Samstag, 11. Juni 2022

Borgen – die erfolgreiche Politserie kehrt zurück

Nach über zehn Jahren kehrt „Borgen“ zurück. Ab 2010 sezierte die dänische Polit-Serie um die die Politikerin Brigitte Nyborg drei Staffeln lang ziemlich realistisch die politischen und medialen Grabenkämpfe in einem fiktiven Dänemark. „Borgen“ war damit die Blaupause für das deutlich zynischere „House of Cards“ mit Kevin Spacey als machtgeilem US-Präsidenten.
Nachdem Showrunner Adam Price „Borgen“ mit der dritten Staffel eigentlich beenden wollte, gibt es nun doch eine Neuauflage der in 70 Ländern verkauften Erfolgsserie. Sie wurde erneut vom dänischen TV-Sender DR1 produziert, diesmal aber in Zusammenarbeit mit NETFLIX. Und erneut wird die Serie gefeiert. In der achtteiligen 4. Staffel zeigt sich Brigitte Nyborg als dänische Außenministerin allerdings von einer sehr dunklen Seite. Man hat das Gefühl, als würde ihr Francis Underwood über die Schulter schauen. Willkommen im Club!

Quality TV: Die goldenen Jahre sind vorbei

Dass eine Serie nach fast zehn Jahren Pause wiederbelebt wird, ist ungewöhnlich. Sich nun an die alten Staffeln zu erinnern, ist schon eine Herausforderung. Die Fans und die Kritiker dürfen die Macher allerdings auf ihrer Seite wissen: wer „Borgen“ damals gemocht hat, wird die Serie auch jetzt wieder mögen. Obwohl sich die Serienlandschaft stark geändert hat.

Blicken wir noch einmal auf die Jahre nach 2010 zurück, jenem Jahr, in dem „Borgen“ an den Start ging. Was haben wir damals für Serien gesehen? 
Zweifellos erreichte der Serienboom damals seinen vorläufigen Höhepunkt. „The West Wing“ war bereits Geschichte und zwei Jahre zuvor war „The Wire“ (zweifellos eine der besten Politserien der TV-Geschichte) beendet worden. In der der ersten Hälfte der 2010er-Jahren traten „The Walking Dead” (ab 2010), „Breaking Bad“ (2008-2013), „Mad Men“ (2007-2015), „Downton Abbey“ (2010-2015), „Boardwalk Empire“ (2010-2014), „Sherlock“ (2010-2017) und “Justified” (2010-2015) die Nachfolge an. Später folgten „Suits“ (2011-2019), „Game of Thrones“ (2011-2019), „Homeland“ (2011-2020) und „House of Cards” (2011-2020).
Und eben auch “Borgen“ (2010-2013), eine Serie, die erst ab 2012 mit dem Untertitel „Gefährliche Seilschaften“ in Deutschland bei ARTE zu sehen war. Sie eroberte sich nicht nur eine Nische, sondern war für viele schlicht und einfach die Politserie. Als eine Literaturkritikerin zum Start der zweiten Staffel euphorisch behauptete: „Die beste Fernsehserie der Welt kommt aus Dänemark“ (sic!), so war dies allerdings schon damals geschichtsvergessen.
Denn die letzte Dekade war wohl die Goldene Ära der Serienkunst. Heute ist der Begriff
Quality TV etwas aus der Mode gekommen. Der Serienmarkt ist nämlich mehr oder weniger Patchwork. Immer mehr Anbieter drängen in das Streaming-Geschäft, die Verteilungskämpfe sind heftig, der Ausgang bleibt offen. Und auch die heilige Kuh, nämlich Serien werbefrei zu zeigen, wird demnächst garantiert geschlachtet. Vermutlich auch von NETFLIX.

Die Qualität der Serien hat der harte Marktkampf nicht gesteigert. Wenn es um die zweite Hälfte der 2010er-Jahre geht, wird man sich auf Anhieb nur an „Westworld“, „True Detective“ und „The Handmaid’s Tale“ erinnern. Stattdessen: Zombie-Serien ohne Ende, Star Trek- und Star Wars-Reboots ohne Ende, wenig Mut und nur eine geringe Risikobereitschaft, mitunter hyperkomplexes Storytelling statt einer klaren Dramaturgie.
Politisches wurde rar: allein „Chernobyl“ war ein funkelndes Kleinod. In Deutschland konnten wenigstens „Weissensee“ und „Bad Banks“ mit politischen Themen punkten, von den US-amerikanischen Serien blieben neben „Chernobyl“ gerade mal „Show Me A Hero“ und „The Looming Tower“ im Gedächtnis haften – wenn überhaupt. Nach diesem Abstieg aus dem Golden Age ist die Begeisterung für die neue Staffel von Adam Price nachvollziehbar. Aber ist sie tatsächlich so gut?

Werte sind austauschbar

Im realen Dänemark hat sich politisch einiges getan. Mit Mette Frederiksen ist eine sozialdemokratische Politikerin Ministerpräsidentin – nicht die erste Frau an der Spitze des Landes. Um so weit zu kommen, passte sich Frederiksen geschickt an die Umfragen an und verwandelte die offene Flüchtlingspolitik des Landes in ein restriktives System. „Borgen – Macht und Ruhm“ blendet dies aus.
In der Fiktion ist auch eine Frau Chefin. Allerdings nicht Brigitte Nyborg (Sidse Babett Knudsen), sondern Signe Kragh (Johanne Louise Schmidt) ist Regierungschefin. Kragh bleibt politisch blass, aber sie kann kommunizieren. Ihre Figur glänzt daher, wenn sie geschickt die Social Media einsetzt, um bei „denen da draußen“ zu punkten. Es fehlen nur die Katzenvideos.

Beide Frauen stehen ihren Parteien vor, die in der dänischen Vielparteien-Landschaft eine mehrheitsfähige Koalition gebildet haben. Nyborg ist Chefin der „Neuen Demokraten“ und in Kraghs Kabinett „nur“ die streitbare Außenministerin. Gleich in der ersten Episode steckt sie interne Informationen an den Journalisten Torben Friis durch (wieder dabei: Soren Malling) und torpediert damit erfolgreich eine Personalentscheidung der Ministerpräsidentin. Als Nummer zwei sieht sich Nyborg also nicht. Beide Frauen werden einen heftigen „Bitch Fight“ führen.
Aber „Borgen“ will nicht innenpolitisches Hickhack zeigen. Die Story soll das aus Dänemark, Grönland und den Färöern bestehende Königreich auf eine globale Ebene hieven. Im Detail ist das ziemlich visionär. Die Corona-Pandemie wird nur in einem Nebensatz erwähnt, mit Maske sieht man in „Borgen“ niemand. Aber die Erwähnung eines russischen Überfalls auf die Ukraine haben die Macher vorhergesehen. Borgen ging am genau elf Tage vor dem russischen Einmarsch on Air. Zu einem Zeitpunkt, als einige deutsche Politiker einen militärischen Konflikt noch kategorisch ausschlossen. 1-0 für die Geschichtenerzähler aus Dänemark!

Im Mittelpunkt der Serie steht ein anderer Konflikt. In Grönland wird ein gigantisches Ölfeld entdeckt. Schnell ist davon die Rede, dass ein Gegenwert von 2000 Mrd. Kronen unter dem Eis schlummert. Für Nyborgs grüne Agenda eine Herausforderung, denn mit ökologischen Themen hat die neue Koalition die Wahl gewonnen. Für die grönländischen Politiker ist der Ölfund dagegen ein Sprungbrett in die Unabhängigkeit, denn das seit 1979 autonome Grönland, in dem 2009 die Selbstverwaltung eingeführt wurde, will den Kuchen nicht teilen, sondern mit dem Geld seine Unabhängigkeit finanzieren.

Als herauskommt, dass an der kanadischen Fördergesellschaft, die das schwarze Gold entdeckt hat, auch ein krimineller russischer Oligarch beteiligt ist, lässt sich Nyborg ziemlich naiv auf einem Deal mit den Amerikanern ein und verschweigt in einer Sitzung des Ausschusses für Außenpolitik diese brisante Information. Sie lügt.
Ausgerechnet Torben Friis, der Chefredakteur der Nachrichtenredaktion von TV1 ist, sorgt mit einer Insider-Information dafür, dass dies ins Spiel gebracht wird. Nyborg steht danach vor ihrem Rücktritt. Auch Katrine Fønsmark (Brigitte Hjort Sorenson), die karrierebewusste Nachrichtenchefin von TV1, wittert mehr Einschaltquoten mit der Enthüllungsstory. Vor zehn Jahren war sie noch Nyborgs Spin-Doctor, nun hatte sie keine Skrupel, ihre alte Chefin ans Messer zu liefern. Doch die die gewiefte Politikerin zieht ihren Kopf aus der Schlinge: Brigitte Nyborg wechselt in einem Interview mit TV 1 ihre Position, organisiert sich eine neue Mehrheit und fordert plötzlich die Ausbeutung des Ölfeldes. Eine Kehrwende um 180 Grad.

Politik und Medien: It’s the economy, stupid!

Umwelt und Energiepolitik, Medien, Gender Mainstreaming: „Borgen – Macht und Ruhm“ erzählt von Themen, die viel Zeitgeist atmen. Es geht aber auch um das Erbe der Kolonialpolitik - Dänemark war eine der ersten europäischen Kolonialmächte. Showrunner Adam Price gibt in dieser komplexen Konstellation möglichen Illusionen über die Motive seine Protagonisten nur wenig Raum. Zwar verbreiten die Medien den Slogan „Die Zukunft ist weiblich“ („The Future is Female“ tauchte bereits in den 1970er-Jahren in den USA auf), aber dies sorgt nicht dafür, dass sie auch besser wird. Die Fähigkeit zur Intrige und den Griff zu fiesen Mitteln beherrschen die Frauen genauso gut wie die Männer. Und dabei geht es den Medienmachern und den Politikern nicht mehr um ihre Agenda, sondern nur noch um Karriere, Einfluss und Macht – und um ihr Überleben.
„Borgen“ erzählt dies in einem flotten Tempo, verzichtet dabei aber nicht auf Komplexität. Die verschiedenen Figuren hat Price dramaturgisch recht gut im Griff. Die Serie konzentriert sich auf Nyborgs Trouble mit den Grönländern, in einer Parallelhandlung wird die politische Rolle der Medien beleuchtet. Katrine Fønsmark will trotz der flachen Hierarchie in ihrem Team neue Standards etablieren, gerät aber mit der populären Moderatorin Narciza Aydin (Özlem Sağlanmak) aneinander und wird Opfer eines gewaltigen Shitstorms. Am Ende gerät sie zwischen alle Stühle und bricht psychisch zusammen. 

Die Abwanderung der Zuschauer in die digitalen Plattformen beleuchtet „Borgen“ zielgenau, aber gelegentlich nervig, denn pausenlos sind die Akteure online unterwegs, und was sie austauschen, wird in Textsnippets ständig eingeblendet. Etablierte Medien müssen mit der neuen Macht der Social Media mithalten und stehen wirtschaftlich unter Druck. Und offenbar können sie in ihren alten Formaten nur noch mit Skandalisierungsstorys punkten. Fønsmarks Attacken, das findet sie rasch heraus, stoßen aber an ihre Grenzen, wenn es um staatliche Medienzuschüsse geht. Man beißt nicht die Hand, die einem die Kohle reicht. Der unabhängige Journalismus gerät unter Druck.

Neue Figuren gibt es auch in der vierten Staffel. Eine wichtige Rolle spielt Nyborgs Grönland-Botschafter Asger Holm Kirkegaard (Mikkel Boe Følsgaard), der trotz Flug- und Reiseangst in die Arktis reisen muss, um den grönländische Außenminister Hans Eliassen (Svend Hardenberg ist ein grönländischer Politiker und CEO, der sich in seiner ersten Rolle quasi selbst spielt) auf Kurs zu bringen. Kirkegaard ist loyal, scheint aber unerfahren zu sein, entwickelt aber eine kritische Haltung und wird so zu einem wichtigen Resonanzboden für Brigitte Nyborg. Aber er gefährdet seine Position, als er sich in eine grönländische Politikerin verliebt.

Was dieser Struggle aus Menschen macht, erklärt die Serien plakativ mit großen Schrifttafeln – immer vor dem Cold Open. Die 7. Episode beginnt zum Beispiel mit einem Aphorismus des Philosophen Immanuel Kant: „Es liegt in der Natur der Macht, dass sie auch zum Missbrauch führen kann.“ DR 1 und NETFLIX nennen auch die Quelle: „Immanuel Kahn“, was ein schlechtes Licht auf die Bildungsstandards des Streaming-Anbieters wirft. Auch dass die Message der Serie den Zuschauern mit dem pädagogischen Holzhammer eingetrichtet wird, ist irgendwie unelegant.Denn auch ohne dieses Stilmittel wird schnell klar, dass für Brigitte Nyborg grüne Werte nur eine instrumentelle Funktion haben. Man ist ihnen nur deshalb verpflichtet, weil man damit den Wahlkampf gewonnen hat und weil die eigene Parteibasis den Versprechen glaubt. Das erinnert unschön an eine liberale Partei in Deutschland, die mit ihrer Corona-Agenda erfolgreich Stimmen im rechtspopulistischen Milieu abschöpfte und mit einem cleveren Framing alle Maßnahmen der Pandemiebekämpfung zu massiven Grundrechtsverletzungen umdeutete. Immerhin halten die federführenden Akteure dieser Agenda auch nach ihrem Eintritt in die Regierung an ihrer Agenda fest.

Brigitte Nyborg handelt anders. Sie ist ein Chamäleon. Skrupel scheint sie nicht mehr zu kennen. Die Proteste der Parteibasis sind ihr egal. Doch als herauskommt, dass nicht die bösen Russen sich in die kanadische Ölfördergesellschaft eingekauft haben, sondern die Chinesen, gerät Nyborg zwischen die Fronten der Großmächte und ihrer geo-politischen Interessen. Dass die transatlantische Freundschaft kein Zuckerschlecken ist, wenn man einem eigenen Weg sucht, davon erzählt „Borgen“ punktgenau.

Aber der Konflikt wird auch in Nyborgs Familie getragen. Zum moralischen Gegenpart wird ausgerechnet Brigittes Sohn Magnus (Emil Poulsen), der als Umweltaktivist einen Schweinelaster entführt, um auf die Missstände der Massentierhaltung hinzuweisen. Am heimischen Tisch rechnet er seiner Mutter genüsslich den ökologischen Footprint vor, den das Stück Fleisch besitzt, das sich seine Mutter auf den Teller legt. Es dauert nicht lange und die Hauptfigur in „Borgen – Macht und Ruhm“ ist physisch und psychisch am Ende.

Und so taumelt die 53-jährige Politikerin, die sich mitten in ihrer Menopause befindet, durch die Ereignisse, ohne dass man weiß, ob sie überhaupt noch Ziele hat oder ob es um den puren Macherhalt geht. Irgendwann ist sie am Ende, kotzt in den Papierkorb, kriecht entkräftet über den Teppich und sieht gleichzeitig ein Interview, das Michael Laugesen (Peter Mygind) gibt. Ihr alter Widersacher, der mit seinen skrupellosen Aktionen in den vorherigen Staffeln für die Zerstörung von Nyborgs Familie verantwortlich war, philosophiert bei TV 1: „Man muss ein Raubtier sein, um an der Spitze der Politik zu sein.“ 

Brigitte Nyborg hört aufmerksam zu, auch als Laugesen die dänische Mentalität beschreibt: die Menschen wollen keine glaubwürdigen Politiker, das behaupten sie nur. Sie wollen Politiker, die überleben, die sich wehren und wieder aufstehen. Die um die Macht kämpfen, weil sie an eine Sache glauben. Und selbst das sei nicht nötig: „Für einige zählt die Macht mehr als die Sache!“
Nyborg weiß nun: das ist ihr Mann! Sie steht mühsam auf, reißt die Arme in Rocky-Pose nach oben – und wenige Stunden später ist Laugesen ihr neuer Spin-Doctor. Und der sorgt ziemlich schnell dafür, dass sich in Nyborgs Accounts die Anzahl der Follower dramatisch steigert. Fehlen nur noch die Katzenvideos.

Eine nicht ganz unproblematische Serie

Zu „Borgen“ hätte der Untertitel „Macht und Ehre“ besser gepasst. Im Original heißt die Serie tatsächlich so: „Das Reich, die Macht und die Ehre“. Aber „Reich“ war für NETFLIX wohl mit Blick auf den deutschen Markt zu riskant und so griff man politisch korrekt zur Schere. Mutlos.
Trotzdem fasziniert die neue Staffel durch einen differenzierten Blick auf das Innenleben der Politik und deren symbiotischer Beziehung zu den Medien. Auch die geopolitischen Kreuzzüge der Global Player USA, China und Russland, in denen es angeblich um Werte gehen soll, aber der Zweck bereits alle Mittel heiligt, zeigt aktuelle politische Dilemmata sehr pointiert. In Sachen Spannung läuft keine andere Politserie der neuen Staffel von „Borgen“ so schnell der Rang ab.
Allerdings ist „Borgen“ gerade wegen dieser analytischen Schärfe ein intellektuell forderndes Format, das auf einem schmalen Grat wandert. Der genaue Blick auf die politischen Mechanismen und Egoismen und der ethisch nicht weniger problematische Kampagnenjournalismus der erbittert konkurrierenden Medien bedient nämlich ungewollt jene Zuschauer, die sich von der Politik abwenden und den Medien sowieso nicht mehr trauen. Alle, die die westlichen Demokratien nur noch als Auslaufmodell betrachten, werden sich vergnügt auf die Schenkel klopfen. Und wer den Duktus der Serie unbedingt so interpretieren will, der bekommt genau die klischeehaften Indizien geliefert, die er unbedingt finden will. Denn „Borgen“ bekräftigt auch die Einschätzung, dass demokratische post-kapitalistische Gesellschaften auf dem Sprung in eine grüne Ökonomie an der moralischen Doppelbödigkeit ihrer Politiker zwangsläufig scheitern müssen.

Dass man „Borgen – Macht und Ruhm“ gegen den Strich deuten kann, darf man den Serienmachern nicht vorwerfen. Auch hier gilt das lateinische Sprichwort „Abusus non tollit usum“ (Missbrauch hebt den richtigen Gebrauch nicht auf). Ob eine Sache selbst den richtigen Gebrauch unzweifelhaft definiert, ist aber mehr als ein Restproblem. Auch deshalb ist es ein Rätsel, dass einige Kritiker den moralischen Turnaround der Hauptfigur bejubelten. Warum eigentlich?
Unter Strich ist die vierte Staffel von „Borgen“ unabhängig von den deprimierenden, aber leider nur zu realistischen politischen Einsichten ein exzellent gespieltes Charakterdrama, in dem auch die Hauptfigur an unsichtbaren Fäden hängt, während sie alles Erdenkliche tut, um selbst diese Fäden zu ziehen. Aber Brigitte Nyborg ist allein, die Familie ist weg, der Mann auch, aber trotzdem freut sie sich darüber, dass sie nun arbeiten kann, ohne sich rechtfertigen zu müssen.
„Solche wie wir führen kein normales Leben“, erklärt sie Asger Holm Kirkegaard bei einer Flasche Wein. „Wir kommen zu spät nach Hause, stehen zu früh auf und enttäuschen zu viele, die wir lieben. Es gibt nur wenige Menschen, die für die Arbeit geschaffen sind – und sie auch über alles lieben. Würdest du nicht auch lieber eine wählen, die schuftet, als eine, die ihre Kinder um vier abholt?“ „Ja, aber es ist traurig“ erwidert Kirkegaard. „So sind wir aber!“, zieht Nyborg Bilanz.

Eigentlich ist Brigitte Nyborg eine traurige Figur, ein Junkie, der nie genug bekommt. Es wäre schön, wenn man in einer fünften Staffel erzählt bekommt, wohin das führen wird. Es wäre auch spannend, denn „Borgen – Macht und Ruhm“ kann seine Hauptfigur am Ende nur durch eine melodramatische Kehrtwende aus dem Sumpf von Korruption und Machtgeilheit befreien. Nach sieben ernüchternden Episoden war ich aber nicht bereit zu glauben, dass jemand, der so tief abgestiegen ist, allein durch ein kurzes Gespräch mit einem grönländischen Walfischer die politische Ethik, die eigene moralische Identität und die Liebe zur Natur wiederentdeckt. Stattdessen das Credo: Nichts kann so schlimm sein, um zu verhindern, dass am Ende das Gute siegt. Ob dies die Botschaft von Adam Price oder von NETFLIX ist, kann ich nicht beantworten.

Note: BigDoc = 2,5


Borgen – Macht und Ruhm (Original: Borgen – Reich, Macht und Ehre) – DR1 (Dänemark), Netflix 2022 – 8 Episoden – Showrunner: Adam Price – Buch: Adam Price, Jeppe Gjervig Gram, Tobias Lindholm – D.: Sidse Babett Knudsen, Birgitte Hjort Sørensen, Mikkel Boe Følsgaard, Svend Hardenberg, Emil Poulsen, Søren Malling, Peter Mygind u.a.