Samstag, 6. August 2016

Das große Geheimnis (Secrets of War)

Viele Filme für Kinder und Jugendliche tun auch Erwachsenen ganz gut. Die luxemburgische Co-Produktion „Secrets of War“ (Das große Geheimnis) erzählt Kindern ab 10 Jahren eine Geschichte aus dem von Nazis besetzten Holland. Nicht aus der Perspektive der Erwachsenen, sondern aus jener der Kinder. Großes Kino. Auch für Erwachsene.

An sich ist es ein idyllischer Sommer. Wir sind im Jahre 1943, in Holland. Der freche und abenteuerlustige Tuur (Maas Bronkhuyzen) und sein Freund Lambert (Joes Brauers) sind meistens draußen im Wald
unterwegs. Es gibt die üblichen Rangeleien mit älteren Jungs und Lambert greift zur Zwille. Der Schuss sitzt, die beiden Jungen können fliehen und suchen in einer weitläufigen Höhle Schutz. Dort kennen sie jeden Winkel.
Komisch sind in diesem Sommer nur die Männer in den grauen Uniformen, die ihnen gelegentlich den Weg versperren:
„Sperrgebiet!. Und Tuur kann auch nicht so richtig verstehen, warum ihm seine Eltern das Spielen in der Höhle verbieten. Und das ohne Erklärung. Sogar Tuurs Bruder scheint mehr zu wissen, sagt aber kein Wort. Und dann werden auch noch Erwachsene von den Männern in Grau in Autos gezerrt, sogar ein Priester ist darunter. Und während der Sonntagspredigt erinnert der Pfarrer an all die verschwundenen Menschen des Dorfes, die nicht vergessen werden dürfen. „Sie gehören zu uns!“ Tuur entgeht nicht, dass der Vater seines besten Freundes Lambert angewidert das Gesicht verzieht. Dabei ist der doch als Bürgermeister der Boss des Dorfes und müsste doch dagegen etwas unternehmen können.



Freundschaft und Verrat

Der niederländische Regisseur Dennis Bots („Cool Kids don’t cry“) erzählt die Geschichte von Tuur und Lambert am Anfang unaufgeregt und ganz aus der Perspektive der Kinder. Die sind allerdings nicht naiv. Sie wissen, dass in auch in Holland Krieg herrscht und dass die Soldaten deutsche Invasoren sind. Nur hat der Krieg in seiner verheerenden Unmittelbarkeit Tuur und seinen Freund Lambert noch nicht erreicht. Der Anfang von „Secrets of War“ erinnert dabei ein wenig an Rob Reiners „Stand by Me“ und dessen Geheimnisse eines Sommers und ist ebenfalls eine Coming-of-Age-Geschichte, aber (oder vielleicht auch deswegen) geht es im letzten Drittel des Films hart und unsentimental zu.
„Secrets of War“ ist die Adaption des 2007 erschienenen Jugendromans von Jacques Vriens. Mit „Cool Kids don’t cry“ hat Regisseur Dennis Bots bereits ein Buch des in Holland sehr populären Autors verfilmt, nun folgte ein weiteres Projekt, das Bots zunächst „wegen der Kriegskulisse“ skeptisch einschätzte. Begeistert war er allerdings davon, dass das Buch „die Epoche aus der Perspektive der Kinder erzählt und das zeitlose Thema der Freundschaft beleuchtet.“


Und tatsächlich geht es um die klassischen Themen Freundschaft, Vertrauen und wie Verrat und Angst dies aufs Spiel setzen können. Der Katalysator des weiteren Geschehens ist das Mädchen Maartje (Pippa Allen), das besonders Tuur verzaubert. Und da Kinder ihre größten Geheimnisse anderen Kindern unter dem Siegel der Verschwiegenheit weitererzählen, lernt Maartje bald die geheimnisvolle Höhle kennen, die offenbar noch ein weiteres Geheimnis verbirgt: der Widerstand versteckt dort alliierte Soldaten vor den Deutschen.
Maartjes Geheimnis ist ein anderes: Als Tuur das Vertrauen des Mädchens gewinnt, erzählt ihm Maartje, dass sie eine Jüdin aus Amsterdam ist, die in dem Dorf versteckt wird.
Tuurs und Lamberts Freundschaft bekommt einen Riss. Tuur ahnt, dass es gefährlich ist, wenn Maartje mit dem Sohn des Bürgermeisters spielt, der sich offen zu den Besatzern bekennt. Die Ereignisse eskalieren, als Lambert aus Verzweiflung über Tuurs immer schroffer werdende Distanz seinem Vater verrät, dass Maartje ein kleines Ferkel vor den Soldaten versteckt hat. Kurz danach durchkämmen Soldaten den Hof und decken auch Maartjes wahre Identität auf. Es ist ihr Todesurteil.


Kinder sind schlau

Dennis Bots erzählt seine Geschichte gradlinig und klar konturiert. Dass Tuurs Vater zum organisierten Widerstand gehört und Lamberts Vater ein Kollaborateur ist, mag schematisch wirken, wird aber mit einer kindgerechten Stringenz erzählt und ist dabei alles andere als verniedlichend und harmlos. Spätestens als Tuur an den Gleisen der Bahnstrecke einen Zug beobachtet und aus dem letzten Waggon eine Kinderhand herausgestreckt wird, die einen Teddybär fallen lässt, weiß Tuur, dass die Erwachsenen ihre Geheimnisse nicht länger hüten können. Sie können und wollen es nicht erklären. Das Kind soll vom Bösen nichts erfahren, dabei ist es sein Zeuge. Die Bildchiffre beendet Tuurs Kindheit, die Übertragung der grausamen Gewissheit auf Maartjes auswegloses Schicksal ist ein bewegender Moment in Bots Film.

Kinder können dies verstehen, erklärte der Regisseur. Sie seien schlauer, als so mancher Filmemacher meint: „Sie sollen die Geschichte ‚fühlen‘ und nicht nur sehen können!“ „Secrets of War“ ist dies mit einer großartigen Kinogeschichte gelungen, die pädagogische Penetranz klug umschifft und auch ohne erklärende Dialoge allein durch die Bilder zur Essenz vorstößt. Und die erspart den jungen Zuschauern nicht ein hartes Ende, obwohl es dann doch Lambert ist, der unter großen Gefahren Tuurs Familie bei der Flucht nach Belgien hilft.
Großes Lob verdienen die Kinderdarsteller Maas Bronkhuyzen, Joes Brauers und Pippa Allen, die bereits eine längere Filmografie vorweisen können. Kleine coole Profis, die ihre erwachsenen Kollegen streckenweise alt aussehen lassen.
 Auch die exzellente Kameraarbeit von Rolf Dekens sollte nicht unerwähnt bleiben. Das gilt leider nicht für die Filmmusik von André Dziezuk, dessen Underscoring mit zunehmender Filmdauer und angesichts der ohnehin sehr emotionalen Bilder lästig wird.
„Secrets of War“ wurde 2014 auf dem Netherlansa Film Festival mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet. Der Film ist seit April auf Bluray und DVD erhältlich.


Note = 1,5

Secrets of War (Das große Geheimnis) - Niederlande 2014 - R.: Dennis Bots - nach einem Roman von Jacques Vriens - Kamera: Rolf Dekens - D.: Maas Bronkhuyzen, Joes Brauers, Pippa Allen.