Dienstag, 7. April 2020

Yesterday - eine witzige und doch sehr floskelhafte Komödie


In die Vergangenheit zu reisen und die Lottozahlen aus der Zukunft mitzunehmen – wer könnte der Versuchung widerstehen? In Danny Boyles Komödie „Yesterday“ führt ein anderer Weg die Hauptfigur zu unsterblichem Ruhm: sie wacht in einer Parallelwelt auf und kennt als Einzige die Songs der Beatles.
Ganau das widerfährt Jack Malick. Der ist ein erfolgloser Songwriter – kann er der Versuchung widerstehen? Kann er nicht. Der Film ist danach eine Stunde lang witzig und äußerst unterhaltsam, dann rutscht „Yesterday“ ins Floskelhafte ab und bleibt bis zur letzten Minute vorhersehbar.


Zigaretten und Coca-Cola gibt es nicht mehr

„Yesterday“ lebt von einer einzigen Idee – und die ist wirklich gut. Richtig gut sogar. Es fängt damit an, dass Jack Malik (Himesh Patel) nachts mit dem Rad unterwegs ist und von einem Bus angefahren wird. Nicht einfach so, sondern weil kurz zuvor weltweit alle Stromnetze zusammengebrochen sind. Aber nur ganz kurz, trotzdem ist es 12 Sekunden lang stockdunkel. Als Jack im Krankenhaus erwacht, fehlen ihm zwei Vorderzähne, sonst scheint nichts Gravierendes passiert zu sein. Bis Jack herausfindet, dass einige Sachen aus seiner Welt verschwunden sind. So kennt niemand mehr die Beatles. Beim Googeln stößt Jack nur auf den Eintrag „Beetle“. Auch Zigaretten und Coca-Cola gibt es nicht mehr. Letzteres kann man verschmerzen, den Rest nicht…

Eine Sci-Fi-Komödie will Danny Boyles Film nicht sein. Aber seine Geschichte wirft ihre Figuren in eine Welt, in der die Anfangsbedingungen einer radikalen Rosskur unterzogen worden sind. Möglicherweise wurden einige Menschen in ein Paralleluniversum katapultiert. Aber eine Komödie muss so etwas nicht begründen, sie definiert einfach die Parameter neu und erzählt dann davon, was die Figuren daraus machen. Jack Malik macht jedenfalls eine ganze Menge aus der Sache, denn er ist scheinbar der einzige Mensch, der die Songs der Liverpooler Popband kennt – und auch die Texte. Die meisten jedenfalls. Nur mit „Eleonor Rigby“ hat er zu kämpfen.
 Das passt, denn Jack ist nicht nur ein indisch-britischer Songwriter, sondern auch ein ungewöhnlich erfolgloser. Der ehemalige Lehrer arbeitet tagsüber in einer Shopping Mall und spielt danach in kleinen Cafés und zwischendurch – natürlich unbeachtet – auf Kindergeburtstagen. Nur seine gute Freundin Ellie (Lily James) glaubt trotz aller Rückschläge an ihn. Doch plötzlich beginnt er neue Songs zu singen, und mit „Yesterday“ berührt er seine Freunde emotional sehr tief und macht sie gleichzeitig fassungslos.


Rise and Fall

Danny Boyle („28 Days Later“, „Slumdog Millionaire“, „Steve Jobs“) setzt das von dem Comedy- und Komödienspezialisten Richard Curtis (u.a. „Four Weddings and a Funeral”, „Bridget Jones‘ Diary“) geschriebene Drehbuch zunächst mit Schwung und viel Pep um. Denn eins ist klar: Jack wird sein Wissen nicht auf seinen Freundeskreis beschränken können. Dass man mit „Hey Jude“ und „Let it Be“ im Portfolio den großen Erfolg auf Dauer nicht verhindern kann, ist daher so vorhersehbar wie die Frage, wie es denn konkret geschieht. Und auch hier findet Boyle eine witzige Wendung, denn ausgerechnet der weltberühmte Songwriter und Sänger Ed Sheeran (Ed Sheeran mit einem ironischen Cameo-Auftritt) wird auf Jack aufmerksam und bucht ihn als Ein-Mann-Vorband für seine Russland-Tour. Jack und sein peinlich-prolliger Sidekick Rocky (Joel Fry) fliegen mit Ed zum Gig. Dort singt Jack „Back in the U.S.S.R.“ - und der Saal tobt. Schon bald ist Jack berühmter als Ed Sheeran. Das war vorhersehbar.

Ob Komödien noch mehr von Erzählfloskeln abhängig sind als andere Genres, wäre eine interessante Frage. Aber einiges spricht dafür, dass Filmemacher natürlich genau wissen, welche Rezepturen benötigt werden, um das Publikum erfolgreich zu bespaßen. Und die Zuschauer haben schließlich nur selten erkennen lassen, dass sie stereotype Plots vom Lachen abhalten können. Im Gegenteil. Komödienerzähler sind daher eher konservativ und variieren die Muster vorsichtig, aber ganz ohne originelle Einfälle geht es dann doch nicht.

„Yesterday“ weicht daher nur wenig von bekannten Muster ab, lediglich die Ausgangsidee ist frisch und unverbraucht. 
In der zweiten Hälfte des Films wird es aber unverkennbar, dass Boyle und Curtis nicht die Absicht hatten, das Rad neu zu erfinden. „Yesterday“ folgt dem Schema Verwandlung – Aufstieg – Fall - Happyend mit einer so penetranten Vorhersehbarkeit, dass man im Wesentlichen weiß, welchen Verlauf die Handlung nehmen wird: Jack Malik ist auf dem Sprung zum Weltstar, verliert aber seine Jugendliebe Ellie, weil er sich nie erklärt hat. Jack wird berühmt, die Menschen feiern ihn, aber er gerät in die Maschinerie einer skrupellosen und zynischen Musikindustrie, die mit ihm Kohle machen will. Jack will authentisch bleiben und das „Erbe“ der Beatles bewahren, die Werbeexperten machen aus „Hey Jude“ mal eben „Hey Dude“ und verpassen Jack ein Image, das – natürlich – nicht im Geringsten sein eher zurückhaltend-schüchternes Naturell widerspiegelt. 
Jack fühlt sich in seiner neuen Rolle immer fremder und wird von Skrupeln geplagt. Ist er nicht eigentlich ein Betrüger, der sich mit fremden Federn schmückt? Absturz und Fall sind vorprogrammiert.


Witzige Filme können humorlos sein

Wenn einem das bekannt vorkommt, liegt dies daran, dass es uns bekannt ist.
Floskeln sind der kleine, etwas besser erzogene kleine Bruder der Propaganda, besitzen aber deren Hang zur Verzerrung der Realität. 
Dabei sind die Floskeln der Komödie nicht immer von Ideologemen und Wertedebatten gekennzeichnet. Ihr formalistischer Charakter, der Erfolgreiches zwanghaft wiederkäuen will, zwingt derartige Inhalte ziemlich oft in eine pseudo-moralische Debatte, die von einem vordergründigen Optimismus angetrieben wird. „Intouchables“ („Ziemlich beste Freunde“ von Olivier Nakache und Éric Toledano, 2011) wurde allein in Frankreich von 20 Millionen Menschen gesehen, was natürlich dazu führte, dass in den Folgejahren unzählige Filme herzenswarm davon erzählten, wie ein misanthropischer Behinderter von einer lebensfrohen Pflegeperson ins Leben zurückgeholt wird: die Floskel hatte den moralischen Kern des Narrativs überwältigt.
Das ist eben der Unterschied zu Franz Kafkas traurigem Helden in „Die Verwandlung“, eine Geschichte, in der sich Kafka Aufstieg und Happyend erspart hat und gleich zum Fall übergeht. Aber von Gregor Samsa werden garantiert weniger Menschen etwas gehört haben als von Philippe und Driss, den Figuren in „Ziemlich beste Freunde“.

Trotzdem besitzen auch floskelhafte Komödien einen subversiven Kern. Georg Seeßlen hat in seinem Aufsatz „Eingeschränkte Bewegungsbilder“, seinen Anmerkungen zum Boom der Behindertenfilme, darauf hingewiesen, dass dieses Genre auch den dunklen Kern, die Vorurteile und die Bedrohungsgefühle angesichts von Veränderungen, freilegt: „… der Normalo will es verhandelt sehen am Körper jenes anderen, den er mit einer Mischung aus Angst, Mitleid und Unbehagen studiert. Der Behinderte und das Monster, das war ursprünglich ein und dasselbe, der nicht-normale Körper, der nicht-normale Geist…“

In „Yesterday“ könnte Seeßlens Übertragungstheorie anders funktionieren. Der kometenhafte Aufstieg eines Verlierers macht nämlich unruhig und missgünstig, besonders jene, die sich selbst auf der Verliererseite sehen. Sollte dies stimmen, dann geht Danny Boyles Film tatsächlich sehr feinfühlig mit seinem Publikum um:  der Film ist nicht mehr floskelhaft-formalistisch, sondern allegorisch. Die Hauptfigur wird nicht dafür belohnt, dass sie ein Stück Weltkulturerbe bewahrt hat, sondern dafür bestraft, dass sie den Ausstieg aus einem belanglosen Leben nicht abgelehnt hat.

Das ist tatsächlich recht subversiv. Etwas anderes ist dagegen banal: Dass Jack Malik am Ende dem Ruhm (und nebenbei auch der fetten Kohle) abschwört, seine Coversongs kostenlos der ganzen Welt schenkt, dafür aber entzaubert und arm seine Ellie zurückgewinnt, richtet eine andere Botschaft ans Publikum: Geld macht nicht glücklich. Ruhm ist belanglos. Dies würden jene, die beides besitzen, nie behaupten – zumindest nicht dann, wenn sie ehrlich sind.
Danny Boyle und Richard Curtis werden das womöglich nicht im Sinn gehabt haben. Mit einem finalen Plot Twist durchkreuzen sie diese sehr komplizierten Deutungsversuche.
„Yesterday“ zeigt unzweideutig, dass sich Jack Malick an etwas erinnert: die Harry Potter-Romane sind noch nicht geschrieben worden.

Noten: BigDoc = 3,5


Yesterday – Großbritannien 2019 – Regie: Danny Boyle – Buch: Richard Curtis - Laufzeit: 116 Min - FSK: keine Beschränkung - D: Himesh Patel, Lily James, Kate McKinnon, Ed Sheeran, Ana de Armas.