Montag, 6. Juni 2022

The Batman - visuell wuchtiger Batman-Reboot


Nie war Gotham City dreckiger und eigentlich war auch Batman nie verzweifelter. In „The Batman“ ist die Schönheit des Hässlichen der Mehrwert. Die visuelle Opulenz des Films ist „outstanding“, wie der Engländer sagen würde.
Man braucht allerdings handfeste Gründe, um nach all den Batman-Filmen und der langen Reihe von Batman-Interpreten wieder einmal auf den Reset-Knopf zu drücken und alles von vorne zu erzählen. Matt Reeves versucht dies in seinem Film mit einem ästhetischen Konzept, das Maßstäbe setzt – und erstaunlicherweise sehr politisch ist.

Ewige Heimsuchung

„Ich wünschte, ich könnte etwas bewirken. Aber ich weiß es nicht.“ Batmans Wunsch, das untergehende Gotham City zu retten, ist ein zweifelhaftes Unterfangen. Erst recht, wenn man in Hinterhöfen Gangs zusammenprügelt, die sich Totenfratzen in Gesicht gemalt haben, und man danach ernsthaft glaubt, man hätte für Gerechtigkeit gesorgt. Batman hat zwar ein Leben gerettet, aber ansonsten fehlt ihm in Matt Reeves neuem Film „The Batman“ offenbar noch der Blick fürs große Ganze.

Das wird sich ändern. Oder auch nicht. Auf jeden Fall steckt in Reeves Version des DC-Superhelden mitten in einer Identitätskrise. Mehr noch: 20 Jahre nach der Ermordung seiner Eltern ist Bruce Wayne aka Batman im klinischen Sinn depressiv, aber auch erschreckend obsessiv. Er steht noch ganz am Anfang seiner Laufbahn als Rächer und Vigilant, durchstreift das nächtliche Gotham und postuliert im Off, dass alle glauben, dass er aus dem Schatten käme. Aber nein, er ist der Schatten, stellt Batman fest. Und das hat nicht einmal einen lakonischen Unterton. Er meint es todernst. Er ist ein Tier der Nacht.

Selbstgewisser macht ihn das nicht. Im Gegenteil. Wenn Batman nicht auf der Suche nach dem Bösen ist, sitzt er in den dunklen Gewölben seines Herrensitzes vor einer Kladde, auf der „Notes & Observations“ steht. Und eine Zeile darunter „Gotham Project – Year 2 (October)“. Handschriftlich hält er fest, was er getan hat und was noch zu tun ist. Es ist nicht nur eine ganze Menge – es ist auch aussichtslos, das Projekt kann nie gelingen. Denn Gotham City ist auch in Matt Reeves Film das Opfer einer Heimsuchung durch das Böse und kann auch aus metaphysischen Gründen nie etwas anderes sein. Denn es ist essentiell, dass Gotham City bis ans Ende aller Tage heimgesucht werden wird. Und immer wieder wird dabei das Böse besiegt, aber danach erneut in der Stadt erstrahlen, ohne dass es heller wird. Batman ist zwar die fleischgewordene Antithese dieses Dauerzustands. Aber eine ohne Hoffnung: Batman steckt in einem Hamsterrad.
Natürlich sind diese Zyklen einfach zu erklären: ohne sie gäbe es nichts mehr zu erzählen, der Superheld hätte ein für alle Mal gesiegt. Das ändert aber nichts daran, dass Comics und Comicverfilmungen dank der Sichtweise ihre Autoren darauf reagieren können, was in der realen Welt geschieht. Nicht unbedingt analytisch, vielmehr zugespitzt, aber auch metaphorisch und subversiv, wie Stephan Packard feststellte.

Gespielt wird der neue Batman von Robert Pattinson. Der tauchte in den letzten 10 Jahren lieber in Independents als in Blockbustern auf, so als es gelte es, den Twilight-Fluch eines Teenie-Lieblings loszuwerden. Eine Zeitlang schien es, als wolle Pattinson nur noch Freaks spielen, die garantiert Lichtjahre von irgendeiner romantischen Massenware entfernt sind. Nach Christopher Nolans wirrem „Tenet“ und dem umstrittenen „The Devil All the Time“ von Antonio Campus taucht er nun in Matt Reeves Film auf und sieht ohne Batsuit mit den Resten der Schminke unter den Augen aus wie eine Figur aus einem expressionistischen Stummfilm. Traurig, verzweifelt, der Selbstauflösung nah. Man glaubt beinahe, Bernhard Goetzke in Fritz Langs „Der müde Tod“ zu sehen. Aber Overacting ist das nicht. Man nimmt Pattinson die Darstellung ab. Kein Wunder: immerhin hat er Batman in einem Interview als „Freak“ bezeichnet. Das passt also.

Ästhetisches Paralleluniversum

Mit Christian Bales eloquenter Interpretation der Figur in der Nolan-Trilogie hat das nichts mehr zu tun. Nolans Batman war ein charismatischer Partyboy mit einem Doppelleben. Ein Bruce Wayne, den sein Vigilantismus so weit trieb, dass er in „The Dark Knight“ erschreckend totalitäre Überwachungsambitionen entwickelte, die sogar seine engsten Vertrauten anekelten. Und von Ben Afflecks (der ursprünglich für die Rolle in Reeves Film vorgesehen war, aber dann ausstieg, weil ihm das Konzept nicht passte) prall maskuliner und gewaltaffiner Darstellung ist Robert Pattinson ohnehin meilenweit entfernt, solange er nicht seine Maskerade trägt.
In seinem Batsuit demonstriert Pattinson dann allerdings eine überwältigende physische Präsenz. Das Fragile ist weggewischt, die Depression nicht ganz. Pattinsons Batman verwandelt sich erst dank seiner Verkleidung und dann ist er extrem brutal. Nicht weil er cool und mutig ist, sondern aus Todesverachtung.
Fragil und brutal: An diesen bipolaren Zügen seiner Hauptfigur arbeitet sich der Regisseur ziemlich akribisch ab. Matt Reeves hat nicht nur zusammen mit Peter Craig („The Town“) das Buch geschrieben, sondern war auch für das visuelle Konzept und das Editing bis ins kleinste Detail verantwortlich. So wurden beim Bildschnitt die an Martial Arts erinnernden Kampfszenen nicht zerschnipselt, sondern in längeren Einstellungen mit naturalistischer Brutalität gezeigt. Das hätte dem fast dreistündigen Film fast ein R-Rating eingebracht.

Der Film sieht daher so aus, als habe sich Matt Reeves mehr für die Visualisierung des Sujets interessiert als für das Storytelling. Auf den ersten Blick scheint dies zu stimmen. Kameramann Greig Fraser („Dune“, 2021) zeigt Gotham City fast immer bei Nacht. Die Einstellungen sind ausgetüftelt, die Farbdramaturgie ist es auch. Doch meistens ist es dunkel, sehr dunkel. Es dauert eine Stunde, bis man in diesem Sündenbabel das Tageslicht sieht. In den dreckigen Hinterhöfen wabert oft der Nebel, wenn es nicht gerade regnet, alles sieht nach Verfall aus. Gefunden hat man diese Locations in Liverpool, Glasgow und Chicago. Und ähnlich wie die obsessive Hauptfigur, die nicht anders kann, als durch die Nacht zu streifen, überwältigt Reeves seine Geschichte mit einer kleinteiligen Detailwut, die einmal sogar dazu führte, dass er einen Take 200-mal wiederholen ließ. Ein produktiv Besessener
, auf jeden Fall im klassischen Sinne ein auteur.

Funktionieren kann Reeves visuelle Ästhetik ohne Töne nicht. Mit den ersten Bildern werden sie in „The Batman“ zu einer Überwältigungsmaschine, die den Zuschauer emotional an die Kette legt. Das staccatoartige Main Theme erinnert entfernt an Hans Zimmers Score in der ersten Szene von „The Dark Night“. Danach ist Michael Giacchinos Score trotz orchestraler Power minimalistisch und bedrückend. 2009 erhielt er einen Oscar für „Up” und arbeitete mit Matt Reeves u.a. in “Let Me In”, “Dawn of the Planet of the Apes” und “War for the Planet of the Apes” zusammen. Auch Mission Impossible- und Star Trek-Filme gehen auf das Konto des amerikanischen Komponisten.
Der Soundtrack setzt dagegen ambivalentere Akzente – von Frank Schuberts „Ave Maria“ über Ludwig van Beethovens „Klavierkonzert Nr. 5“ und eine Arie aus einer Oper von Henry Purcell hin zu dem von Dean Martin gesungenen „Volare“ und „Something in the Way“ von Nirvana. Auch das passt. Denn man erfährt im Bonusmaterial der Bluray, dass man sich bei der Erschaffung des neuen Batman an Kurt Cobain orientiert habe, dem bipolaren Sänger und Gitarristen der Grunge-Band Nirvana.
Der schoss sich 1994 in den Kopf und besang zuvor die Hässlichkeit und die Abgründe der Welt. „Es ist besser, auszubrennen als zu verblassen“, stand in Cobains Abschiedsbrief. Besser ist auch der neue Batman nicht zu beschreiben.

Bevor man also etwas über die Handlung schreibt, muss man „The Batman“ zunächst als überwältigende Komposition aus Bildern und Tönen verstehen. Sie erschafft ein ästhetisches Paralleluniversum. Und in diesem Universum wird alles, was wir zuvor von Batman erzählt bekamen, weggewischt. Ohne diesen Kraftakt wäre „The Batman“ nur ein weiterer und ziemlich überflüssiger Versuch der Kinoindustrie, eine Geschichte zum x-ten Mal von vorne zu erzählen. Das tut sie oft genug.

Das Ende aller Illusionen

Eine Handlung gibt es natürlich auch. Sie erinnert an einen Noir-Crime Plot, was auch beabsichtigt war. Der ist komplex, wichtig sind aber vier Beziehungen des dunklen Rächers. Die erste ist die zwischen dem „Riddler“ (Paul Dano) und Batman. Der Riddler ist ein maskierter Killer, der in seinen Bekennervideos den ultimativen Kampf gegen die Korruption in Gotham City ankündigt und als Fanal zunächst den Bürgermeister von Gotham City (Rupert Penry-Jones) umbringt. Es folgen weitere ausgeklügelte und meist sadistische Morde, und immer platziert der Riddler am Tatort ein für den Batman bestimmtes Rätsel. Man benötigt nicht viel Phantasie, um hier David Finchers Filme „Seven“ (1995) und „Zodiac“ (2007) als Vorbilder zu erkennen.

Es folgen weitere Morde des Riddlers und Batman schlüpft immer mehr in die Rolle eines maskierten Private Eye, der nur deshalb nicht hinter Gittern verschwindet, weil er von Lieutenant James Gordon (diesmal gespielt von Jeffrey Wright) geschützt wird. Batman und Gordon arbeiten seit Längerem heimlich zusammen, ohne das Gordon weiß, wer sich hinter der Maske verbirgt. Der Cop ist eine der wenigen Personen, denen Batman traut. Dies ist die zweite essentielle Beziehung in Batmans Leben.

Auf der Suche nach dem Riddler wird die moralische Zersetzung von Gotham City Stück für Stück enthüllt. Offenbar war die einige Jahre zurückliegende Zerschlagung des Mafia-Kartells von Sal Maroni (eine DC-Figur, über die viel geredet wird, die aber wieder einmal nicht zu sehen ist – ein Running Gag) nur eine Inszenierung. Tatsächlich sollte die Aktion die Übernahme der organisierten Kriminalität durch Politiker, Richter und Staatsanwälte, den Commissioner und seine Cops, verschleiern. Alle Hintergründe soll ein unbekannter Informant kennen, der an der Entmachtung des Maroni-Clans beteiligt war. Und so führen die Rätsel des Riddlers Batman zum mächtigsten Mann in Gotham City: Carmine Falcone. John Turturro spielt den Mafiosi
brillant mit polierter Höflichkeit und gnadenlose Kälte. Eine Nummer kleiner ist Falcones rechte Hand, der fette und vernarbte „Oz“, auch „Der Pinguin“ genannt - Colin Farrell ist hinter der Maske definitiv nicht zu erkennen.

Aber nicht nur Batman nimmt Falcone auf der Suche nach dem Informanten genau unter die Lupe, sondern auch eine plötzlich auftauchende junge Frau, die einem Latex-Outfit und mit Maske auf nächtliche Raubzüge geht. Es ist Selina Kyle (Zoë Kravitz), die in einem von Falcones Nachtklubs arbeitet und als „Catwoman“ ganz andere Ziele verfolgt: sie sucht nach ihrer Freundin Annika Kosalov, die spurlos verschwunden ist und deren Leiche man später finden wird. Zwischen Batman und Catwoman entwickelt erst sich eine zurückhaltende Freundschaft, die dann aber verhalten erotisch wird. Catwoman bietet Batman am Ende die Option an, mit ihr Gotham City endgültig hinter sich zu lassen. Es ist die dritte Beziehung, die Batmans Identität hinterfragt.

Als vierte kommt Batmans Butler Alfred Pennyworth (Andy Serkis) ins Spiel, der durch eine an Batman adressierte Briefbombe schwer verletzt wird und Bruce Wayne im Krankenhaus gesteht, dass er ihm zeitlebens ein dunkles Familiengeheimnis verschwiegen hat. So wollte Bruce‘ Vater Thomas Wayne einen Reporter unter Druck setzen, der peinliche Informationen über die psychische Erkrankung seine Frau Martha veröffentlichen wollte. Doch der von Wayne beauftragte Carmine Falcone brachte erst den Reporter und danach vermutlich auch Bruce Waynes Eltern um. Offenbar wollte sich Thomas Wayne den Behörden stellen. Alfreds Enthüllungen bringt Batmans Agenda endgültig ins Wanken. Er wird erneut mit seinem Trauma konfrontiert wird, nämlich erneut einen Menschen zu verlieren, der ihm viel bedeutet. Aber ausgerechnet der hat dafür gesorgt, dass Batmans Glaube an die Integrität seiner Familie eine Chimäre war. Es ist das Ende aller Illusionen.

Renewal for a Brighter Tomorrow

Irgendwann schwenkt die Kamera über ein lädiertes Plakat, das daran erinnert, dass Bruce Waynes Vater vor seinem Tod Bürgermeister werden wollte. Für den Riddler ist die Message von der „Erneuerung" der blanke Hohn. Fast kanonisch brüllt er in seinen Videos, dass es keine Erneuerung gibt und erst recht keine glänzende Zukunft.
Matt Reeves nimmt sich fast drei Stunden Zeit, um in einer düsteren Noir-Atmosphäre nicht nur das Geheimnis des Riddlers zu lösen, sondern auch, um das komplexe Beziehungsgeflecht Batmans mit allen Facetten aufzubröseln. Das ist streckenweise etwas zu lang geraten, führt dank einiger gelungener Actionsequenzen und der visuellen Wucht der Bilder aber nicht zur Langeweile. Aber aufgrund der vielen ehrgeizigen Metaphern und Symbole der Story spürt man irgendwann dann doch eine gewisse Erschöpfung. Spätestens nach zwei Stunden legt sich die Düsternis wie ein ermüdender Schleier über
die ironie- und humorbefreite Geschichte, die allerdings mit einer finsteren Schlusspointe dem Ganzen eine überraschende Wendung gibt.

Im Kern dreht sich Matt Reeves Film um die bekannte Frage: Was ist Batman? Aber bereits Nolans Trilogie hat gezeigt, dass sich die Identität des dunklen Ritters ohne seine Gegenspieler nicht auflösen lässt. Auch in „The Batman“ ist es nicht anders. Allerdings ist der Riddler nicht das, was Batman erwartet hat. Hinter der Maske des brutalen Killers verbirgt sich keine furchterregende Fratze, sondern das Gesicht eines unscheinbaren Milchbubis, der ohne seine Maske viel zu unscheinbar wäre, um jemals verdächtigt zu werden. Kann dies der Mann sein, der Gotham City zerstören kann? Paul Dano spielt die Wut dieser Figur aber verblüffend gut. Seine Wut ist aber nicht die eines Psychopathen. "He’s not just a serial killer. He definitely has a political agenda. There’s a terrorist aspect to him“, beschrieb Reeves die Figur in einem Interview.

Tatsächlich insinuiert der Riddler, dass er und Batman im Kampf gegen die Korruption ein gemeinsames Ziel haben und als Partner zusammengehören („kind of two sides of the same coin“). Wie auch Bruce Wayne verlor er seine Eltern, landete in einem Waisenhaus und erlebte dort die soziale Kälte eines Systems, dessen wohltätige Aktivitäten eine Fassade sind, um die Korruption und Amoralität der wirtschaftlichen und politischen Elite zu vertuschen. Doch in seinem Gespräch mit Batman erkennt er, dass sie nichts gemein haben. Es sei ein Unterschied, ob man eine Waise in einem rattendurchseuchten Waisenhaus war oder eine Waise, der zu den reichsten Familien der Stadt gehört, erklärt Batmans Gegenspieler.
Die Erkenntnis kommt etwas spät, aber sie wirft ein anderes Licht auf den selbsternannten Rächer. Denn der Riddler will nicht nur seine Rachegefühle befriedigen. Er will den ultimativen Klassenkampf gegen eine kapitalistische Gesellschaft, deren ökonomische Verfasstheit sich ganz offen in Gier und Amoralität verwandelt hat und die damit die Bedingungen für ihren bevorstehenden Untergang selbst geschaffen hat. Riddlers Terror soll den unvermeidlichen historischen Prozess nur
beschleunigen. Der Schurke ist ein Dogmatiker.

Was ist aber Batman in diesem Spiel? Da Bruce Wayne jede Form der Gemeinsamkeit leugnet, findet man die Antwort in einem scheinbar paradoxen Umkehrschluss: da Batman außer seiner persönlich motivierten Selbstermächtigung und seiner Fixierung auf die Bekämpfung von Kriminellen keine wirkliche Agenda besitzt, wird er unwissend zu einem Teil des Systems. Denn Batmans erzkonservative Moral folgt einer simplen Schwarz-Weiß-Logik ohne Zwischentöne. Anders formuliert: er glaubt, dass man die Krankheit heilt, wenn man die Symptome beseitigt.

Die Systemzerstörer

Womit haben wir es zu tun? Treffen mit Batman und dem Riddler ein konservativer Law and Order-Verfechter und linker Systemzerstörer aufeinander? Woran liegt es, dass Batmans Gegenspieler oft interessanter sind als der Superheld?
Die Schurken in den jüngeren Batman-Filmen haben meist eine deutlich nunaciertere Rolle gespielt als der Kämpfer für Gerechtigkeit. So hat der Philosoph Slavoj Zizek in einer Mischung aus post-moderner Kapitalismuskritik und Psychoanalyse den anarchistischen Joker in Nolan „The Dark Knight“ nicht als wirkliche Bedrohung des Systems beschrieben. Dagegen sei die Figur des Bane in „The Dark Night Rises“ mit seiner Attacke auf die Finanzmärkte eine ernstzunehmende Gefahr, weil sie nicht nur das System in Frage stellt, sondern damit auch Bruce Waynes ökonomische Macht, so Zizek in seinem Buch „Ärger im Paradies“.
Dabei unterschätzt Zizek möglicherweise die Rolle des Jokers ein wenig. In Todd Phillips „Joker“ (2019) erhält sie eine politische Dimension, als Thomas Wayne die Armen von Gotham City explizit als Clowns
beschimpft. Der von Joaquin Phoenix gespielte Joker macht als Antwort darauf die Identität des Clowns zu seiner Waffe. Und auch der von Heath Ledger gespielte Joker versteht sich auf seine Weise als Systemzerstörer: „Ich bin das Chaos. Und das Chaos ist fair.“ Kein Wunder, dass der Joker in Nolans Film einen Heidenspaß hatte, als er auf einen Schlag unzählige Millionen Dollar verbrannte.

Immerhin wird dadurch klar, dass die Schurken in den Comics und ihren Verfilmungen ein subversives Potential besitzen, das dem Zuschauer ein verführerisches Vergnügen bereitet. „Nur der Exzentriker stellt sich gegen den alltäglichen Wahnsinn, wer sich anpasst, ist hingegen Teil davon. Somit sind die Wahnsinnigen, die diese Welt radikal ablehnen, die eigentlich Menschlichen“, schrieb Katharina Anetzberger in einem Essay.
Das ist elegante Antikapitalismus-Lyrik, aber inhaltlich starker Tobak. Die Wahnsinnigen haben noch nie die Welt gerettet.
Und wer sich Matt Reeves Film passend zurechtbiegt, kann aus ganz anderen Gründen seinen Spaß mit dem Riddler haben. Richtet dieser sich nicht quasi querdenkend gegen „die da oben“ und womöglich auch gegen den Deep State? Diese Deutungsoffenheit macht Allegorien und Metaphern gelegentlich zu einem Problem.

Aber der Riddler scheitert, auch wenn am Ende seine Untergrundarmee die Eliten angreift, nachdem einige Bomben für die Überflutung von Gotham City gesorgt haben. Aber die in „Riddler“-Masken auftretenden Terroristen sind keine Befreier, sondern nur Teil einer Internet-Community, die zu lange auf Instagram und Co. die Botschaften ihres Messias gelesen hat. Am Ende werden die Armen natürlich nicht befreit. Sie wären in den Fluten ersoffen. Aber diesmal werden sie von Batman mit dem Vorsatz gerettet, dass er von nun an den Menschen Hoffnung schenken will anstatt Angst zu verbreiten. Man hört die frohe Botschaft, glaubt aber nicht so recht daran.

Wie auch immer man die Schurken in den Batman-Filmen der letzten Dekade beschreibt - etwas haben sie alle gemeinsam: sie halten dem monströsen Superhelden den Spiegel vor. Vielfach ergebnislos. Zumindest dem von Robert Pattinson gespielten und einfach gestrickten Batman entgeht die Dialektik von Gewalt und Gegengewalt, von Korruption und Chaos. Beide sind zu verabscheuen, was nichts daran ändert, dass sie ohne einander nicht existieren könnten.

Einen Ausweg gibt es so oder nicht für Matt Reeves Batman. Und so ist es folgerichtig, dass Batman dem Glücksversprechen von Catwoman nicht glauben will – er verlässt nicht mit ihr die unheilvolle Stadt. Er bleibt am Ende in seinem Hamsterrad. Zu den Exzentrikern und Wahnsinnigen, die ein System subversiv in Frage stellen, gehört Reeves Batman nämlich nicht. Er ist lediglich ein Verirrter, der glaubt, dass die Rettung einer kaputten Stadt darin besteht, dass man einfach nur das Böse, also die Verbrecher und die Korruption, beseitigen muss, damit alles wieder anständig funktioniert. Und der sich darüber wundert, dass er dies nicht hinbekommt und der Ärger ständig von vorne beginnt. Und der wird kommen, denn im Arkham Asylum begegnet der Riddler einem neuen Freund, der ständig hysterisch lacht.

Nicht jedem wird diese politische Umdeutung eines Comic-Blockbusters schmecken. Dass Matt Reeves das unübersehbar in sein Skript geschrieben hat, wird nicht viel daran ändern. Unterm Strich ist „The Batman“ auch ohne einen zweiten und dritten Blick ein sehenswerter Film, der durch seine starken Bilder überzeugt. Trotz einiger Längen lohnt es sich, diesen Batman weiter im Auge zu behalten. Mit Matt Reeves haben Warner Bros. und DC Films auf jeden Fall eine gute Entscheidung getroffen. Auch weil „The Batman“ mit seiner realistischen Textur die meisten der aktuellen Marvel-Filme in den Schatten stellt.

Noten: BigDoc = 2


The Batman – USA 2022 - Regie: Matt Reeves - Buch: Matt Reeves, Peter Craig - Kamera: Greig Fraser - Musik: Michael Giacchino – Laufzeit: 175 Minuten - D.: Robert Pattinson, Zoë Kravitz, Paul Dano, Amber Sienna, Colin Farrell, Peter Saarsgard, John Turturro, Andy Serkis, Jeffrey Wright, Barry Keoghan (Joker) u.a.

Literatur

Stephan Packard (2014): Wie können Comics politisch sein? In: Aus Politik und Zeitgeschehen (bpb). 64. Jahrgang - 33-34/2014, S. 17 ff. Quelle