Dienstag, 15. Mai 2007

Grbavica (Esmas Geheimnis)

Österreich / Bosnien-Herzegowina / Deutschland / Kroatien 2005 - Originaltitel: Grbavica - Regie: Jasmila Zbanic - Darsteller: Mirjana Karanovic, Luna Mijovic, Leon Lucev, Kenan Catic, Jasna Ornela Berry, Bogdan Diklic - FSK: ab 12 - Länge: 90 min.

„Grbavica“ war die Überraschung der Berlinale 2006. So recht hatte niemand damit gerechnet, dass der einfach und ästhetisch eher schlichte Film der Bosnierin Jasmila Zbanic den Goldenen Bären gewinnt. Den hätte sicher auch Michael Winterbottoms THE ROAD TO GUANTANAMO verdient (der bereits in „BigDoc´s Filmclub“ besprochen wurde). Winterbottom erhielt den Regiepreis. Der Sieger „Grbavica“ liegt nun als DVD vor.

In Grbavica, einem Stadtteil Sarajevos, lebt Esma (Mirjana Karanovic) mit ihrer 13-jährigen Tochter Sara. Das Mädchen hat seinen Vater nie kennen gelernt, sie glaubt, er sei als „shaheed“ gefallen, als Kriegsheld. Für wen der Vater gekämpft hat, erklärt Zbanic ebenso wenig wie die Geschichte ihres Landes. Für Mainstream-Konsumenten ohne elementare Kenntnisse der jüngeren europäischen Geschichte eine harte Nuss.

Sara möchte auf einen Schulausflug gehen. Als Tochter eines „shaheed“ wäre dies umsonst. Esma meint allerdings, dass dies bezahlt werden muss. Irritation: Sara versteht ihre Mutter nicht. Bald freundet sich Sara mit Samir an, der ebenfalls keinen Vater hat: hier findet sie etwas Zärtlichkeit. Esma nimmt derweil Arbeit als Bedienung in einem Nachtclub an. Dort lernt sie den Body-Guard Pelda kennen, der ein Auge auf die zurückhaltende Frau geworfen hat. Auch Pelda hat Angehörige im Krieg verloren: er sucht noch in geöffneten Massengräbern nach seinem Vater.
Welche Massengräber? Wer vergessen hat, was nach dem Zerfall Jugoslawiens zwischen Serben und Muslimen und all den anderen Volksgruppen geschehen ist, wird weiterhin einen schweren Stand haben.

Sara, die nicht daran interessiert, die Klassenfahrt „einfach so“ zu bezahlen, fordert ihre Mutter auf, in der Schule die amtlichen Dokumente dafür vorzulegen, dass ihr Vater im Kampf für sein Land gefallen ist. Doch Esma weicht aus. Die Ereignisse spitzen sich zu: Sie verliert ihre Arbeit, weil sie einen Tippschein nicht abgegeben hat, Pelda geht nach Österreich, Sara will endlich wissen, was los ist. Also erfährt Sara sehr brutal Esmas Geheimnis: Ihre Mutter war ein Opfer der Serben und wurde im Lager täglich brutal vergewaltigt. Sara ist also das Kind eines Tschetniks, eines serbischen Milizionärs. Sie zu töten (wie es viele muslimische Frauen getan haben), brachte Esma nicht fertig.

„Esmas Geheimnis“ ist einer jener Filme, deren ethische Botschaft wohl nachdrücklich stärker ist als die Bereitschaft, den unspektakulären Film auf Dauer in seinem kinematografischen Gedächtnis abzuspeichern. Woran dies liegt, kann sich jeder selbst fragen. Persönlich bin ich davon überzeugt, dass Grbavica den dringenden Appell vermittelt, sich noch einmal gründlich mit einem der düstersten Kapitel der europäischen Geschichte auseinander zu setzen. Ich empfehle die Online-Dokumente von 3SAT. Es gibt einiges zu lernen: Dazu gehört auch die Tatsache, dass die Premiere von Grbavica in Banja Luka, der Hauptstadt des serbischen Landesteils von Bosnien-Herzegowina, abgesagt wurde.

Postskriptum: Im bosnischen Srebrenica wurden im Juli 1995 über 7000 serbische Männer und Jungen unter den Augen der niederländischen UNO-Truppen abgeführt und hingerichtet. 2002 tritt die niederländische Regierung wegen ihrer Mitschuld zurück.

Grbavica heißt der Stadtteil der bosnischen Hauptstadt Sarajewo, den die serbisch-montenegrische Armee während des Krieges besetzte und der von ihr in ein Kriegslager umgewandelt wurde, in dem die Zivilbevölkerung systematisch gefoltert und vergewaltigt wurde.

BigDoc=2, Klawer= 2, Melonie= 2,5, Mr. Mendez= 3.