Freitag, 22. Januar 2016

The Revenant

Am 28. Februar ist OSCAR-Verleihung. Dann werden wir wissen, ob Leonardo DiCaprio endlich seine Trophäe erhält. Wenn nicht, geht die Welt auch nicht unter. Gegönnt sei es aber dem Hauptdarsteller des naturalistischen Western „The Revenant“. Interessanter scheint aber die Frage zu sein, ob Alejandro González Iñárritu nach dem überragenden „Birdman“ erneut einen guten Film gemacht hat.

Auf jeden Fall hat er einen ganz anderen gemacht. Dem ausgeklügelten Kunstprodukt „Birdman“, in dem es um Kino und Theater, um Massenkunst und bürgerliche Schaubühne, um Illusionen und Wahn geht und das am Ende die Frage offen lässt, ob der Held in den Tod springt oder tatsächlich fliegen kann, folgt mit „The Revenant“ ein Trip an unwirtliche Settings in Kanada und Argentinien, wo der mexikanische Starregisseur seine Mitarbeiter an die physische Grenze trieb, weil halt alles echt sein sollte. Bis ihm einige davonliefen. Dem Method Acting wurde quasi ein Method Naturalism zur Seite gestellt.
Für „Birdman“ hatte der Mexikaner vor einem Jahr drei Statuen bekommen (Bester Film, Beste Regie, Bestes Original-Drehbuch). Mit seinem rustikalen Western wagt Iñárritu diesmal nach komplexen Arthouse-Produkten wie „Amores Perros“, „21 Gramm“, „Babel“ und dem sperrigen „Biutiful“ den Sprung in Hollywoods edelstes Genre – den Western. Zwölf OSCAR-Nominierungen haben dieser kleinteilige Naturalismus und weitere Qualitäten dem Film eingebracht.

 

Naturalismus, keine Mythen

Iñárritu erzählt in „The Revenant – Der Rückkehrer“ die Geschichte des Trappers Hugh Glass, frei nach Motiven aus dem gleichnamigen Roman von Michael Punke. Sie spielt in den 1820ern, irgendwo in den Tiefen der Wälder von North Dakato. Glass (Leonardo DiCaprio) begleitet zusammen mit seinem halbindianischen Sohn Hawk (Forrest Goodluck) als Scout einen Trupp Männer, der ein nahe gelegenes Fort mit Fleisch versorgen soll, aber auch ein lukratives Geschäft mit der Erbeutung von Tierfellen im Sinn hat. Angeführt wird die Gruppe von Andrew Henry (Domhnall Gleeson). Pech für die Männer: ein Indianerstamm, die Arikarees, durchstreift die Wälder, weil die weißen Invasoren ausgerechnet die Tochter des Häuptlings entführt haben sollen. Der Jagdtrupp wird überfallen und beinahe vollständig aufgerieben. Nachdem die Überlebenden sich auf einen tagelangen Marsch ins entfernte Fort eingestellt haben, wird Glass von einem Grizzly angefallen. Der Bär zerfetzt den Trapper beinahe, kann aber von dem fast halbtoten Glass mit dem Messer getötet werden.
Wie durch ein Wunder hat Glass die Attacke
überlebt, aber der Rücktransport erweist sich als unmöglich. Henry beschließt, den Schwerverwundeten zurückzulassen. Der Pelzjäger John Fitzgerald (Tom Hardy), Hawk und der junge Jim Bridger (Will Poulter) sollen Glass, falls es zum Schlimmsten kommt, mit Würde und Anstand unter die Erde bringen. Fitzgerald, der bereits zuvor nicht sonderlich gut mit Glass zurechtkam, versucht dem vermeintlich Sterbenden zu suggerieren, dass dessen baldiger Tod das Beste für die Zurückgebliebenen sei und entnimmt Glass’ gurgelnder Antwort – die Stimmbänder des Trappers sind verletzt – eine Art von Zustimmung. Als Hawk die Sterbehilfe verhindern will, wird er von Fitzgerald vor den Augen seines Vaters erstochen. Fitzgerald beerdigt Glass bei lebendigem Leibe, täuscht seinen Begleiter Bridger über den wahren Hergang und setzt sich ab. Doch Glass überlebt die Tortur und schleppt sich, nur mit einem Bärenfell ausgerüstet, durch die Wildnis. Er will Rache.


Zu sagen hat der Film wenig, erzählen tut er viel

Das schreit nach Floskeln. Überraschen konnte daher nicht, dass die Kritik beinahe hymnisch einen „existenzialistischen Überlebenskampf“ heraufbeschwor und im Walten der Natur, eingefangen von der Kamera Emmanuel Lubezkis, Erbarmungslosigkeit und innewohnende Grausamkeit, aber auch Erhabenheit erkannte. Journalistenpoesie.
Tatsächlich hat sich Alejandro González Iñárritu mit stilistischem Purismus von der Komplexität seiner vorherigen Filme befreit und wohl nichts anderes als eine glasklare, möglichst unverfälschte Erzählung im Sinn gehabt. In zweieinhalb Stunden erzählt
Iñárritu daher die Geschichte der Auseinandersetzung zweier Männer beinahe handlungsarm, und das auf eine Weise, die frei von Deutungsangeboten ist. Und wenn sich beide am Ende gegenüberstehen, wird einer der beiden sterben müssen, nur auch das ein quälend langwieriges Procedere, denn Iñárritu zeigt auch, wie schwer es ist, einen Menschen zu töten. Das ist purer Naturalismus und hat absolut nichts mit den mythologisch überhöhten Naturgemälden eines Terrence Malick zu tun.

Dies gilt auch für die Kameraarbeit von Emmanuel Lubezki, der 2014 für „Gravity“ und 2015 für „Birdman“ einen Oscar mit nach Hause nehmen konnte. Seine vermeintlichen Naturpanoramen sind oft statische Totalen, die dem Zuschauer schweigend gegenübertreten. Seine Qualitäten zeigt Lubezki auch in einigen raffinierten Plansequenzen, wirklich beeindruckend ist seine virtuose Kadrierung, die souverän die Distanz zu den Akteuren aufhebt und eine Nähe herstellt, die ästhetisch einzigartig ist. „The Revenant“ ist daher ein Film, der seine Wirkung in der Präsenz der Ereignisse entfaltet, dabei eine sogartige Unmittelbarkeit entfaltet und sich am Ende als große Leerstelle entpuppt, wenn die finalen Credits über die Leinwand laufen.

Anders formuliert: Zu sagen hat der Film wenig, erzählen tut er viel.
Bei „Birdman“ sah dies anders aus.Und das bedeutet wohl auch, dass man „The Revenant – Der Rückkehrer“ nicht zwingend zum zweiten Mal ansehen muss.  Er ist nach dem esten Mal auserzählt. Zwar hat Hugh Glass im Fieberwahn Visionen und einige Flashbacks zeigen, dass Glass seine indianische Frau offenbar in den Scharmützeln zwischen den Briten, den Franzosen und den verschiedenen indianischen Stämmen verloren hat, aber dies sind visuelle Intermezzi.
Auch die Auseinandersetzung zwischen Fitzgerald und Glass gibt keine moralischen Dimensionen her, die aus dem Genrefilm ein existenzialistisches Drama machen. Tom Hardy spielt recht exakt einen ruppigen und gänzlich empathiefreien Mann, der von Indianern beinahe zu Tode skalpiert wurde und sich in einen boshaften Rassisten verwandelt hat. Für das ganz große Schurkenniveau ist Hardys Rolle aber eine Nummer zu klein und zu bedeutungslos.

Übrig bleibt eine Trostlosigkeit, die über den Bildern von „The Revenant“ liegt. Und die findet ihre Ursache nicht in wabernden Projektionen auf die Natur. Das war das Privileg der Romantik. Romantisch gestimmt ist Iñárritu eher nicht. Auch die historischen Rahmenbedingungen lässt er außen vor. Was die Briten und Franzosen in Kanada getrieben haben, welche Summen gezahlt wurden, damit riesige Terretorien mitsamt der Ureinwohner den Besitzer wechseln konnten, wird dem Zuschauer nicht erklärt. Dass die Indianer Anfang des 19. Jh. bereits ihren zivilisatorischen Untergang ahnten, legt der Regisseur nur an einer Stelle einem Arikaree in den Mund.
Trostlos ist vielmehr die eisige Distanz zwischen dem Zuschauer, der im warmen Kinosaal sitzt, und der nekrotisch vergammelnden Hauptfigur, die buchstäblich durch die Ödnis kriecht, auf Wurzeln herumkaut, von eiskalten Flüssen davon gerissen wird und im wärmenden Kadaver eines toten Pferdes Schutz vor dem Erfrieren sucht. Beiläufig sieht man, dass die Menschen in „The Revenant“ Vorboten einer düsteren Zukunft sind, in denen ökonomische Überlegungen die ethischen überlagern und der Indianer, der einem am Vortag beim Überlebenskampf geholfen hat, einen Tag später von irgendwelchen Barbaren an einem Baum gehenkt wurde.

Einigen Kritikern war diese Studie wohl zu metaphernarm. „Blöd eigentlich, dass man sich fast unweigerlich lustig macht über diese Geschichte. Denn mit Humor hat es Alejandro González Iñárritu eigentlich nicht so“, konstatierte der Rezensent des SPIEGEL. Nun liegt aber wenig Sinn darin, einem Film das abzuverlangen, was der Film eben explizit nicht sein will.
„Je mehr Iñárritu die Natur mit dem Pathos des Numinosen auflädt und das schiere Wunder des Seins heraufbeschwören will, desto stärker gleiten Lubezkis Bilder ab in leere Protzerei“, fährt der Rezensent fort. Das ist nicht knapp verfehlt, sondern einfach nur vorbei geschossen. Pathos ist weit und breit in „The Revenant“ nicht zu entdecken und nur weil Emmanuel Lubezki für Malick „The New World“ und „The Tree of Life“ geschossen hat, bedeutet dies nicht, dass er Iñárritus strenge Einfachheit by the way konterkarieren kann. „The Revenant“ ist Blut, Dreck und Scheiße – mehr nicht, und edle Wilde gibt es nicht. Sehenswert.

Note: BigDoc = 2

The Revenant – Der Rückkehrer – USA 2015 - Alejandro González Iñárritu – Laufzeit: 156 Minuten – Drehbuch: Alejandro González Iñárritu, Mark L. Smith – Kamera: Emmanuel Lubezki - FSK: ab 16 Jahren – Darsteller: Leornardo DiCaprio, Tom Hardy, Domhnall Gleeson, Will Poulter, Forrest Goodluck u.a.