Freitag, 24. September 2021

Black Widow: Bluray-Review des neuen Marvel-Films

Mit einem Solo-Film für Natasha Romanoff erhält die in „Endgame“, dem letzten Avengers-Abenteuer, getötete Assassine ein Prequel mit opulenten Bildern, grandiosen Effekten und einer Geschichte, die Höhen und Tiefen hat.
Gleichzeitig läutet „Black Widow“ eine neue Ära im Marvel Cinematic Universe (MCU) ein – die Phase 4. Regisseurin Cate Shortland („Lore“, 2012) dürfte bislang nur Eingeweihten bekannt gewesen sein. Mit „Black Widow“ liefern die australische Regisseurin und ihr Marvel-erfahrener Drehbuchautor Eric Pearson ordentliche Arbeit ab.

„Red Widow“ zitiert reichlich viele Genreklassiker

Der Film hat eine bemerkenswerte Backstory. „Black Widow“ lief sowohl in den US-Kinos als auch zeitgleich im Streaming-Kanal Disney+, was die Hauptdarstellerin Scarlett Johansson veranlasste, den mächtigen Konzern zu verklagen. Disney habe versprochen, dass der Film exklusiv in Kinos gezeigt wird – an den Streaming-Einnahmen partizipiere sie nicht, beklagte die Schauspielerin. Nun, sie wird nicht arm sterben, denn ihr höchstwahrscheinlich letzter Auftritt im MCU (es sei denn, dass Dr. Strange eine Idee hat) brachte ihr 20 Mio. US-Dollar ein.

„Black Widow“ erzählt die Geschichte Natasha Romanoffs mit viel Tragik und Psychologie. Sie beginnt mit dem abrupten Crash einer Familie, die eigentlich keine ist. Wir sind im Jahr 1995. Natashas Vater
Alexei kommt nach Hause, danach geht es sehr schnell. Die Familie muss fliehen. Und schon befinden sich Alexei (David Harbour) und seine Frau Melina (Rachel Weisz) mit ihren Töchtern Natasha und Yelena mitten in einer Verfolgungsjagd. Ganz knapp gelingt die Flucht nach Kuba. Mit einem Flugzeug, an dessen Tragflügel sich Alexei artistisch festklammert, während er auf die Verfolger schießt. Später erfährt man, dass die Familie nur knapp einem großen Aufgebot von S.H.I.E.L.D-Agenten entkommen ist.
Nach ihrer Landung werden Natasha und Yelena voneinander getrennt und Dreykovs „Red Room“-Programm zugeführt, das junge Mädchen zu Profilkillerinnen ausbildet – die „Black Widows“. Und das mithilfe chemischer Stoffe, die eine vollständige Gedanken- und Willenskontrolle möglich machen.

Der Prolog ist starkes Kino. Weniger wegen der Action, sondern dank der eleganten Bilder des Kameramannes Gabriel Beristain. Der fängt die Postkarten-Idylle einer amerikanischen Vorstadtsiedlung stimmungsvoll ein, ehe sich der schöne Schein auflöst. Alexei Shostakov und Melina Vostakoff sind nämlich Undercover-Agenten im Dienste des russischen Generals Dreykov. Die beiden Mädchen sind keineswegs ihre Kinder - alles könnte sich auf ähnliche Weise auch in „The Americans“ abgespielt haben. Es bleibt nicht die einzige Anspielung. Auf Kuba bricht das Lügengebäude zusammen. Natashas und
Yelenas Fake-Familie ist damit ausgelöscht.
Böse Russen, böse Kubaner, versklavte Frauen, die zu Killerrobotern werden. Im Genre des Agententhrillers war die CIA allerdings nicht besser. Das Projekt Treadstone aus Doug Limans „Jason Bourne“ (2002) lässt grüßen, aber leider steht Matt Damon nicht an der nächsten Ecke und winkt den beiden Mädchen tröstend zu.

Plausible Geschichte ohne grelle Comic-Elemente

21 Jahre später befindet sich Natasha Romanoff wieder auf der Flucht. „Black Widow“ spielt nämlich in der MCU-Zeitlinie zwischen „The First Avenger: Civil War“ und „Avengers: Infinity War“ und Natasha gehört zu der rebellischen Gruppe um Captain America, die gegen das Sokovia-Abkommen verstoßen haben soll. Nun wird sie wie die anderen abtrünnigen Avengers von Thaddeus Ross (William Hurt) gejagt. In Norwegen versteckt sich Natasha an einem abgelegenen Ort.
Ihr Schwester Yelena (Florence Pugh) ist aber nicht aus ihrem Leben verschwunden. Die Killerin ist bei einem Einsatz mit einem Gegenmittel in Berührung gekommen, das die Konditionierung der „Black Widows“ vollständig aufhebt. Einige Ampullen mit dem Stoff befinden sich nun in Natashas Post und kurz danach klebt bereits Dreykovs „Taskmaster“ (Olga Kurylenko) an ihren Fersen, ein scheinbar unbesiegbarer Schurke im Iron Man-Look.
In Budapest treffen sich dann die beiden Schwestern und nach einer ebenso überflüssigen wie langwierigen Prügelei der beiden erfährt Natasha, dass der Oberschurke Dreykov noch am Leben ist und von einer im irdischen Orbit stationierten Raumstation über ein weltweites Netzwerk von Assassinen herrscht. Natürlich beschließen die Schwestern, ihren Peiniger endgültig zu beseitigen. Doch dazu muss erst mal ihre Patch Work-Familie zusammengeführt werden.

Was als Agententhriller vor dem Hintergrund des altbekannten Ost-West-Konflikts beginnt und wie in den klassischen Bond-Filme einen Oberschurken mit Weltherrschaftsphantasien à la Blofeld präsentiert, wird im zweiten Teil zu einem typischen Marvel-Film. Die comic-haften Elemente bleiben dezenter Teil einer durchaus plausiblen Geschichte, ohne grell übersteuert zu werden. Die seelische Verfasstheit der Figuren wird ernst genommen, und das durchaus auf tragische Weise. In dem gut zusammengestellten Cast ist (fast) keine Figur eine Karikatur. Vielmehr hat sich Cate Shortland vorgenommen, eine Geschichte mit viel Frauenpower und ein wenig Steven Spielberg zu erzählen. Auch der hat die Reparatur disparater Familien oft genug ins moralische Zentrum seiner Filme gerückt. Also: Wie macht man aus einer Fake-Familie, in der jegliches Vertrauen durch die Fake-Eltern irreparabel zerstört wurde, wieder eine echte Familie?

Würdiger Abschied von „Black Widow“ Natasha Romanoff

Shortland findet auf der Suche nach einer Antwort eine gute Balance zwischen Sentiment und Sarkasmus, abgeschmeckt mit brachialem Humor. Hier punktet der Cast recht ordentlich. Ray Winstone als Dreykov ist als soziopathisches Monster zwar ein wandelndes Klischee. Aber Scarlett Johansson als Superfrau zwischen Wut und Verletzlichkeit zeigt erneut, warum ihre Figur so beliebt bei den Fans ist.
Florence Pugh (2020 Oscar-Nominierung als Beste Nebendarstellerin in „Little Women“, aber wirklich umwerfend gut als Wrestlerin in „Fighting with My Family“, 2019) hat sich mit ihrer Performance als geläuterte Black Widow nachdrücklich für einen weiteren Auftritt im MCU empfohlen. Vielleicht sie man sie demnächts an der Seite von Jeremy
Hawkeye Renner...
Rachel Weisz spielt Melina Vostokoff, die selbst eine Assassine war und nun das „Red  Room“-Programm an Schweinen testet, als eine hochintelligente, nicht leicht zu durchschauende und weitgehend humorlose „Mutter“.
Das komplette Gegenteil wird von David Barbour verkörpert, der den „Vater“ mit einem für die meisten Marvel-Filme typischen Humor spielt. Das driftet gelegentlich ins Groteske ab, aber ohne allzu albern zu werden. 
In jungen Jahren war Alexei in Russland als Superheld „Red Guardian“ das berühmte Gegenstück zu Captain America, bevor ihn Dreykov in einem Hochsicherheitsgefängnis verschwinden ließ, aus dem er trotz seiner Superkräfte nie entkommen kommen. Komisch. Nun ist er alt und fett, schlüpft aber wieder ins alte Superhelden-Kostüm.
„Ihr habt unfassbar viele Menschen umgebracht – ich bin stolz auf euch“, sagt er zu seinen um Fassung ringenden Töchtern und gemeinsam macht sich das ungleiche Quartett auf den Weg, um dem Schurken in seiner Raumstation einer allerletzten Besuch abzustatten. Der fällt dann auf erwartbare Weise spektakulär aus und man wundert sich, dass es den Machern um Kevin Feige trotz einiger anfänglich nicht sonderlich überraschender Verfolgungsjagden und Prügeleien dann doch immer wieder gelingt, etwas Neues vorzuführen. Nach „Avengers Endgame“ keine leichte Aufgabe.

Trotz eines grandiosen Finales gehört
„Black Widow“ nicht zu den besten Marvel-Filmen. Es gibt einfach zu vielen déjà-vus. Die Story des Films würde es nämlich ohne die großen Genreklassiker von Bond bis Bourne so nicht geben. Im Prinzip funktioniert Cate Shortlands Film vielmehr wie die Auswertung einer Handvoll Backstories, die man skizziert, bevor man einen Roman oder ein Drehbuch schreibt. Figuren brauchen eine Geschichte, die ihre Handlungen erklärt. Backstories werden im kreativen Prozess aber nicht immer vollständig ausgewertet, können aber auch eine Schlüsselrolle bekommen. Während es also in anderen Marvel-Filmen Andeutungen über Natasha Romanoff gegeben hat, wird in „Black Widow“  die Backstory zum Schlüsselthema - zeitlich zwischen den großen Avengers-Filmen angesiedelt und ein auf Blockbuster-Level gehobener Lückenfüller, der ein wenig an „Agents of S.H.I.E.L.D.“ erinnert. Auch diese TV-Serie besetzte in der Zeitlinie des MCU recht geschickt die Zwischenräume, und zwar ausreichend interessant, um das Franchise am Laufen zu halten.
Lückenfüller müssen aber nicht schlecht sein. In „Black Widow“ wird zwar hemmungslos zitiert (ohne John Frankenheimers „The Manchurian Candidate“, 1962, wären Dreykovs Killerinnen nicht denkbar), aber der neue Marvel-Film ist dann doch ein ziemlich würdiger Abschied von einer beliebten Marvel-Figur. Immerhin führt die Heldin eine disparate Familie zusammen, die am Ende wie eine echte funktioniert.

Brillante Bluray

Wenn man so eine Bluray wie den komplett digital gedrehten „Black Widow“ auf den Tisch gelegt bekommt, braucht man keine 4K UHD. Die Bluray des neuen Marvel-Films liefert knackig scharfe Bilder und richtig gute Kontraste. Bereits die ersten Bilder erzeugen spontan einen „Wow“-Effekt. Und auch beim Ton kann die Scheibe punkten: die deutsche Synchronfassung bietet Dolby Digital Plus in 7.1.
Generell ist es nicht einfach, immer und überall den Benefit der 4K-Auflösung zu erkennen. Die Schärfe kommt nämlich erst dann sichtbar ins Spiel, wenn man zuvor einen Film in einer mittelprächtigen Bluray-Fassung gesehen hat. UHD-Nerds geht es eher um die knackigen Farben und ein noch knackigeres Schwarz. Aber dazu braucht man meistens einen Smart TV aus der gehobenen Mittelklasse, der HDR oder Dolby Vision entsprechend verarbeiten kann. Wer dennoch erfahren will, was „Black Widow“ in 4K und HDR 10 zu bieten hat, sollte sich hier informieren.
Die Extras der Bluray sind nicht aufregend. Es gibt zwei kurze Featurettes, wenig lustige „Pannen vom Dreh“, aber immerhin ein paar „Zusätzliche Szenen“, die sehenswert sind. Aber insgesamt reißt das Bonusmaterial keinen vom Hocker. Unterm Strich bekommt man aber eine Bluray, die wegen ihrer brillanten Bildqualität jeden Cent wert ist.


Noten: BigDoc = 2,5


Black Widow – USA 2021 – Walt Disney Studios Motion Pictures – Regie: Cate Shortland – Buch: Eric Pearson – Executive Producer: Kevin Feige – Laufzeit: 134 Minuten – D.: Scarlett Johansson, Florence Pugh, Rachel Weisz, David Harbour, Olga Kurylenko, William Hurt, Ray Winstone.