Samstag, 2. Januar 2016

Best of 2015

Der Trend ist ein unberechenbarer Zeitgenosse. Im Filmclub bestätigten sich allerdings fast alle Prognosen, die ich im letzten Jahresrückblick gewagt hatte: Es wurden mehr Serien geschaut, Video-on-Demand nimmt im Sehverhalten eine dominierende Rolle ein, das Problem der medialen Übersättigung ist nicht geringer geworden. 55 Filme und knapp 20 Serien wurden gesichtet. Hier sind die Gewinner und Verlierer des letzten Jahres.

Einen klaren Sieger in der Sparte ‚Kinofilm’ gibt es nicht. Recht früh hatte sich etwas überraschend Philippe de Chauverons „Die Töchter des Monsieur Claude“ an der Spitze festgesetzt. In Frankreich war die Komödie mit über 12 Mio. Zuschauern ein Riesenerfolg, in Deutschland erreichte man immerhin über 3 Mio. Kinogänger. Für die deutsche Kritik war alles ein wenig zu seicht, uns gefiel der Film.

Punktgleich ins Ziel kamen Birdman, den ich persönlich für das Kinoereignis des Jahres halte, dann – auch eine Überraschung - das Regiedebüt von Ralph Fiennes, der sich mit dem geheimen Liebesleben von Charles Dickens beschäftigte. „The Invisible Woman“ geriet bei den Kritikern etwas unter die Räder und dürfte hierzulande kaum zur Notiz genommen worden sein.

Ebenfalls auf dem geteilten 1. Platz landete „Wir sind jung. Wir sind stark“ von Burhan Qurbani, ein Film, der sich mit den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen auseinandersetzt. Im Sommer 1992 wollte ein wütender Mob die Einwohner eines Asylbewohnerheimes lynchen, die Polizei zog sich zurück und die besorgten Bürger schauten zu. Teile der Antwort, die der Film gab, können den Zuschauer frei nach Thomas de Maizière tatsächlich verunsichern und ähnlich dachte wohl auch die FAZ, die den Film als „anrührend verstörend“ erlebte. Verstehen kann ich das nicht, denn wir wissen doch alle, dass in diesem Land niemand auf die Idee kommt, die Wohnunterkünfte von Kriegsflüchtlingen abzufackeln.


Hier nur nur die Top Twenty des Jahres 2015



Meine persönlichen Favoriten des Jahres sind neben „Birdman“ folgende Filme: Christopher Nolans Interstellar, der trotz eines aus meiner Sicht verkorksten Endes das Zeug zum Klassiker hat, dann die beiden Filme von Mike Leigh (es ist wirklich selten, dass ein Regisseur 2x in den Best of landet), wobei Pride zugänglicher ist.
Leighs Biopic über den britischen Landschaftsmaler William Turner benötigt etwas mehr Geduld. „Mr. Turner – Meister des Lichts“ ist nicht nur wegen Timothy Spalls Interpretation der Hauptrolle außergewöhnlich, auch Mike Leighs Bildästhetik ist eine kongeniales Pendant zur Kraft der Bilder eines Mannes, der so gut wie nie über seine Kunst sprechen wollte, aber genauer hingeschaut hat als seine Zeitgenossen.
Auch „Whiplash“hat mir ausgezeichnet gefallen. Nicht nur als Jazzfan. Damien Chazelles mit drei Oscars ausgezeichneter Film kann man als Triumph eines Novizen über den strengen Meister erleben. Ich habe da eher eine packende Studie von zwei Menschen erlebt, die verhaltensgestört sind und deren Hassliebe zu einer beängstigenden Symbiose führt, die wenig Gutes erwarten lässt. Aber Drummer sind sowieso eine Spezies für sich.

Über die schlechtesten Filme des Jahres schreibt man ungern. Wut und Ärger der Leser sind ebenso vorprogrammiert wie Unverständnis und Achselzucken. Versuchen wir’s trotzdem:


Die schlechtesten Filme 2015



  • Platz 1:    „Honig im Kopf“ (Note 5)
  • Platz 2-3: „Jupiter Ascending“ (Note 4,5)
  • Platz 2-3: „Focus“ (Note 4,5)
  • Platz 4:    „Star Wars – Das Erwachen der Macht“ (Note 4,25)
  • Platz 5:    „The Drop“ (Note 3,5)

Platz 1 ist keineswegs dem unter Kritikern verbreiteten Til Schweiger-Bashing zu verdanken, sondern dem Umstand, dass wir den Film durchgehend als peinlich und angemessen erlebten. Besonders jene, die zu Hause an Demenz erkrankte Familienangehörige pflegen, befiel intensives Fremdschämen. Schweigers Film ist süßlich-sentimental und siedelt einige Pointen auch unter der Gürtellinie an. Über 7 Mio. Zuschauer in Deutschland sind allerdings anderer Meinung.
Noch eine Anmerkung zum „Star Wars“-Reboot: Ich habe ausnahmsweise keine Kritik geschrieben, sondern einen Kommentar und musste anschließend feststellen, dass ein Teil der Kinogänger offenbar genauso mit dem Film fremdelt wie wir. Die Online-Ausgabe der WELT hat den Fan-Reaktionen eine eigene Seite spendiert. Im Wesentlich läuft dies auf das hinaus, was ich bereits geschrieben habe und ein Kinofreund fasste es bitter-böse mit den Worten „Es fühlt sich an wie eine Dosensuppe, die seit den 70ern im Regal stand ...“ zusammen. Muss es wohl auch, denn Disney hat natürlich das perfekte 4Q-Movie im Sinn gehabt. Und Four-Quadrant bedeutet nun mal, dass alle, wirklich alle Zuschauer von einem Kinoprodukt erreicht werden müssen. Männlich und weibliche, solche unter 25 Jahren und auch jene, die älter sind. Aber noch nie wurde in Hollywood so offensichtlich recycelt wie diesmal. Blockbuster aus dem Marvel-Universum wirken dagegen beinahe schon wie Arthouse-Filme. George Lucas nölt jetzt kräftig mit, aber er hat seine Geschichte gewinnbringend verscherbelt, an Slavenhändler, wie er nun meint:
Stars Wars ist missbraucht worden.“ Er sollte besser nicht so tun, als hätte er dies nicht vorher gewusst.

Die besten Serien des Jahres 2015


Natürlich ist es unmöglich, in einem Filmclub gemeinsam Serien zu sichten. Im Wesentlichen, aber keineswegs durchgehend, gibt das folgende Ranking meine persönliche Favoriten wieder:


Über die fünfte Season von Homeland habe ich eine Kritik geschrieben: Für mich die Serie des Jahres, auch weil ich völlig überrascht war von der außergewöhnlich spannenden und brandaktuellen Story. Von „Homeland“ hatte ich nach der 3. Staffel nicht mehr viel erwartet, aber was ist schöner als der Moment, in dem Erwartungen durchkreuzt werden? Ich bin gespannt, ob die Serie ihren Platz auf dem deutschen TV-Markt findet. Es wird schwer werden, ein Produkt im linearen TV zu platzieren, wenn die meisten potentiellen Zuschauer und die Fans das Ganze bereits gestreamt haben.
 

Neben den üblichen Kandidaten sind besonders Weissensee und die 2. Staffel von „The Strain“ zu loben. Die Öffentlich-Rechtlichen lassen sich mit ihrem Quality TV wie immer recht viel Zeit – zu viel, wie ich meine. Aber sie schaffen es immer wieder, die Qualität ihres Vorzeige-Produkts auf einem hohen Level zu halten. Das ist hierzulande nicht einfach. Der Totalflop von „Deutschland 83“ dürfte ganze Redaktionen eingeschüchtert haben und man darf sich wohl nicht darauf freuen, dass das ZDF allen Ernstes mit der am 2. Januar an den Start gehenden Serie „Morgen hör ich auf“ den Zuschauer in Sachen horizontales Erzählen nachschulen will. ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler kündigte nassforsch ein „deutsches Breaking Bad“ an. Das müssen Bastian Pastewka und seine Mitspieler nun büßen und bereits im Vorfeld ergoß sich Hohn und Spott über die Ärmsten. Die Macher von „Weissensee“ wissen indes nicht einmal, ob sie ihr Premium-Produkt weitererzählen dürfen. Serien in Deutschland: hier treffen sich Not und Angst. Und dies führt bekanntlich zu nichts Gutem.
 

Völlig verblüfft war ich dann von der 2. Staffel der von Guillermo del Toro („Pazific Rim“) und Chuck Hogan konzipierten Vampirserie „The Strain“. In meiner Kritik über die die erste Staffel konnte ich nur gepflegtes Mittelmaß entdecken, aber die Macher haben tatsächlich ordentlich draufgepackt. Mit ihren raffinierten Flashbacks und einigen politischen Subtexten kann die Serie bereits ordentlich punkten, aber Darsteller wie Corey Stoll, David Bradley und Kevin Durand legen noch einen drauf und halten mit ihrer Performance das Level kontinuierlich hoch. Der Mix aus Splatter und klassischer Horrorserie ist mein Geheimtipp des Jahres.