Freitag, 3. April 2020

Picard - die neue Star Trek-Serie hat starke und schwache Momente

„Great Expectations“ – der Titel eines Romans von Charles Dickens könnte auch die Begeisterung gut auf den Punkt bringen, die recht groß war, als bekannt wurde, dass CBS mit „Picard“ endlich ein richtiges Sequel auf die Reise schicken wollte. Allerdings: Sind die Erwartungen groß, ist es die Fallhöhe auch. 


Dann war es soweit: „Picard“ konnte mit Patrick Stewart als Jean-Luc Picard und anderen bekannten Darstellern aus „Star Trek: The Next Generation“ und „Star Trek: Voyager“ besonders am Anfang kräftig punkten. Danach gab dabei ein paar schöne Momente, jede Menge Nostalgie, aber leider auch ein paar Bruchlandungen zu sehen. Note: Befriedigend.



Bigger than big

„Aber eins muss am Ende stimmen: das neue Alte muss auch gut sein“, schrieb ich zum Staffelauftakt. Klappte nicht ganz, am Ende war doch zu viel heiße Luft in der Show. Man staunte zum Beispiel über Dinge wie das Universal-Reparaturtool, mit dem man wirklich alles in Sekundenschnelle reparieren konnte. Harry Potter im Weltall? 

Doch das sind Petitessen. Früher, in alten TNG-Zeiten, hätte man sich nicht aufgeregt, sondern einfach auf die nächste Folge gewartet. Gute und schlechte Geschichten gab es nämlich früher auch, nur ohne die Aufgeregtheit, mit der heute alles im Internet gehypt oder niedergeredet wird. Mich nervten damals die Episoden mit der Betazoidin Lwaxana Troi ab und um die Ferengi machte ich einen großen Bogen, was nicht immer klappte. Bleiben wir bei „Picard“. Dass ich zunehmend irritiert zuschaute, war kein Zufall. Die fünfte Episode „Stardust City Rag“ ließ erste Zweifel aufkommen, obwohl sie kräftig am Rad drehte, den Kernplot vorantrieb und mit dem größten Vertrauensbruch der gesamten Staffel endete. Trotzdem hatte man das Gefühl, eher in einer Space Opera à la Star Wars zu stecken. Picard undercover als Waffenhändler auf einem Planeten mit freakigen Aliens, ein paar laue Witze – Humor war eigentlich nie die große Stärke von „Star Trek. Am Ende hatte die Episode dann wohl doch nur die eine Funktion, nämlich den Eintritt der ikonischen Seven of Nine (Jeri Ryan) in die Serie mit einem knackigen Shootout zu garnieren.

Grundsätzlicher ist ein anderes Problem: es wurde in
„Picard“ horizontal erzählt, das ist seit „Star Trek: Enterprise“ Standard. Die größten Erfolge hatten die alten Serien aber mit Procedurals, also abgeschlossenen Episoden. Es war nicht alles Gold, was glänzte, aber die brillanten Einzelepisoden blieben halt im Gedächtnis und nährten später den Mythos. 
Ganz ehrlich: einiges sieht in den klassischen Serien mittlerweile outdated aus, aber die Perlen sind die Perlen geblieben. Wenn viele gute Autoren für eine Serie arbeiten, ist die Wahrscheinlichkeit eines exzellenten Drehbuchs eben größer als wenn man eine Geschichte erzählt, die ihr Niveau eine Staffel lang halten muss. In Procedurals muss auch nicht in jeder Folge das Universum gerettet werden. Und so waren es häufig die kleinen, menschlichen Geschichten, die eine große Wirkung entfalteten. Und wenn es mal Bruchlandungen gab, ging halt eine Episode hopps, aber nicht gleich die ganze Staffel.

Das eigentliche Dilemma zeigte dann „Star Trek: Discovery
“, aber auch die extrem kritische Rezeption dieser Serie. Star Trek hat eines der bedeutendsten Serienuniversen der letzten 50 Jahre geschaffen. Das Franchise ist gewaltig und jede Neuauflage steht unter dem immensen Druck, etwas Neues zu schaffen, ohne das Alte über Bord zu werfen. Weltweit wachen zudem Trekkies über den Kanon. Kann man da überhaupt etwas richtig machen? STD machte auf jeden Fall eine Menge falsch.
Gut, Star Trek-Geschichten kann man nicht mehr so wie früher erzählen, die neuen müssen moderner und peppiger werden, der visuelle Look sollte auf jeden Fall State of the Art sein. Also wie im Kino. Das wurde geliefert. Aber trotzdem begannen dann
nicht nur die Trekkies mit „Star Trek: Discovery“ zu fremdeln. Paralleluniversen, Zeitreisen, Sporenantrieb und andere Gimmicks machten allen klar, wohin die Reise führen sollte. Die Devise lautete: Bigger than big. Und natürlich ging es dann, Raumschlachten à la Star Wars inbegriffen, um die Rettung des gesamten Universums. Doch wer auch immer die Galaxis bedrohte - es wirkte weniger durchdacht und weniger spannend als das, was die klassischen Serien mit der Einführung der Borg und später mit der Spezies 8472 boten.


Alles düsterer und ohne moralischen Kompass

„Picard“ machte diese Fehler zunächst nicht. Mit gemächlichem Tempo wird erzählt, wie der in Rente gegangene Sternenflotten-Admiral Jean-Luc Picard mit immerhin 94 Jahren aus der Gemütlichkeit seines französischen Weingutes mitten in eine große Verschwörung geworfen wird. Dabei ging es um nicht weniger als die Vernichtung aller künstlicher Lebensformen durch die romulanische Geheimorganisation Zhat Vash
Diese quasi-religiöse Truppe aus tödlichen Nonnen-Ninjas war jahrhundertelang von der Ankunft einer nicht-menschlichen „Zerstörerin“ überzeugt, die alles in Schutt und Asche legen würde. Zumindest war dies die warnende Botschaft einer untergegangenen Zivilisation, die vor einigen Millionen Jahren einer übermächtigen und kriegerischen Maschinenzivilisation zum Opfer gefallen war.
Diese Bedrohung erinnerte ein wenig an die Borg, und die sollten ja etwas später auch in „Picard“ auftauchen. Showrunner Alex Kurtzman nahm sich aber zunächst viel Zeit, führte die Figuren aufmerksam ein und etablierte gradlinig das Thema der Serie. Wie in „The Measure of a Man“ (Staffel 2, Episode 9: „Wem gehört Data?“) sollte es um die Menschenrechte gehen, und zwar auch für künstliche Lebensformen. Bereits in dieser 1987 ausgestrahlten Episode tauchte auch ein gewisser Bruce Maddox (Brian Brophy) auf, nach dem Picard in der neuen Serie suchen würde. Wollte Maddox in „The Measure of a Man“ den Androiden Data zu Forschungszwecken auseinandernehmen, so ist er in „Picard“ ein Kybernetiker, der eine neue und bessere Generation von Androiden geschaffen hat, nun aber von den Romulanern und der Föderation gejagt wird.

Ja, es ging düster zu in „Picard“, eine dunkle Stimmung machte sich in dem früher immer etwas steril wirkenden, aber optimistischen Roddenberry-Kosmos breit. Nicht ohne Grund, denn nicht nur die Romulaner, auch die Föderation hatte ganz spezielle Ängste. Nach einem Terroranschlag auf dem Mars, der von Androiden ausgeführt wurde, verbot die Gemeinschaft der Planeten alle künstlichen Lebensformen. Die Föderation hatte ihr Nine-Eleven erlebt. Ohne moralischen Kompass und voller Abgründe verwandelte sie sich danach in eine kapitalistische Turbo-Gesellschaft, in der Korruption und Niedertracht wahrscheinlicher waren als Solidarität und humanitäre Werte.
Wie tief diese Organisation gesunken war, zeigte der Umgang mit den Romulanern. Die stromerten nach der Vernichtung ihres Heimatplaneten Romulus durch eine Supernova als Flüchtlinge durch die Galaxis. Admiral Picard war ihr letzter Fürsprecher, quittierte aber den Dienst, als sich die Föderation jegliche Hilfe einstellte. Von der wertestabilen Gemeinschaft war also nach dem Willen der Showrunner nicht mehr viel übriggeblieben. Ihre Repräsentanten waren kälter, zynischer geworden – und kritikresistent. Wer hier einen Bruch mit dem Kanon witterte, sollte sich alte TNG-Folgen anschauen – auch im klassischen Roddenberry-Kosmos gab es für Picard regelmäßig Stress mit der Zentrale. 


Das Weitere ist einfach zusammenzufassen: Picard erfährt, dass der von ihm immer betrauerte Data offenbar zwei „Töchter“ hat. Dahj uns Soji, zwei Androidinnen mit einem bedeutenden Anteil an Gedächtnisengrammen ihres Vaters. Picard wird Zeuge, wie Dahj (Isa Briones) in Folge 1 „Remembrance“ von Romulanern getötet wird. Danach stellt Picard eine neue Crew zusammen, besorgt sich ein Raumschiff und begibt sich auf die Suche nach Soji (ebenfalls Isa Briones) und auch nach einem verschollener Kybernetiker des Daystrom-Instituts, Bruce Maddox, dem genialen Schöpfer einer neuen Androiden-Generation. Soji befindet sich auf einem Borg-Würfel, in dem Borg mit Billigung der Föderation von Romulanern bei lebendigem Leibe technisch ausgeschlachtet werden. Dort ist sie aber längst in den Fokus der romulanischen Agentin Larissa (Peyton List) geraten, die ihren Bruder Narek (Henry Treadaway) auf Datas Tochter ansetzt. Er soll herauszufinden, wo sich der mysteriöse Heimatplanet der von Maddox geschaffenen künstlichen Lebensformen befindet.

Picards neue Crew ist bei dieser Suche allerdings weit von den Standards der Sternenflotte entfernt. Raffi Musiker (Michelle Hurd) war früher in Picards Stab, musste aber ihre Laufbahn beenden, als Picard seine Uniform an den Nagel auszog und Starfleet verließ. Nun hängt sie an der Flasche, entwickelte sich aber zur treuen Seele der Crew, die trotz ihrer Knarzigkeit Picard loyal zur Seite steht.
Santiago Cabrera spielt nicht nur den ruppigen Chris Rios, den ständig Zigarren paffenden Captain von Picards angeheuertem Schiff La Sirena, sondern auch sämtliche holografischen Notfallprogramme an Bord. 
Alison Pill ist Dr. Agnes Jurati, eine Kybernetikerin, die mit Maddox zusammengearbeitet hat, tatsächlich aber von der Zhat Vash und der halbromulanischen Vulkanierin (!) und Sternenflotten-Sicherheitschefin Commodore Oh (Tamlyn Tomita) kontrolliert und manipuliert wird.
Einen Hauch von „Herrn der Ringe“ bringt der Romulaner Evan Evagora als tödlicher Schwertkämpfer Elnor in die Serie. Elnor wird quasi Picards romulanischer Leibwächter, aber die durchaus interessante Figur wird nie zu einem integralen Bestandteil der Handlung. Ein zusammengewürfelter Haufen also, gewöhnungsbedürftig (wie immer im Star Trek-Kosmos), aber man hätte es auch schlechter machen können.

So hangelt sich „Picard“ nicht ungeschickt durch die Episoden und auch die erwarteten Abstecher ins Nostalgische, Picards Begegnung mit Will Riker und Deanna Troi samt Tochter dürfte jene Trekkies begeistern, die sich schon immer gewünscht hatten, dass die komplizierte Beziehung zwischen den beiden ein glückliches Ende findet.



Die Opfer sind die Schurken

Ein glückliches Ende hätte man auch der Serie gewünscht, aber es kam anders. „Picard“ brach dann in der finalen Doppelfolge ein, das Storytelling wurde richtig mies, und das konnte auch durch durch die vielen netten Nostalgiemomente nicht verhindert werden. Was passierte? Spannung aufbauen ist einfach, ein vernünftiges Ende hinzubekommen, das gelingt nur wenigen. Die Doppelfolge „Et in Arcadia Ego“ gab den Machern genügend Zeit für eine vernünftige Storyline in die Hand. Trotzdem gab es Handlungslöcher, Ungereimtheiten und mit einem verkitschten und emotional völlig trostlosen Ende dann auch einen ärgerlichen Abgang. 

Dabei geht es aber nicht um Plotlöcher und simple Ungereimtheiten. Gene Roddenberrys war als säkularer Humanist grundsätzlich von einer friedvollen, ethisch, philosphisch und technologisch fortschrittlichen Entwicklung der Menschheit überzeugt. Dystopische Szenarien konnten daher nur ein temporäres Geschehen sein. Der deutsche Philosoph Franz Schulze hat dies klar auf den Punkt gebracht: Zukunftsvisionen wie Star Trek richten sich ja generell immer an die Gegenwart und sind da, wo sie als Dystopien auftreten, vor allem als Warnungen zu sehen – in der Hoffnung, damit die eine oder andere Katastrophe bzw. Fehlentwicklung vielleicht eben doch vermeiden oder abmildern zu können.
Ob Roddenberry eine Geschichte gemocht hätte, in der die Föderation in allen genannten Bereichen den Bach runtergeht, ist fraglich. Was Alex Kurtzman und sein Team erzählten, ist aber legitim, weil es abbildet, wie Geschichte funktionieren kann. Wer dies nicht ertragen will und kann, möchte grundsätzlich keine Veränderung in diesem fiktionalen Epos. Aber das wäre redundantes Treten auf der Stelle. Insofern ist Picard“ ein faszinierendes Experiment mit unklarem Ausgang.

Roddenberrys Philosophie mag naiv gewesen sein, aber seine moralische Kategorien waren einfach und nachvollziehbar. Wer die Guten waren, wusste man – und die Bösen waren halt das, was sie waren. „Picard“ folgt der vertrauten Moralität Roddenberrys nur noch teilweise, und die ist längst nicht mehr die Vision eines besseren Morgen, sondern nur noch der Widerstand einiger Individuen gegen eine Föderarion, die fremdenfeindlich und frei von Skrupeln ist. Nun Picard ändert sich nicht. Er entdeckt auch in der aktuellen Krise immer noch einen Hoffnungsschimmer oder eine Lösung, die leicht zu finden ist, falls man sich auf das besinnt, was die Föderation einst gewesen ist.

Vor diesem düsteren Hintergrund entwickelten die Serienmacher komplizierte Plot Twists, die alle Figuren ambivalenter und ebenfalls düsterer machten. Das sollte wohl der Spannung dienen, aber dramaturgisch war dies nicht durchdacht. So wurden die zunächst schuldlos erscheinenden und verfolgten Androiden (der Angriff auf den Mars war ein vom Zhat Vash inszenierter Terroranschlag) plötzlich genau das, was die romulanische Geheimorganisation schon immer befürchtet hatte.
Auf Coppelius, dem Heimatplaneten der Androiden, verfolgt Sutra, die Anführerin der Androiden (verschlagen, zynisch, paranoid und ebenfalls von Isa Briones in ihrer dritten Rolle gespielt)
tatsächlich einen Kurs, der die Auslöschung des organischen Lebens zum Ziel hat. Und Soji ist am Ende wird zur „Zerstörerin“, die alles tun will, um ihre bedrohte Spezies zu retten. Und so werkelt sie an einer Maschine, mit der eben jene synthetischen Lebensformen durch ein Wurmloch in die Galaxis gerufen werden sollen, um den interstellaren Genozid durchzuführen. Auch wenn der Kurzauftritt von Brent Spiner als Dr. Altan Inigo Soong an die beliebte TNG-Doppelfolge „Descent“ Part 1 und 2 erinnerte („Angriff der Borg“, Staffel 6 und 7) und Soong die Fehlentwicklung erkannte und mit einer Fernbedienung Sutra „ausschaltete“, konnte das der Doppelfolge keine überzeugende Wendung geben.
Am Ende verhindert Picard aufgrund seiner Bereitschaft, sein Leben für Androiden zu opfern, das sich anbahnende Drama. Aber man hatte dabei das Gefühl, dass für einen Spannungseffekt einiges geopfert wurde, nur um zu zeigen, dass in dieser neuen düsteren Welt niemandem mehr getraut werden kann.
Auch nicht den Opfern. Die Romulaner, für die Picard gekämpft hatte, wurden gründlich diskreditiert, die Androiden waren tätsächlich unberechenbar. Hatten die Romulaner von Anfang an nicht doch Recht gehabt? 
Vielleicht passte dies zur neuen Tonalität der Serie, es wirkte trotzdem konstruiert. Und wenn die Serie eine Warnung im Sinne von Frank Schulze vortragen wollte, dann war es die falsche! Von Roddenberry war die Serie nie weiter entfernt, denn hier war es ein standhafter Greis, der sich mit der Kraft seiner moralischen Überzeugungen fast allein dem Untergang entgegenstemmte, auch wenn sich eine Armada der Sternenflotte am Ende doch an seine Seite stellte. Aber die finale Doppelfolge hatte noch mehr zu erzählen, was nicht stimmig war.


Data ist tot

Ja, der nicht nur bei Trekkies beliebte Android ist nun endgültig tot. Picard bringt ihn eigenhändig um, nachdem zehn Folgen lang die tiefe Freundschaft zu der künstlichen Lebensform, die so gerne ein Mensch geworden wäre, Picards emotionale Antriebsfeder gewesen war. 
Für Alex Kurtzman, Kirsten Beyer, Michael Chabon und Akiva Goldsman war dies der sorgfältig geplante emotionale Höhepunkt der finalen Episode. Nicht nur, weil Picard einen Fake-Tod stirbt, an den man in keiner Sekunden glaubt, sondern weil er zum letzten Mal Data begegnet. Natürlich ging es Picard die ganze Zeit lang um Human Rights für die verfolgten Androiden. Aber insgeheim war er davon fasziniert, dass das KI-Forschergenie Bruce Maddox aus winzigen Teilen von Datas positronischem Gehirn offenbar die gesamte Person rekonstruieren konnte. Bereits die Begegnung mit Dahj hatte Picard elektrisiert. Und dann der Höhepunkt der letzten Folge „Et in Arcadia Ego“: Data lebt, nicht physisch, aber recht komfortabel in einer „komplizierten Quantensimulation“. Anders formuliert: in einer Art Holodeck à la Professor Moriarty in „Ship in a Bottle“.
Picard wacht nach seinem melodramatischen Tod in dieser Simulation auf. Das Ganze war schon deshalb unglaubwürdig war, weil eine zweite Staffel mit ihrem Hauptdarsteller bereits eine beschlossene Sache war. Die Zweifel waren berechtig, denn – schwupps – befand sich der ehemalige Captain der „Enterprise“ in der Quantensimulation (man merke: immer wenn etwas völlig Durchgeknalltes sich auf leisen Sohlen anschleicht, wird irgendwas mit „Quanten“ gefaselt). Dort sitzt er in einer gemütlich möblierten Bibliothek, zusammen mit seinem Ex-Commodore Data. Doch ausgerechnet der wissensdurstige Android hatte wohl inzwischen zu viel Heidegger gelesen und danach entdeckt, dass sich die Bedeutung des Lebens in seiner Sterblichkeit aufscheint. Und deshalb bittet er tatsächlich um Sterbehilfe.


Das ist Humbug. Wäre diese philosophische Hypothese richtig, müsste Data eigentlich noch wenig weiterleben, um in den existentiellen Abgrund zu schauen. Heidegger tat dies nicht ständig, er ging viel lieber zum Skifahren. Das wäre auch für Data die bessere Alternative gewesen.
Zuletzt war Data von dem vom britischen Regisseur Stuart Baird in „Nemesis“ umgebracht worden – ein wirklich guter Grund diesen Film nicht zu mögen. Nun, gerade frisch aufgetaucht, will Data sterben.
Folgt jetzt eine hitzige Debatte? Läuft der grandiose Rhetoriker Picard zur Höchstform auf, um seinen teuren Freund zum Bleiben zu überreden? 
Nichts von alledem. Die Sache wird abgenickt,
Picards Bewusstsein wird flugs aus der Simulation in seinen neuen künstlichen Körper gebeamt, die Speicherkarten mit Datas Bewusstsein und allen Erinnerungen werden herausgegezogen wie in Kubricks „2001. Man fragt sich, ob eine neuer Körper nicht auch eine verlockende Option für Data gewesen wäre. Nein, sie wurde ihm nicht unterbreitet und das Ganze war ein Rohrkrepierer. Man wollte herzergreifend sein und sorgte nur für ein unwürdiges Ende. Danach sind alle wieder bester Laune, Jean-Luc Picard ruft „Energie“ und auf geht’s zu neuen Abenteuern.
Das ist Murks. Man tötet keine Figur, die ihre potentielle Unsterblichkeit immer als Herausforderung verstanden. Am Ende ist Picard ein Android und sein guter Freund, der immer ein Mensch sein wollte, ist digitale Asche.



Fazit

„Picard“ ist eindeutig besser als „Star Trek: Discovery“. Die neue CBS-Serie hat anfänglich sehr viel Spaß gemacht, auch die Auftritte der alten Weggefährten Picards waren trotz kleiner Übertreibungen sehr amüsant – und wer hat sich nicht gefreut, als Seven of Nine ihre brachialen Auftritte hatte? Die vereinzelt vorgetragene Kritik an den Revival-Auftritten altbekannter Figuren erübrigt sich daher: hätte man auf sie verzichtet, wäre die Empörung groß gewesen. 
Die Production Values waren beachtlich, die Kamera liefert gediegene Bilder, die Inszenierung hatte Rhythmus und war nur für High-Speed-Junkies ein Gräuel. Und Patrick Stewart? Der übertraf alle Erwartungen und man kaufte ihm zehn Episoden lang den drahtigen und doch todkranken Mittneunziger ab. Großartig gespielt.

Nein, es war vieles gut. Die zwanghafte Vorstellung von Alex Kurtzman und Co., die glaubten, dass man es am Ende emotional richtig krachen lassen muss, war ärgerlich. Auch hier: Bigger than big.
„Picard“ hat trotzdem Spaß gemacht hat, obwohl der anfängliche Enthusiasmus spürbar nachließ. Irgendwie bleibt aber das Gefühl, dass die zweite Staffel nur besser werden kann.



Note: BigDoc = 3


Picard – USA 2020 – CBS, 10 Episoden – Showrunner und Executive Producer: Alex Kurtzman, 
Akiva Goldsman, Michael Chabon, Kirsten Beyer – D.: Sir Patrick Stewart, Isa Briones, Michelle Hurd, Evan Evagora, Santiago Cabrera, Harry Treadaway, Alison Pill, Brent Spiner, Jonathan Frakes, Jeri Ryan, Marina Sirtis, John Ales, Jonathan Del Arco als “Hugh”.