Donnerstag, 9. April 2015

Better Call Saul

Im Universum der Qualitätsserien ist „Breaking Bad“ einer der ganz großen Superstars. Begleitet wurde der Aufstieg des gutbürgerlichen Walter White („Remember my name!“) zum mörderischen Drogenbaron von einem windigen und aalglatten Rechtsanwalt, der lange vor Walter White die Grenze zur Kriminalität überschritten hatte. Wie Saul Goodman (Bob Odenkirk) zu dem wurde, was er in „Breaking Bad“ ist, will ein Spin-off erzählen: „Better Call Saul“ wird als neuer Teil des Franchise ebenfalls von AMC produziert und läuft in Deutschland zeitnah und synchronisiert als VOD bei Amazon und Netflix.

In „Better call Saul“ wird Saul Goodmans Geschichte nicht weitererzählt, die Serie springt vielmehr zurück ins Jahr 2002. Saul Goodman trägt noch nicht seinen Markennamen, sondern heißt Jimmy McGill und ist ein mittelmäßig erfolgreicher Pflichtanwalt in Albuquerque. Viel Geld ist damit nicht zu verdienen. McGill ist ein Typ, dem man keinen Gebrauchtwagen abkaufen würde. Sein Büro ist eine Bruchbude, ein Hinterzimmer in einem Nagelpflegestudio. Eine Sekretärin hat der Mann auch nicht, den Job erledigt er mit verstellter Stimme selbst. Als er einem Ehepaar die Mandantenerklärung in einem Fast-Food-Diner vorlegt, fixiert er zu gierig die Hand seines potenziellen Mandanten, der gerade unterschreiben will. Und schon ist der Job futsch.


Eingespieltes Team am Start

Spin-offs sind hochriskante Projekte. Man muss lange nachdenken, um sich an erfolgreiche Ableger einer Erfolgsserie zu erinnern. Kennt jemand die Spin-offs von „X-Files“ (Akte X) oder „Bones“ (Bones – Die Knochenjägerin)? Ja? Gratuliere. Sie sind ein Seriennerd allererste Güte. Nein? Kein Wunder. Viele Ableger sterben nach einer Staffel einen stillen, unbeachteten Tod. Allein die zahlreichen CSI- und Navy CIS-Ableger konnten lange und erfolgreich den Markt penetrieren.
An Spin-offs hängt das große Vorbild wie ein Klotz am Bein. Die Fans erwarten eine Wiederholung ihrer Lieblingsserie oder wenigstens etwas Ähnliches. Häufig ist dies schon deshalb unrealistisch, weil die Hauptfiguren der alten Serie nicht einmal Gastauftritte haben. Und wenn, wie in „Better call Saul“, die Geschichte ein Prequel ist, weiß man nicht einmal, ob sich irgendwann die Geschichten treffen werden.


„Better call Saul“ macht es von Anfang gut und fast alles richtig. Man spürt eine Handschrift, die Serie surft auf der gleichen Welle, die „Breaking Bad“ getragen hat. Erzählt wird also Neues, das sich vertraut anfühlt.
Showrunner der Serie ist Vince Gilligan und der hat fast das gesamte „Breaking Bad“-Produktionsteam am Start. Inklusive Peter Gould, der bereits in „Breaking Bad“ erfolgreich als Writer und Producer mitgemischt hat. Man ist also unter sich, kennt sich und weiß, wie man von Beginn an raffiniert verschachtelte Plot-Bausteine arrangiert. Während „Breaking Bad“ eine gewisse Anlaufzeit benötigte, um die perfekte Mischung aus Drama und skurril-brutalem Zynismus hinzubekommen, müssen Gilligan und sein Team nur ihre alten Werkzeuge auspacken und schon kann es losgehen.

Die erste Episode von „Better call Saul“ beginnt mit einer jener raffinierten und berühmten Pre-Title-Sequenzen, mit denen Gilligan bereits in
„Breaking Bad“ mithilfe eines Flashforwards ein Rätsel präsentierte: In schönstem Schwarz-Weiß sieht man Hände, die Teig kneten. Ein Kuchen entsteht, das Ganze spielt offenbar in einem Diner. Dann fährt die Kamera hoch und man sieht Bob Odenkirk mit falschem (?) Bart und einem Basecap. Er wird von einem großen, massigen Mann angestarrt. Gefahr im Verzug? Der Riese erhebt sich und stampft wortlos an Odenkirk vorbei und begrüßt eine Freundin. Schnitt. Odenkirk sitzt in einem halbdunklen Raum, starrt ins Leere und schiebt dann eine Kassette in den Player, auf der ein Commercial zu hören ist, das für einen gewissen Saul Goodman wirbt. Aufgelöst wird dieses Rätsel in der ersten Staffel nicht. Man ahnt aber, dass wir Saul Goodman begegnet sind, der nach den Vorfällen in „Breaking Bad“ irgendwo im Mittelwesten abgetaucht ist und immer noch um sein Leben fürchten muss. Willkommen bei „Better Call Saul“.

Mit dieser Einleitung führt Vince Gilligan uns in die uns aus „Breaking Bad“ vertraute Welt von ein und stellt sie
gleichzeitig ästhetisch auf den Kopf. Es ist die gleiche Strategie, mit der sich in „Breaking Bad“ Katastrophen als unausweichlich angekündigt haben, nur dass man auch dort nicht im Geringsten wissen konnte, wie denn zum Teufel der Teddybär in den Pool kommt. Visuell wird die sonnenüberflutete Optik von „Breaking Bad“ in „Uno“ (Ep 1) konterkariert - mit einer Mischung aus Cinema Verité und neorealistischer Atmosphäre. Ein klares Signal: Wir machen alles neu, aber keine Angst: Wir ändern nichts.

Am Anfang Klamauk, am Ende großes Drama

Hier zeigt also jemand, dass er die Fäden noch ziehen kann. Und wie! Getragen wird die Geschichte von zwei Figuren, die überhaupt nicht zusammenpassen wollen: Jimmy McGill und Mike Ehrmantraut (Jonathan Banks). 
Odenkirk spielt den erfolglosen Anwalt zunächst als komische Figur, die sich mit aberwitzigen Fällen herumschlagen muss. Zum Beispiel mit zwei Skateboardern, die eine Großmutter abzocken wollen, deren Enkel ausgerechnet der allen „Breaking Bad“-Fans wohlbekannte Tuco ist („Mijo“, Ep 2). 
Nach diesem Warm-up gerät McGill an ein Ehepaar, das eine fette Summe aus der Gemeindekasse unterschlagen hat – ein Sub-Plot, der immer wieder auftaucht. In den Mittelpunkt rückt dafür immer mehr die komplizierte Beziehung McGills zu seinem Bruder Chuck (Michael McKean), der in Albuquerque ein Staranwalt bei der renommierten Kanzlei Hamlin Hamlin & McGill (HHM) gewesen ist, nach einem mysteriösen Zusammenbruch aber an einer Zwangskrankheit leidet und kaum noch das Haus verlassen kann. Immer wieder rollen lange Rückblenden in die frühen 1990er Jahre McGills Vergangenheit als Kleinganove „Slippin’ Jimmy“ auf und damit auch die komplizierte Beziehung zu seinem Bruder („Hero“, „Schäferbub“, Ep 4 und 5). McGill kümmert sich rührend um Chuck und als er in „RICO“ (Ep 8) herausfindet, dass in einem Altenheim die Senioren übers Ohr gehauen werden, hat er plötzlich einen großen Fisch an der Angel. Doch es kommt anders und plötzlich zeigt sich, wie brüchig McGills Biografie und die Wertschätzung seines Bruders eigentlich ist.

Die zweite starke Figur in „Better Call Saul“ ist Mike Ehrmantraut. Es war ein kluger Schachzug, den bei den Fans ziemlich populären Jonathan Banks für das Spin-off zu gewinnen. Die Gegensätze können kaum größer sein: hier der immer etwas überdrehte Odenkirk, dort der schweigsame Ex-Cop, der am Anfang in einem Parkwächterhäuschen sitzt und sich kurz angebunden mit McGill wegen ungültiger Parkscheine fetzt.
McGill und Ehrmantraut nähern sich in „Better Call Saul“ nur zögerlich an. Immer wieder werden Ehrmantrauts eigene Geschichten erzählt. In „Five-O“ (Ep 6) erfährt der Zuschauer in einer Single Episode, warum Ehrmantraut zu einem ungenießbaren Misanthropen geworden ist. Regie führte Adam Bernstein (u.a. „Breaking Bad“, „Californication“, „Fargo“, Emmy Award für „30 Rock“) und herausgekommen ist eine rabenschwarze Noir-Geschichte mit einer frostigen Kälte, die davon erzählt, wie Ehrmantraut sich brutal für die Ermordung seines Sohns durch korrupte Cops rächt – ein kleines Masterpiece und zweifellos der Höhepunkt der ersten Staffel von „Better Call Saul“.

„Five-O“ markiert auch den Wendepunkt der Serie. Was etwas klamaukig begann, entwickelt sich danach mehr und mehr zu einem Drama mit pessimistischen und tieftraurigen Momenten. McGill, soviel wird klar, ist nur auf den ersten Blick ein lustiger Sonnyboy. Hinter der Fassade verbirgt sich ein schwer angeschlagener Mann, der verzweifelt um Anerkennung kämpft und sich dabei eine Niederlage nach der anderen einfängt.
Sein Side-kick Ehrmantraut ist kaum besser dran: ein Mann mit massiven Blessuren und einer beschädigten Familiengeschichte, dessen Professionalität sich wie in „Pimento“ (Ep 9) eruptiv und gewalttätig entladen kann. Ehrmantraut ist ein gefährlicher Mann.
Das Staffelfinale wird möglicherweise enttäuschen. „Marco“ erzählt eine weitere traurige moralische Geschichte, in der McGill zunächst während einer Bingo-Veranstaltung einen Nervenzusammenbruch hat und dann auch noch den Tod eines guten Freundes erleben
muss. Am Ende sitzt er im Auto und summt lächelnd „Smoke on the Water“. Man ahnt, warum: der Mann hat eine Entscheidung getroffen. Kein Kracher, kein raffinierter Cliffhanger. Und dennoch ein Highlight der pointierten Kunst des Geschichtenerzählens.

Und ist „Better Call Saul“ nun auf Augenhöhe mit seinem großen Vorgänger? Natürlich muss man eine Serie nicht unbedingt danach beurteilen, aber dass die Gretchenfrage gestellt wird, ist sonnenklar. „Breaking Bad“ hatte einen klar umrissenen Main Plot, „Better Call Saul“ kommt eher krytisch-verschlungen daher. „Breaking Bad“ hatte einige Anlaufschwierigkeiten und entfaltete erst in Season 2 sein ganzes Potential, „Better Call Saul“ kommt gleich zu Beginn ungemein packend aus den Startlöchern und entfaltet ein riesiges Arsenal von Rückblenden und verschachtelten Handlungselementen, die sich nicht auf Anhieb entschlüsseln lassen, dann aber in einem schlüssigen Gesamtkonzept immer klarer werden.
Ein Spin-off muss Charme, Atmosphäre und Handlungswitz besitzen. „Better Call Saul“ hat dies vorzuweisen und wenn es so raffiniert und elegant weitergeht, werden wir möglicherweise eine Serie sehen, die an die großen Traditionen des Quality TV nahtlos anschließt. „Better Call Saul“ ist neben „Fargo“ und der 3. Season von „House of Cards“ zurzeit der spannendste Spieler auf dem Feld.