Samstag, 25. Mai 2024

Borders - TV-Serie über ein zerrissenes Israel

Die deutsch-israelische Produktion „Borders“ könnte angesichts des Kriegs im Gaza-Streifen ein Prequel sein. Ist sie aber nicht. Das beseitigt eine gewisse Beklemmung beim Zuschauer aber nicht.
Ari, Kobi und Miri heißen die Hauptfiguren, die als Rookies beim israelischen Grenzschutz Tag für Tag ihr Leben riskieren. Es ist ein ungleiches Trio, denn nur Miri ist eine überzeugte Kämpferin. Ari und Kobi ist der patriotische Dienst dagegen herzlich egal – beide brauchen ihre Uniform und ihre Waffen, um mit einer arabischen Gang abzurechnen. Dann kommt alles anders.

Die Serie (Originaltitel: Mischmar HaGvul) war bereits vor dem 7. Oktober abgedreht. Trotzdem deutet die Geschichte, die der 45-jährige Regisseur und Autor Meni Yaish erzählt, immer wieder den Wahnsinn an, der den israelisch-palästinensischen Dauerkonflikt seit Jahrzehnten begleitet hat und in einen Krieg mündete, in dem jedes Maß verlorenging. In den acht Episoden von „Borders“ folgt man den Figuren in einen multi-ethnischen Hexenkessel, in dem nicht nur die religiösen, sondern auch die kulturellen Dissonanzen alles jederzeit in Chaos und Gewalt verwandeln können. Dann überholte der Hamas-Terror die serielle Fiktion. So betrachtet ist „Borders“ ein vieldeutiger Titel. Zu sehen ist die Serie bei ZDFneo, auch in der Mediathek.

 

Ein Hulk in Tel Aviv

Wenn Avi (Ben Sultan) gefragt wird „Was willst Du?“, dann senkt er den Kopf. Er versteht, dass die Frage etwas mit seinem Leben, seiner Zukunft und seinen Zielen zu tun hat, aber eine Antwort hat er nicht. Eine Orientierungslosigkeit, die immer wieder in Wut und Gewalt unschlägt.

In der ersten Episode der israelischen Serie „Borders“ legen sich Avi und sein Freund Kobi (Ido Elieli) mit einer arabischen Gang an, die den jungen Männern ein Moped gestohlen hat. Strategisches Denken ist Avi allerdings fremd - den Diebstahl will er umgehend mit Gewalt beantworten. Eine Impulskontrolle besitzt Avi nicht und die Kamera kündigt seine Gewaltausbrüche mit bizarren Closeups an, und die sehen so aus, als würde sich Bruce Banner in den Hulk verwandeln. Am Ende kann Avi froh sein, dass der Kleindealer Chicko (Haim Znati) sich für ihn verbürgt, denn Avi hat mit dem Überfall Abu Faras, den Boss des mächtigsten Clan in Bat Yam, einem Vorort von Tel Aviv, herausgefordert. Er behält sein Leben, Bat Yam darf Avi aber nicht mehr betreten.

Auf das „Was willst Du?“ findet Avi dann doch eine Antwort. Zusammen mit Kobi schafft er es, beim israelischen Grenzschutz Mischmar HaGvul ausgebildet und schließlich auch aufgenommen zu werden. Am Anfang träumt Avi davon, dass die Uniform ihnen die Macht verleiht, in Bat Yam aufzuräumen. Für Kobi passt dieser Job perfekt in sein rassistisches Weltbild, denn er hofft, als HaGvul-Kämpfer ganz legal Araber verprügeln zu dürfen.

Regisseur Meni Yaish, der auch das Drehbuch geschrieben hat, erzählt in „Borders“ seine Geschichte, in der die Hauptfiguren zunächst alles andere als sympathisch sind, ohne pädagogischen Zeigefinger, aber keineswegs kommentarlos. Mit Action und Gewalt geht Yaish nicht gerade sparsam um, ansonsten wird die achtteilige Serie mit einem dezent komödiantischen Grundton erzählt. Ein Stilmittel, das sich zuletzt bewährt hat, aber nichts daran ändert, dass „Borders“ am Ende ins Tragische abkippt.

Wer genau hinschaut, der erkennt in den teilweise sehr skurrilen Figuren die alltäglichen israelischen Probleme, die unvermeidbar erscheinen, tatsächlich aber anders verlaufen könnten. Unvermeidbar sind sie für einige Grenzschützer, die nach Lust und Laune Araber schikanieren, weil jeder Araber ein Terrorist sein könnte. Meni Yaish zeigt, dass der Hass zwischen Juden und Arabern unversöhnlich zu sein scheint. Jüdischer Rassismus und arabischer Antisemitismus ergänzen sich in perfekter Symbiose und verhindern die einfachsten Formen der Koexistenz.

„Grenzen“ gibt es in der Serie nicht nur im territorialen Sinn, sondern auch tief im Inneren eines Landes, das mit politischen Extremen ebenso zu kämpfen hat wie mit der Gewalt, deren Menschenverachtung in den verfeindeten Lagern keine Unschuldigen mehr kennt. So erfahren Avi und Kobi von ihrem Ausbilder als Erstes, dass ihnen bei ihrem Job täglich der Tod droht. Überhaupt hat man beim Zuschauen das Gefühl, dass in „Borders“ jederzeit alles aus dem Ruder laufen kann. Auch eine harmlose Party. Und so kommt es dann auch.

Der alltägliche Rassismus

Tatsächlich ist der Job der 8000 Mitglieder der paramilitärischen Kampfeinheit lebensgefährlich. Der HaGvul, in dem Ari und Kobi ihren Dienst leisten, sorgt für den Schutz der Grenzen zu den Palästinensischen Autonomiegebieten, zu Libanon und Syrien. Gleichzeitig ist der Grenzschutz eine polizeiähnliche Organisation, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung dient, zum Beispiel in ländlichen Gebieten und im Westjordanland. Spezialeinheiten des HaGvul werden dagegen bei der Terrorismusbekämpfung eingesetzt.

Kein schöner Job: HaGvul-Kämpfer fallen regelmäßig Angriffen und Terroraktionen zum Opfer. Permanent stehen sie aber auch wegen brutaler Gewaltakte auf der Liste von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch, die die paramilitärische Einheit sogar für Übergriffe gegen Kinder verantwortlich macht.

Gleichzeitig ist der HaGvul ein ethnisch durchgemischter paramilitärischer Haufen, in dem auch Tscherkessen, Drusen und Beduinen einen Platz finden. Das geht nicht immer gut. Der alltägliche Rassismus im Umgang mit Arabern wird so im Inneren der HaGvul-Einheiten gespiegelt. Nicht nur bei Kobi, der so ungebildet ist, dass er nicht einmal weiß, was ein Druse ist. Schlimm genug, wenn ein Druse zu seinem Team gehört.
Auf diese Weise zeigt Meni Yaish, dass die jungen Grenzschützer nicht ohne Weiteres ihre kulturellen Blasen mitsamt einer vertrackten Sozialisation hinter sich lassen können. Und dazu gehört, dass im Kiez von Bat Yam die Ganoven zum Alltag gehören. Auch zur jüdischen Gemeinde. So ist Avi ein türkischstämmiger Jude, der auf der Liste des ebenfalls jüdischen Ganoven Chicko steht, der sowohl Pate sein will, aber den frischgebackenen Grenzer auch für seine Geschäfte ausnutzen möchte.

Vorurteile und Hass – die Zerrissenheit Israels

Es ist ausgerechnet der gewalttätige Avi, der als Erster die Kurve kriegt. Während eines terroristischen Anschlags in Jerusalem erschießt Ari einen der Täter. Beim Grenzschutz, den Medien und in der Öffentlichkeit ist er danach ein Superstar. Dass Ari sich verändern kann und die rassistischen Sprücheklopfer links liegen lässt, liegt auch an seiner Kollegin Miri (Noa Astanjelove). Miri fährt  als moralisches Gewissen nicht nur Avi, sondern noch heftiger dem immer brutaler werdenden Kobi in die Parade.

Das Trio ist der explosive narrative Kern der Serie. Die drei erleben nicht nur die Zerrissenheit ihres Landes, sondern auch, dass die kulturellen Gräben, die Vorurteile, der Hass und die verkrustete Vorurteile auch innerhalb des HaGvul nicht beseitigt werden können. So gehen die drei ihren eigenen Weg. Ari verliebt sich erfolglos in Miri, schafft aber den Wechsel zu einer gefürchteten Anti-Terror-Einheit. „Araber sagen nie die Wahrheit. Sie lügen immer!“, ist das Erste, was Ari dort zu hören bekommt.
Kobi versinkt im Sumpf, wird der verlängerte Arm des Kleinganoven Chicko und nutzt seine Macht aus, um Arabern bei Kontrollen Schutzgeld abzupressen.
Die Moralistin Miri muss dagegen mit der Erfahrung klarkommen, dass der bei allen beliebte und respektierte Kommandant Versano (Shalom Michaelshvili) seine Position benutzt, um gegenüber Untergebenen sexuell übergriffig zu werden. Ein Opfer ist ausgerechnet Miri. Noa Astanjelove spielt ihr Traumatisierung hinreißend gut, erst recht als sie erfährt, dass im Multi-Kulti der Grenzschützer die frauenfeindliche Verhöhnung der Opfer immer noch mehrheitsfähig ist.

„Borders“ erzählt das alles auf eine Weise, als ginge es darum, möglichst breit und gleichzeitig sehr differenziert die offenen Wunden einer zerrissenen Gesellschaft zu zeigen. Die Serie ist keine methodische Analyse der israelischen Gesellschaft, sondern zeigt die fatalen Probleme des Landes by the way, spannend eingepackt in einen Crime Plot über Good und Bad Guys, über Cops und Kleinganoven. Ein Politthriller ist Meni Yaishs Serie nicht. In der zweiten Staffelhälfte wird die Serie etwas konkreter, auch in politischer Hinsicht. Da reichen ein paar eingespielte Schnipsel aus den israelischen TV-Nachrichten, um die die Fiktion wieder mit der Realität abzugleichen.

Ein versöhnliches Ende hätte man „Borders“ nicht abgekauft. Für die drei Hauptfiguren geht es am Ende daher sowohl gut als auch schlecht aus. Ohne blaue Flecken kommt keiner davon und längst nicht alle Träume erfüllen sich. Besonders Avi schlägt hart auf. Aber was bedeutet das, wenn eine Frau einen küsst und schwört: „Alles ist gut, alles ist gut!“? Das stimmt zwar nicht ganz, ist aber realistisch genug, um kein klischeehaftes Happy-End zu sein. Versäumen sollte man die Serie nicht.  „Borders“ ist eine feine Milieustudie über einen fragilen Mikrokosmos, der im Kleinen zeigt, wie das große Ganze aussieht.

Note: BigDoc = 2


Borders – Israel/Deutschland 2023 – Streaming: in Deutschland bei ZDFneo – Regie und Buch: Meni Yaish – acht Episoden – D.: Ben Sultan, Ido Elieli, Noa Astanjelove, Shalom Michaelshwilli, Haim Zanati, Shlomi Shabat