den Jungspunden des FBI werden die beiden ehemaligen Texas Ranger eher als Fossile belächelt. Das FBI beschäftigt sich bereits mit Forensik, während die beiden Ex-Ranger an einem Tatort alles Mögliche in die Hand nehmen und die methodische Spurensuche ihrer Kollegen ignorieren. Dass sie als neu ernannte Highway Patrol Officer überhaupt legitimiert sind, um in eigener Verantwortung nach Clyde Barrow und Bonnie Parker suchen zu können, verdanken sie einem politischen Kompromiss. Zu viele Tote hat die Barrow-Gang auf dem Gewissen, die texanische Gouverneurin Miriam „Ma“ Baker (Kathy Bates) gerät unter Druck. Ausgerechnet sie, die nach ihrer Wahl die Texas Ranger aufgelöst hat, stimmt der Reaktivierung der beiden altgedienten Profis zu. Ihre Erwartungen sind gering.

Zwei ungleiche Männer

Gespielt werden Hamer und Gault von Kevin Costner und Woody Harrelson. In Zeiten der Großen Depression klafft die Schere zwischen Arm und Reich sehr weit auf. Die beiden Cops zeigen es exemplarisch. Der von Costner gespielte Frank Hamer, der später den größeren Batzen Ruhm abbekam, ist ein wohlhabender Pensionär, ein einfühlsamer Mann, dem seine energische Ehefrau en passant die Renovierung der Küche aufträgt. Als Hamer dann aber ins Auto steigt, um auf die Jagd zu gehen, verwandelt er sich fast übergangslos in den Jäger, der eher einst gewesen ist.

Woody Harrelson spielt die Figur des Maney Gault etwas abweichend vom historischen Vorbild als Verlierer am anderen Ende der Nahrungskette. Gault ist arm, arbeitslos und ohne Hoffnung. Als Hamer ihn als Partner mit auf die Jagd nehmen will, beobachtet er aus der Ferne, wie Gault sich schlurfend über die Straße schleppt. Hamer wendet den Wagen und fährt davon, aber in der Stadt wartet Gault bereits auf ihn. Er hat Hamer hinter dem Steuer auch aus großer Distanz erkannt und will den Job. Ein alter Mann sei er noch lange nicht.
Woody Harrelson hat sich um die Rolle gerissen. Er spielt den alkoholkranken Ex-Cop als loyalen Buddy, aber auch als zergrübelten und reflektierten Mann mit schrägem Humor. Drehbuchautor John Fusco dürfte wissen, dass er diese Figur eher an dem für Harrelson so typischen sarkastischen Stil ausgerichtet hat. In einem historischen Aufsatz zitiert er einen Zeitzeugen, der Gault anders beschrieb: „Cold-eyed, mysterious, and he doesn’t talk.”

Während Costner eher den stoischen moralisch klar ausgerichteten Cop gibt, spielt Harrelson dagegen wieder einmal Harrelson. Das wirft während der langen Fahrten einige pointierte Dialoge ab, später wird man erfahren, was die beiden tatsächlich verbindet. Eine traumatische Erfahrung: Hamer und Gault waren als Ranger Mitglieder einer Einheit, die im Kampf gegen mexikanische Desparados ein Blutbad unter den im Schlaf überfallenen Banditen anrichtete. Die Episode bezieht sich auf tatsächliche Vorkommnisse. In den 1910er Jahren brachten die Texas Ranger über 5.000 Hispanoamerikaner während der amerikanisch-mexikanischen Grenzstreitigkeiten um, was zu einem Skandal und einer Neuausrichtung der Einheiten führte.

John Lee Hancock deutet dies bestenfalls an und konzentriert sich stattdessen auf das Charakterdrama zweier Männer, die einiges verbindet, aber auch vieles trennt. Denn es ist Gault, der kurz vor dem großen Finale schon mal nach dem Sinn des Ganzen fragt. Frank Hamer gestattet sich solche Fragen nicht. Auch der echte Frank Hamer hat nicht viel geredet, mit Reportern schon gar nicht. Seine Zweifel hat er für sich behalten.



Das Ende ist unausweichlich

So erzählt John Lee Peacock mit den stimmungsvollen Bildern des Kameramannes John Schwartzman („Seabiscuit“, „Jurassic World“) von der Weite des Südens und dem, was zwei älteren Herren aus einer blutigen Ära in eine Zeit mitbringen, in der es nicht weniger gewalttätig, aber im Kompetenzgerangel um die richtige Vorgehensweise deutlich komplizierter zugeht. Spätestens aber nach dem Grapevine-Massaker in Texas, als Clyde Barrow und Bonnie Parker zwei Highway Patrol Officer brutal erschossen, wobei Bonnie Parker, laut einem Zeugen dabei spöttelnd, einem der beiden Cops aus nächster Nähe den Kopf wegschoss, ist allen Ermittlern klar, dass das Gangsterpaar keine Chance mehr hat, das Ganze lebend zu überstehen.
Anders als in Arthur Penns „Bonnie und Clyde“ (1967), in dem Faye Dunaway und Warren Beatty eher den Mythos von zwei Robin Hoods der Straße nährten, lässt John Lee Hancock keinen Zweifel daran aufkommen, dass Bonnie und Clyde eher in die Kategorie ‚soziopathische Killer‘ einzuordnen sind. 
Penns Film gehörte zu den ersten, die eine exzessive Gewaltdarstellung in die Kinos brachte.
Ein Jahr später wurde der berüchtigte Hays Code außer Kraft gesetzt und durch Altersfreigaben ersetzt. Ohne Zensur war nun vieles möglich. Sam Peckinpah lernte daraus einiges und schockte mit „The Wild Bunch“ und auch Hancock zeigt das Ende des berüchtigten Killerpaares, das mehr als ein Dutzend Menschen auf dem Gewissen hatte, so blutig, wie es sich wohl auch ereignet hat. Emily Brobst als Bonnie und Edward Bossert schauen eine Sekunde lang überrascht wie zwei Schulkinder, dann beginnt der Kugelhagel. Zuvor hat Frank Hamer die beiden allerdings zur Aufgabe aufgefordert. Das hatte er vor dem Massaker an den mexikanischen Desperados nicht getan.

Mit „The Highwaymen“ ist John Lee Hancock und Drehbuchautor John Fusco ein beachtlicher Film gelungen, der mit Sicherheit nicht die Erwartungen erfüllen wird, die im Kino mittlerweile als ehernes Gesetz gelten: wenig Zeit für einen Prolog, harte, schnelle Szenen, ein hohes Tempo und Hauptdarsteller, die nicht so alt sind. Dass der Film zudem nicht dem Trend folgt und die Macher keine starke, möglichst toughe Frau ins Script geschrieben haben, dürfte dem einen oder anderen auch aufstoßen. Stattdessen: weiße alte Männer schreiben Geschichte.
 Hancock
erzählt diese Geschichte so, wie Filme früher gemacht wurden: langsam, ohne aufdringliche Psychologisierung oder den Drang, ein möglichst aktuelles Thema aufzurufen. „The Highwaymen“ lässt vieles ungesagt und konzentriert sich auf ein Road Movie, in dem zwei Männer das tun, was sie am besten können. Wäre man bösartig, könnte man dem Film eine erzkonservative Agenda unterschieben. Schaut man genauer hin, sieht man, dass Hancock sie unauffällig dekonstruiert.

Am Ende hat nicht die FBI-Maschinerie den Coup gelandet, sondern zwei Auslaufmodelle der Geschichte. Hamer und Gault stehen schweigend am Fenster und schauen zu, wie das Auto mit den beiden Leichen in die Stadt gezogen wird. Tausende sind unterwegs, alle wollen irgendwelche Devotionalien ergattern. Ein hysterischer Mob, der längst eine andere Geschichte von Bonnie und Clyde im Kopf hat. Die von Popstars. 

Maney Gault wurde später wieder Texas Ranger und blieb es zehn Jahre lang. Frank Hamer zog sich ins Geschäftsleben zurück. Ein Interviewangebot mitsamt einem gigantischen Honorar lehnte er mit den Worten ab: „Schämen Sie sich.“ Zur Beerdigung von Bonnie und Clyde kamen dann über 35.000 Menschen.


Noten: BigDoc, Melonie = 2


The Highwaymen – Netflix 2019 – Regie: John Lee Hancock – Drehbuch: John Fusco – Kamera: John Schwartzman – Laufzeit: 132 Minuten – D.: Kevin Costner, Woody Harrelson, Kathy Bates u.a.


Lesenswert ist der Aufsatz von John Fusco über Many Gault: The Legendary Maney Gault.