Donnerstag, 13. Januar 2022

Sløborn (Staffel 2) -zwischen Hedonismus und Faschismus

Man hatte die Serie bereits vergessen. Nun ist sie wiederaufgetaucht, fast anderthalb Jahre nach dem Start zeigt ZDFneo die 2. Staffel der Pandemie-Horror-Teenie-Serie “Sløborn“. Christian Alvarts Fortsetzung der Geschichte um die junge Evelin und ihre Geschichte spielt auf einer fast menschenleeren Insel, aber die Gefahren sind geblieben.
Es ist allerdings nicht das Virus, dass die Protagonisten bedroht, sondern es sind die Menschen. „Lupus est homo homini, non homo, quom qualis sit non novit“ (Denn der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, kein Mensch. Das gilt zum mindesten solange, als man sich nicht kennt). Dieser Satz stammt vom römischen Dichter Plautus. Berühmt wurde er durch den englischen Mathematiker und Philosophen Thomas Hobbes (1588-1679). Und der dürfte erstaunt sein, wenn er wüsste, dass er damit beschrieben hat, wie postapokalyptische Filme und Serien funktionieren.

Wie in „The Walking Dead“ – bloß ohne Zombies.

Auf der gemütlichen Insel Sløborn bricht in Staffel 1 die Taubengrippe aus. Das tut sie eigentlich überall und bald drauf geht Deutschland im Pandemie-Inferno unter. Neun von zehn Infizierten sterben. Auf der Insel fühlen sich fast alle nicht nur sicher, sie bekommen auch nicht viel von dem mit, was auf dem Festland tobt. Und das, was sie mitbekommen, leugnen sie bis zum letzten tödlichen Moment. 

Am Ende ist auch auf der Insel der Teufel los. Bewaffneter Bürger ziehen los, um das Resozialisierungsprojekt der Sozialarbeiterin Freja (Karla Nina Diedrich) abzufackeln – die kriminellen Jugendlichen werden als Sündenböcke ausgemacht. Nur sie können das Virus eingeschleppt haben. Dann werden die Bürger gewaltsam von der Bundeswehr deportiert – die Soldaten haben Schießbefehl und machen davon auch Gebrauch. Militanter Widerstand regt sich schnell– er endet ebenso schnell im Blutbad.

Mittendrin ist die fünfzehnjährige Evelin (Emily Kusche). In Kiel findet sie heraus, dass die Deportierten Schlimmes zu erwarten haben. Sie werden mit Infizierten zusammengepfercht und sind zum Sterben verurteilt. Halbirre Horrorärzte experimentieren derweil im Auftrag des Staates mit Blut herum, um ein Serum gegen das Virus zu entwickeln. Es ist der moralische Shutdown Deutschlands, den „Sløborn“ zeigt. Dabei könnte Emilys besondere Immunität der Schlüssel und damit ein Ausweg aus der Pandemie sein, doch die von ihrem Vertrauenslehrer geschwängerte jugendliche Hauptfigur hat genug gesehen. Ihr gelingt die Flucht und die Rückkehr auf die Insel.

Hört sich trashig an, ist es auch. Für das dystopische Spektakel entwickelte Tausendsassa und Til Schweiger-Spezi Christian Alvart (u.a. „Tschiller: Off Duty“, „Dogs of Berlin“) nicht nur die Idee, schon schrieb auch am Drehbuch mit, stand hinter der Kamera und führte last but not least auch Regie. 
Brutalen Horror gibt es bei den Öffentlich-Rechtlichen selten, aber Alvart durfte in der achtteiligen Serie alle Register ziehen. Dabei gelangen ihm und seinem Team einige originelle Geschichten, deren genau beobachtete Details mehr überzeugten als der krachlederne Hauptplot des auf Norderney und im polnischen Sopot gedrehten Horrordramas. So kann mitten in einer für die meisten tödlichen Pandemie schon das Teilen einer Zigarette Schrecken auslösen, wenn man als Zuschauer weiß, dass einer der beiden Raucher infiziert ist. Suspense - das ist eine Erfindung von Alfred Hitchcock. Aber es funktioniert immer. Solche Szenen gehörten daher zu den Stärken der Serie. Andere weniger.

Vor fast zwei Jahren war „Sløborn“ ahnungsvoll-raunend. Das Problem der Serie waren aber die Zutaten. Einerseits zeigte die vor Corona Geschichte auf prophetische Weise viel von dem, was sich real in den zwei Pandemie-Jahren ereignen sollte: zum Beispiel die Faktenresistenz – auch von klugen und gebildeten Menschen. „Sløborn“ führte daher auch die beschränkte Kompetenz der Politiker und ihrer vergeblichen Pandemiebekämpfung beinahe zynisch vor, etwa wenn Virologen auf der Insel bei den Versuchen scheitern, den politischen Entscheidern auch die allereinfachsten pandemischen Grundkenntnisse zu vermitteln.

Aber „Sløborn“ wollte halt auch eine grelle Geschichte erzählen und produzierte beiläufig erzählerische Elemente, die jeder Querdenker mit seiner Wut gegen „die da oben“ ohne großes Zögern unterschreiben würde: die Verschwörung des Staates gegen die eigenen Bürger, die in einen Genozid mündet. Die bösen Medien, die allerdings die Positionen der Leugner vertreten („Das Virus existiert nicht“). Und überhaupt das grob skizzierte moralische Versagen der gesellschaftlichen Eliten. Die ZDF-Serie hatte am Ende, so schrieb ich in meiner Rezension, einen „billigen und schäbigen Nachgeschmack.“ Diese Melange war tatsächlich unappetitlich.

Sløborn ist eine No-Covid-Serie geworden

Die erste Staffel war vor Corona entstanden, ging aber im ersten Corona-Sommer on air, die zweite ging pünktlich vor dem Durchbruch der Omikron-Welle an den Start. Man konnte also gespannt sein, ob Christian Alvart in seiner Fortsetzung die gesellschaftlichen Erfahrungen mit Corona verhandeln würde. Das Ergebnis: dies geschah nicht. 

Fast schon programmatisch verschwand die Pandemie aus der Handlung, sieht man einmal davon ab, dass der kauzige Schriftsteller Nikolai Wagner (Alexander Scheer) beim Plündern einem noch lebenden Infizierten begegnet und sich ansteckt. So etwas wirkt 16 Wochen nach der brutalen Räumung der Insel durch die Bundeswehr, als sei es an den Haaren herbeigezogen. Ist es auch. Aber ansonsten ist von der Pandemie schlicht und ergreifend nicht mehr die Rede.

Stattdessen malt Alvart mit groben Pinselstrichen das konventionelle Szenario einer postapokalyptischen Gesellschaft auf die Serien-Leinwand. Dazu gehört der genretypische zivilisatorische Zerfall von Gemeinschaften. So versucht Freja ihre disparate Gruppe aus kriminellen Jugendlichen zusammenzuhalten. Und am Ende verteidigt sie die von ihr definierten Werte mit Unterdrückung und brutaler Folter. 

Dann gibt es „die Anderen“: eine schwer gewaffnete Gruppe von Plünderern, die die Insel einmal pro Woche heimsuchen. Auch nichts Neues. Und da sind auch die Endzeit-Junkies um Ella (Lea van Acken) und den Ex-Drogendealer Jan (Mads Hjulmand), die sich mit Saufen, Drogen und anderen Exzessen etwas Spaß verschaffen.
Und schließlich ist da die Hauptfigur Emily, die ihre moralische Integrität nicht eingebüßt hat und als unternimmt, um die Reste ihrer Familie zusammenzuhalten. Faschismus und Hedonismus – und ein Rest von Anstand.

Da sieht aus wie bei „The Walking Dead“ – bloß ohne Zombies. Es ist natürlich sehr anstrengend, das Rad neu zu erfinden. Und leichter, die bekannten dystopischen Erzählformeln zu variieren. Das ist keineswegs untypisch, eigentlich ist es das Vertraute, das die meisten Genrefilme und -serien charakterisiert. Aber deutlich spannender sind die gelungenen Versuche, einem Genre neue Impulse zu verleihen. Zumal einem Pandemie-Thriller, dessen Zuschauer sich gerade mitten in einer realen Pandemie befinden, genug Stoff frei Haus geliefert wird. Neue Impulse findet man in „Sløborn“ nicht.

Und so wird erneut durchdekliniert, was in einer Postapokalypse halt so alles geschieht: die brutale Dialektik von Führerschaft und Repression wird genauso vorgeführt wie die Verteidigung einer Idee und deren Missbrauch. Spätestens als Freja den renitenten, aber auch kritisch-reflektierten Devid (Aaron Hilmer) an einen Traktor ketten lässt, das Fahrzeug ohne Fahrer in Gang setzt und der zuvor fast bewusstlos geprügelte Devid über die Felder geschleift wird, erfährt der Zuschauer, was es bedeutet, wenn das hehre Ziel die Mittel rechtfertigen soll.
Denn der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, kein Mensch...erst recht, wenn er ein guter Mensch sein will.

Nicht alle Figuren sind interessant, einige schon

Nicht viel Neues also. Dabei ist nicht alles schlecht. Zwar nimmt die Serie nur langsam Fahrt auf, aber die zweite Hälfte ist zumindest spannend. Und zwar, weil einige Figuren tatsächlich originell gezeichnet werden.
So mutiert der koksende Erfolgsautor und Ingeborg Bachmann-Preisträger Nikolai Wagner zum Survival-Allrounder. Am Ende will der einstige Feingeist bis an die Zähne bewaffnet der Gruppe um Emily und ihren Geschwistern dabei helfen, das Piratenschiff zu erobern. Emily will in ein Husumer Krankenhaus – eigentlich eine Mission Impossible. Die sarkastischen Sprüche des wortstarken Intellektuellen, der nunmehr wie Rambo auftritt, steigern aber den Unterhaltungswert der Serie und der von Alexander Scheer gespielte Schriftsteller wird mit cooler Performance zur heimlichen Hauptfigur.

Sehenswert ist auch Aaron Hilmer, der langsam begreift, dass der Idealismus der Sozialarbeiterin Freja in die falsche Richtung abdriftet. Der 22-jährige Schauspieler spielt das überzeugend, man sieht förmlich, wie anstrengend Grübeln ist, bis jemand weiß, was zu tun ist.

Spannend entwickelt sich auch die von Adrian Grünewald gespielte Figur. Aus „Herm“, dem Außenseiter und Sohn des mittlerweile toten Dorfpolizisten Mikkel Schwarting (Urs Rechn), ist ein schwer Traumatisierter geworden, der fast wahnsinnig im Schutzanzug und einer halbautomatischen Waffe im Dorf herumirrt und Gespräche mit dem Geist seines toten Vaters führt – und ihn auch leibhaftig sieht. Mikkel will auch im Jenseits aus seinem Sohn einen Anführer und richtigen Mann machen. Grünewald spielt den halluzinierenden Sohn so gut, dass die Geistergespräche nicht ins Bizarre abrutschen. 

Einigermaßen mithalten kann auch Mads Hjulmand als Ex-Dealer Jan Fisker, dessen Pragmatismus eine Menge mit seiner Selbstdisziplin zu tun hat. Die gerät ins Wanken, als sich das zynische Feierbiest Ella bei ihm einnistet. Auch dieses von Lea van Acken furios gespielte Biest lässt erkennen, dass Christian Alvart bei der Figurenentwicklung ziemlich clever für Überraschungen gesorgt hat. So wird im Falle Ellas aus einer unsympathischen und zunächst klischeehaften Nebenfigur ein interessanter Charakter, der im Überlebenskampf über unerwartete Ressourcen verfügt. 

Andere Figuren kommen da nicht ganz mit. Das gilt auch für Emily Kusche gespielte Hauptfigur, die einfach eine Spur zu brav ist. Das ist zwar rollenkonform, aber leider auch langweilig.
Ein schlechter Witz ist nach wie vor der als Hauptrolle angekündigte Auftritt von Wotan Wilke Möhring, der in der sechsteiligen zweiten Staffel einige Minuten lang nach seinen Kindern suchen darf, dann aber ergebnislos mit dem Hubschrauber davonfliegt. Das war’s.

Untern Strich ist „Sløborn“ auch dank der flotten zweiten Staffelhälfte ein gut getaktetes postapokalyptisches Drama geworden, das sich nicht sonderlich originell bei bekannten Genretopoi bedient und in den ersten drei Episoden kaum Fahrt aufnimmt. Die letzten Episoden zeigen dann aber, dass Christian Alvart besonders Action gut getimt ins Bild setzen kann und auch sonst einige gute Ideen bei der Figurenentwicklung hatte. Zwar ist die finale Flucht der Gruppe um Emily mit einem selbstgebauten Floß etwas irrwitzig, aber Alvart lässt wenigstens fast alle wichtigen Figuren überleben. 
Nicht nur das, sondern auch der Cliffhanger macht klar, dass eine dritte Staffel unvermeidbar ist. Denn das Krankenhaus in Husum, dass die Kids am Ende erreichen, wird von einem bewaffneten Mob belagert. Der Mob schießt auf die Ärzte, die schießen mit schweren Waffen zurück.
Es ist nicht zu erwarten, dass das ZDF dies nicht weitererzählt. Immerhin war die erste Staffel 2020 die erfolgreichste ZDFneo-Serie in der Mediathek. Ob man noch einmal fast zwei Jahre auf eine Fortsetzung warten muss, steht allerdings in den Sternen.

Noten: BigDoc = 3

Sløborn (Season 2) – Deutschland 2022 – ZDFneo, Serie in acht Teilen – Idee, Buch, Kamera und Regie: Christian Alvart – D.: Emily Kusche, Alexander Scheer, Adrian Grünewald, Aaron Hilmer, Lea van Acken, Karla Nina Diedrich, Mads Hjulmand u.v.a.