Sonntag, 8. August 2021

High-Flyers - junge Helden für junge Zuschauer

Unsere holländischen Nachbarn sind nicht gerade bekannt dafür, dass sie den europäischen Film- und Serienmarkt mit erfolgreichem Mainstream fluten. Der achtteilige Top Gun-Verschnitt „High-Flyers“ (Hoogvliegers) beweist das Gegenteil: eine erkennbar auf jugendliche Zuschauer zugeschnittene Geschichte wird mit Tempo und viel Spannung erzählt. Die Glaubwürdigkeit besteht nicht jeden Test, aber am Ende gibt es das erhoffte Happy End. Nette Unterhaltung, mehr aber nicht.

Klassische Heldendramaturgie für eine jugendliche Zielgruppe

Mit anderthalbjähriger Verspätung gab es die für den öffentlich-rechtlichen Sender NPO 1 produzierte Military-Actionserie nun in einem Rutsch bei ZDFneo zu sehen. Im Mittelpunkt steht der junge Rutger de Man, extrem charismatisch gespielt von dem 26-jährigen Josha Stradowski, der unbestreitbar das Zeug zum Mädchenschwarm besitzt.
Rutger gerät unfreiwillig in ein gefährliches Autorennen, das von drei holländischen Soldaten provoziert wird. Als die Aktion von der Polizei gestoppt wird, lässt diese die Soldaten laufen. Rutger landet dagegen vor den Schranken des Gerichts. Wieder einmal. Um Schlimmeres zu entgehen, bietet er dem Richter an, statt einer Therapie freiwillig den Dienst bei der holländischen Armee anzutreten. „Das halten Sie keine Woche durch“, argwöhnt der Richter.

Doch, genau das schafft der junge Mann, der eigenbrötlerisch, widerspenstig, aber mit vollem Einsatz die Grundausausbildung bei der Royal Dutch Military Academy (KMA) absolviert. Dort trifft er auf die drei Soldaten, die ihn in diese Situation gebracht haben, darunter der intrigante Dennis de Waal (Bart Harder). Das gibt eine Menge Stress, aber alle Mobbingversuche perlen an Rutger ab. Aber er lernt auch neue Freunde kennen: da ist die türkisch-holländische Leyla Demir (Senem Kavus), die unbedingt F 16-Pilotin werden will, und da ist der völlig unsoldatische Guus Walema (Soy Kroon), der Sohn eines einflussreichen niederländischen Generals ist.

Coming of Age ist das nicht, dafür sind die Protagonisten zu alt, auch wenn die Produktionsgesellschaft Storytellers das Erwachsenwerden und die Kameradschaft als Schlüsselthemen offenherzig ins Schaufenster stellt. Folgt man den Regeln eines Dramas, dann gelingt es „High-Flyers“, die Zielgruppe
archetypisch mitzunehmen. Es geht um Helden und Antihelden, Freundschaft und Verlust, Scheitern oder Bewährung. 

Das definiert die Rollenprofile. Rutger wird traumatisch durch eine blutige Familiengeschichte gequält, Guus wurde durch den Tod seines Bruders, eines berühmten Fliegers, schwer getroffen. Nun fühlt er sich von seinem Vater ungeliebt. Leylas Kindheitstraum war es schon immer, Pilotin zu werden. Sie ist auch deshalb so ehrgeizig, weil ihre Familie aus der Türkei fliehen musste. Ihr Vater, ein hochdekorierter Offizier, war nicht bereit, am Militärputsch gegen eine demokratisch gewählte, aber möglicherweise islamistische Regierung teilzunehmen. Nun will Leyla die erste türkische Frau werden, die eine F 16 besteigt.

Diese Backstorys tragen die Geschichte überwiegend recht ordentlich, aber garantiert nicht frei von Klischees: wir sehen einen jungen Helden, der tut, was er will, den verlorene Sohn, der sich streckenweise wie ein Clown aufführt, sich aber längst aufgegeben hat, und die junge Frau, die einen privilegierten Platz in einer Männergesellschaft erobern will. Nach den klassischen Regeln des Dreiakters muss jede Figur einen Weg finden, um ihre inneren und äußeren Konflikte zu lösen.

Dass in dieser nicht gerade originellen Geschichte die Regeln einer hierarchisch strukturierten Armee sehr auffällig von einer formlosen Laxheit und einer meist folgenlosen Disziplinlosigkeit aufgeweicht werden, ist wohl eher den jugendaffinen Drehbüchern von Willem Bosch und Philip Delmaar geschuldet und weniger den realen Verhältnissen. Ich kenne keine Geschichte, in der so oft Befehle nicht befolgt werden oder Vorgesetzten ruppig widersprochen wird wie in „High-Flyers“.

Es überrascht also nicht, dass unser Trio im Eiltempo ihre Offizierspatente erhält und die ersehnte Ausbildung zum Piloten antreten darf. Damit die Geschichte nicht zum Werbeclip für das holländische Militär wird, muss die Geschichte aber so erzählt werden, dass der widerspenstige Individualismus der Hauptfigur zum Helden macht und nicht die Unterwerfung unter einen konturenlosen Verhaltenscodex. 

Diese geschieht so: Rutger, der aufgrund seines Kindheits-Traumas (was psychologisch doch sehr konstruiert wirkt) immer wieder im Zentrifugentraining scheitert und daher nicht fliegen darf, besteigt er ein Trainingsflugzeug und tritt seinen Jungfernflug auf eigene Faust an. 
Das bringt ihn aber nicht ins Militärgefängnis, denn wie das Schicksal es will, durchfliegt ausgerechnet in diesem Moment eine russische MiG den holländischen Luftraum. Rutger attackiert die Russen mit seiner unbewaffneten Maschine und zwingt sie zum Abdrehen.
Das ist in etwa das Gleiche, wie wenn man mit einer Seifenkiste einen Panzer zur Aufgabe zwingt. 
Aber wie in „Top Gun“ ist es die Befehlsverweigerung, die den Helden der Geschichte in der Hierarchie aufsteigen lässt.Statt also hinter Gittern zu landen, avanciert Rutger in seiner Heimat zu dem Medienstar, den die holländische Armee dringend benötigt. Fortan wird Rutger zum Protegé von General Roderick Walema, der passenderweise Kommandeur der Luftstreitkräfte ist. Der junge Heldenpilot wird quasi zum Ersatzsohn des Generals, was Guus natürlich nicht entgeht.

Konfrontation mit der Vergangenheit

Regisseur Bobby Boermans entwickelt diese Geschichte durchaus clever. Trotz einiger Stereotypien gibt ausreichend unerwartete Wendungen, um die Figurenentwicklung mit Spannung aufzuladen. Auch die Nebenhandlungen dieser Entwicklungsgeschichte machen die Figuren ambivalenter und gehen holzschnittartigen Erzählfallen nicht immer, aber überwiegend aus dem Weg.

Als Rutger, Guus und Leyla, aber auch Dennis in Tucson (Arizona) landen, um zu Kampfpiloten ausgebildet zu werden, ist es ausgerechnet Bad Boy Dennis, der in der neuen Umgebung sozial an den Rand gedrängt wird. Rutger, der sich seinen Widersacher erfolgreich vom Leib halten konnte, entwickelt überraschende empathische Fähigkeiten, als Dennis an seinen Fähigkeiten zu zweifeln beginnt. Als sich Dennis bei einem Trinkgelage verletzt und sein Handicap vertuscht, stürzt er prompt während eines Trainingsflugs in der Wüste ab. Für Rutger, Leyla und Guus ist es selbstverständlich, in der endlos erscheinenden Wüste nach ihrem ungeliebten Kameraden zu suchen. Am Ende sind sie erfolgreich, aber dennoch kommen sie zu spät.

Die vierte Episode hätte man ohne Folgen streichen können. Aber „The Legend of Jeremiah Weed“ macht die Protagonisten vielschichtiger. Es ist nicht der einzige Sidestep in einem Plot, der gleichzeitig eine Reihe weiterer Nebenhandlungen unter einen Hut bringen muss. Denn während Rutger, Leyla und Guus eine Odyssee in der Wüste erleben, stöbert die ehrgeizige Journalistin Julia Hofstee (Charlie Chan Dagelet) in Rutgers Vita und findet heraus, dass der junge Pilot als Jugendlicher seinen Vater erschlagen hat. Der hat Rutgers kleine Schwester Melanie (Lisa Zweerman) missbraucht. So eine Geschichte kann den Hype schnell in eine andere Richtung lenken.

Gleichzeitig erzählt „High-Flyers“ auch die Geschichte des Separatistenführers Branko Titov (Valeriu Andriuta), der in den Niederlanden verhaftet wird und wegen unzähliger Kriegsverbrechen vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag landet. Die Spannungen zwischen den Niederlanden und Russland nehmen auch wegen dieser Affäre zu, und daran ist auch der zwielichtige Verteidigungsminister Marco de Laan (Xander van Vledder spielt diese Figur leider als wandelndes Klischee) nicht ganz unschuldig.
Bobby Boermans mäandert zum Glück nicht ziellos durch diese Meta- und Subplots, sondern findet einen Erzählrhythmus, der mit zunehmender Dauer die lockeren Erzählfäden kohärent zusammenführt. Das gelingt zwar nicht durchgehend (der Dauerzwist zwischen Rutger und seiner Schwester wird nie plausibel erklärt), aber insgesamt folgt die Geschichte einer inneren Logik, die zwangsläufig die Frage nach der moralischen Integrität der Figuren stellen wird.

Für Rutger, der sich emotional völlig abgekapselt hat und daher auch nicht auf die Avancen von Leyla eingehen will, wird die Konfrontation mit seiner Vergangenheit zum Schlüsselkonflikt.
Guus versinkt dagegen in einer beinahe suizidalen Risikobereitschaft, nachdem er erkennt, dass sein Vater Rutger als Ersatzsohn in die Familie integrieren will. Und Leyla wird nach Abschluss der Ausbildung überraschend nur Helikopter-Pilotin und muss ihren Traum von der F 16 vorläufig aufgeben.
Als die drei während ihrer ersten Mission in Syrien landen, werden Rutger und Guus zum Ziel eines Angriffs mit einer Boden-Luftrakete. Guus lenkt die Rakete auf sich und rettet Rutger das Leben. Rutger darf aber nicht nach seinem Freund suchen, sondern muss aus politischen Gründen seinen Einsatz in Syrien beenden. Doch Guus ist nicht tot, was endgültig klar wird, als Leyla dem türkischen Nachrichtendienst scheinbar naiv Informationen zuspielt, die wie erhofft an die Russen weitergereicht werden. Und die fordern nun ein Austausch von Branko Titov und Guus. Als Verteidigungsminister de Laan dem Deal zustimmt und Titov ausfliegen lässt, befiehlt General Walema Rutger, die russische Maschine abzuschießen, bevor die den holländischen Luftraums verlässt – auch wenn das den Tod seines Sohnes bedeutet.

Trojanische Pferde

„High-Flyers“ ist eine Military Action-Serie für eine jugendliche Zielgruppe, die vielen Sympathiepunkte dank des jungen und gut aufgelegte Casts abrufen kann. Die Zielgruppenorientierung  führt dazu, dass die Konflikte der Protagonisten zwar tragisch sind, aber nicht ausweglos.
Dass einiges dabei arg konstruiert wirkt, wird aber durch ein flottes Tempo und eine differenzierte Figurenentwicklung wettgemacht. Aber gelegentlich begibt sich die holländische Serie dabei auf einen schmalen Grat. Ohne das erzählerische Geschick der Autoren und des cleveren Regisseurs Bobby Boermans hätte „High-Flyers“ auch zu einem Billigverschnitt von „Top Gun“ werden können.

Visuell hat die Serie eine Menge zu bieten, dafür sorgen allein schon die pittoresken Drehorte und die Flugszenen, die sich vor Tony Scotts „Top Gun“ nicht verstecken müssen. Andere Vergleiche kommen nicht in Frage: „High-Flyers“ hat nicht das Geringste mit Stanley Kubricks „Full Metal Jacket“ zu tun – dafür ist die Ausbildung der jungen holländischen Soldaten und Soldatinnen einfach zu nett.

Ein Werbefilm für die holländische Fliegerelite oder gar für die NATO ist Boermans Serie allerdings auch nicht geworden. „High Flyers“ ist ein Charakterdrama, das zum Glück so ambivalent erzählt wird, dass die Spannungskurve kontinuierlich ansteigt. An politischen Fragestellungen ist die Serie nicht ernsthaft interessiert, dazu bleibt die Bezugnahme auf internationale Konflikte (Syrien, Nordirak) zu sehr im seichten Gewässer.

Nicht ganz folgen kann ich daher der ansonsten treffsicheren Rezension im „Filmdienst“. So „beweist diese mit kleinem Budget, aber aufwendigen Szenenbildern und erfrischenden Jungdarstellern realisierte Serie den Mut zum offenen Diskurs hinsichtlich wichtiger außenpolitischer Fragen, die unseren Nachrichtenalltag oft genug bestimmen. (…) funktioniert „High-Flyers“ vielmehr als gelungene Coming-of-Age- und Dramaserie in einem bisher seltener durchleuchteten Gesellschaftsmilieu. Dabei spart die ambitionierte niederländische Serie keineswegs mit scharfer Systemkritik an scheinbar überkommenen Wert- und Moralvorstellungen, die viele internationale Militärkonflikte im Hintergrund bis heute konturieren.“
Ganz ehrlich: das ist ein Trojanisches Pferd. Man sollte einen Film oder eine Serie nicht zum Vehikel für etwas machen, das man dem Produkt andichtet. Und ein Diskurs über wichtige außenpolitische Fragen ist in „High-Flyers“ nicht erkennbar. 
Stoff wäre aus holländischer Sicht durchaus vorhanden gewesen, aber auch die Figur eines Separatistenführers erinnert nur die, die es ohnehin schon wissen, an das Massaker in Srebrenica im Jahre 1995, bei dem holländische UNO-Soldaten keinen Widerstand leisteten. Diese Teilschuld wurde von einem Gericht bestätigt. Auch die Kräfte- und Machtverhältnisse in Syrien werden nur nebulös angedeutet, und dass die Russen in Syrien ihre Hände im Spiel haben, ist nun wirklich keine großartige Erkenntnis.

Auch von scharfer Systemkritik kann nicht die Rede sein. Nur am Rande: solche Topoi erkennt man zweifelsfrei daran, dass die Protagonisten zumindest gelegentlich darüber reden. Aber die Hauptfiguren tun dies nicht, sie sind auf exemplarische Weise unpolitisch. Im Kern geht es vielmehr darum, dass der jugendliche Held seine emotionale Trauma-Blockade (an die permanent mit Rückblenden erinnert wird) überwinden muss, um begründete Entscheidungen treffen zu können, ohne sich dabei von seiner inneren Wut treiben zu lassen. 

Die Pointe in „High-Flyers“ ist, dass dies Rutger erst dann gelingt, als ihn Leyla während des Kampfeinsatzes (!) auf dem Handy (!) anruft. Leyla ist eigentliche Heldin, die am Ende ganz handfest Guus rettet. Und der Held? Der verliert alles, aber gewinnt auch alles. 

Und die Moral von der Geschicht‘: gute Freunde trennt man nicht.

Note: BigDoc = 3


High-Flyers (Hoogvliegers) – Niederlande 2020 – Serie (8 Episoden) – Idee: Errol Nayci – Regie: Bobby Boermans – Buch: Willem Bosch, Philip Delmaar – D.: Josha Stradowski, Soy Kroon, Sinem Kavus, Bart Harder, Gijs Scholten van Aschat, Fedja van Huêt, Hans Kesting, Charlie Chan Daglet, Valeriu Andriuta, Sanne Langelaar, Xander van Vledder.