Donnerstag, 16. April 2020

Westworld – von Corona kalt erwischt

Nach drei Episoden der dritten Staffel von „Westworld“ werden die Zuschauer und Streamer mit unliebsamen Fakten konfrontiert: die HBO-Serie wird es auf SKY und seinen unterschiedlichen Plattformen nicht mehr in synchronisierter Fassung geben.
 

Im Moment kann man die von Jonathan Nolan und Lisa Joy geschaffene Serie in den nächsten Wochen bei Sky Ticket, Sky Q und Sky Go on Demand nur in der Originalfassung sehen, bestenfalls mit Untertiteln. SKY Atlantic HD steigt aus, berichtete QUOTENMETER am 14.4. Im Juni soll alles wieder „normal“ werden, doch mit dem Gebrauch dieses Wortes muss man in Corona-Zeiten vorsichtig umgehen.


Die Handlung hat ihre Originalität eingebüßt

Wer schaut sich eine Dystopie an, wenn man mitten in einer steckt? Eine interessante Frage, auf die es im Moment keine Antwort gibt. Aber lohnt sich das Weiterschauen überhaupt? Hier gibt es ein klares und eindeutigen Jein. 

Spaß beiseite. „Westworld“ ist endgültig zu einer finsteren Dystopie geworden, die ziemlich eindeutig an „Blade Runner“ und an die nicht zu unterschätzende Serie „Altered Carbon“ erinnert. Einige der Hosts sind nach den Gemetzeln der 2. Staffel in die reale Welt entkommen und planen dort … ja, was eigentlich?
Dolores (Evan Rachel Wood) will das Überleben der eigenen Spezies sichern, aus der lieben Farmerstochter ist eine mörderische Furie geworden, womit wir beim Topos ‚Künstliche Lebensform vs. Humanoide‘ gelandet sind. Das Thema haben wir gerade in dem Star Trek-Ableger „Picard“ zu sehen bekommen. Dort konnte die Annihilation des biologischen Lebens im gesamten Kosmos gerade noch verhindert werden. Ob Dolores für die Menschen Ähnliches plant?
Maeve (Thandy Newton) dagegen geht ihren eigenen Plänen nach, offenbar will sie immer noch ihre Tochter zurückbekommen, aber in der zweiten Episode landet sie zunächst in einem undurchsichtigen Delos-Szenario. Nazis wüten in einem kleinen italienischen Dorf, wobei nicht ganz klar ist, ob sich die Hosts in einer Erzählschleife ohne Gäste befinden oder ob der Park wieder zahlungskräftige Besucher bedient. Außer einer Begegnung mit Hector (Rodrigo Santoro), der sich nicht mehr so recht an Vergangenes erinnern kann, wirft die Episode „The Winter Line“ aber nur wenige Erkenntnisse über die geschäftlichen Aktivitäten im Park ab. Maeve begeht zum x-ten Mal Selbstmord, um in die Reparaturabteilung zu kommen. Den Trick hat sie gut drauf: sie entkommt und flüchtet in die reale Welt.


In dieser Realität stellt sich einigen Partygästen der Incite Inc. die Frage, ob ihre Welt tatsächlich die Realität ist oder eine weitere virtuelle Konstruktion. Dies ist zunächst nur Teil eines lockeren Partygeplauders. Aber verdächtig genug ist der beiläufig geäußerte Scherz schon. Wer Daniel Galouyes „Welt am Draht“ kennt, weiß, was gemeint ist. 

Wichtig sind die Machtmenschen der Incite Inc allerdings schon. Die Serie hat nämlich einen Zeitsprung in das futuristische Los Angeles des Jahres 2058 gemacht, die Metropole weist ziemlich klischeehaft alle Eigenschaften einer dystopischen „Brave New World“ auf. Besser ist die Welt also nicht geworden, aber dass die Menschen, die zuvor im Delos-Park gewütet haben, in realiter moralische Instanzen sind, war ja auch nicht zu erwarten.


In dieser Welt hat die weltumspannende Firma Incite Inc. so gut wie alle Daten über jeden Menschen gesammelt und kontrolliert sie mit einer Super-KI. Rehoboam heißt der mächtige Quantencomputer und natürlich will Dolores mithilfe ihres Charlotte Hale-Klons die Kontrolle über dieses definitive Instrument der Macht erlangen.
Das Problem ist nur, dass der Charlotte Hale-Klon mit Teilen von Dolores Unterbewusstsein ausgestattet wurde, schubweise mit schweren Identitätskrisen zu kämpfen hat und sich selbst massiv verletzt. Borderline. Dolores befindet sich also in der komplizierten Situation, einen Host zu bemuttern, der im Prinzip sie selbst ist. Gut, einfach war „Westworld“ nie.
 

In dem Ringen um die Macht spielt auch der geheimnisvolle Serac (Vincent Cassell) eine Rolle, der ebenfalls die Kontrolle über Rehoboam anstrebt. By the way: Die AI verdankt ihren Namen dem ersten König von Juda (931-914 v. Chr.) und wenn man Jonathan Nolan und Lisa Joy zu kennen glaubt, wird dies aus irgendwelchen Gründen sicher kein Zufall sein. Serac strebt für die Umsetzung seiner Ziele eine Allianz mit Maeve an. Sie soll Dolores töten. Ansonsten spielt Vincent Cassell kaum gegen sein Rollenklischee an: nämlich fies, undurchsichtig und möglichst skrupellos zu sein.

Dolores dagegen sichert sich die Dienste von Caleb Nichols (Aaron Paul), einem Kriegsveteranen, der sich seinen Lebensunterunterhalt als Bauarbeiter und Kleinkrimineller sichert. Caleb rettet Dolores das Leben, als sie von Killern der Incite Inc. liquidiert werden soll. Danach trennen sich ihre Wege, aber als Dolores in Episode 3 „The Absence of Field“ Caleb darüber informiert, dass Rehoboam den Suizid Calebs innerhalb der nächsten 10-12 Jahre prognostiziert hat, wird Caleb klar, warum die KI dafür gesorgt hat, dass er in der neuen, durchgeplanten Welt keine vernünftigen Jobs mehr erhalten hat.
Die Aussicht auf eine Revolution gegen dieses Regime macht aus Caleb einen neuen Follower von Dolores. Und damit hat „Westworld“ seine Schlüsselthemen gefunden: Unterscheiden sich die Hosts in einem Vergnügungspark grundlegend von den Menschen, deren Zukunft eine Super-KI bis ins letzte Detail kennt und die alle durchs Sieb fallen lässt, die weder leistungsfähig noch systemaffin sind? Die anthropologische Frage wäre noch einigermaßen originell, die Geschichte vom digitalen
„Big Brother" ist es definitiv nicht.

Es gibt keine emotionalen Beziehungen zu den Figuren

Ohne Frage bringt der charismatische Aaron Paul frischen Wind in die Serie. Das hat einen Grund: seine Figur ist die einzige, zu der man in der dritten Staffel von „Westworld“ eine emotionale Beziehung aufbauen kann. Abgesehen vom dauerzerknirschten Bernard (Jeffrey Wright). Caleb ist allein schon aus sozialpolitischen Gründen ein bemerkenswerte Mann, der genauso wie die Hosts um seine Integrität kämpft – und um die Möglichkeit, sein Leben selbstbestimmt zu führen. Das ist in der totalen Überwachungsgesellschaft weder für Menschen und erst recht nicht für die eingewanderten Hosts möglich, und so überrascht es nicht, dass Dolores ihren neuen Buddy angesichts dieser Seelenverwandtschaft einen „guten Menschen“ nennt. Doch ist eine Freundschaft zwischen einem Host und einem Humanoiden auf Dauer möglich?

Alle anderen Figuren bieten nur wenig Potential, um sich für ihre Ziele und Nöte zu erwärmen. Sie sind zu stereotyp, weil „Westworld“ das Narrativ der Serie mit einem abgegriffenen Plot bedient, den man aus unzähligen dystopischen Sci-Fi-Filmen kennt. 
Was ist denn neu an einer Geschichte, in der eine machtgeile Elite mit einer Super-KI die Welt beherrschen will? Und was ist neu an einem Plot, in dem Roboter ebenfalls die Macht erobern wollen, obwohl sie über ein subtiles, fast menschenähnliches Bewusstsein verfügen?
Aber vielleicht liegt der Fehler im „obwohl.“ Zumindest im Falle von Dolores sind menschliche Attribute nicht mehr erkennbar. Misst man sie allerdings an den brutalen Spielregeln der neuen Welt, dann ist sie zutiefst menschlich.Trotzdem: originell ist dieses Narrativ nicht. Wirklich gar nichts ist originell – und das ist das riesengroße Problem, das sich nach den ersten drei Episoden auftut.
Es lässt sich einfach beschreiben, wenn man sich daran erinnert, wie die Serie in ihren Anfängen war. „Westworld“ hat mit der ersten Staffel nämlich ein Meisterwerk hingelegt, das die Bewusstwerdung einer künstlichen Lebensform genial interpretierte. Man konnte getrost von einem Jahrhundertwerk sprechen. Näher war man in einem populären Unterhaltungsformat nie dran an den Fragen der Philosophy of Mind, an den kybernetischen Visionen der Zukunft und an den zivilisationsskeptischen Fragen, die dem Zuschauer unweigerlich die Moralfrage vor die Füße warfen: Befinden wir uns alle schon in der Vorphase einer hedonistischen Gesellschaft, die unsere primitivsten Triebe befriedigen wird, wenn wir zahlungskräftig genug sind, um uns den Spaß leisten zu können? Was ist Bewusstsein und sind wir möglichweise auch nur Wesen, die zwar nicht von einprogrammierten Storylines, dafür aber von Verhaltensweisen gesteuert werden, die wir nur in geringem Maße beeinflussen können? Und nun kommt auch noch Rehoboam ins Spiel.


In „Westworld“ ging es anfangs niemals nur darum zu erklären, wie Hosts denken und fühlen lernen, sondern wie dies darüber Auskunft gibt, wie wir selbst denken und fühlen. „Westworld“ hatte uns dazu eine Linearität der Erzählung vorgegaukelt, die sich als großes, aber lösbares Rätsel entpuppte, das deshalb so kompliziert konstruiert wurde, damit der Zuschauer nicht nur rational, sondern auch emotional nachvollziehen kann, wie Bewusstsein aus der Erfahrung von Leid und Schmerz und der Erinnerung daran erwächst und wie dies alles zu einer Revolte der Hosts führt.


Danach war – zumindest aus meiner Sicht – die Geschichte auserzählt. Definitiv. Auch weil zu befürchten war, dass man dieses extrem hohe Niveau nicht würde durchhalten können.
Die zweite Staffel bestätigte dies, weil die Showrunner nach dem Prinzip „von allem ein bisschen mehr“ den Grad der Komplexität ins Absurde steigerten, bis man ohne akribische Metaanalysen nicht mehr verstehen konnte, wer nun wer ist und warum. Die Non-Linearität der Serie wurde zum formalistischen Selbstzweck, die Verwandlung einiger Hosts in Killermaschinen war vordergründig nachvollziehbar, im Falle von Dolores aber ein fataler Rohrkrepierer, da die emotionale Hauptfigur der Serie komplett gegen den Strich gebürstet wurde und kaum noch als Identifikationsfigur taugte.
Und nun die dritte Staffel, die zwar mit scheinbar hohen Ansprüchen die Geschichte weitererzählen will, aber enttäuscht, weil man die Zutaten dieses Narrativ schon x-mal gesehen hat.


Ästhetisch liefert die Serie – aber es ist nicht ausbalanciert

Aber nicht nur die Geschichte limitiert die Anteilnahme, auch die Form tut dies. Die erratische Geschichte will auch ästhetisch eine eiskalte und unwirtliche Dystopie sein. Die Gefühle von Fremdheit und Entfremdung sollen in jeder Einstellung, im Score und im Bildschnitt präsent sein. 

Leider führte dies bislang zu einer artifiziellen Überstilisierung, gut sichtbar in einigen Kameramotiven, in denen sich an sich banale Vorgänge in meisterhaft fotografierte und edle Aufnahmen voller Düsternis verwandeln. Zugegeben: visuell ist „Westworld“ immer noch elegant und schön anzuschauen. 
Aber es gibt auch Anzeichen der Dekadenz. Die dritte Episode wurde fahrig und sprunghaft geschnitten. Man hatte den Eindruck, dass die disruptive Montage jeden Ansatz von zusammenhängenden Sequenzen sprengen wollte, um der Geschichte die emotionalen Bindungskräfte auszutreiben. Wenn dies gewollt war, dann kann man es als gelungen bezeichnen. 

Dazu passt auch die synthetische Musik, die erbärmlich abgemischt wurde und sich zumindest in der bei SKY zu sehenden Synchron-Fassung wie ein trostloses Leichentuch über die Dialoge legt. Die sind nämlich kaum zu verstehen und man muss an den Toneinstellungen des heimischen TV lange herumbasteln, um diesen Sound erträglicher zu gestalten.


„Westworld“ hatte von Beginn an ein großes Versprechen, nämlich wenigstens ein Rätsel mit dem Staffelende zu lösen. Der ersten Staffel gelang dies, der zweiten eigentlich kaum noch. Die dritte Season von „Westworld“ erzählt nun wieder etwas linearer, ist überschaubarer, leidet aber deutlich daran, dass von der genialen Originalität und dem profunden Know-how der Macher wenig übriggeblieben ist. Aber natürlich ist Geduld gefordert, denn nicht alles ist schlecht. „Westworld“ hat nach wie vor starke Momente. Aber noch mehr als zuvor wird alles davon abhängen, ob das Staffelfinale eine Pointe bereithalten wird, die etwas von der Verblüffung zurückbringt, die die Serie in der ersten Season in unsere Köpfe zauberte.