Samstag, 26. Februar 2022

„Eternals“ - die Inflation der Superhelden

Gut gelaufen ist es für Kevin Feige nicht, den 1-Mann-Thinktank des Marvel Cinematic Universe (MCU). „Eternals“ gilt bei den Kritikern als schlechtester Marvel-Film der MCU-Geschichte, obwohl der Film keine schmale Rendite einfahren wird.
Nur 47% der Kritiken auf Rotten Tomatoes waren positiv. Und das, obwohl Feige mit Chloé Zhao eine Oscar-Gewinnerin („Nomadland“) ins Boot geholt hatte. Genutzt hat es nicht, denn „Eternals“ ist über weite Strecken ein strunzlangweiliger Film. Da hilft es nicht, dass die Kritiker pflichtschuldig die Diversität des Streifens loben.

Politisch korrekt ist der Film, aber…

...Marvel-Filme waren pure Männerfilme: Robert Downey Jr., Chris Evans, Chris Heemsworth, Mark Ruffalo, Tom Holland, Paul Bettany, Chris Pratt und der leider zu früh verstorbene Chadwick Boseman verwandelten stereotype Comichelden in charismatische, interessante Menschen mit besonderen Fähigkeiten. Auch weil die Ironie nicht zu kurz kam. Da konnten Scarlett Johansson und Elisabeth Olsen zwar exzellent mithalten, aber halt nicht zahlenmäßig.

Dann folgte die „Causa Weinstein“ und zu Recht musste nicht nur die Filmbranche, sondern auch die amerikanische Gesellschaft die Seuche des sexuellen Missbrauchs aufarbeiten. Nicht nur den Missbrauch von Frauen, denn sonst hätte es nicht Filme wie „Spotlight“ gegeben. Auch in der Welt des Sports krachte es. Und da Hollywood eben Hollywood ist, glaubte man mit einfältiger Logik, dass man für Gerechtigkeit sorgt, wenn nun die Frauen die Heldenrollen übernehmen. In „Eternals“ sind dies Gemma Chan, Lia McHugh, Salma Hayek, Angelina Jolie und Lauren Ridloff, während die vermeintliche Hauptfigur (männlich) tatsächlich ein widerwärtiger Schurke und Mörder ist und sich am Ende in die Sonne stürzt, um den Kosmos von seiner Existenz zu befreien.

Diese Diversität mag einen nicht unerheblichen Symbolwert besitzen, ändert aber nichts daran, dass hinter den Kulissen der bunten CGI-Bilder die sozio-ökonomische Struktur des US-Kinos von Männern bestimmt wird. Bei den Top 100-Filmen lag 2015 der Frauenanteil bei 16%, fünf Jahre später bei 21%. Und genauso wie in der Politik werden die Männer sich dagegen wehren, das Zepter endgültig aus der Hand zu legen. Und das beste Mittel bei der Verteidigung der eigenen Pfründe ist immer schon der symbolische Aktionismus gewesen. Abgesehen davon sollte man schleunigst klarstellen, dass das Synonym von ‚Diversität‘ nicht Geschlechtergleichheit heißt. Diversität ist ein sozialpsychologisches Konzept, um die vielfältigen Unterschiede von Individuen und Gruppen zu beschreiben. Also Heterogenität und nicht Gleichheit.

Wenn die Geschichte lendenlahm ist…

…dann helfen auch die Frauen nicht. Chloé Zhao hat in „Nomadland“ wie auch mit „The Rider“ bewiesen, dass sie mit Empathie und einem stilistisch perfekten Naturalismus hochspannende Figuren erschaffen kann, wie sie das Kino so nicht kannte. Für „Eternals“ hat sie zusammen mit den Nachwuchstalenten Ryan und Kaz Firpo die Story entwickelt und auch maßgeblich am Drehbuch mitgewirkt. Das Ergebnis: erst im letzten Drittel des über zweieinhalb Stunden langen Films beginnt man, sich für die Figuren maßvoll zu interessieren. Zuvor beschäftigt sich „Eternals“ damit, sein Personal einzuführen und die Story mit mäandernden Flashbacks in die Vergangenheit zu erklären anstatt sie zu erzählen.

Das liegt auch an einem ziemlich bescheuerten Plot, der aufgrund seiner Hybris eher in den DC-Kosmos passt. Es geht um die Celestials, eine götterähnliche Alienrasse, die allmächtig ist, die Gesetze des Kosmos formt, Galaxien und milliardenfaches Leben erzeugt. Leider werden gelegentlich auch neue Celestials erschaffen. Ihre Geburtsstunde wird als „Emergenz“ bezeichnet, was tatsächlich ‚Emporsteigen‘ bedeutet, aber nur wenig mit der eigentlichen Bedeutung der Emergenz in Philosophie und Wissenschaft zu tun hat.
Leider brauchen die neuen Celestials sagenhaft viel Energie und die beziehen sie von den intelligenten Lebensformen des Planeten, auf dem sie ausgebrütet werden. Die „Emergenz“ ist dann auch folgerichtig immer ein milliardenfacher Genozid, denn nachdem der frisch geborene Celestial die Intelligenz der gezüchteten Rassen absorbiert hat, bleibt am Ende von dem Planeten nur ein Trümmerhaufen übrig. 

Um die erforderlichen Lebensformen für die „Emergenz“ zu züchten, schickte Chef-Celestial Arishem die Deviants auf die Erde, mörderische Monster, die alle Prädatoren auslöschen sollten, die den Menschen ins Gehege kommen könnten. Leider ließen sich die Deviants bald nicht mehr kontrollieren (wieso eigentlich?) und Arisham bastelte die beinahe unsterblichen und mit Superkräften ausgestatteten Eternals zusammen. Die neuen Superhelden sollten die Deviants ausrotten. Damit waren sie 7000 Jahre beschäftigt, während sich die menschliche Zivilisation zügig entwickelten konnte. Als der letzte Deviant getötet wurde, zerstreuten sich die Eternals und lebten ihr eigenes Leben inmitten der Menschen. Nun tauchen wie aus dem Nichts neue Deviants auf und Ikaris (Richard Madden), der fliegen kann und à la Supermans Hitzeblick mit tödlichen Laserstrahlen kämpft, die materialwandelnde Sersi (Gemma Chan) und die Illusionen erzeugende Sprite (Lia McHugh) versuchen gemeinsam, die Mitglieder ihrer alten Crew zu finden, um erneut in den Krieg zu ziehen.

Leider führt dies zu einem eher tristen Mashup aus alten und neuen Zeitlinien, der fiktionalen Erklärung, wie die großen Mythologien in die Welt kamen (ein Eternal heißt tatsächlich Gilgamesh und wird von dem Südkoreaner Ma Dong-seok gespielt), einigen Verweisen auf die „Avengers“ und sattsam bekannten Superkräften, die man nicht nur aus dem Marvel-, sondern auch aus dem DC-Kosmos kennt. 
Zum DC-Style und zur Austauschbarkeit und Beliebigkeit der Figuren passt, dass der Eternals-Creator Jack Kirby mit seinen Figuren 1970 von den Marvel Comics zu DC wechselte, dann allerdings wieder zu Marvel zurückkehrte.
In
„Eternals“ wirkt alles wie eine Aneinanderreihung von beliebig arrangierten Stereotypen, deren mythologischer Rahmen eher an die spätpubertären Phantasien eines von Allmachtsgeschichten besessenen Kids erinnern. Oder an Erich von Däniken, der in Sachen pseudo-wissenschaftlicher Umdeutung von Religionen und Mythologien ausreichend Anhänger um sich scharte, um mit seinen Büchern Auflagenmillionär zu werden. So oder so: Chloé Zhaos „Eternals“ steuern nun ihren eigenen Beitrag dazu bei, um dieses wenig schmackhafte Gebräu erneut zu servieren. Ganz ehrlich: selbst mittelmäßige Marvel-Filme sind glaubhafter.

Und die Moral von der Geschicht‘…?

Erst spät beginnen die Eternals herauszufinden, welche traurige Rolle sie in den Plänen der Celestials spielen. Sie sind die Helfer bei einem unausweichlichen Genozid. Da sie aber die Menschen trotz ihrer Schwächen zu lieben gelernt haben, ist der der Widerstand gegen die Pläne von Arishem nur eine Frage der Zeit. Aber leider nicht bei allen.

Der Stoff, aus dem nicht nur Kinogeschichten sind, besteht nicht nur aus persönlichen Tragödien, sondern auch aus moralischen Dilemmata und der Gefahr des Scheiterns, das offenbar nicht nur Menschen droht, sondern auch den Eternals und den wirklich sehr hässlichen galaktischen mehräugigen Göttern, die wie Ausgeburten eines misslungenen Experiments von Dr. Frankenstein aussehen. Comics konstruieren dies nicht immer, aber eben doch sehr häufig sehr holzschnittartig. Auch „Eternals“ sucht nach der Moral. Es geht um nicht weniger als den freien Willen und die humanitäre Botschaft, dass auch Götter nicht den organisierten Massenmord zum Baustein ihrer Evolutionspläne machen dürfen. Und es geht um Liebe und Verrat, und das sind zweifellos zwei der erfolgreichsten Zutaten, um eine gefällige Kinogeschichte zu erzählen.

Hier gelingt es Chloé Zhao zumindest ansatzweise, zwischen den ausgedehnten Actionszenen am Ende die Figuren doch halbwegs interessant zu entwickeln. So hatte der skeptische Druig (Barry Keoghan), der Menschen mit seinen mentalen Kräften steuern und manipulieren kann, bereits vor Jahrtausenden Zweifel am zivilisatorischen Potential der Menschen, die sich in endlosen Kriegen niedermetzeln. Das Technikgenie Phastos (Brian Tyree Henry) muss dagegen lernen, dass seine Erfindungen der Menschheit nicht helfen, wenn diese am Ende skrupellos genug ist, um die Atombombe zu bauen. Thena, die Kriegsgöttin (Angelina Jolie), ist dagegen ein psychisches Wrack, das die vielen Jahrtausende in ihrer Erinnerung nicht mehr verarbeiten kann und während ihrer Blackouts sogar die Eternals angreift.

Obwohl Zhao an vielen Originalschauplätzen drehte und dem britischen Kameramann Ben Davis („Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“, „Dr. Strange“, „Guardians of the Galaxy) besonders auf den Kanarischen Inseln überwältigende Bilder gelangen, ist eine kohärente Geschichte nicht daraus geworden. Zu viele neue Figuren aus einem Nebenzweig des MCU-Universums mussten eingeführt werden und gleichzeitig sollten 7000 Jahre menschlicher Zivilisationsgeschichte bewältigt werden. Da bleibt schon mal einiges oder sogar vieles Flickwerk.
Im Kern hat Chloé Zhao die Bürde übernommen, das Gegenteil von dem realisieren, was sie meisterhaft kann: den Fokus auf eine Schlüsselfigur zu richten und die Komplexität menschlichen Fühlens und Denkens bis in die letzte Ecke auszuloten. Bei einem Massenaufgebot neuer Superhelden kann dies nicht gelingen.

Auch der typische Marvel-Humor blieb auf der Strecke. Und das, obwohl es in Kevins Feiges bislang subtil austariertem Universum ein Erfolgsrezept war, auf brachialen Humor zu verzichten und stattdessen mit subtiler Ironie erfolgreich die andere Erzähllücke oder gewisse Absurditäten zu umschiffen. „Eternals“ gibt sich dagegen traurig-ernst. Und wenn gelacht werden soll, wird es albern – etwa, wenn der von Kumail Nanjiani gespielte Kingo, der Energieprojektile werfen kann, ein Leben als Bollywood-Schauspieler führt, dort einen Superhelden mimt und später die Kämpfe der Eternals von seinem Butler mit der Digitalkamera filmen lässt. Wer’s witzig findet, dem ist Genüge getan.
Gelacht habe ich nur einmal. Und zwar, als Ikaris entdeckt, dass der gewissenhafte Phastos, der by the way als schwuler Familienvater geoutet wird, sein Haus in eine bombensichere Festung verwandelt hat. Um das zu beweisen, haut der fliegenden Superheld mit der Faust auf den Tisch und verwandelt ihn in einen Trümmerhaufen. „Ikea“, kommentiert Phastos die Aktion lakonisch. Das war’s auch schon – abgesehen von einigen ironischen Kommentaren zum Gebrauch von Smartphones und Social Media und den krampfigen Humoreinlagen Kingos.
Stellt man das Miteinander von todernstem Drama und Lächerlichkeit in einen größeren Rahmen, dann kommt man am traurigen Fazit nicht vorbei: die Menschheit ist wieder einmal gerettet, das MCU tritt nach dem Ende der „Avengers“ aber auf der Stelle. „Über Black Widow“ konnte man sich streiten und über den actionüberfrachteten „Shang-Chi And The Legend of the Ten Rings“ erst recht. Aber „Eternals“ deutet zum ersten Mal an, dass sich Phase Vier des Marvel Cinematic Universe noch nicht von der Abwicklung der Phase Drei erholt hat.

Note: BigDoc = 4


Eternals – 2021 – Walt Disney Studios – Laufzeit: 156 Minuten - Regie: Chloé Zhao – Buch: Chloé Zhao, Ryan und Kaz Firpo, Patrick Burleigh – Kamera: Ben Davis – D.: Gemma Chan, Richard Madden, Kumail Nanjiani, Angelina Jolie, Salma Hayek, Lia McHugh, Brian Tyree Henry, Lauren Ridloff, Barry Keoghan, Harish Patel, Kit Harrington
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