Montag, 4. September 2023

Special Ops: Lioness - Taylor Sheridans Spionagethriller unter Beschuss

In Military Action-Serien sind Frauen Beiwerk. Sie sind die Frauen oder Freundinnen jener berserkerhaften Männer, die in militärischen Spezialeinheiten tapfer und patriotisch spezielle Dinge erledigen, die am nächsten Tag garantiert nicht in der Zeitung stehen dürfen. Dass ihre Ehen und Beziehungen durch den Job ruiniert werden, ist immer Teil der Plots.

Benjamin Cavells „Seal Team” hat es mit diesem Konzept und Hauptdarsteller David Boreanaz („Bones“) seit 2017 auf 104 Episoden gebracht. Taylor Sheridan stellt das Ganze dagegen auf dem Kopf. In „Specials Ops: Lioness“ sind taffe Frauen die harten Kerle. Und sie müssen leider fürchten, dass ihnen die Männer weglaufen. Sehen kann man dies bei Paramount+.

Mutterinstinkt

Drei Frauen stehen in „Specials Ops: Lioness“ an der Anti-Terror-Front. Zoe Saldaña (u.a. „Gamora“ in „Guardians of the Galaxy“, „Avengers: Infinity War” und „Avengers: Endgame” sowie „Avatar” 1-4) ist der CIA-Field Officer Joe. Sie ist Leiterin des „Lioness“-Programms. Lioness heißt übersetzt „Löwin“ und tatsächlich brauchen Joes Zöglinge Löweninnenmut und eiserne Nerven. Sie werden undercover eingesetzt, infiltrieren die Familien von Terroristen und Warlords und sammeln Informationen, bis sich die Gelegenheit ergibt, die Zielperson zu liquidieren.
„Lioness“ ist keine Erfindung Sheridans, sondern ein real existierendes Programm. Es wurde allerdings nicht von der Agency entwickelt, sondern 2003 von der US-Army im Irak und auch in Afghanistan. Zum Teil hatten die Frauen in diesem Team kommunikative und soziale Aufgaben zu lösen. Aufgrund der Combat Exclusion Policy durften sie aber nicht an Kämpfen teilnehmen. Trotzdem wurden die Soldatinnen in militärische Einsätze verwickelt. In der Heimat wurde ihnen die Anerkennung als Combat Veterans allerdings verweigert – und das war sozial und finanziell keine Petitesse. Mit den realen „Löwinnen“ hat Sheridans Version also nicht zu tun.

„Sacrificial Soldiers“ heißt die erste Episode und Joe muss auf die Enttarnung einer Agentin reagieren, die sie mit ihrer Spezialeinheit nicht mehr rechtzeitig befreien kann. Die islamistischen Terroristen sind im Begriff, die Agentin zu Tode zu foltern – Joe bestellt eine Drohne und verwandelt das Areal in eine Wüstenlandschaft. Dies sei human und besser, als am nächsten Tag ein Tötungsvideo im Internet zu sehen, erklärt Joe die Maßnahme. Dass Field Agents oder Lioness-Agentinnen im Zweifelsfall geopfert werden, wird in der Serie noch eine wichtige Rolle spielen.

Zoe Saldaña, die auch als Produzentin in der Serie fungierte, bezeichnete den Mutterinstinkt als wichtigstes Merkmal ihrer Rolle als Teamleiterin – und die „innere Löwin“, die in den Frauenfiguren der Serie steckt. „Niemand in der Tierwelt arbeitet so hart wie sie. Auch weil sie mit den faulsten Kerlen überhaupt verheiratet sind, um es mal so auszudrücken. Es ist ja schon irgendwie witzig, dass man den Löwen immer als den König der Tiere bezeichnet, obwohl er eigentlich gar keine echte Funktion innehat. Die Löwinnen übernehmen alle Arbeit und Verantwortung, treffen die Entscheidungen und beschützen die Herde“, erklärte Saldaña in einem Interview.
Dies hält die Leiterin des „Lioness“-Programms allerdings nicht davon ab, ihre neue Undercover-Agentin Cruz in einem Entführungsszenario brutal zu foltern und sexuell misshandeln zu lassen. Sie müsse ihre Belastungsgrenze kennen und wissen, wann sie zusammenbricht, erklärt Joe der Neuen im Team. Wenn das Mutterinstinkt ist, dann ist Kindesmisshandlung eine legitime Erziehungsmethode.

Die Neue im Team ist die heimliche Hauptfigur der Serie. Gespielt Cruz Manuelos von der weitgehend unbekannten Laysla De Oliveira. Cruz lebt im White Trash-Milieu, verdient ihr Geld als Burger-Bruzzlerin und wird von ihrem gewalttätigen Macho-Freund misshandelt. Bis sie ihm eine finale Abrechnung mit der Bratpfanne präsentiert. Danach rennt sie um ihr Leben und flüchtet in ein Recruitment Office der US-Marines. Cruz bleibt und wird aufgrund ihrer Härte und physischen Präsenz zum „Force Recon“-Marine ausgebildet. Sie ist nun Teil einer „Special Operations“-Einheit. Bis sie von Joe entdeckt wird.
Cruz hat weder eine Beziehung noch Kontakte zur Außenwelt und ist aufgrund ihrer Brutalität im Nahkampf für Joes Einheit unentbehrlich. Nun soll sie sich an Aaliyah Amrohi (Stephanie Nur) heranmachen, die Tochter eines steinreichen Geschäftsmannes, der islamistische Terroristen jedweder Couleur finanziell unterstützt und sein Geld im Öl-Business verdient. Amrohi soll liquidiert werden, aber für Cruz ist es nicht einfach, in den inneren Kreis der Familie einzudringen. Aaliyah ist ihr Ticket, aber in der hedonistischen Schickeria der reichen Terroristen-Kids kann jeder Fehler bei der Charade tödlich sein, denn die Kontakte der an Tanzen, Drogen, Sex und Alkohol interessierten jungen Feierbiester werden rund um die Uhr professionell überwacht und hermetisch abgeschirmt.

Dritte Frau im Bunde ist Kaitlyn Meade (Nicole Kidman), eine hochrangige CIA-Mitarbeiterin, die zusammen mit dem CIA Deputy Director Byron Westfield (Michael Kelly, „House of Cards“) die Einsätze von Joes Einheit koordiniert. Joes „Quick Response Force“ (QRF) gehört zu den Special Ops, die hart am Rande der Legalität operieren und auch auf amerikanischem Boden zuschlagen, obwohl dies der CIA nicht erlaubt ist.

Das Verfassungsrecht wird die meisten Serienfans kalt lassen. Interessant ist aber, dass sich die QRF-Mitglieder nicht nur einmal fragen, wer den jeweiligen Einsatzbefehl unterschrieben hat. Wenn eine Grenzüberschreitung aber nicht am nächsten Tag nicht in der Zeitung steht, ist nichts Schlimmes passiert. Auch wenn ein halbes Dutzend Leichen „entsorgt“ werden muss.

Wäre da nicht die Familie...

Taylor Sheridan, der wie üblich kein Interesse an einem Writer’s Room hatte, schrieb alle Drehbücher der achtteiligen Serie und holte mit John Hillcoat („The Proposition“, 2005), Anthony Byrne und Paul Cameron („Colletaral“, 2004, „Westworld“, 2016-2020) erfahrene Regisseure an Bord.
„Specials Ops: Lioness“ weder eine Neuauflage von
„Homeland“ und auch keine National Geographic-Doku über den War on Terror (George W. Bush) und anfänglich auch kein Politthriller über die Verflechtung großer US-Ölkonzerne in die Außenpolitik ihres Landes. Da aber die USA (vier Prozent der Weltbevölkerung) über 25% des auf der Welt geförderten Öls verbrauchen, war es sicher ein Zufall, dass Ex-US-Präsident George W. Bush sein Kabinett mit ehemaligen Mitarbeitern von Halliburton, Chevron und ExxonMobil auffüllte. Wer nicht aus Taylor Sheridans Serie aussteigt, wird sehen, dass dies dann doch keine Randnotiz ist.

Nein, ein Politthriller ist „Specials Ops: Lioness“ zunächst nicht. Sheridans Serie ist Entertainment, eine Spy-Serie, in der es wie über üblich um Verrat, Loyalität und Freundschaft geht und die Figuren angesichts der komplexen Hintergrundgeräusche immer Gefahr laufen, chronisch paranoid zu werden. Aber die Serie lässt soviel Realität in den Plot tröpfeln, dass es jedem am Ende klar werden sollte, dass es nicht um Kaitlyn, Joe und Cruz geht, sondern dass von einem Krieg erzählt wird, den die CIA gegen die eigene Regierung führt. Und obwohl Frauen eine dominante Rolle spielen, ist „Specials Ops: Lioness“ kein feministischer Diskurs über gendergerechte Role Models.

Bei der Darstellung der Einsätze von Joes QRF-Teams ist die Serie in Sachen Spannung keineswegs zimperlich und bedient gewissenhaft die Erwartungen einer actionorientierten Zielgruppe. Aber Showrunner und Autor Taylor Sheridan („Sicario“, „Wind River“, „Yellowstone“) hatte wohl auch anderes im Sinn. In ausführlichen Nebenhandlungen seziert er nicht nur Joes Familienleben, sondern auch ihre leichtsinnige Verzettelung in Operationen, die zum Politikum werden können.

Zum einen, weil die ausschließliche Konzentration auf Cruz‘ Einsatz wohl nicht genug Erzählstoff für acht Episoden zu bieten hatte. Andererseits wohl auch, weil Taylor Sheridan die klassischen Schemata einer Military Action-Story mit umgekehrten Vorzeichen spiegeln wollte. Nicht die Väter vernachlässigen ihre Familien, nun sind es die Frauen, die ihre alten Rolle souverän pulverisiert haben und dafür ihre Familien opfern.
Das zeigt besonders von Zoe Saldaña gespielten Figur, die kaum zuhause ist und einen erkennbar bröckelnden Rückhalt nur von ihrem Mann Neil (Dave Annable) erhält, der als Onkologe ganz andere psychische Belastungen aushalten muss. Joes Mutterrolle wird von ihrer Tochter Kate (Hannah Love) nicht mehr akzeptiert – Joe ist Teil einer dysfunktionalen Familie. Erst als Kate bei einem Verkehrsunfall fast ums Leben kommt, kommt es zu einer Annäherung. Joes Mutterinstinkt ist angesichts der realen Verhältnisse aber kaum mehr als ein frommer Wunsch. Frauen, so erzählt es Sheridan, zahlen in dem Spy-Business den gleichen Preis wie Männer.

Nicole Kidman spielt ihre Figur kühl-distanziert, aber nicht gänzlich empathiefrei. Allerdings ist ihre Ehe mit Errol (Martin Donovan) bestenfalls ein Potemkin’sches Dorf, eine Kulisse ohne emotionalen Inhalt, in der sich beide Partner nützlich sein können, wenn sie geheime Informationen austauschen. Denn Errol ist ein ziemlich undurchsichtiger Geschäftemacher – auch im Öl-Business. Er ist bestens vernetzt, sieht die Welt aber am Rande eines Dritten Weltkriegs und kommentiert die Aktivitäten seiner Frau mit kaltem Zynismus. Ganz am Ende wird klar, dass es Männer wie Errol sind, die darüber entscheiden, was global geschieht. Dass Sheridan dies etwas nebulös erzählt, gehört nicht zu den Stärken der Serie.

Stattdessen reichlich Familiendrama. Wären da nicht die Familien, könnten alle Frauen in „Specials Ops: Lioness“ ohne Ballast so cool und hart sein wie Errol oder Cruz. Es ist daher ziemlich sarkastisch, wenn Sheridan zeigt, dass ausgerechnet die mehrfach misshandelte Cruz bei der CIA eine neue funktionale Familie gefunden hat. „I have no life“, erklärt Cruz anfangs einem Marine-Offizier. „You do now“, antwortet dieser. „We are strong. We protect the weak. We are merciless in that endeavor.” Das ist ein netter Euphemismus.

Amour fou und Kollateralschäden

„Specials Ops: Lioness“ pendelt zwischen Familiendrama, der gelackten Fassade einer patriotischen Hurra-Serie und einer realistischen und psychologischen Erzählung, die ernst genommen werden will, hin und her. Und was überrascht: Der Main Plot mitsamt der Undercover-Aktion ist zunächst weniger interessant als die Nebenhandlungen, in dem sich nicht nur die Familien, sondern auch das Netzwerk der US-Geheimdienstorganisationen als fragil erweisen. Etwa wenn Joe ihrem Kollegen Kyle (Thad Luckinbill) drei Männer ihres Teams „leiht“, um mit einer „Extraktion“ (wieder ein schöner Euphemismus) einen Informanten aus den Händen der texanischen Polizei zu befreien. Die Operation endet wie auch später die Liquidation einiger IS-Kämpfer mit einem Blutbad. Kyle zieht den Kopf ein und liefert Joe beim Debriefing skrupellos ans Messer und Meade und Westfield müssen alles vertuschen, denn diesmal steht die Geschichte in der Zeitung.

Das wird spannend und routiniert erzählt. Richtig spannend wird es im letzten Drittel, als sich zeigt, dass Cruz nicht die taffe Auftragsmörderin ist, die sie zu sein glaubt. Sie ist zwar in den inneren Kreis der Amrohis vorgedrungen, aber ihre Beziehung zu Aaliyah entwickelt sich anders als geplant. Aaliyah steht unmittelbar vor einer arrangierten Hochzeit und weiß, dass sie den Rest ihres Lebens unter einer Burka in den Emiraten verbringen wird – als Gebärmaschine und Mutter. Sie sucht nach einer loyalen Freundin und verliebt sich prompt in Cruz. Cruz lässt sich auf eine sexuelle Affäre ein, an der sie zerbrechen wird, denn ihr Job ist es, Aaliyahs Vater zu töten. Dieser Teil des Plots ist zwar vorhersehbar, er sorgt aber für mehr Drama und wurde von Sheridan so subtil entwickelt, dass er in den letzten beiden Episoden zum emotionalen Höhepunkt der Serie wird. Laysla De Oliveira und Stephanie Nur spielen das mit unglaublicher Wucht und Glaubwürdigkeit.

In der 6. Episode „The Lie Is the Truth“ taucht dann auch Morgan Freeman als Edwin Mullins, US Secretary of State, auf. Kaitlyn und Joe geraten während einer Anhörung aufgrund der illegalen Operationen auf amerikanischem Boden in die Mühlen der Politik. Sheridan nutzt die Szene für einen zynischen Kommentar. Nicht nur, weil Byron Westfield den Politikern erklärt, dass nach Nine Eleven alles, was nützlich ist, auch legal sei. Und auch, weil Mullins erfährt, dass Cruz‘ Mission ein Himmelfahrtskommando ist. Gelingt es ihr nicht, das Zielobjekt eigenhändig zu töten, würde dies eine Tomahawk-Rakete erledigen.

„Also ist ihre Agentin eine Kollateralschaden?“, fragt Mullins. Nein, erwidert Joe, man würde dieses Wort nicht verwenden. Die Agentin sei in diesem Fall während der Mission ums Leben gekommen. Spätestens hier ist „Specials Ops: Lioness“ in einer tiefschwarzen Welt angekommen, in der Verrat ein Synonym für Moral ist – fallweise auch umgekehrt. Neu ist dieser Tropus nicht, aber man ist geneigt, ihm zu glauben.

Mission Impossible, but with girls!

Interessant sind die Kritiken ausgefallen. Bei Rotten Tomatoes erreicht die Serie aktuell 58%, der Audience Score liegt bei 78%. Ein spannendes Bewertungsgefälle zwischen Zuschauern und Kritikern. Dies hängt mit einer permanenten Debatte zusammen, die nach dem Yellowstone-Spin-Off „1923“ wieder angefacht wurde: Erzählt Taylor Sheridan eine Geschichte, die implizit CRT (Critical Race Theory)-Motive aufweist oder ist der Autor ein Vertreter der Red-State-Policy und bedient trumpistische Erz-Konservative?
Draufgesattelt – und das überrascht kaum noch – wurde auf diese Debatte, die hierzulande kaum auf mediae Resonanz gestossen ist, zu allem Überfluss auch eine veritable Gender Diversity-Debatte. Viele Kritikerinnen schrieben über „Specials Ops: Lioness“ und nicht wenige beklagten Sheridans Unfähigkeit, Frauenrollen zu kreieren.
„By showing Joe and Cruz as intelligent women who are also incredibly lonely and unhappy, there is no support for alternative models of feminity that reflect our modern society and that is because of the lack of diversity in Sheridan’s writing. The show models gender equality on the surface, but it all serves as a front to American exceptionalism, rooted in male-fronted agendas”, kritisierte Tania Hussain auf Collider.com.

Diese Kritik basiert auf einem Denkfehler. Sheridans Serie folgt zwar dem aktuellen Trend, klassische Männerrollen durch Frauen zu ersetzen. Klischeefrei ist die dabei vermittelte Message nicht: Frauen müssen in diesen Rollen noch brutaler sein als Männer. Joe, der böse Geist dieser Serie, führt dies geradezu paradigmatisch vor: eine Frau foltert eine Untergebene als Teil einer optimierten Ausbildung.
Der Denkfehler besteht darin, dass die falsche Frage gestellt wird. Zum einen wird von einem Autor verlangt, dass er eine komplett andere, gendergerechte Geschichte erzählen muss, zum anderen wird nicht politik- und ideologiekritisch nachgefragt. Ist es nicht das „System“ des War on Terror, das seine ProtagonistInnen so übel zurichtet? Und ist es hilfreich, stattdessen einen Kanon zu fordern, der darüber entscheidet, wie feminine Rollenmodelle auszusehen haben? Mich erinnert das unangenehm an den „Sozialistischen Realismus“ der Kommunisten, der den Künstlern abverlangte, die Figuren einer Geschichte positiv und ideologisch korrekt agieren zu lassen. Das Ergebnis war eine plumpe Trivialisierung der Kunst im Auftrag einer Ideologie, die viele Künstler in die innere Emigration trieb.

Andere Kritikerinnen reagierten sarkastisch. „Raargh! Marines are the best! (…) This is Top Gun, but without planes! Mission Impossible, but with girls!”, schrieb Lucy Mangan in “The Guardian”, war sich aber auch sicher, dass die Serie brillant gemachter Nonsens sei, gerade weil es sehr schwer sei, brillanten Nonsens zu produzieren. Und am spielt es in der Serie auch keine Rolle, ob taffe Männer taffe Frauen den Job erledigen - weder die Löwen noch die Löwinnen entscheiden, was zu tun ist.

Nonsens ist Taylor Sheridans Serie also nicht. Dafür steckt zu viel Authentisches in der Story. Sowohl politisch als auch bei der Figurenentwicklung. Letztere ist unmissverständlich: Cruz dekonstruiert das ihr antrainierte Rollenmodell und wird zu einer der wenigen Figuren, die intuitiv den amoralischen Kern ihrer „neuen Familie“ erkennen. In einer Serie, die sich nicht immer konsequent entscheiden kann, ob sie Genrekonventionen folgen will oder die entstandenen Fragen beantworten möchte, ist das schon eine Menge.
Aber der entscheidende Plot Twist ist explizit politisch. Während alles auf den unvermeidlichen Showdown zusteuert, drehen sich die Politiker um 180 Grad. Mullins und der der NSA-Advisor Hollar (Bruce McGill) wollen die CIA-Aktion abblasen. Man will außenpolitisch eine weiße Weste behalten, außerdem sei das Zielobjekt Amrohi (das von Mullins persönlich auf die Tötungsliste gesetzt wurde) zumindest kalkulierbar: das bekannte Übel ist besser als das unbekannte. Und letztendlich würde die Liquidierung Amrohi die Ölpreise in den Keller schicken, was den Bündnispartnern der USA in den Emiraten nicht passen würde. Man muss schon beide Ohren verstopfen, um nicht hören zu müssen, dass es in „Specials Ops: Lioness“ nicht um Gender Diversity geht.

Sehenswert wird die Serie spätestens in der letzten Folge „Gone Is the Illusion of Order“, in der die Cruz‘ Amour fou abrupt beendet wird und mit einem brutalen Blutbad endet. Leider wirkt dies hektisch inszeniert, auch weil einige Erzählfäden ziemlich rüde gekappt werden. Joe erklärt Cruz, dass sie Historisches geleistet hat. Cruz erwidert: „Ich habe nur die Ölpreise verändert.“ Und Errol hat vermutlich das Geschäft seines Lebens gemacht. Die heimliche Hauptfigur verschwindet sang- und klanglos aus der Geschichte und Sheridan zeigt in der letzten Einstellung, dass Joe heulend in die Arme ihres Mannes sinkt. Irgendwie beschleicht einen das Gefühl, dass man das auch anders erzählen konnte.

„Specials Ops: Lioness“ ist durchaus sehenswert, wenn man die Subtexte lesen kann. Sheridan bedient clever die Erwartungen an das Spy-Genre. Die Figuren sind spannend, einige Dialoge sind brillant und last but not least ist Andrew Lockingtons Score musikalisch hervorragend – mal dezent und im Hintergrund grummelnd, mal atonal, mal hämmernd - aber immer ziemlich erschreckend. Die Musik deckt auf, was in den Figuren vorgeht, bevor sie es selbst herausfinden.
Ob Sheridans Serie mit Jonathan E. Steinbergs und Robert Levines „The Old Man“ mithalten kann, bleibt eine offene Frage. Schlechter ist „Specials Ops: Lioness“ nicht. Auch politisch. In beiden Serien stellt sich am Ende die unausweichliche Frage, ob die Hüter von Freiheit und Demokratie nicht schon längst wie in Goethes „Zauberlehrling“ agieren – die Geister, die sie riefen, werden sie nicht mehr los. Und zu diesen Geistern gehören längst nicht mehr nur die Terroristen.

Note: BigDoc = 2,5


Trivia

  • Interessant ist, dass die meisten deutschen Kritiker vorab nur die Pilotfolge gesehen haben. Rezensionen haben sie dennoch geschrieben. Raargh!
  • Morgan Freeman ist online auf Postern überlebensgroß zu sehen. In der Serie taucht der Schauspieler erst in der 6. Episode auf.
  • Vor etlichen Jahren wäre die Geschichte irreal gewesen, denn die „Combat Exclusion Policy“ verbot Frauen den Einsatz in Kampfhandlungen. Die Regel wurde 2013 modifiziert.
  • Die interne Altersfreigabe von Paramount+: ab 12 Jahren. Das ist erstaunlich. Auch angesichts der Szenen, in denen Laysla De Oliveiras Figur so hart gefoltert und sexuell gedemütigt wird, dass sogar die Folterknechte den Befehl verweigern. Sollten Zwölfjährige aber eine Resilienz gegen solche Szenen besitzen, haben wir ein Problem.


Special Ops: Lioness – USA 2023 – Paramount+ - Idee und Buch: Taylor Sheridan – Regie: John Hillcoat, Anthony Byrne und Paul Cameron – Musik: Andrew Lockington – D: Zoe Saldaña, Laysla De Oliveira, Nicole Kidman, Dave Annable, Michael Kelly, Morgan Freeman u.a.