Freitag, 31. Juli 2020

The Collapse

Was würde mit unserer Gesellschaft passieren, wenn das globale System morgen zusammenbrechen würde? Die achtteilige französische Miniserie „The Collapse“ beantwortet diese Frage mit gnadenloser Konsequenz. 
Ohne die Technologien der modernen westlichen Industriegesellschaften sind die Menschen dem Untergang geweiht.
Erst zerfallen die technischen, dann die ökonomischen Strukturen und fast gleichzeitig auch die moralischen. Die Stationen des Zerfalls werden in „The Collapse“ parabelhaft erzählt, die Episoden sind aber trotz oder vielleicht auch wegen ihrer analytischen Schärfe außergewöhnlich spannend erzählte Geschichten.



Die völlige Umbewertung des Vertrauten 

„The Collapse“ (L’Effondrement) wurde Ende letzten Jahres vom französischen Bezahlsender Canal+ gezeigt. Mittlerweile hat sie der Streaminganbieter Joyn in sein kostenloses Angebot aufgenommen. Joyn bezeichnet die dystopische Serie als Erwartungs-Anthologie. Wie sehen die Grenzen der Industriegesellschaft aus, wenn aufgrund einer globalen Krise kein Zugriff auf Ressourcen wie Wasser, Benzin, Lebensmittel und Strom möglich ist und die öffentlichen und privatwirtschaftlichen Akteure nicht mehr handlungsfähig sind?
Die Filmemacher Guillaume Desjardins, Jeremy Bernard und Bastien Ughetto erzählen davon, was sie erwarten, in acht Episoden mit Laufzeiten zwischen 18 und 25 Minuten. Gedreht wurde jede der kleinen Geschichten als Plansequenz, also in einer einzigen Kameraeinstellung ohne Schnitt. Das ist spätestens seit „1917“ kein originelles Stilmittel mehr, funktioniert in „The Collapse“ aber nicht als ästhetische Formel, sondern als Werkzeug einer enorm dichten Erzählung.
Die führt den Zuschauer in Supermärkte, zu Tankstellen und in Altenheime – und überall zeigt der komplette Shutdown der Gesellschaft ein jeweils anderes Gesicht. 
Die Serie bedient dabei die Erwartungen des Zuschauers an eine dystopische oder post-apokalyptische Serie, nimmt ihn aber auch mit auf eine Reise, die ihm häppchenweise vorführt, wie schnell sich eine völlige Umbewertung des Bekannten und Vertrauten, aber auch der moralischen Orientierung vollziehen kann. Ohne thesenhaft oder gar langweilig zu werden, liegt dabei der Fokus auf ökonomischen Aspekten. Jede Episode hat einen Zeitstempel. Im Titel wird angezeigt, wie viele Tage seit dem Zusammenbruch vergangen sind und die Macher demonstrieren, wie wenig Zeit die Verwandlung einer zivilen Hi-Tech-Gesellschaft und ihrer Ökonomie in pure Anarchie benötigt.

Guillaume Desjardins, Jeremy Bernard und Bastien Ughetto sind ein Teil des kreativen Kunstkollektivs „Les Parasites“. Tatsächlich wirkt „The Collapse“ zunächst nicht besonders parasitär, dann aber so unbequem wie eine Zecke, die sich unbequem im Zuschauer einnistet. Für die Serie haben „Les Parasites“ einen prominenten Cast zusammengestellt, darunter Lubna Azabal, die 2015 den Magritte Award für die beste Nebendarstellerin in „The Marchers“ und für die beste Hauptdarstellerin in „The Incendies“ gewann. Die Anthologie-Serie erschien im November 2019 und wurde der Grand Prix Winner bei den Deauville Green Awards im selben Jahr.
Da die Serie im deutschen Blätterwald so gut wie gar nicht wahrgenommen wurde, qualitativ aber zu den originellsten und kreativsten Dystopien der jüngeren Vergangenheit gehört und dabei die ZDF-Pandemie-Serie „Sløborn“ mühelos aussticht, folgt an dieser Stelle eine analytische Inhaltangabe, die hoffentlich neugierig macht. 



Episode 1: Der Supermarkt (2 Tage danach)

Alles wird knapp. Die allgemeine Panik löst Hamsterkäufe aus, doch bald sind die Regale leer. Der junge Kassierer eines Supermarkts will sich eigentlich nach den ersten Anzeichen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs mit einer Gruppe von Freunden aufs Land absetzen. Dann befallen ihn Zweifel. Am Ende schlägt er sich doch auf die Seite der Gruppe und hilft ihr dabei, Lebensmittel zu stehlen. Bei der gemeinsamen Flucht vor der Security des Marktes muss die Gruppe ein Mitglied zurücklassen.
Krise: Stromausfälle und gesperrte Kreditkarten, die kurz zuvor noch funktionierten, repräsentieren den Wegfall der Ressourcen (Lebensmittel, Strom) und den Zusammenbruch der digitalen Netzwerke (Internet, Bankensystem).
Ökonomie: Ressourcenknappheit; fehlende Anpassungsfähigkeit und Realitätsverlust: der Supermarkt-Manager plant eine Erhöhung der Preise, dem vertrauten Mechanismus von Angebot und Nachfrage folgend; beginnende Erosion des Begriffs „Eigentum.“


Episode 2: Die Tankstelle (4 Tage danach)

Einem Vater mit zwei Kindern wird an einer Tankstelle Benzin verweigert, als er mit Geld bezahlen will. Der Tankstellenbesitzer fordert Lebensmittel und lässt sich jeden Liter um ein Vielfaches überbezahlen. Als ihn ein Polizist mit seiner Waffe zum Auftanken zwingen will, bricht Chaos aus. Der Polizist erschießt einen Mitarbeiter der Tankstelle, wird aber von dessen Frau mit einer Schaufel erschlagen. Die wartenden Autofahrer nutzen das Durcheinander und plündern die Tankstelle. Am Ende nimmt der Vater dem enteigneten Tankstellenbesitzer und dessen Familie mit vorgehaltener Waffe auch noch den Van ab und flieht mit seinen beiden Kindern.
Krise: Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung; Verteilung der Ressourcen wird darwinistisch geregelt („Recht des Stärkeren“); Anarchie und Chaos brechen aus. Nach wie vor setzen die Menschen auf die vertraute Mobilität, obwohl keiner weiß, wohin man eigentlich fliehen soll.
Ökonomie: Geld verliert seinen Wert; Profitgier wächst exponentiell; primitive Formen des Tauschhandels etablieren sich und bilden eine perfide und ausbeuterische Umsetzung des Prinzips von Angebot und Nachfrage in einer marktmonopolistischen Situation. Die exorbitante Ausplünderung der Autofahrer wird schließlich nicht markttechnisch, sondern durch unkontrollierte Gewalt geregelt.


Episode 3: Der Flugplatz (5 Tage danach)

Die Episode erzählt die Geschichte des wohlhabenden und vor der Krise politisch einflussreichen Laurent Desmarest (Thibault De Mantalembert), der mitten in einem Schäferstündchen mit seiner Geliebten telefonisch aufgefordert wird, sich innerhalb von 15 Minuten auf einem Flugplatz in der Nähe seines Landgutes einzufinden. Laurent protestiert, wird aber kalt darüber belehrt, dass man ohne ihn abheben wird, wenn er nichtpünktlich ist. Offenbar hat Laurent eine Krisenversicherung angeschlossen, die es den Reichen ermöglicht, in einer schweren Krise an einen sicheren Ort gebracht zu werden (s. Episode 7 „Die Insel“). Nun aber tickt die Uhr. Laurent rafft Geld und wertvolle Bilder zusammen und hält sich seine Geliebte, die mitkommen möchte, mit Fußtritten vom Leibe. Auch andere Hindernisse werden skrupellos aus dem Weg geräumt. Laurents Chauffeur fährt rücksichtslos durch eine Gruppe Menschen, die um Hilfe bittet. Trotzdem kommt Laurent zu spät, aber der mysteriöse Dienstleister bietet ihm einen weiteren Platz in einem anderen Flugzeug an – Laurent muss allerdings in kürzester Zeit einen 100 km entfernten Flugplatz erreichen. Sein Versuch, einen Piloten zu bestechen, schlägt fehl, obwohl er € 100.000 für einen kurzen Flug bietet. Er überwältigt den Mann und kann im allerletzten Moment abheben, bevor sich die Hangar-Türen schließen. Danach fliegt er einer ungewissen Zukunft entgegen.
Krise: Bereits 5 Tage nach dem Kollaps bröselt der gesellschaftliche Status der Upper Class. Auch zuverlässige Verbindungen innerhalb der politischen Netzwerke haben keinen Wert mehr. Jeder versucht um jeden Preis, seine eigene Haut zu retten. Für die Fixierung auf die Attribute seiner Macht und die Fehleinschätzung der ökonomischen Werte muss Laurent fast büßen. Aber die Skrupellosigkeit und Menschenverachtung, die ihn vermutlich in seine privilegierte Position gebracht haben, werden ihn womöglich retten.
Ökonomie: Dinge verlieren immer dramatischer ihren Wert, Geld und auch millionenschwere Gemälde sind Ballast geworden. Neue ökonomische Strukturen bilden sich allerdings nicht, in Episode 3 plündern die Bediensteten von Laurent sein Haus. Diese kurzfristigen Gewinne sind trivial angesichts der Optionen, die Männer wie Laurent besitzen.


Episode 4: Der Weiler (25 Tage danach)

Eine größere Gruppe wandert mit dem alten Matthieu zu einer ländlichen Kommune. Dort hat man nur Matthieu erwartet und beginnt darüber zu diskutieren, was man mit den anderen machen soll. Einer hysterischen und völlig paranoiden Frau gelingt es, einige Neuankömmlinge davon zu überzeugen, dass man sie abweisen wird. Man beschließt, die Kommune zu bestehlen, wird dabei aber ertappt. Der Zeuge wird niedergeschlagen. Die Gruppe hält ihn für tot, hört aber während des Versuchs, die Leiche zu beseitigen, dass die Kommune trotz knapper Vorräte alle aufnehmen will. Doch es ist zu spät. Eine weitere Zeugin niedergeschossen.
Krise: Nicht einmal ein Monat ist vergangen und schon befinden sich die Menschen, die auf der Suche nach Lebensmitteln durch das Land wandern, in einem Zustand des Naturrechts, wie es der Philosoph Thomas Hobbes bereits im 17. Jh. in seinem „Leviathan“ beschrieben hat. Der Selbsterhaltung dient alles, was man sich nehmen kann, auch mit Gewalt. Allerdings herrschen in diesem Zustand unbedingter Freiheit bald Anarchie und Terror. Das Leben der Menschen ist daher „einsam, armselig, scheußlich, tierisch und kurz“ (Hobbes). Retten kann den Einzelnen laut Hobbes nur der omnipotente Staat, aber der ist in „The Collapse“ zerbrochen, sodass auch diese Episode keine Hoffnung auf eine Rückkehr der Normalität bietet. In diesem Naturzustand ist das Wahnhafte, also die von Hobbes beschriebene Argwohn, nicht fern. Dadurch werden die Reste menschlichen Anstands zerstört.
Ökonomie: Praktische Kenntnisse gewinnen an Wert. So werden in der Kommune die Neuankömmlinge nach ihren Berufen gefragt. Jemand, der Druckersoftware verkauft hat, ist weniger nützlich als ein Handwerker oder eine Hebamme. Noch wichtiger werden Waffen, die allerdings in die Anarchie führen. Das solidarische Verhalten der Kommune ist zwar ethisch vorbildlich, wird aber aufgrund der Ressourcenknappheit den Untergang beschleunigen, weil niemand diese Ressourcen in ausreichender Menge produzieren kann (s. Episode 6 „Das Altersheim“).


Episode 5: Das Atomkraftwerk (45 Tage danach)

Eine Gruppe von unterschiedlich qualifizierten Menschen will ein Atomkraftwerk betreiben, um die Stromversorgung in der Region wiederherzustellen. Der Reaktor läuft aber nicht mehr rund und das Kühlwasser muss vom Fluss rund um die Uhr in Plastikeimern angeschleppt werden. Doch vergeblich. Der Zeitpunkt, um die Gruppe zu evakuieren, verstreicht. Alle wollen solidarisch den Reaktor retten. Doch der fliegt auseinander und aufgrund der Verstrahlung sind alle zum Tode verurteilt, versorgen sich aber einfühlsam bis zum Schluss.
Krise/Ökonomie: Komplexe Schlüsseltechnologien können nicht gerettet werden. Der Reaktor verkörpert stellvertretend den zivilisatorischen Niedergang, der gerade in hochtechnisierten westlichen Gesellschaften besonders hart ausfällt, weil den Menschen die entweder die Kenntnisse über eine landwirtschaftliche Selbstversorgung fehlen oder sie nicht in der Lage sind, die notwendigen Mengen zu erzeugen. Ein Downsizing auf überholte ökonomische Strukturen ist daher unmöglich.


Episode 6: Das Altersheim (50 Tage danach)

Der Pfleger Marco ist in einem Altenheim allein mit den Bewohnern. Alle anderen haben sich aus dem Staub gemacht. Die Medikamente sind beinahe verbraucht, den sterbenskranken Marcel versorgt er nur noch zum Schein, aber der Placebo-Effekt hilft. Dann werden die letzten Lebensmittel geplündert. Marco kann sich nicht gegen die Gruppe wehren, in der sich offenbar auch Mitglieder der Kommune am Weiler befinden (vgl. Episode 4). Marco lehnt das Angebot ab, die Gruppe zu begleiten. Marcel ist inzwischen gestorben und Marco erkennt keinen Ausweg mehr. Er beschließt, die Senioren zu vergasen und beginnt mit einer alten Frau, zu der er eine besonders enge Beziehung hat.
Krise/Ökonomie: Natürlich trifft es die Schwächsten am härtesten. Die emotional eindrucksvolle Episode zeigt, dass sich die sozialen Dienste bereits nach kurzer Zeit aufgelöst haben. In dieser ausweglosen Situation wird Sterbehilfe zu einer humanitären Lösung. So zeigt „Das Altersheim“ auf radikale Weise, wie eine alte Moral durch eine neue ersetzt wird. Sie zeigt aber auch, dass auch die Gruppe am Weiler ihre Mitglieder nur durch Plünderungen ernähren kann.


Episode 7: Die Insel (170 Tage danach)

Sofia Desmarest (Lubna Azabla), die ehemalige französische Umweltministerin, sucht am Strand nach angeschwemmten Gütern, als sie bemerkt, dass sich zwei Männer ihrer Segelyacht nähern. Die geschwächte Frau erreicht mit letzter Kraft ihr Boot, kann die Männer mit Gewalt abwehren und sticht wieder in See. Wasser und Lebensmittel gehen zur Neige, Sofia telefoniert verzweifelt mit einer unbekannten Person: „Ich habe eine Reservierung für die Insel.“ Auf dem Tisch der Kajüte liegt eine Zeitung. „Wo sind die Reichen?“, lautet die Überschrift in großen Lettern. Offenbar kennt Sofia die Antwort. Aber die Verbindung ist schlecht und bricht ab. Dann sieht Maria am Horizont die Silhouetten großer Gebäude auf einer Insel. Allerdings hält eine Kette aus Pontons sie davon ab, sich der Insel zu nähern. Auf einem kleinen Boot findet sie zwei sterbende Asiatinnen, dann wird sie von einer Drohne angegriffen, die sie mit ihrer Signalpistole abschießen kann. Als sich eine weitere Drohne nähert, hält sie ihr die Chipkarte mit dem Contract Code entgegen. Die Drohne entfernt sich und ein Motorboot nähert sich.
Krise: Fast ein halbes Jahr nach dem Kollaps gibt es immer noch Rückzugsräume für die Privilegierten (Episode 3). Nach dem Untergang der westlichen Industrienationen gibt es nur für wenige eine Zukunft, alle anderen werden durch das Land marodieren.
Ökonomie: Die ausgeklügelte Fluchtlogistik, die Größe der Anlagen auf der Insel und die raffinierten Abwehrmechanismen deuten an, dass hier viel Zeit und noch mehr Geld investiert wurden. „Die Insel“ ist ein Refugium, das zu einem Zeitpunkt finanziert wurde, als Geld noch relevant war. Die Eliten, so suggeriert „The Collapse“, wussten schon früh, wie alles enden würde.


Episode 8: „Die Live-Sendung“ (5 Tage davor)

Die „L’armée de la vie“ will mit ihrem Anführer Jacques Hombla ein TV-Studio während einer live ausgestrahlten Talkshow stürmen, um eine Botschaft an die Bevölkerung zu verbreiten. Die Aktion scheitert beinahe, aber dann wird Homla gestattet, an der Talkrunde mit der Umweltministerin Desmarest (Lubna Azabla) teilzunehmen. Hombla und Desmarest (die Frau der Hauptfigur in Episode 3) kennen sich, aber die Politikerin ist routinierter im Umgang mit Medien und macht Hombla zur Witzfigur. Der Öko-Aktivist greift sie verzweifelt als Vertreterin einer Kaste ab, die vom bevorstehenden Zusammenbruch der Gesellschaft weiß, aber die Menschen belügt, um die eigenen Privilegien zu verteidigen. „Wenn wir auf Wachstum setzen, bricht alles zusammen. Wir erleben bald den Zusammenbruch unserer Zivilisation. Schaffen Sie eine nachhaltige Gesellschaft!“, fordert Hombla, der aber einräumt, dass es für grünes Wachstum bereits zu spät ist. Nach der TV-Sendung bietet die Ministerin ihrem Gegner einen Posten in ihrem Ministerium an.

Jacques Hombla (Yannik Choirat) ist in der Serie ein Agronom und befindet sich damit in der gleichen Berufssparte wie Paul Servigne, der Agraringenieur ist, aber als Begründer der „Collapsologie“ bekannt wurde. Servigne vertritt die These, dass der Zusammenbruch wahrscheinlich innerhalb der nächsten zehn Jahre stattfinden wird. Der Kollaps wird in einer Art von Domino-Effekt durch den Klimawandel, das Ende der Ölressourcen, den Verlust der Biodiversität und den Kollaps der Wirtschaft ausgelöst werden. Der fiktive Jacques Hombla hält genauso wie sein reales Vorbild den Versuch einer Green Economy für aussichtslos. Überleben werden nur die, die lernen, wie man miteinander kooperiert. Servignes Theorie ist – gelinde gesagt – umstritten, aber man sollte immerhin wissen, dass „The Collapse“ entscheidende Elemente der Collapsologie übernommen hat.



Frontalangriff auf den Turbokapitalismus

Mit der letzten Episode gelang den Machern eine unerwartete Wendung, die uns die Hauptfigur der siebten Episode ganz anders zeigt. Der Flashback wurde aber zum Teil verschenkt. Zwar war nicht zu erwarten, dass irgendwelche spektakulären Ursachen für den Kollaps enthüllt werden, aber die finale Episode ist aus einem anderen Grund nicht ganz befriedigend. Im Kern ist sie der simple Appell an den Zuschauer, den Warnern gründlicher zuzuhören und den Politikern und den Medien weniger zu trauen. Damit schlägt sich die Serie aber auf die Seite von Populisten unterschiedlicher Couleur. 

Im Kern fällt „Die Live-Sendung“ dabei in ein logisches Loch, denn warum muss die Bevölkerung vor einer unabwendbaren Katastrophe gewarnt werden, wenn die Warnung eigentlich völlig sinnlos ist und die bevorstehende Massenpanik nur früher auslöst? Dies macht nur Sinn, wenn „The Collapse“ am Ende zum Vehikel der Theorien von Paul Servigne werden soll. Nur am Rande: auch Servigne wird von seinen Kritikern ebenfalls eine indifferente politische Verortung vorgeworfen.


Positiv: „The Collapse“ ist eine dystopische und post-apokalyptische Serie mit einem präzisen analytischen Fokus, wie man ihn in dieser Konsequenz nur selten zu sehen bekommt. Führen in Serien wie „The Walking Dead“ die Untoten zum Kollaps, so ist es in der französischen Serie der europaweite Zusammenbruch der Ökonomie, der die Menschen entwurzelt. In beide Serien geht es um Verteilungskämpfe, um Ressourcen und um Gewalt als Mittel des Überlebens.
Beide Serien verbindet auch die Reflexion über Thomas Hobbes (1588-1679), der die Blaupause für viele Dystopien und Utopien lieferte. Folgt man Hobbes, so kann nur der Staat die Legitimität besitzen, den Naturzustand der Menschen zu bändigen. Dieser Ausweg bietet sich den meisten Protagonisten in „The Collapse“ nicht.
„Les Parasites“ erzählen vom Niedergang trotz ihrer analytischen und parabelhaften Geschichten keineswegs unparteiisch. Im Gegenteil: die Episoden 3, 7 und 8 sind ein Frontalangriff auf die herrschenden Eliten und den Turbokapitalismus, der nicht mit dem Florett geführt wird. 

In „Der Flugplatz“ präsentieren die Macher ein menschenverachtendes Monster wie in einem Agitprop-Film, in „Die Insel“ ist bereits ein Wunder nötig, um sich zum Land der Reichen durchzuschlagen, während „Die Live-Sendung“ so ziemlich alle Klischees über zynische Machtpolitiker und strunzdumme Medienmacher bedient. 

Dass sich Jacques Hombla in der letzten Folge etwas Studioapplaus abholt, aber bei dem Versuch scheitert, dem Zuschauer sachhaltige Informationen zu vermitteln, ist trotz aller gleichlautenden Attacken von links oder rechts keine realistische Mediendarstellung – zumindest nicht in Deutschland. Noch sind wir nicht auf diesem Niveau. Es sei denn, man beschränkt sich freiwillig auf Yellow Press, Privatfernsehen oder YouTube. 


Ihre Stärken hat die Serie woanders. Die Ursachen für die Ressourcenverknappung werden zwar nicht genau erklärt, der Kollaps geschieht einfach, aber was dies in einer Gesellschaft ökonomisch anrichtet, sollte nicht nur in Corona-Zeiten nachdenklich machen. In einer auf Wachstum und Fortschritt ausgerichteten Gesellschaft ist ökonomische Regression nicht zu haben. Ein Zurück in einer prä-industrielle Vergangenheit ist unmöglich: ein Verkäufer von Drucker-Software kann keine Kartoffeln anbauen. Trotzdem haben post-apokalyptische Serien wie „The Walking Dead“ immer wieder gezeigt, dass der Rückzug in eine Agrarkultur – wenn man damit umgehen kann – die einzige zivile Überlebensperspektive bieten kann, wenn unsere Technologie den Bach runtergeht.
„The Collapse“ demonstriert in Brecht‘scher Manier, wie fragil der Kapitalismus ist, wenn man die ökologischen und insgesamt auch die Ressourcenkonflikte ignoriert oder zulässt, dass die Politik auch dann scheitern wird, wenn sie glaubt, energisch genug zu handeln. Dass die Serie erstaunlich häufig vorführt, wie moralische und humanitäres Handeln inmitten der Anarchie funktionieren könnte (Episode 4, 5 und 6), besitzt trotz der deprimierenden Konsequenzen beinahe einen utopischen Wert. Dies macht „The Collapse“ zu einer hochbrisanten Serienentdeckung.



Note: BigDoc = 1,5