Dienstag, 16. August 2016

The Eichmann Show (Der Fall Eichmann)

In Deutschland wurde die britische TV-Produktion „The Eichmann Show“ unter dem Verleihtitel „Der Fall Eichmann“ vertrieben. Erzählt wird allerdings die Entstehungsgeschichte einer TV-Dokumentation über den Prozess gegen Adolf Eichmann. Der Verleihtitel trifft also nicht den ganz den Kern, will wohl aber die semantischen Unschärfen vermeiden, die Begriff „Show“ auslöst. Und der kann sowohl eine ‚übertriebene Selbstdarstellung’ als auch eine Aufführung oder ein TV-Format meinen. Beides spielt in Paul Andrew Williams Film eine wichtige Rolle.

Am 11. April 1961 begann in Jerusalem der Prozess gegen Adolf Eichmann. Angeklagt wurde der ehemaligen SS-Obersturmbannführer nach geltendem Völkerrecht wegen seiner „Verbrechen gegen die Menschheit“. Eichmann war als Referatsleiter im deutschen Reichssicherheitshauptamt (RSHA) zuständig für die Deportation von ca. sechs Millionen Juden, aber auch Sinti und Roma, und damit auch mitverantwortlich für deren massenhafte Ermordung in den Vernichtungslagern. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs gelang es dem 1906 in Solingen geborenen Eichmann in Deutschland und Österreich unterzutauchen, ehe er sich mit Hilfe des Vatikans 1950 über die sogenannte „Rattenlinie“ nach Südamerika absetzen konnte. 1960 wurde Eichmann nach abenteuerlicher Vorgeschichte vom israelischen Mossad aus Argentinien entführt und nach Israel gebracht. Dort wurde er zum Tode verurteilt und am 1. Juni 1962 gehängt.




Die erste Doku-Serie der TV-Geschichte

„The Eichmann Show“ ist ein 2015 für BBC Two produziertes Fernsehspiel. Regisseur Paul Andrew Williams erzählt nach einem Drehbuch von Simon Block von der Entstehung der TV-Dokumentation „Eichmann Trial“, und das, ohne den Prozess und seine spektakuläre Wirkung aus den Augen zu verlieren. Produziert wurde „Eichmann Trial“ 1961 für den weltweiten Fernsehvertrieb von den Capital Cities Television Productions, einer Produktionsfirma der Capital Cities Communications, die heute zum Disney-Konzern gehören. Es ist die erste serielle Dokumentation der Fernsehgeschichte.

Medienhistorisch ist allein dies schon spannend. Producer Milton Fruchtman hatte in Jerusalem nur wenige Tage Zeit, um die Produktion voranzutreiben. Paul Andrew Williams zeigt dies nicht nur als Wettkampf mit der tickenden Uhr, sondern auch als Politikum, denn die israelische Regierung hatte nicht nur am Prozess, sondern auch an dessen medialer Verarbeitung ein immenses Interesse. Und so wieselt Fruchtman durch Jerusalem, muss ein Team aus dem Boden stampfen und dann auch noch die verantwortlichen Richter von dem Projekt überzeugen.

Als Regisseur engagiert Fruchtman („The Secret of Michelangelo“, 1968) gegen erhebliche Widerstände ausgerechnet den jüdischen Regisseur Leo Hurwitz. Und der ist einer der besten Dokumentarfilmer der Welt, steht in den USA aber wegen ‚kommunistischer Umtriebe’ auf der Blacklist Joseph McCarthys. Scheitert das Projekt, dann ist Fruchtmans Karriere beendet.
Fruchtman und Hurwitz bleiben schließlich nur noch wenige Stunden, um die Richter davon zu überzeugen, dass eine Aufzeichnung des Prozessablaufes mit der gebotenen Diskretion möglich sei.
Dem umtriebigen Milton Fruchtmann (Martin Freeman) fällt in letzter Minute die Lösung ein: die Kameras sollen den Prozess durch versteckte und zusätzlich verblendete Öffnungen in der Wand filmen und trotzdem ausreichenden Platz für Perspektivwechsel erhalten. Die Richter sind von der Präsentation verblüfft und stimmen zu. Währenddessen schwört Regisseur Leo Hurwitz (Anthony LaPaglia) sein israelisches Kamerateam auf die besondere Aufgabe ein, denn die Dokumentation soll nicht in der Post-Production geschnitten werden, sondern on the fly während des Prozesses. Die fertige MAZ wird anschließend kopiert und weltweit vertrieben. Jeder Take muss also sitzen.

„The Eichmann Show“ hat damit sein Doppelthema abgesteckt: nämlich eine fiktive Rekonstruktion der ersten seriellen TV-Dokumentation der Fernsehgeschichte zu sein, andererseits die historischen Dimensionen des Eichmann-Prozesses glaubwürdig zu vermitteln. Der Plot stellt daher nicht nur die technischen und rezeptionsästhetischen Herausforderungen für das TV-Team in den Mittelpunkt, sondern auch deren emotionale Konsequenzen. Denn als die ersten Überlebenden im Prozess aussagen, erleidet ein älterer Kameramann einen Nervenzusammenbruch. Damit wird klar: neutral kann hier niemand bleiben. 


Eichmann bleibt ungerührt

Paul Andrew Williams stemmt das Doppelthema auch dank seiner guten Darsteller. Anthony LaPaglia spielt den ehrgeizigen Leo Hurwitz möglicherweise eine Spur zu unterkühlt als Filmkünstler, der sich dem ‚Phänomen’ Eichmann im Regieraum mit der einzigen Waffe nähert, die er hat: der Wahl der Einstellung. Hurwitz verlangt immer häufiger Naheinstellungen und Closeups des Massenmörders. Fest davon überzeugt, dass unter geeigneten Umstände jeder zum Täter werden kann, erwartet er Tag für Tag den Zusammenbruch des Angeklagten, würde dies doch die verschüttete Menschlichkeit Eichmanns offenlegen und Hurwitz’ Überzeugung bestätigen. Doch Eichmann bleibt ruhig und gelassen.

Hurwitz’ ästhetisches Konzept führt zum Eklat, als ein Überlebender während seiner Aussage zusammenbricht. Ausgerechnet diese Szene fehlt nun auf der MAZ. Fruchtman bekommt einen Wutanfall und Paul Andrew Williams zeigt nicht nur in dieser Szene den grundsätzlichen Dissens zwischen dem Produzenten und seinem Regisseur. Während Hurwitz auf eine Katharsis wartet, will Fruchtman eine massenkompatible und sachliche Darstellung, in der die Zeugen angemessen repräsentiert werden. Und er will auch einen TV-Hit, denn nur was sich gut verkaufen lässt, wird auch eine Wirkung erzielen. Martin Freeman mimt dies stark – auch weil er gegen sein Hobbit- und Dr. Watson-Image anspielt. Es gelingt, Freeman spielt den Rest des Casts fast an die Wand. Sein Fruchtman ist ein harter Medienprofi, der in Jerusalem ständig bedroht wird und beinahe einem Attentat zum Opfer fällt, ein Mann, der sich bewusst ist, dass er Mediengeschichte schreiben wird. Wenn jeder Take sitzt.

Wer hat nun Recht? Paul Andrew Williams deutet in einer Schlüsselszene an, dass er eher Fruchtmans Position teilt. Die Besitzerin des Hotels, in dem Hurwitz untergekommen ist, zeigt diesem nicht ganz zufällig ihre Tätowierung auf dem Unterarm. Mrs. Landau (Rebecca Front in einer auffälligen Nebenrolle) hat als Überlebende eines Konzentrationslagers in Israel die deprimierende Erfahrung machen müssen, dass selbst in ihrer Wahlheimat die grässlichen Details ihrer Lagererfahrungen nicht restlos geglaubt werden – zum monströs ist das Ganze. Hurwitz begreift schweigend, was die Aussagen der Zeugen bedeuten.

„The Eichmann Show“ spiegelt damit auch die unterschiedlichen Reaktionen auf den Prozess wider und den Kampf des Teams im täglichen Nachrichtenkrieg. Fruchtmans TV-Doku wird zwar weltweit gezeigt, muss aber gegen andere Medienspektakel antreten. Im April '61 findet die Invasion in der kubanischen Schweinebucht statt, am 12. April, also einen Tag nach dem Prozessbeginn, fliegt mit Juri Gagarin der erste Mensch in einer Raumkapsel um die Erde. Der Eichmann-Prozess droht aus dem Fokus der Öffentlichkeit zu verschwinden.

Dies ändert sich, als die ersten Zeugen vor Gericht aussagen. Das Grauen hält endgültig Einzug in den Gerichtssaal. Und Eichmann? Der taucht in „The Eichmann Show“ überwiegend in den Original-Sequenzen der alten „Trial“-Aufzeichnungen auf. Williams zeigt nicht nur die undurchdringlichen Closeups des Angeklagten, an denen Hurwitz letztlich scheitert, sondern in langen Originalsequenzen auch die Zeugenaussagen. Der Mix aus Fiktion und Zeitdokumenten gelingt in dem 92-minütigen Film auch deshalb, weil die internen Konflikte im TV-Team einen neuen Blick auf die mediale Bedeutung der Dokumentation eröffnen. 

Der Eichmann-Prozess und die täglichen Prozessausschnitte hatten auch in Deutschland eine besondere Rezeptionsgeschichte. Der mediale Aspekt stand zuletzt in den Filmen „Der Staat gegen Fritz Bauer“ (2015) und „Die Akte General“ (2016) zwar nicht im Mittelpunkt, wurde zumindest aber gestreift.
Berühmt wurde der Eichmann-Prozess auch durch Hannah Arendts Reportagen für den „New Yorker“ und ihr Buch „Eichmann in Jerusalem“. Arendts Definition der „Banalität des Bösen“ wurde kontrovers diskutiert, auch heute ist ihre Beschreibung Eichmanns als Schreibtischtäter und „Hanswurst“ Gegenstand einer kritischen Debatte. 

Hannah Arendts taucht in „The Eichmann Show“ nicht auf. Dramaturgisch wäre dies auch schwer zu lösen gewesen. Und Leo Hurwitz? Seine langen Studien eines unbewegten Gesichtes haben wohl nur ein unbewegtes Gesicht gezeigt. Eichmann bot den Richtern zwar einen öffentlichen Suizid als Sühne an, zeigte aber keine Reue und kämpfte mit dem Verweis auf seinen Befehlnotstand in Jerusalem letztlich um sein Leben. 

Ein Schreibtischtäter war er nicht. Eichmann war persönlich in den Vernichtungslagern, sprach mit den Verantwortlichen und wies Lagerleiter Rudolf Höß nachdrücklich an, die Kinder zuerst zu töten. Adolf Eichmann war jenseits der Mythen, der soziologischen, psychoanalytischen und historischen Deutungen kein Faszinosum, sondern ein überzeugter Faschist, der eher an Elias Canettis Deutung als Typus erinnert: ein paranoider Machthaber, selbstherrlich fasziniert von der Gewalt über Leben und Tod. Entscheiden ist für Canetti („Masse und Macht“) nicht die Suche nach dem ontologisch Bösen. Erschreckend ist für ihn vielmehr, wie eine Gesellschaft die Banalisierung des industriellen und bürokratisch ‚ordentlich’ verwalteten Massenmordes akzeptieren konnte.

Wes Geistes Kind Adolf Eichmann war, verdeutlicht das berüchtigte Interview, das der ehemalige SS-Kriegsberichterstatter Willem Sassen in Argentinien aufzeichnete. Eichmann gestand in dem Gespräch seine Niederlage mit dem Hinweis ein, es sei nicht gelungen, die 10,3 Mio. Juden zu töten, die zu seiner Zeit erfasst worden seien: „Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, hätten wir von den 10,3 Millionen Juden (...)10,3 Millionen Juden getötet, dann wäre ich befriedigt und würde sagen: Gut, wir haben einen Feind vernichtet. Nun durch des Schicksals Tücke der Grossteil dieser 10,3 Millionen Juden am Leben erhalten geblieben sind, sage ich mir: Das Schicksal wollte es so (...) Nun es nicht so ist, werde ich Ihnen sagen, dass das Leid und das Ungemach unsere noch nicht Geborenen zu bestehen haben. Vielleicht werden sie uns verfluchen. Allein, wir konnten als wenige Leute gegen den Zeitgeist nicht anstinken. Wir haben getan, was wir konnten.“
Wenn in Paul Andrew Williams „The Eichmann Show“ der echte Eichmann ungerührt die Filmeinspieler aus den KZs betrachtet, die von der US-Army nach der Befreiung gedreht wurden, dann studiert jemand ungerührt seine Trophäen, aber auch sein Misslingen. Leo Hurwitz wartete vergeblich. Die Eichmann Show – das war auch das Gesicht des Angeklagten und seine Selbstdarstellung.



„Der Fall Eichmann“ ist seit Mai 2016 auf DVD erhältlich. Wer bei einem großen E-Tailer nach „The Eichmann Show“ sucht, findet das Original (BBC, englische Sprachfassung), allerdings mit Verweis auf die deutsch synchronisierte Fassung (inkl. englischer Sprachfassung).

In der deutschen Wikipedia fehlt ein Eintrag zu dem Film. In der englischsprachigen Ausgabe fehlt der Plot.

Noten: Klawer = 2, BigDoc = 1,5


Quellen:


Eine ausführliche Analyse des Eichmann-Prozesses hat Mirjam Wenzel für hannaharendt.net verfasst: „Eichmann, Arendt und das Theater in Jerusalem“.
Wenzel beschreibt, dass der Prozess nach dem Prinzip der korrespondierenden Blickachsen organisiert worden war: Richter und Zuhörer sahen sich direkt an, im rechten Winkel postiert sahen sich dagegen der Angeklagte und die Zeugen an. Mit anderen Worten: die Fernsehübertragung hob diese Blickachsen zum Teil auf. Anders als die Zuhörer im Gerichtssaal sahen die TV-Zuschauer Eichmann nicht im Profil, sondern en face.

Umfangreiche Interviews, Vorträge etc. sind auf der UCLA-Website zu sehen.

Der Schweizer Tagesanzeiger führte ein Interview mit Gabriel Bach, einem der Ankläger im Eichmann-Prozess: „Eichmann war stolz auf alles, was er getan hatte“.

Ebenfalls im Tagesanzeiger wurden Teile des Sassen-Interviews aus dem Jahre 1957 als Audio-Spur mitsamt Transkription veröffentlicht.



The Eichmann Show (dts. Der Fall Eichmann) – GB 2015 – Regie: Paul Andrew Williams – Laufzeit: 92 Minuten – FSK: ab 12 Jahren – D.: Martin Freeman, Anthony LaPaglia, Rebecca Front u.a.