Freitag, 1. Januar 2016

Star Wars – Das Erwachen der Macht

Ein Kommentar


Es gibt Filme, die man einfach sehen muss. Es sind die großen Epen, für die man ins Kino geht und die man sich erst beim zweiten Mal im Home Cinema auf der Couch ansieht. Früher auf VHS, heute auf Bluray. „Lawrence of Arabia“ zum Beispiel oder „Jaws“. Ihr Geheimnis: Sie entsprechen zwar nicht immer dem eigenen Kinogeschmack, aber sie besitzen dennoch eine magische Anziehungskraft. Alles strömen ins Kino, alle wollen sie sehen. Man geht mit. Neugier ist etwas Faszinierendes und auch wenn man sonst ganz andere Filme sieht, so gibt es nichts Lustvolleres als den Regelbruch.

Für die Filmindustrie sind diese Filme Maschinen zum Gelddrucken. Für die Menschen sind sie es nicht. Und wenn nicht nur die Nerds, sondern auch Familien mit ihren Kindern oder die Großväter mit ihren Enkeln mit klopfenden Herzen ins Kino eilen, um „Star Wars: The Force Awakens“ zu sehen, bewegt sie irgendwie das Gleiche wie vor fast 40 Jahren. Die Jüngeren wollen den Film sehen, weil es die anderen Kids auch wollen, aber die Älteren verspüren eine nostalgische Sehnsucht nach etwas, das sie vor fast 40 Jahren in ein traumähnliches Märchenland voller tapferer Helden und pathetischer Schurken, kleiner piepsender Roboter mit eigener Seele und geheimnisvoller Ritter versetzt hat. Wobei Letztere dann auch Hüter eines Mysteriums waren, der ‚Macht’, die alle Guten vereint, aber von den Bösen missbraucht wird.
Alle diese großen Gefühle gehören zum Kino. 
Seine dunkle Seite sieht man nicht: Es sind die kalten seelenlosen Roboter hinter den Kulissen, die aussehen wie lebendige Menschen. Sie, und nicht etwa George Lucas, haben diesmal den Film gemacht. Und sie zählen ungerührt das Geld. Den Film haben sie am Computer entworfen. Sie haben die passenden Algorithmen definiert und die Maschine berechen lassen, was zu tun ist. Und die Maschine hat ihnen gesagt: Macht einfach das Gleiche wie damals, macht den gleichen Film wie 1977. Die da draußen mit den klopfenden Herzen werden es schon nicht merken. Und sie haben es nicht gemerkt.

Fast 4 Milliarden US-$ hat Disney bezahlt, um George Lucas das traumähnliche Märchenland abzukaufen. Nun sitzt Lucas traurig zu Hause und quengelt, dass Disney seinen Traum zerstört hat. Vielleicht sieht er auch, was er selbst hätte verdienen können. „Star Wars: The Force Awakens“ bricht alle Rekorde: Nach nur wenigen Tagen hat der Film weltweit über 1,2 Mrd. Dollar eingespielt, in Deutschland nahmen die Kinobesitzer, die zuvor von Disney heftig stranguliert worden sind, allein am ersten Tag über 7 Mio. Euro ein. Es wird so weiter gehen, es wird ein unfassbares Vermögen angehäuft werden. Und George Lucas sitzt dann immer noch zu Hause und ärgert sich. Einen Grund hat er nicht. Seine Prequel-Trilogie hat bereits genug Schaden angerichtet.

Aber was ist denn nun eigentlich so schlimm am neuen „Stars Wars“? Es ist das ‚Schnitzel-Modell’. Wer sein erstes Schnitzel gemocht hat, will danach immer wieder das  gleiche Schnitzel essen wollen. Im Kino, so haben es die Maschinen berechnet, funktioniert das auch so. Man nennt das Blockbuster. Die Kritiker haben mit ihren Fingern darauf gezeigt und gespottet, die Kinogänger haben sie nicht gelesen oder einfach nur den Kopf geschüttelt. Was ist denn so schlimm daran, wenn es schmeckt?
Und so haben die Maschinen mit „Star Wars: The Force Awakens“ das gleiche Schnitzel erneut auf den Teller gelegt. Der neue Film wirkt wie eine Kopie, oder noch schlimmer: er ist ein Plagiat.


Drei Jahrzehnte nach dem Sieg über das Imperium ist alles vergessen, denn nun reißt die sogenannte ‚Erste Ordnung’ die Macht an sich und will die Galaxis unterjochen. In „Star Wars“ werden die Bösen von Grand Moff Tarkin (Peter Cushing) und seinen Stormtroopers geführt, der schwarze Ritter Darth Vader assistiert ihm. Im neuen „Stars Wars“ greift nun der böse General Hux (Domhnall Gleeson) nach der Macht, assistiert vom schwarzen Ritter Kylo Ren (Adam Driver), der als Wiedergänger genauso hinter einer schwarzen Maske schnauft wie Darth Vader, obwohl er nicht furchtbar entstellt wurde und daher eigentlich keine Maske braucht. Im alten „Star Wars“ suchen die Bösen nach den Rebellen und bedrohen die Republik, im neuen Film tun sie dies auch. Im alten Film haben sie den „Todesstern“ und vernichten einen Planeten, um ihre Macht zu demonstrieren, im neuen Film besitzen sie auch einen Todesstern, nur zehnmal größer, und vernichten einen Planeten, um ihre Macht zu demonstrieren. Im alten Film müssen die Helden am Ende ein waghalsiges Manöver fliegen, um den Todesstern zu zerstören, im neuen gibt es eine ähnliche Szene, die sogar fast auf die gleiche Weise montiert worden ist.

Und die Guten? In „Star Wars“ waren es die hübsche Prinzessin Leia Organa (Carrie Fisher) und der jugendliche Held Luke Skywalker (Mark Hamill), die sich auf eine gefährliche Reise begeben. Im neuen Film werden diese Parts die geheimnisvolle und offenbar von der ‚Macht’ durchdrungene Schrottsammlerin Rey (die bislang relativ unbekannte TV-Actrice Daisy Ridley) und der desertierte Stormtrooper FN-2187, später „Finn“ (John Boyega) genannt, übernehmen. Das Einzige, was neu ist, das ist der Geschlechtertransfer: die Skywalker-Rolle spielt eine junge Frau, den Sidekick mimt ein junger Farbiger. Und natürlich sind auch Han Solo (Harrison Ford) und Chewbacca mit von der Partie, wobei Harrison Ford immerhin die anderen Mimen lässig an die Wand spielt, aber dann im großen Finale die Rolle und das traurige Ende des legendären Ben Obi-wan Kenobi (Alec Guiness) übernimmt, ohne dass die Hoffnung besteht, dass man wenigstens seine Stimme in den nächsten Teilen des Sequels hören wird.

Mit anderen Worten: es ist alles geklaut in „Star Wars: The Force Awakens“. Wirklich alles. Sogar der Anfang. In beiden Filmen muss ein kleiner Roboter entscheidende Informationen hüten, im neuen Film ist es der Aufenthaltsort von Luke Skywalker, im alten sind es die Baupläne des Todessterns. Und fassungslos muss man erkennen, dass dies offenbar niemanden stört und dass alle bewusstlos ins Kino rennen, um den alten Wein in neuen Schläuchen kredenzt zu bekommen. Nur sind die Schläuche halt zehnmal so groß wie 1977.

Der gute Georg Seeßlen hat vor 30 Jahren George Lucas’ „Star Wars“ als „die Erfüllung eines Kindertraums mit den perfektionierten Mitteln der Unterhaltung“ beschrieben und danach den klugen Kommentar hinzugefügt, dass in „Star Wars“ nicht der Grad der technologischen Entwicklung das moralische Maß bestimmt, sondern der Gebrauch, der von der Technologie gemacht wird: Menschen werden zu Sklaven der Technologie (symbolisch vertreten durch den Todesstern und von einigen Philosophen „Verdinglichung“ genannt), während die Helden lernen, dass Technik auch menschlich und empathiefähig sein kann (symbolisch vertreten durch die Droiden R2-D2 und C-3PO). Beide kommen auch im neuen „Star Wars“ vor, aber C-3PO ist beschädigt und R2-D2 steht die meiste Zeit in eine Decke gehüllt neben anderem Schrott irgendwo herum. Auch das hat Symbolkraft.
 

In „Star Wars: The Force Awakens“ sind fast alle Figuren seltsam unreflektiert. Sie haben ihre Geschichte vergessen. Niemand kennt die ‚Macht’, niemand erinnert sich an die Jedis, Luke Skywalker hat nie existiert und ist nur ein Mythos und warum die Galaxis, in der erst kurz zuvor das Böse besiegt wurde, nun wieder in die Hände eines Wesen namens Snoke (Andy Serkis) fallen soll, wird auch nicht ganz klar. Lediglich die geheimnisvollen Binnenbeziehungen der dunklen Seite der Macht werden in den familiären Beziehungen der Figuren widergespiegelt, beispielsweise im ‚bösen’ Kylo Ren, der Han Solos und Leias Sohn ist. 

Regisseur J.J. Abrams, der ja bereits das Star Trek-Universum auf Null gesetzt hat, und Drehbuchautor Lawrence Kasdan, der 1980 das Buch für „The Empire Strikes Back“ geschrieben hat, scheinen geahnt zu haben, dass auch der Zuschauer nicht besser dran ist. Auch er scheint auf seltsame Weise von einem Vergessen ergriffen worden zu sein, das es möglich macht, ihm alles wie in einer Endlosschleife immer wieder aufs Neue zu erzählen. Wirklich neu ist in diesem Reboot von „Stars Wars“ eigentlich nur die Rolle des Stormtroopers FN-2187, der rasch die Seiten wechselt, dessen moralische Bedenken aber wie in jeder Mythologie nicht im Geringsten psychologisch plausibel erscheinen.

Und so führt uns „Star Wars: The Force Awakens“ in eine neue alte Galaxis, in der täglich aufs Neue das Murmeltier grüßt. Wer alt genug ist, um sich zu erinnern, dem kommt in den Sinn, dass in lange vergessenen Zeiten die Großen Alten des Kinos daran verzweifelten, dass die Menschen nicht mehr in ihre Traumpaläste gingen. Sie pumpten Unsummen in sinnlose Monumentalfilme und verloren viel Geld. Besonders die jungen Zuschauer suchten lieber einen Planeten namens „New Hollywood“ auf und sahen sich begierig die Filme von Francis Ford Coppola, Sidney Lumet, Martin Scorsese, Mike Nichols, Dennis Hopper, Robert Altman, John Cassavetes, Sam Peckinpah und Peter Bogdanovic an. Nach Kubricks bahnbrechendem „2001“ wollten sie statt der alten Schinken lieber „Phase IV“ von Saul Bass (1974), „THX 1138“ von George Lucas (1970), „The Crazies“ von George A. Romero (1973), „Silent Running“ von Douglas Trumball (1972) oder gar Andrej Tarkowskijs „Solaris“ sehen.
Doch das Imperium schlug zurück und holte einige der jungen mutigen Ritter auf die dunkle Seite der Macht. Sie bauten einen neuen Todesstern und er wurde erneut „Blockbuster“ genannt. Den Rest der Geschichte kennen wir. „Star Wars: The Force Awakens“ ist einer der schlechtesten Filme des alten Jahres. Er wird auch im neuen Jahr nicht aufzuhalten sein.

Der Filmclub wünscht allen Lesern nichtsdestotrotz ein gutes neues Jahr!

Noten: BigDoc = 5, Melonie = 3,5