Mittwoch, 8. Juli 2015

Bluray-Review: Jupiter Ascending

Verrisse sind eine spannende Sache. Besonders dann, wenn sie über die Wachowskis geschrieben werden. Hatte der Blätterwald nicht schon bei „Cloud Atlas“ mächtig gerauscht und sich grandios geirrt? Wiederholt sich nun das Bashing der Matrix-Schöpfer? Nein, diesmal ist die Kritik berechtigt. Es helfen weder Nachsicht noch tiefes Grübeln: „Jupiter Ascending“ ist ein misslungener Film.

Ein eisernes Gesetz der Hollywood-Blockbuster lautet: Die Story muss jeder verstehen können. Erinnern wir uns an „Star Wars“, aber bitte nur an den ersten Teil der Trilogie. Die Mixtur aus Space Opera und Märchen zog 1977 Millionen ins Kino, erwirtschaftete über 20 Milliarden US-Dollar und sorgte dafür, dass Sci-Fi fortan ohne Fantasy nur selten den Rubel rollen ließ. In der Geschichte mit dem simplen Stickmuster gab es eine liebe Prinzessin, die vor einem bösen Imperator gerettet werden musste, den quasi-religiösen Jedi-Novizen als romantischen Helden, den klassischen Schurken Darth Vader, der zu Pop-Ikone wurde, heldenhafte Weltraum-Schmuggler – und zwei lustige Droiden, die dafür sorgten, dass sich Millionen Kids Zahlen- und Buchstabenfolgen wie R2-D2 und C-3PO mühelos merken konnten, obwohl ihnen das im Chemieunterricht so gut wie nie gelang. Und wer erinnert sich nicht gerne an den sarkastischen, aber charakterfesten Han Solo und seinen  Kampfgefährten Chewbacca, jenes pelzige nette Monster, das grunzende Laute von sich gab, wenn es den Rasenden Falken in Bewegung setzen musste? Und obwohl es im Großen und Ganzen um nicht weniger als das Schicksal des ganzen Universums ging, hatte George Lucas die intrigenreiche Geschichte so gut im Griff, dass man den Überblick selten verlor.

In „Jupiter Ascending“ wird beim Start eines Raumschiffs auch gegrunzt, aber bei den Wachowskis sitzt kein Riesenaffe an der Steuerkonsole, sondern ein elefantenähnliches Alien mit Mini-Rüssel. Himmel, das ist geklaut. Und wie! Und obwohl „Krieg der Welten“ vier Jahrzehnte auf dem Buckel hat, kann es jeder erkennen, denn die Lucas-Saga ist im TV gefühlte 100 Mal gelaufen. 
Geklaut ist auch sonst recht viel im neuen Film von Lana und Andy Wachowski. Das könnte man verschmerzen, aber nach unzähligen Star Wars-Billigheimern und einem dröhnenden Prequel, mit dem George Lucas seine Saga fast vor die Wand gefahren hat, sollten Lana und Andy Wachowski eins gelernt haben: Simple Blockbuster-Geschichten erzählt man zunächst einfach, dann witzig und schließlich originell. Stimmt das Grundgerüst, dann darf es auch ruhig etwas komplexer werden.


Simple Geschichte, kompliziert und humorlos erzählt

Mit der Originalität ist es aber so eine Sache: Keiner (außer vielleicht Marvel) traut sich, wenn die Budgets astronomisch hoch sind. Stattdessen: Prequels, Sequels, Remakes. Selbst Arnie muss als T-800 zurück auf die Leinwand, anstatt seine Rente zu genießen. Muss man das ernst nehmen? 
Die Wachowskis erzählen in „Jupiter Ascending“ eine Geschichte, die es bierernst meint, den Erzählfluss unnötig mit etlichen retardierenden Momenten ausbremst, sich dabei geheimnisvoll gibt und Erklärungen nur widerstrebend herausrückt, obwohl alles doch ganz trivial ist. Dabei wird einem Eklektizismus gefrönt, der ohne jedwedes Augenzwinkern Genres persifliert, Versatzstücke zusammenklaubt und seine simple Geschichte so kompliziert erzählt, dass die meisten der staubtrockenen Dialoge offenbar nur dazu verwendet wurden, damit sich die Protagonisten gegenseitig den Plot erklären können.

Und der funktioniert so: die Putzfrau Jupiter (Mila Kunis) wird von Area 61-Aliens überfallen und findet heraus, dass sie genetisch zu einer mächtigen galaktischen Dynastie gehört. Ihr Genom gleicht exakt dem der verstorbenen Matriarchin des adeligen Hauses der Abrasax und als Reinkarnation der Toten gehört Jupiter nun höchstpersönlich die Erde. Wow! Diese wiederum möchten die untereinander konkurrierenden Erben des königlichen Hauses Abrasax in ihren Besitz bringen. Die dekadente Brut verdient ihr Geld damit, andere Spezies zu züchten, um aus ihren Körpern ein gewinnbringendes Serum zu produzieren. Und bald sollen die Menschen fällig sein, sie werden „abgeerntet“, was garantiert letal ist. Die Handelsware heißt „Zeit“ und sie ist teuer, denn die aus den Wirtskörpern gewonnene Substanz garantiert eine ziemlich lange Lebensdauer – wenn man nicht zwischendurch umgebracht wird. Und dies scheint in einem imperialen Universum, das einen rabiaten Kapitalismus in Reinkultur pflegt, ziemlich oft der Fall zu sein.

Jupiter, die Putzfrau, ist ihren bösen Widersachern dabei natürlich im Weg. Sie ist tatsächlich so etwas wie die Star Wars-Prinzessin der Wachowskis. Den romantischen Helden gibt Channing Tatum als aus Wolf und Mensch gezüchteter Supersoldat Caine Wise, paradoxerweise mit dem Charme eines Eisblocks. Die Han Solo-Rolle übernimmt der völlig unterforderte Sean Bean, der den Ex-Soldaten Stinger Apini spielt. Und der ist einem Gen-Splice aus Mensch und Biene entsprungen und deutlich verschlagener als Harrison Ford.
Einen Darth Vader gibt es nicht, dafür gleich mehrere Bösewichter. Sie entstammen dem royalen Haus von Abrasax, wobei Eddie Redmayne mit durchaus gelungenem Overacting den soziopathischen Balem gibt („Die Evolution wurde erschaffen für ein einziges Bestreben: das Erzeugen von Profit“). Balem, der auf dem Planten Jupiter eine der größten Raffinerien für das lebensverlängernde Serum betreibt, muss bei der Jagd auf Jupiter mit seinen verschlagenen Geschwistern Titus (Douglas Booth) und Kalique (Tuppence Middleton) konkurrieren.


Das Design rettet den Film nicht

Der Rest ist eine Melange. Alle jagen Jupiter: Alien-Shapeshifter, die ganz nebenbei das Kurzzeitgedächtnis der Menschen löschen können, damit diese sich nicht daran erinnern können, dass während der zahlreichen Schlachten ganze Städte in Schutt und Asche gelegt werden - und in einem wahren Affentempo über Nacht wieder aufgebaut werden! Dann gibt es Killer-Kommandos aus sprechenden Riesenechsen, die qualvoll zu Tode gefoltert werden, wenn sie ihren Job nicht machen. Und mittendrin saust Caine Wise mit Anti-Gravitationsstiefel wie der Silver Surfer durch die Nacht, um immer wieder die königliche Putzfrau zu retten.

Was man dabei zu sehen bekommt, ist ein intrigengeschwängerter Comic-Mix, der visuell an TV- und Kino-Schmonzetten wie „Buck Rogers“ oder „Flash Gordon“ erinnert, Filme, die bereits Stars Wars als Vorlage dienten und deren skurrile Ästhetik in den 1930er Jahren vielleicht noch durchgegangen ist. Etliche Dekaden später kann man das Ganze nun noch einmal sehen, nur ist das Production Design diesmal dank eines dreistelligen Millionen-Etats dramatisch gepimpt worden.
Und das sieht ziemlich gut aus: Der Retro-Look von „Jupiter Ascending“ verblüfft durch beeindruckende Schauwerte, auch weil die Wachowskis für ihren Film eine ausgefeilte Kameratechnik entwickelten – Panocam arrangiert ein an einem Hubschrauber befestigtes Set von mehreren Kameras, mit denen alle Aktionen in einem 180 Grad-Winkel gecovert werden konnten. Auch sonst bietet „Jupiter Ascending“ berauschende visuelle Schauwerte. Die Settings sind bis ins kleinste Detail finessenreich geplant worden, Kostüme und Masken setzen teilweise neue Standards. Und was Kameramann John Toll aus der Geschichte herausholt, ist streckenweise überwältigend. Wie liebevoll man am Detail gearbeitet, zeigt auch die bizarr anmutende Flotte von Raumschiffen, die ästhetische Traditionen des Genres einpflegen, etwa wenn ein Schiff bis in filigrane Einzelheiten an die Nautilus aus „20.000 Meilen unter dem Meer“ erinnern soll.

Nur können die Production Values den Film nicht retten. Trotz der prächtigen Bilder wurde alles wieder einmal zu hastig geschnitten, das Tempo ist atemlos, die Effekte sind gnadenlos oversized. Und viele prachtvolle Settings sind nur für einige Sekunden zu sehen, dann geht die atemlose Hatz weiter.
Das Schlimmste: „Jupiter Ascending“ gelingt es nicht, die Zuschauer emotional auf seine Seite zu ziehen. Das Love Interest funktioniert nicht, Mila Kunis und Channing Tatum wirken so glaubwürdig wie ein Sack Flöhe. Die technisch perfekte Space Opera ist einfach zu kalt, zu kalkuliert, die Figuren sind Abziehbilder. Ironie hätte viel bewirkt, es musste ja nicht der Brachialhumor von „Guardians of the Galaxy“ sein, aber eine Prise Marvel hätte das Schlimmste verhindert.
In „X-Men: Days of Future Past“ demonstriert Bryan Singer sehr elegant, wie man komplexe Geschichten nachvollziehbar erzählt (das gilt übrigens auch für den „Rogue Cut“).
Stattdessen wirkt der Film der Wachowskis so, als hätten sich ein durchgeknallter Tim Burton mit einem besoffenen Terry Gilliam (und der spielt sogar in einer Nebenrolle mit) und einem bekifften Luc Besson zusammengesetzt, um à la „Brazil“ oder „The Fifth Element“ einen bizarren Figurenpark zu entwickeln, dessen schrille Optik mit einigen kafkaesken Randnotizen abgeschmeckt wird. Wenn sich Jupiter in einer Sequenz mit verknöcherten Bürokraten herumschlagen muss, damit ihre Ansprüche als Adelige testiert werden, so wirkt dieser bemühte Spaß eher wie alberner Bruch. Comic Relief gewollt, aber nicht gekonnt.

„Jupiter Ascending“ hat vieles aus dem endlosen Fundus des Genres zusammengetragen, aber nur wenig Originelles ist den Machern gelungen. Tragisch ist daran, dass eben dies von dem Wunsch getragen wurde, wirklich originell zu sein. Lana Wachowski hat durchaus das Dilemma erkannt: „Wir sind nun mal Kinder des 20. Jahrhunderts. Daher zieht uns die Originalität an. Wir würden uns wünschen, dass es mehr originelles Material geben würde. Merkwürdig ist, dass wir uns in unserem Kulturkreis fast über Nacht von dem Gedanken der Originalität abgewandt haben. Menschen, die (...)  in unserem Alter sind (...), die denken so. Menschen, die später zur Welt kamen, suchen das Bekannte, das Familiäre.“

Sieht man davon ab, dass es eben das US-Kino ist, dass in den letzten zehn Jahren kräftig dazu beigetragen hat, liegt hier ein Irrtum vor. Originell ist eben nicht, wenn man Bekanntes schöner und spektakulärer zeigt als die Vorgänger. Originell sind eine gute Geschichte, ein gutes Script, gute Darsteller, die gute Dialoge bekommen – das ist das Kino, von dem wir gegenwärtig entwöhnt werden.
Dass sich Lana und Andy Wachowski mit „Jupiter Ascending“ an Homers Odyssee orientiert haben und ihnen dabei auch noch eine galaktische Version des „Wizard of Oz“ vorschwebte (Mila Kunis spielte in „Oz the Great and Powerful“, 2013), hört sich zwar gut an, aber der intellektuelle und künstlerische Anspruch erweist sich diesmal als heiße Luft. Es scheint eher so zu sein, als hätten sich die Wachowskis nach der philosophisch codierten Matrix-Trilogie und der kongenialen Literaturverfilmung von „Cloud Atlas“ (zusammen mit Tom Tykwer) diesmal vorgenommen, eine Geschichte auf dem Niveau eines Zwölfjährigen zu produzieren, dem man 100 Millionen Dollar in die Hand drückt, damit er seine infantilen Phantasien mit Pomp und Getöse ins Bild setzen kann: Schaut her – wir können es auch weniger intellektuell. Aber es sieht geil aus!
Und am Ende putzt die Heldin wieder eine Kloschlüssel.


Special Features

Besprochen wurde die 2D-Fassung. Die Bluray ist mit AVC MPEG-4 codiert, die Aspect Ratio beträgt 2.40:1 (16:9). Wir erwartet genügt das Bild gehobenen Ansprüchen und erreicht streckenweise sogar Referenzqualität. Hervorzuheben ist die ausgezeichnete Detailzeichnung. Die Farben hinterlassen einen guten Eindruck. Warner hat der deutschen Fassung zudem eine verlustfreie DTS-HD 7.1.-Abmischung spendiert, was keine Selbstverständlichkeit ist.

Das Bonusmaterial der Single Disc-Edition umfasst etliche Making of-Featurettes zwischen 5 und 9 Minuten. Neben den üblichen Elogen, in denen Darsteller und Mitarbeiter der Filmcrew die tolle Atmosphäre und die Genialität der Wachowskis feiern, gibt es gelegentlich gute Einblicke in die Entwicklung des Konzept-Designs und die Realisierung der Effekte und Stunts. Hervorzuheben ist besonders „The Wachowskis: Minds over Matter“, wo Lana Wachowski einiges zu ihrem Verständnis von Originalität zu berichten hat.

Die Extras:
•    Bullet Time Evolved
•    Caine Wise: Interplanetary Warrior
•    From Earth to Jupiter (And Everywhere in Between)
•    Jupiter Ascending: Genetically Spliced
•    Jupiter Jones: Destiny is Within Us
•    The Wachowskis: Minds over Matter
•    Worlds Within Worlds Within Worlds

Jupiter Ascending – USA 2015 – Regie/Buch: Lana und Andy - Kamera: John Toll - Blu-ray Start: 25.06.2015 - FSK: ab 12 - Laufzeit: 127 min -  Darsteller: Mila Kunis, Channing Tatum, Douglas Booth, Sean Bean, Eddie Redmayne, Terry Gilliam, James D'Arcy, Maria Doyle Kennedy, Vanessa Kirby, Tuppence Middleton.

Noten: BigDoc, Melonie = 4,5