Samstag, 25. Dezember 2021

Don’t look up – Weltuntergang an Heilig Abend. Dank Netflix.

Die Nerven muss man haben. Ausgerechnet zeitgleich mit dem Fest der christlichen Liebe und der Hoffnung startete NETFLIX einen Film, in dem die Welt in Schutt und Asche gelegt wird.
Adam McKays gallige Mischung aus Science-Fiction, Katastrophenfilm, Satire und Comedy ist brüllend komisch und tiefschwarz, verzweifelt und pessimistisch. Der Weltuntergang war zu verhindern, aber in „Don’t look up“ erweist sich der Mensch als zu blöde und moralisch zu verkommen, um das Desaster zu verhindern. Was immer NETFLIX am Weihnachtsabend PR-technisch vorhatte – die Wahrheit hat der Streaminganbieter jedenfalls nicht mit Füßen getreten.

Die Snacks im Weißen Haus sind umsonst!

Mich hat „Don’t look up“ begeistert. Es ist aber keineswegs so, dass Filmkritiker am liebsten über Filme schreiben, die sie lieben. Das ist gar nicht so leicht, wie es die Leser vermuten. Gefühle von Zuneigung für einen Film zu artikulieren ist deutlich schwieriger als ein Theaterstück, ein Buch oder einen Film herzlos zu verreißen. Das ist leichter, erst recht, wenn sie tatsächlich schlecht sind. 
Das schließt nachdrücklich ein, dass auch gute Filme verrissen werden. Leider ist das Tagesgeschäft und es zeigt, dass es viele Gründe gibt, um boshaft und gehässig auf etwas einzuprügeln. Besonders dann, wenn Millionen Fans ins Kino rennen und mit ihrem öffentlichen Bekenntnis das Geld in den Kassen klingeln lassen. Oder ihn bei NETFLIX gucken. Ja, allein schon der Erfolg kann einen Film bei den Kritikern ruinieren. Mainstream halt.

Diese abschreckende Ambivalenz hat Gründe. Einer ist einfach zu verstehen: Der Filmkritiker ist kein Wissenschaftler, sondern irgendwie ein Influencer, der etwas besser schreiben kann als andere und im besten Fall stringent argumentiert. Von einem Filmkritiker die Wahrheit zu erwarten, ist daher naiv. Denn anders als wissenschaftliche Theorien lassen sich Filmkritiken eben nicht falsifizieren.
Das heißt aber noch lange nicht, dass der Filmkritiker nie recht hat!
Womit wir bei Meryl Streep gelandet sind. Die spielt in Adam McKays tieftraurigem Drama „Don’t look up“ grandios die US-Präsidentin Janie Orlean, die während des Wahlkampfes PR-gerecht zunächst auf das Rauchen in der Öffentlichkeit verzichtete. Die Wahl gewann sie, weil sie dann genau das Gegenteil tat – und dabei so authentisch wirkte, dass sie ins Oval Office einziehen konnte. 
Nun ist sie nur noch daran interessiert, auch die nächsten Wahlen zu gewinnen. Daher tut sie meistens das, was ihr der BASH-Ceo Peter Isherwell (Mark Rylance) einflüstert. Der hat die US-Regierung auf seine Gehaltsliste gesetzt, um das tun zu können, was er tun muss. 
Leider steckt Orlean mitten in einer politischen Krise, da sie einen Ex-Cowboy, der Karriere als Pornostar machte, zum Richter am Surpreme Court ernennen will. Wahlkampf ist daher auch, wenn die Welt untergeht.
Als der Weltuntergang kaum noch zu verhindern ist, füllt Orlean die Säle und badet im Enthusiasmus ihrer Wähler. „Don’t look up“, schreit sie den tobenden Massen zu. Und damit meint sie den riesigen Meteor, der mit hoher Geschwindigkeit auf die Erde zurast – und mittlerweile mit bloßem Auge zu erkennen ist. „Sie wollen uns ins Angst versetzen und uns unsere Freiheit nehmen!“, schreit die Präsidenten und zeigt auf der Bühne den Watschelgang, den bitteschön alle ihre Fans übernehmen sollen. Watscheln und dabei den Blick gehorsam nach unten richten. Was man nicht sieht, das gibt es nicht: Don’t look up. Schau nicht in den Himmel.

Wer hier nicht Trump und seine imbezilen Wähler wiedererkennt, dem ist nicht zu helfen. Und der Filmkritiker klatscht sich auf die Schenkel, denn in der grellen Überzeichnung scheint die Wahrheit um so gnadenloser zu sein. Aber vermutlich ist man auch deswegen so hysterisch glücklich, weil Adam McKays Film ein bisschen wie ein Exorzismus wirkt, der die Dämonen der Ignoranz und der Blödheit austreibt. Aber das kann Kino trotz aller Behauptungen nicht leisten, auch die Wissenschaft nicht – die bösen Geister werden nicht verschwinden.

Wobei wir bei Dr. Randall Mindy (Leonardo DiCaprio) und Kate Dibiasky (Jennifer Lawrence) sind. DiCaprio spielt einen nerdigen Astronomen mit erkennbarer Sozialphobie, Lawrence ist seine humorlose Doktorandin, die den Meteor entdeckt hat. Adam McKay lässt Jennifer Lawrence so spielen, als sei sie der Gegenentwurf von Jody Forster, die in Robert Zemeckis „Contact“ eher mit heiligem Ernst unterwegs war. Kate Dibiasky dagegen ist rüde, schreit auch mal Politiker an und glaubt allen Ernstes, dass evidenz-basierte Wissenschaft etwas ist, was andere Menschen verstehen müssen.

Immerhin ist es Mindy und Lawrence gelungen, einen Termin bei der US-Präsidentin zu bekommen. Zusammen mit Dr. Teddy Oglethorpe (Rob Morgan), dem Vorsitzenden des Planetary Defense Coordination Office (die Einrichtung der US-Raumfahrtbehörde NASA gibt es wirklich) wollen sie der mächtigsten Frau der Welt erklären, dass ein Meteor auf die Erde zurast und – falls nicht unternommen wird – in sechs Monaten alle Menschen sterben müssen. Doch der Professor und seiner Doktorandin warten und warten, während ihnen ein hochrangiger General (Paul Guilfoyle) 20 US-Dollar für Knabbereien aus dem Automaten abknöpft. Später wird Kate erfahren, dass Snacks im Weißen Haus nichts kosten. Die Snacks sind umsonst! Von diesem traumatisierenden Betrug wird sich Lawrence nicht mehr erholen.

Der Irrtum der evidenz-basierten Wissenschaft

Natürlich das alles der blanke Irrsinn, aber Satire zwingt trotzdem zum Realitätscheck. Dieter Nuhr schlägt sich mit der flachen Hand seitlich an den Kopf, um auf das öffentliche Versagen bei der Wahrnehmung des Evidenten hinzuweisen. Diese Geste versteht man. 
Adam McKay zeigt dagegen wunderschöne Naturaufnahmen und schneidet dann abrupt auf Müllsäcke, die von Müllmännern in den Müllwagen geschmissen werden. Das nennt man Assoziationsmontage und es erinnert an Alain Resnais „Mon oncle d’Amérique“ (Mein Onkel aus Amerika, 1980) oder an „Lucy“ von Luc Besson (2014).
Die Assoziationsmontage kombiniert Bruchstücke der Realität (Naturaufnahmen) mit solchen, die scheinbar nicht dazu gehören (Müll) und dazu führen, dass man avancierte Erkenntnisse erlangt (wir machen die Natur kaputt). Deshalb wird dieser Montagestil auch euphemistisch „metaphorische Parallelmontage“ genannt – und vermutlich hoffnungslos überschätzt, auch wenn sie von Sergei Eisenstein bereits im Jahre 1925 erfunden wurde.
Ich würde es eher „allegorische Montage“ nennen. Die Allegorie kann ein Gleichnis sein, aber auch eine Anspielung. Voller Anspielungen ist auch „Don’t look up“, was dabei hilft zu verstehen, wie man die Gratis-Snacks im Weißen Haus mit der amtierenden und völlig durchgeknallten Präsidentin verzahnen kann.
Die wird von Meryl Streep wunderbar gespielt. Das groteske Ausmaß ihrer skrupellosen Unwissenheit wird einigermaßen durch die Bauernschläue kompensiert, mit der sie sofort erkennt, was politisch gefährlich werden könnte. Das kann Streep. Francis McDormand wäre eine Fehlbesetzung gewesen.
Während Leonardo DiCaprio, der sich für diese Rolle offenbar etliche Kilo Lebendgewicht angefuttert hat, nervös auf der Couch herumrutscht und es mit Nerdsprech versucht, das keiner versteht, ist Lawrence direkter. Dann begreift Janie Orlean endlich: „Sie können den Leuten nicht erzählen, dass sie mit 100%-iger Wahrscheinlichkeit sterben werden.“ Und nach kurzer Denkpause: „Wann sind die Zwischenwahlen?“
Intellektuelle Feinkost ist diese Posse nicht. Und der Frontallappen der Zuschauer wird auch nicht herausgefordert, als Orlean über die Risikoanalyse zu verhandeln beginnt: „Sagen wir 70%
Wahrscheinlichkeit!“ Das ist Humor mit dem Hammer. Nur beschleicht einen dabei das Gefühl, dass McKays Film purer Realismus ist.

Wie gesagt: Satire zwingt zum Realitätscheck. Während die amerikanischen Kritiker überwiegend die dramatische Unfähigkeit bei der Bewältigung der Klimakrise erkennen, werden 70% der deutschen Zuschauer auf Netflix in den absurden Szenen unweigerlich Parallelen zur Coronapolitik entdecken, während 20% nicht mehr erreicht werden können und 10% sich nicht festlegen wollen. Und es beginnt einem mitten im Netflix-Film zu dämmern, warum ein Wissenschaftler, der bislang evidenz-basiert argumentierte, plötzlich erkennt, dass dies nicht mehr relevant ist, weil er Bundesgesundheitsminister geworden ist. Gut, das ist jetzt boshaft.

Fast noch beredter als das Scheitern der evidenz-basierten Wissenschaft im Oval Office ist die Verwurstung von Dr. Randall Mindy und Kate Dibiasky in der TV-Show „The Daily Rip“. Das ist die zweite starke Szene des Films. Der Name ist eine witzige Anspielung auf den kosmischen Untergang: „The Big Rip“. Aber der „Große Riss“ wird unser Universum frühestens in 50 Milliarden Jahren zerreißen, was den „täglichen Riss“ zu einem netten Oxymoron macht. 
Tatsächlich ist es alles noch schlimmer: Die Hosts der Show, Brie Evantee (Cate Blanchett) und Jack Bremmer (Tyler Perry) schaffen es auf bizarre Weise, das mittlerweile tausendfach von anderen Wissenschaftlern berechnete und bestätigte Modell des Weltuntergangs auf seinen Unterhaltungswert herunterzuplappern, bis Dibiasky einen Tobsuchtanfall bekommt und die Show verlässt. 

Die Resonanz ist verheerend: die Clicks und Quoten liegen unter denen des Wetterberichts und Kate Dibiasky wird in den Social Media mit obszönen Memes zur Sau gemacht. Der biedere Professor mutiert dagegen über Nacht zum Sexsymbol und darf mit Brie ins Bett steigen. Danach wird er eine mediale Agitprop-Marionette der US-Regierung. Leonardo DiCaprio spielt also ein nettes korruptes Arschloch, aber er war schon immer der Mann für schwierige Rollen.

Adam McKay nimmt sie also alle auf die Schippe: die strunzdummen Politiker, die quotengeilen Medienmacher und natürlich uns alle, die wir mehr oder weniger an den Lippen diverser Idioten hängen, wenn wir nicht gerade Markus Lanz gucken. 

Adam McKay kann man deshalb und natürlich auch aufgrund seiner stilistischen Mittel durchaus als Autorenfilmer bezeichnen. So ätzend satirisch wie in
„Don’t look up“ war er aber bislang nicht.
Der 52-jährige Regisseur wurde bekannt mit einer anstrengenden Analyse der Finanzmärkte in „The Big Short“, einem Film, der allen Ernstes versuchte, einem breiten Publikum die Credit Default Swaps während der großen Finanzkrise im Jahre 2007 zu erklären. Dafür bekam er bei den Oscars 2016 die Auszeichnung für das Beste adaptierte Drehbuch. Die Kritik feierte McKay auch für seine assoziative Montage, aber es gab auch Stimmen, die seinen Humor ahnungsvoll für recht grob hielten. 

McKays zweiter Film „Vice“ (Vice – Der zweite Mann, 2018) war ein Biopic über Dick Cheney (Christian Bale), den Vizepräsidenten von George W. Bush. Die fiktive Analyse der Karriere eines manipulativen Politikers, dessen anti-demokratische Winkelzüge als Blaupause für Donald Trump gedeutet werden konnten und sollten, wurde achtmal für den Oscar nominiert, erhielt aber keine der Auszeichnungen. Eins war danach klar: dieser Filmemacher geht Problemen nicht aus dem Weg.

Diesmal gibt es nichts zu retten

Nun also eine Vision des Weltuntergangs. „Don’t look up“ ist auf den ersten Blick etwas weniger intellektuell als „The Big Short“, aber mindestens so bissig wie „Vice“. In seinem für Netflix produzierten Film ist Adam McKay auch weniger subtil, dafür spuckt er Gift und Galle. Das klappt, weil der Film widerspenstig ist. Zumindest, wenn man an andere Katastrophenfilme und Mainstream-Klassiker und ihr Filmende denkt.
Michael Bays „Armageddon“ (1998) erzählte wie McKay ebenfalls von einem Meteoriten- Einschlag, instrumentalisierte das Thema aber für seinen schnodderigen Männerhumor und andere Klischees. Und Bruce Willis rettete natürlich die Welt.

Mimi Leders „Deep Impact“ (1998) erzählte etwas ambitionierter die gleiche Geschichte, setzte aber nicht auf zweitklassigen Humor, sondern auf Pathos und Drama. Natürlich wurde auch in diesem Film die Welt gerettet. Danach demonstrierte
Roland Emmerich in den Folgejahren sehr geschäftstüchtig, wie man alles mitsamt ausgeklügelter Tricktechnik unter einen Hut bringen kann. Und dabei die Welt rettet.

Die Welt ausdrücklich nicht retten wollte Lars von Trier in „Melancholia“ (2011). Der Film wurde wegen seiner Anspielungen auf Andrei Tarkowski und Richard Wagner von der Kritik wohlwollend aufgenommen, war aber ein schwer bekömmlichen Stück Arthouse, an dessen Ende die Erde in Stücke gerissen wird. Das geschah mehr oder weniger auch in dem für Netflix produzierten „How it ends“ von David M. Rosenthal (2018), der aber bei der Kritik komplett floppte, da die Handlung mitten im Film abbricht und keiner danach wusste, ob die Welt gerettet wird.

Auch „Don’t look up“ versagt sich eine Last-Minute-Rettung, schwelgt allerdings nicht in der Zerstörungswut der Emmerich-Filme und erzählt die Geschichte auch nach dem Ende weiter. Allerdings wurde dem Film (zumindest von einigen deutsche Kritikern) vorgeworfen, dass er daran scheitert, dass die Realität ihn überholt hat. Darauf muss man erst mal kommen. Genauso gut könnte man behaupten, dass er die Realität pointiert mit seiner satirischen Schärfe bloßlegt und sogar vorhersagt, wie sie ausgeht.
„Don’t look up“ ist natürlich ein sehr plakativer Kommentar, der Klima- und Coronaleugner gleichermaßen erreichen wird. Aber McKay macht sich nicht lustig über die Menschen, die darunter zu leiden haben, auch wenn die alles kurz und klein schlagen, nachdem sie die Wahrheit erfahren haben. So wie ein Orlean-Fan, der irgendwann damit aufhört, auf seine Schuhe zu starren und den Blick nach oben richtet:
„Sie haben uns belogen“
In post-faktischen Zeiten ist Erkenntnis besonders schmerzhaft und die allegorische Studie vom Scheitern der Wissenschaft demonstriert nachdrücklich, dass das evolutionäre Kunststück der Erschaffung eines komplexen Gehirns uns nicht allzu selbstverliebt werden lassen sollte. Erst recht nicht, nachdem entdeckt wurde, dass Physarum polycephalum, ein einzelliger Schleimpilz, mitsamt seiner Protoplasmamasse komplexe Probleme intelligenter löst als der Homo Sapiens. Intelligenz ohne Gehirn? Faszinierend.

Adam McKays „Zeitgeist“-Film setzt alles auf eine Karte setzt und erzählt uns davon, dass wir als Spezies eine komplette Fehlkonstruktion sind. Getragen wird die düstere Botschaft des Films von einem exzellenten Ensemble. Das bekommt auch reichlich viele Szenen. Das führt im Mittelteil des mit 138 Minuten Laufzeit recht lang geratenen Untergangsspektakels gelegentlich dazu, dass „Don’t look“ wie eine Nummernrevue der Boshaftigkeit sein Programm abspult, ohne auch nur einen einzigen Witz auszulassen.


Glänzend ist Cate Blanchett, deren Brie Eventee offenbar intelligenter ist als ihre mediale Rolle. Die TV-Moderatorin kann zwei Masterabschlüsse vorweisen, hat mit zwei Ex-Präsidenten geschlafen, ist völlig empathiefrei und
stillt nun ihren sexuellen Appetit mit dem biederen Professor, der sich zu Bries Erstaunen sogar in sie verliebt.
Herrlich verblödet ist dagegen der Comedian Jonah Hill als Jason Orlean. Der ist nicht nur der Sohn der Präsidentin, sondern auch ihr devoter Stabschef. Jason fleht mitten im Untergang Gott in einem Gebet an, seine teuren Autos und Luxusapartments zu verschonen. An diesem Punkt ist man als Zuschauer beinahe schon bereit, Mitleid für den Gequälten zu empfinden.

Weniger beschränkt ist Mark Rylance als BASH-CEO Peter Isherwell. Der gehört zu den drei reichsten Personen der Welt und ist mächtig genug, um nach dem Start diverser mit Atombomben bestückter Raketen das Rettungsmanöver abzublasen. Seine Wissenschaftler haben spektrometrisch auf dem Kometen seltene Böden entdeckt, mit denen man nach dem Einschlag Billionengewinne in zweistelliger Höhe einfahren kann.
Rylance spielt den Mogul als drögen frühdementen oder an Asperger leidenden Schlafwandler, der allerdings sekundenschnell und gedanklich wie ausgewechselt zurückschlägt, wenn er angegriffen wird. Immerhin hat er eine K.I. entwickelt, die vorhersagen kann, dass die Präsidentin von einem Brektosaurier gefressen werden wird - allerdings erst in 22.000 Jahren.
So ist es: Je häufiger man beim Zuschauen lacht, desto irrer klingt es.

Auch die Nebenrollen sind auffällig gut besetzt. „Captain America“ Chris Evans als Devin Peters kann man da schon mal in seiner Nebenrolle leicht übersehen, Ron Perlman als stoisches und wandelndes Klischee eines patriotischen Offiziers dagegen nicht – immerhin schießt er mit seiner Dienstwaffe auf den Kometen:
„Du bekommst mich nicht lebend!“

Auch wenn „Don’t look up“ mit einigen Längen zu kämpfen hat, dürfte er besonders alle blendend unterhalten, die ohnehin glauben, dass sich Corona als Dauergast bei uns einnistet, in 30 Jahren die ersten Wasserkriege beginnen und der Klimawandel bereits in den1980er Jahren gestoppt werden musste – und konnte. Auch preiswerter. Wenn nicht alle so bescheuert gewesen wären. Alle anderen werden sich nicht blendend unterhalten, besonders jene nicht, die sich in dem Film wiedererkennen.

Wer „Don’t look up“ allerdings nur als Satire goutiert, springt zu kurz. Streicht man einige zweitklassigen Witze, die überspitzten Klischees, die Running Gags und flotten Oneliner, dann wird die eisige Tragödie enthüllt, die ohne eine Portion Zynismus nicht funktioniert hätte. 
Einsteins berühmten Ausspruch über die Unendlichkeit des Universums, die nur von der Unendlichkeit der menschlichen Dummheit übertroffen wird, kennt man. Man ahnt auch, dass sich Immanuel Kant fundamental geirrt hat, als er über die Gesetze der menschlichen Vernunft viele Bücher schrieb: die Grundannahme war falsch.
Adam McKay liefert nun ein Potpourri schlüssiger Argumente, die ihre Glaubwürdigkeit dank ihrer erstaunlichen Nähe zur Realität beweisen können. 
Das klappt aber nur dank des stargespickten Genreformats. Früher hätte man diese Aufklärungsarbeit von den großen realistischen Erzählern erwartet, besonders im Kino, das die Realität angeblich unverhüllt zeigt - ein Trugschluss. Seriös darf Kino nicht erzählen, sonst kann es rasch Insolvenz anmelden. Soderbergh hat es in
„Contagion“ versucht, aber das hat trotz aller Anstrengungen nicht dazu geführt, dass die Menschen verstehen, wie exponentielles Wachstum funktioniert. Man muss schon größere Geschütze auffahren. Netflix könnte daher einen kritischen Film über Streaminganbieter wie Netflix produzieren - und keiner würde es für merkwürdig halten, solange der Film Spaß macht.

Großes Kino ist aber die Schlussszene des Films, in der nicht nur die wunder- und sonderbare Love Story zwischen Kate Dibiasky und dem von Timothée Chalamet („The French Dispatch“,„Dune“) toll gespielten Kleinganoven Yule einen unerwarteten Höhepunkt erfährt, sondern auch weil der große Abschied, bei dem alle an einem Tisch sitzen, gemeinsam essen und sich bis zur letzten Sekunde mit großer Dignität unterhalten, völlig frei ist von Sentimentalität. Ehrlicher hat man ein Scheitern mit Anstand im Kino schon lange nicht mehr gesehen.
Wären da nicht die kurzen Szenen in den Credits und Post-Credits…die haben mit Anstand absolut nichts zu tun.

Pressestimmen

Berliner Zeitung: „doch leider findet (McKay) für „Don’t Look Up“ in diesem Repertoire kein Rezept für eine Balance, die über die fast zweieinhalbstündige Handlung trägt. Zu schwer wiegt der Zynismus und zu tief hängen letztlich die humoristischen Früchte, die in Form von Digitalwirtschaft, Online-Journalismus, Jugendkultur und konservativer Politik für gänzlich verfault erklärt werden. (…) Freilich ist auch Wahres daran und man kommt ums Schmunzeln nicht herum (…).“

TAZ: „Im Gegensatz zu üblichen Katastrophenfilmen und Dystopien schwingt bei „Don’t Look Up“, der sich als ökologisch bewusste Systemkritik gibt, immerhin ein bitterer Unterton mit. Denn von vorneherein ist klar, dass es in dieser Geschichte kein Hollywood-Happy-End geben kann. Andererseits versickert ein wirkliches Gefühl von Sorge, das sich zum Handlungsaufruf verstärken könnte, in der sprücheklopferischen Mentalität des Films: „Stell dir vor, die Welt geht unter, und keiner schaut hin.“ Sprüche allein ändern aber auch nichts.“

Chip.de: „Wofür aber die Darsteller letzten Endes verheizt wurden, ist ein selbstgefälliges, handwerklich sicher überzeugendes Abklappern bekannter Themenkomplexe. Das Internet und insbesondere die sozialen Netzwerke sind so böse und von den Medien und Politikern ganz zu schweigen – das sind doch nur eitle, oberflächliche Größenwahnsinnige und nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht! Wissen wir und wurde so auch in der überdrehten Form schon so einige Male in der Filmgeschichte durchgekaut, weshalb "Don't Look Up" bis auf Stars und Effekte nicht viel Neues zu bieten hat – Hollywood in Reinform sozusagen.“

Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): „Nach dem Motto „Was man nicht sehen kann, gibt es auch nicht“ liefert McKay mit seinem Film auch gleich noch eine herrliche Parabel auf den Verschwörungsunsinn jener potenziell mörderischen Zeitgenossen und ‑genossinnen, die die Existenz des mikroskopisch kleinen Winzlings Corona respektive seine Gefährlichkeit bestreiten, dahinter eine Weltverschwörung zur Errichtung von Diktaturen oder bereits errichtete Diktaturen sehen (im Deutschland der Verquerdenkenden etwa wird derzeit die Merkel-Diktatur von der Scholz-Diktatur abgelöst) und die die rettenden Impfstoffe scheuen wie der Teufel das Weihwasser. „Woher wissen wir überhaupt, dass es einen Kometen gibt?“, prollt denn auch prompt ein Kometenleugner.“

Merkur.de: „Adam McKay hat wieder ein Glanzstück geschrieben und gedreht. „Don’t look up“, das sind 145 rasante Filmminuten, voll von tiefschwarzem Humor, popkulturellen Anspielungen, urkomischen Dialogen, geschickten Schnitten – und einem Ensemble, das umhaut.“

Lesenswert ist auch die Kritik von Ann Hornday in der The Washington Post, besonders weil sie die Schlussszene so einschätzt wir der Verfasser dieser Zeilen. Nun sind wir schon zwei...

Note: BigDoc, Klawer = 1,5

Don’t look up – Netflix 2021 – Regie und Buch: Adam McKay – Kamera: Linus Sandgren – Laufzeit: 138 Minuten – FSK: ab 12 Jahren – D.: Leonardo DiCaprio, Jennifer Lawrence, Cate Blanchett, Meryl Streep, Timothée Chalamet, Mark Rylance, Jonah Hill, Ron Perlman, Chris Evans, Liev Schreiber (Erzähler).