Freitag, 24. April 2015

Avengers: Age of Ultron

Die Helden werden müde. Nicht alle, aber bei einem wird es überdeutlich. Tony Stark aka Iron Man macht sich Gedanken über ein „Global Defense Program“ namens Ultron. Er hat wieder einmal nichts dazu gelernt. Aber auch den anderen Superhelden geht es nicht gut. Sie retten die Welt und gehören eigentlich auf die Couch eines guten Psychiaters.

In Marvel’s The Avengers hatte Iron Man (Robert Downey jr.) die Welt auf spektakuläre Weise gerettet. In Iron Man 3 zahlt der narzisstische Rüstungsfabrikant dann den Preis: eine posttraumatische Belastungsstörung quält Tony Stark. Er hat einfach genug von allem: Waffentechnologie in falschen Händen hatte ihren Erbauer wie eine Nemesis immer wieder heimgesucht. Klüger hat es ihn nicht gemacht. Nun soll ein von ihm programmiertes globales Sicherheitsnetzwerk von der KI (Künstliche Intelligenz) Ultron gesteuert werden und den Avengers häufiger eine Verschnaufpause verschaffen. Ja richtig, Iron Man hat Captain America: Winter Soldier komplett verschlafen, sonst hätte er verstanden, dass größenwahnsinnige Weiterentwicklungen des Patriot Acts direkt in den Faschismus führen.

Iron Man war schon immer der technisch fortgeschrittenste Superheld, politisch aber der dümmste. Beinahe folgerichtig ist er dann während der Umsetzung des Ultron-Programms dämlich genug, um einen der berühmt-berüchtigten Infinity Steine, den Mind Gem, zu verwenden. Als die offenbar nicht ganz ausgereifte Software dank des mysteriösen ‚Denksteins’ (zuletzt wurde in Guardians of the Galaxy einem Infinity Stein nachgejagt) initialisiert wird, stört sie nicht nur einen netten Herrenabend der Avengers, sondern macht auch J.A.R.V.I.S. platt, Starks nicht ganz so empathiefreie KI, die sich mittlerweile auf Unternehmensführung spezialisiert hat. Danach erklärt Ultron, dass die Erde nur dann wirklich sicher ist, wenn die Spezies Mensch ausgerottet ist und dass er zuvor erst mal mit den Avengers anfängt. Irgendwie konsequent. Darüber sollten sich auch einmal die Grünen Gedanken machen.


Interessante Schurken

Damit präsentiert Avengers: Age of Ultron einen wirklich interessanten Oberschurken. So gehört es sich in einem Comic, erst Recht im Marvel-Universum, das zudem immer wieder intelligente Zwischentöne in die Handlung einschmuggelt. Ultron, dem James Spader (Blacklist) seine suggestive Stimme geliehen hat, sorgt auf seine Weise dafür. Er ist das ultra-brutale Gegenteil der freundlichen KI aus Her. Nicht wirklich böse, eher biblisch, denn nach der alttestamentarischen Ausrottung der Menschheit soll eine neue Generation alles besser machen. Doch anders als bei Noah wird es in Ultrons Vision keine Arche geben. 

Um dem jugendlichen Publikum keine virtuelle KI zuzumuten, manifestiert sich Ultron in Joss Whedons neuer, allerdings auch letzter Comic-Adaption, als Roboter im Terminator-Look und kann diese mechanischen Hüllen auch ziemlich flott wechseln. Zeitgleich kontrolliert er ein Heer fliegender Drohnen. Erst als ihm der Rückzug ins Internet versperrt wird, geht es ihm an den Kragen.

Nebenschurken wie Baron von Strucker (Thomas Kretschmann) verschwinden dagegen etwas zu schnell aus der Handlung, sodass auch die Aktivitäten von Hydra vorläufig in den Hintergrund treten. Dafür erfahren die Avengers auf der Jagd nach Ultron durch zwei neue Superhelden kräftigen Gegenwind: Aaron Taylor-Johnson (Kick-Ass) spielt Pietro Maximoff aka Quicksilver (bekannt aus den X-Men), Elisabeth Olsen ist seine Zwillingsschwester Wanda aka Scarlet Witch. Die Zwillinge arbeiten zunächst für von Strucker, schließen sich dann Ultron an und wechseln schließlich in das Lager der Avengers, als sie den Ernst der Lage erkennen. Da die Eltern der beiden umgekommen sind, weil die von Stark Industries produzierten Waffen wieder mal in den falschen Händen gelandet sind, haben sie anfänglich noch eine Rechnung mit dem ‚Blechmann’ zu begleichen. Quicksilver hilft dabei seine übermenschliche Schnelligkeit, während die Talente von Scarlet Witch vielfältiger sind: dank ihrer telekinetischen und hypnotischen Fähigkeiten vergiftet sie die Avengers mental mit schrecklichen Visionen – und rennt dabei offene Türen ein. 


Die Depression der Helden

Scarlet Witch ist nicht der Auslöser für die emotionale Misere der Superhelden, aber ein wirkungsvoller Brandbeschleuniger. Iron Man plagt eine Vision, in der er versagt hat und nun vor seinen sterbenden und toten Mitstreitern steht. Thor (Chris Hemsworth) wird ebenfalls von Traumgesichten beeindruckt, die ihn beunruhigen, während Black Widow (Scarlett Johansson) üble Flashbacks ihrer brutalen Berufsausbildung mitsamt der an ihr vollzogenen Sterilisation peinigen. Und Hulk (Mark Ruffalo) rastet aufgrund des manipulativen Eingriffs von Scarlet Witch gar völlig aus, was etliche Zivilisten das Leben kostet und Bruce Banner in eine akute Suizidgefährdung stürzt. Dabei gelingen dem Film trotz der rastlosen Actionsequenzen einige schöne und intime Szenen mit Hulk und Black Widow. Doch Banner, der den Hulk in sich immer mehr fürchtet, ist auch durch dieses Love Interest nicht mehr aus seiner tiefen Depression zu befreien und trifft am Ende eine fatale Entscheidung.
Schwer angeschlagen sind sie, die Marvel-Helden. Am wenigsten scheint dies Captain America (Chris Evans) zu treffen, aber der glaubt noch an Teamwork und hat zudem nur noch wenig Illusionen zu verlieren.


Kein Film für Einsteiger

Joss Whedons Marvel’s The Avengers (2012) hält nicht nur im Rückblick, sondern auch im direkten Vergleich die konsistentere Story Arc bereit. Avengers: Age of Ultron kann nicht ganz mithalten. Das hat verschiedene Gründe.
Whedon stürzt mit einem Cold Open den Zuschauer gleich in der ersten Filmminute in eine wilde Schlacht. Die Avengers habenden Auftrag, Lokis Zepter dem Hydra-Schurken Baron von Strucker zu entwenden. Keine Zeit zum Luftholen: in einer beeindruckenden Choreografie wird, noch bevor der Filmtitel zu sehen ist, eine Geschichte komprimiert, die mühelos für einen ganzen Film gereicht hätte. Die elegante Plansequenz ist ein Beispiel dafür, wie man 3 D umsetzen sollte. Rasante Prologe wie jener in
Age of Ultron sind keine Seltenheit, aber damit wird auch deutlich gemacht, dass der Film einerseits die Schlagzahl erhöhen will, sich andererseits nur noch bedingt für Einsteiger eignet.

Das Marvel Cinematic Universe (MCU) besteht mittlerweile aus elf Filmen und die Planung des Franchise reicht bis ins Jahr 2019. So erwarten den Fan unter anderem Captain America: Civil Wars (2016) und 2018 und 2019 die Teile 1 und 2 des Avengers-Abenteuers Infinity War. Zudem stehen neue Figuren wie Dr. Strange, Black Panther und Captain Marvel auf der Türschwelle, während mit
Ant-Man eine weitere wichtige Figur in diesem Sommer den Brückenschlag zwischen den Comic- und dem Film-Universum von Marvel herstellen wird. Auch Spider-Man (dessen Filmrechte Marvel wohl etwas vorschnell abgegeben hat) steht im Verdacht, in naher Zukunft bei den Avengers mitzumischen. 

Damit wird alles noch komplexer und Avengers: Age of Ultron zeigt, dass die Planer nur noch eingeschränkt auf Zuschauer Rücksicht nehmen wollen, denen die Marvel-Mythologie nicht geläufig ist. Wer also Konsistenz wünscht, wird sich alles anschauen müssen, was die Comic-Schmiede auf die Leinwand bringt. So gibt es in
Age of Ultron dezente Querverweise für Kenner, bei denen der Quereinsteiger nur noch Bahnhof versteht. Die Comic-Nerds, die wissen, dass es irgendwann zwischen den Avengers und den X-Men krachen wird, werden (ähnlich wie auch bei The Walking Dead) das filmische Marvel-Universum dafür lieben, dass bereits jetzt schon Verbindungen zwischen beiden Welten angedeutet werden.
Mit anderen Worten: Marvels MCU ist mittlerweile ein Biotop wie die Welt von Apple, in der auch alles miteinander verzahnt ist. Die Konsumenten sind daher auch aufgefordert, den TV-Ableger Agents of S.H.I.E.L.D zu kennen. Die Serie wurde in der Mitte der ersten Season massiv von der Ereignissen in Captain America: The Winter Soldier beeinflusst, wobei TV-Ausstrahlung und Kinostart passend synchronisiert wurden. Dieser Effekt geht natürlich für deutsche Zuschauer, die die Serie erst zwei Jahre später im Free TV sehen konnten, verloren. Der Einfluss auf den Handlungsverlauf der Serie erzeugte wiederum einen neuen Output, der es ermöglichte, die Rolle von
S.H.I.E.L.D und Nick Fury im neuen Avengers-Film besser verstehen zu können. In den USA wurde die stringente Marvel-Politik bereits kritisiert, zumal der Druck auf die kreativen Köpfe nicht geringer wird. Alles muss passen, Logikbrüche werden von den Nerds schnell erkannt. Standalone-Filme werden daher immer unwahrscheinlicher, das horizontale, besser gesagt: das crossmediale Erzählen fordert seinen Preis. Und der Zuschauer? Er ist entweder ganz im Rettungsboot oder er ertrinkt.

Gigantomachie

Dramaturgisch hakt es gelegentlich im neuen Marvel-Film. Bislang gelang es meistens, den Rhythmus zwischen Hyperaction und Dialogszenen auszubalancieren. Auch in Avengers: Age of Ultron gibt es Intermezzi, die dem Zuschauer Zeit zur Besinnung geben. Trotzdem wirkt Joss Whedons Film insgesamt etwas hektischer und nervöser, allerdings ohne dabei eine Bruchlandung hinzulegen.
Das liegt nicht nur an den neuen Figuren, zu denen sich am Ende auch noch J.A.R.V.I.S. als Vision (Paul Bettany) dazugesellt, sondern auch an dem Zwang, möglichst vielen bekannten Figuren bis hin zu den Nebenfiguren einen Auftritt zu verschaffen. Für Hawkeye (Jeremy Renner) wurde eine gelungene Familienszene eingebaut, Nick Furys (Samuel L. Jackson) Gastauftritt ist dramaturgisch plausibel, aber die bruchstückhaften Kurzszenen von Don Cheadle (War Machine), Anthony Mackie (Falcon), Idris Elba (Heimdall) und Stellan Skarsgard (Erik Selvig) waren verzichtbar. Es sei denn, man wollte zeigen, dass man mit Grandezza aus dem Vollen schöpfen kann. Vielleicht wird es irgendwann einmal die ursprünglich vierzig Minuten längere Schnittfassung geben. Im Moment sehen wir die Kurzfassung. Nachtrag: Der Extended Cut wird bereits angekündigt.

Auch die technische Umsetzung kann – auch hier sind es lediglich Nuancen – nicht durchgehend überzeugen. Die 3 D-Effekte werden dezent und überzeugend eingesetzt, es gibt einige spektakuläre Momente, etwa die Pre-Title-Sequence, in der die Kampfszenen durch die räumliche Dimension eine besondere Qualität erhalten. Häufig erschließt sich aber nicht der räumliche Kontext der Figuren. Abzüge gibt es deshalb überraschenderweise bei der Montage, die im Vergleich zu Marvel’s The Avengers zu aufgeregt ausfällt, obwohl mit Jeffrey Ford und Lisa Lassek bewährte Kräfte am Ball waren. Das Schnitttempo ist zu hoch, was für 3 D einfach nur Gift ist.

Wer spektakuläre CGI-Action erwartet, wird nicht enttäuscht, aber die Avengers sorgten im ersten Teil der Saga offen gestanden für mehr Verblüffung. Wenn im finalen Höhepunkt vom Bösewicht Ultron eine ganze Stadt aus der Erdoberfläche herausgeschält wird, hat man dies bereits in X-Men auf ähnliche Weise gesehen – wie auch die Bullet Time-Szene von Quicksilver. Nur war dies alles bei den X-Men deutlich spektakulärer.

Vielleicht lässt sich manches eben nicht mehr toppen. Um so bedauerlicher ist es, dass Joss Whedon aus der Marvel-Achterbahn aussteigen wird. Damit verliert Marvel nicht nur einen leidenschaftlichen Regisseur und Autor, sondern auch den Mann, der sich bislang alle Marvel-Scripts angeschaut hatte und zusammen mit 'Showrunner' Kevin Feige für Kontinuität sorgte. Zum Glück hat Whedon in seinem letzten Film für Marvel den Markenkern der Saga noch einmal gestärkt: Figurenentwicklung und intelligenter Humor gehören dazu und hier enttäuscht der Film auf keinen Fall. Die Szenen mit Hulk und Black Widow hätte man in Hollywoods Comic-Blockbuster-Agenda vor 30, 40 Jahren vergeblich gesucht. Und obwohl
Age of Ultron altersmäßig die gleiche Zielgruppe adressiert wie die gegenwärtig angesagten Teenager-Dystopien, geht es im Marvel-Universum deutlich erwachsener zu. Die Referenzen an virulente Gegenwartsthemen und ihre drastische Übersteigerung in der Sprache des Comics sorgen für jenen bekannt bissigen Witz, dem jugendlichen Zuschauer wohl nicht auf Anhieb folgen können, der das erwachsene Publikum aber erneut amüsieren wird. Reines Popcorn-Kino sieht anders aus.

So ist auch das ironische Ende des Films ein intelligenter Schlusskommentar. Wenn die Kamera während des Abspanns über in Marmor gegossenen Avengers gleitet, so erinnert dies augenzwinkernd an das Hochrelief des Pergamonaltars, dessen Sockel den Kampf der olympischen Götter gegen die Giganten dargestellt hat – die sogenannte Gigantomachie. Bereits vor 2200 Jahren hat man sich also Superhelden-Geschichten erzählt. Oder so. Das Bildungsbürgertum hat früher ergriffen die Erhabenheit der Antike bestaunt. Heute wird im Kino gegrinst, wenn Thor den Hammer schwingt. Auch deshalb eine schöne Metapher.


Kritiken


„So vertraut auch Whedon letztlich auf gute alte Erzähler-Tugenden und Darsteller, die in ihre Rollen hineingewachsen sind und das Heldenspektakel glaubhaft und berührend machen. Zusammen haben sie noch einmal das eigentlich Unmögliche vollbracht: Popcorn-Kino mit Helden, Herz und Verstand“ (Andreas Borcholte in SPON)

„Mit Kenneth Branaghs Thor, Iron Man 3 und Return of the First Avenger hatte Marvel in den vergangenen Jahren bewiesen, dass innerhalb des Comic-Formats eine Menge kreativer Spielraum für zeitgeschichtliche Verweise, metaphorische Subtexte und ein gerüttelt Maß an Selbstironie besteht. Von alledem ist in dem lieblos zusammengeschütteten Age of Ultron nichts mehr zu spüren. Die Mixtur erinnert eher an ein Resteessen als an ein Menü. Hier wurde einfach noch einmal die Gelddruck-Maschine angeworfen und es steht zu befürchten, dass sich das Prinzip maximaler Profit bei minimaler Originalität erneut auszahlen wird“ (Martin Schwickert in ZEIT ONLINE).

Nachdrücklich empfehle ich Dietmar Daths sehr lange, sehr gründliche und detailversessene Kritik (FAZ), die zeigt, dass ein Kritiker auch Fan sein kann:
„Durchtriebenere Liebe zum Genre und größere Sorgfalt mitten im Bombast aber als bei „Avengers: Age of Ultron“ von Joss Whedon wird man nirgends finden. Denn Whedons Gespür für Momente, die alles zusammenfassen, was man von Spektakeldramen über außergewöhnliche Gestalten in extrem unglaubwürdigen Situationen erwartet, wenn man den Unglauben ans Unmögliche für zwei Stunden abstreifen will, schenkt ihm alle paar Minuten Szenen, an denen man künftige Kader für die Arbeit im Genre noch jahrzehntelang ausbilden wird...“




Noten: Melonie, BigDoc = 2


Avengers: Age of Ultron - USA 2015 - Regie, Buch: Joss Whedon - Laufzeit: 141 Minuten - FSK: ab 12 - D.: Robert Downey Jr., Chris Evens, Chris Hemsworth, Scartlett Johansson, Mark Ruffalo, Jeremy Renner, Elisabeth Olsen, Aaron Taylor-Johnson, James Spader, Paul Bettany, Don Cheadle, Cobie Smoulders, Samuel L. Jackson.