Freitag, 23. Juni 2017

Genius: Einstein - National Geographic Channel überzeugt mit guter Serie

„Genius“ ist die erste „scripted series“ des National Geographic Channel, ein fiktionales Biopic, das von einer Ikone der Physik des 20. Jahrhunderts erzählt: Albert Einstein. In der letzten Folge der zehnteiligen Serie wurde enthüllt, um wen es in der zweiten Staffel gehen wird – um Pablo Picasso. Wenn National Geographic weiterhin die Qualität dieses Projekts hochhält, dürfte uns Spannendes bevorstehen. Die Serie kann bei SKY und AMAZON VIDEO gestreamt werden.

Als „Dokutainmant“ kündigte SKY das Renommierprojekt an. Das ist natürlich ziemlicher Blödsinn, denn Dokutainment gehört zu Sendeformaten wie Doku-Soap oder Scripted Reality. Und das sind seichte Geschichtchen, schlimmstenfalls kann man so etwas als Fake Reality bezeichnen, was nicht dadurch besser wird, dass fast 80% der Zuschauer diese Formate für „echt“ halten.

Was in der ersten „Genius“-Staffel echt ist, werden Wissenschaftshistoriker beurteilen können. Die Serie basiert auf Walter Isaacson 2007 erschienenen Buch Einstein: His Life and Universe und wenn man an die über 50.000 Briefe in Einsteins sorgsam gehüteten Nachlass denkt, dürfte auf spätere Biografen noch viel Arbeit warten. Aber Walter Isaacson ist ein renommierter Journalist und Autor, dem man zutrauen darf, dass er einen Schritt in die richtige Richtung gemacht hat. Immerhin hatte der Autor im Jahre 2006 Zugriff auf zuvor unbekannte Dokumente über den Physiker.


Für die Macher der Serie trotzdem ein Wagnis. Ron Howard (Oscar für „A Beautiful Mind“, „The Da Vinci Code“), einer der Executive Producer der Serie, gab unumwunden zu, dass er vorher das Relativitätsprinzip nicht verstanden habe, und nach der Produktion der Serie erst recht nicht. Zusammen mit Brian Grazer (Oscar für „A Beautiful Mind“) und Gigi Pritzker hat Howard die Serie dennoch produziert. Ken Biller schrieb die Drehbücher und fungierte als Showrunner. Der Score stammt von Hans Zimmer, was auch dem musikalischen Thema der pointierten Main Title Sequence hörbar gut getan hat, die mit wuchtigen Einschlägen Einsteins Leben mit der Gewalt und den Kriegen kurzschließt, die Einstein menschlich, moralisch und politisch zu schaffen machten. Das Politische kam allerdings später, der junge Einstein war kein homo politicus.


Nicht allzuviel Physik, dafür viele Love Affairs und natürlich Politik

Der Gedanke, zehn Folgen lang der Geschichte der Relativitätstheorie zuschauen zu sollen, dürfte viele abschrecken. Aber erstens ist das nicht das zentrale Thema und zweitens soll man ja mit dem Satz der Pythagoras nachrechnen können, wie die Zeitdilation funktioniert und dass sich Längen und Zeiten ändern müssen, wenn die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum einen konstanten Wert hat.
Das alles kommt in „Genius“ natürlich vor, wird auch teilweise sehr clever vermittelt, ist aber nicht die ganze Geschichte. Die zehn Episoden von „Genius“ erzählen vielmehr, am Anfang nicht immer linear, von Albert Einsteins Schulzeit, seinem Studium in Bern, seinem Aufstieg zu einem der berühmtesten Physiker seiner Epoche, der Flucht vor den Nazis, seinen Problemen mit Edgar G. Hoover und sie zeichnen dabei nicht nur die dramatischen Entdeckungsprozesse nach, die Einstein seiner außergewöhnlichen Imagination verdankte, sondern begründen auch die fast zwangsläufig eintretende Notwendigkeit, als Jahrhundertgenie halt auch zu politischen Fragen Stellung beziehen zu müssen.

In der ersten Folge wird der deutsch-jüdische Außenminister Walter Rathenau von Mitgliedern der faschistischen „Organisation Consul“ ermordet (1). Rathenau und Einstein waren befreundet und die Ermordung „der Judensau“, so zeigt es die Serie plausibel und historisch korrekt, trug wesentlich dazu bei, dass Einstein sich zunehmend politisierte und auch mehr Verständnis für die zionistische Bewegung und die Bemühungen Chaim Weizmans (Peter Jacobson, u.a. „House“) entwickelte.
Einstein (in der ersten Episode von Geoffrey Rush gespielt) wird auf der Straße von SA-Leuten angespukt, er weiß nach dem Terrorakt, dem sein Freund zum Opfer fiel, dass er nicht in Deutschland bleiben kann. Am Ende der Episode „Chapter One“ sitzt er dann mit seiner Frau in der amerikanischen Botschaft und muss erfahren, dass seine Immigration in die USA davon abhängt, dass er kein Kommunist ist und der Erläuterung, warum er ein so anzügliches Liebesleben führt. Freiheit hat also ihren Preis und J. Edgar Hoovers Akte über den „extremen Radikalen“ umfasste am Ende über 1400 Seiten. Erst 1940 erhielt Einstein die amerikanische Staatsbürgerschaft.



Nach dieser Einleitung wird die Vorgeschichte in Flashbacks erzählt, in denen Johnny Flynn sehr charmant den jungen Einstein spielt. Den Schwerpunkt bilden dabei nicht Einsteins revolutionäre Entdeckungen. Die werden zwar in gelungenen CGI-Effekten überraschend gut nachvollziehbar präsentiert, aber das Zentrum der Geschichte von „Genius“ ist das Private Life des Mannes Albert Einstein. Und dazu gehörte auch sein Liebesleben und damit auch die erste große Liebe Anna Winteler (Alicia von Rittberg), seine Techtelmechtel, seine gescheiterte Ehe mit Mileva Marić, die zweite Ehe mit seiner Cousine Elsa, die sexuellen Eskapaden mit seinen Sekretärinnen. Aber auch die akademischen Kämpfe um Akzeptanz und der enorme Widerstand von Männern wie dem deutschen Physiker Philipp Lenard (Michael McElhatton), einem Nationalisten und Antisemiten, der im Dritten Reich als Verfechter der „Deutschen Physik“ zweifelhaften Ruhm erlangte. 

Das wird spannend und konsistent erzählt. Ob Einstein auf einer Party tatsächlich Franz Kafka getroffen hat, sei dahingestellt. Einstein kannte viele berühmte Personen. Etwa den Chemiker Fritz Haber (Richard Topol), den „Vater des Gaskriegs“, von dem sich der Pazifist Einstein zurückzog. Nicht ganz klar ist, ob es die intensive wissenschaftliche Begegnung mit Marie Curie gegeben hat, aber da existiert wenigstens ein Foto, das die beiden zeigt. Marie Curie wurde von der bigotten wissenschaftlichen Männerwelt wegen einer Affäre mit einem verheirateten Kollegen geschnitten und „Genius“ zeigt, wie Einstein als Einziger auf einem Empfang offen auf die berühmte Nobelpreisträgerin zugeht. Einsteins respektvolle Männerfreundschaft mit Max Planck erzählt die Serie authentisch und diese Beziehung macht sichtbar, wie pazifistisch Einstein war, während sein berühmter Kollege erst seinen Sohn in den Grabenkämpfen des 1. Weltkriegs verlieren musste, um den Wahn des Nationalismus zu durchschauen. Es geht in
„Genius: Einstein“ also auch um Intimes, Privates, um Gefühle und emotionale Niederlagen, um freizügigen Sex und den Verzicht auf Konventionen und auch darum, dass all dies unweigerlich öffentlich gemacht wird. Daran hat sich 100 Jahre später kaum etwas geändert.

Das mag mitunter so aussehen, als würde das Leben Einsteins in einem Melodram zu Grabe getragen, aber „Genius“ ist so widerspenstig wie der widerspenstige und allen Autoritäten abschwörende Physiker. Denn das Private im Leben des Jahrhundertgenies ist kein Beiwerk, sondern spiegelt auch ein Stück Zeitgeist wider, nicht nur dann, wenn es um die Sexualmoral geht. „Genius: Einstein“ gelingt dieser Spagat ziemlich gut.
Das ist auch gut so, denn der Mensch Einstein verschwindet bis heute hinter seinen physikalischen und kosmologischen Modellen und auch hinter seinem Image. Einstein wurde zur Pop-Ikone, zum Mythos. Seine anti-autoritäre Haltung hängt millionenfach als Poster in irgendwelchen Jugendzimmern, symbolisiert durch ein berühmtes Bild: Albert streckt die Zunge raus. Auch dieser Schnappschuss des Fotografen Arthur Sasse, der an Einsteins 72. Geburtstag in Princeton entstand, hat zur Ikonisierung Einsteins beigetragen und der Physiker fand das Foto immerhin so gut, dass er damit Werbung in eigener Sache betrieb.

„Genius“ entzaubert den berühmten Physiker also nicht und melodramatisiert auch sein Leben nicht, um den Zuschauer schwere Wissenschaftskost zu ersparen, sondern zeigt das Brüchige und Widersprüchliche eines Mannes, der erkennbar seinen Beruf der Familie vorgezogen hat und – das ist nicht völlig geklärt – seiner ersten Frau Mileva Marić, die ebenfalls Physikerin war, offenbar die ihr zustehenden Anerkennung versagte.
Ob Mileva Marićs Beitrag zu Einsteins Theorien bedeutsam war, ist nach wie vor ungeklärt. Aber beinahe pädagogisch wirkt in der Serie eine Nebenerzählung, in der gezeigt wird, dass Pierre und Marie Curie als Paar lebten und forschten und offenbar alles entschieden glücklicher gehandhabt haben. „Genius“ macht mit diesen gelegentlich verschachtelten, aber klug eingefügten Nebenschauplätzen, in denen auch Carl Gustav Jung und Wilhelm Röntgen auftauchen, aus der Ikone Albert Einstein einen Menschen mit alltäglichen, mitunter recht trivialen Problemen, und ist damit auch einen Querschnitt durch die Wissenschaftsgeschichte eines Jahrhunderts voller bahnbrechender Entdeckungen.

Gespielt wird Albert Einstein überwiegend von Johnny Flynn („Clouds of Sils Maria“). In der ersten und ab der 7. Episode wird die Rolle des älteren Einstein endgültig von dem Oscar-Gewinner Geoffrey Rush („Shine“) übernommen. Der optische Übergang vom jugendlich aussehenden, etwas naiv-enthusiastisch spielenden Flynn zum eher bärbeißigen Geoffrey Rush umfasst nur wenige Jahre, sieht aber so aus, als wären Jahrzehnte vergangen. Die überzeugt genauso wenig wie die Doppelbesetzung der Rolle von Mileva Marić durch die ausgezeichnete Samantha Colley („Victoria“, TV) und danach durch Sally Dexter (ältere Mileva). Das gilt leider auch für die gut agierende Gwendolyn Ellis als junge Elsa Einstein, während die bekannte Charakterdarstellerin Emily Watson als ältere Elsa äußerlich so ziemlich das krasse Gegenteil ihre Kollegin ist. Glücklich wird man ungeachtet der guten darstellerischen Leistungen des gesamten Ensembles mit diesem Casting nicht.

„Genius: Einstein“ ist trotz dieser kleinen Fehlgriffe eine fabelhafte Serie geworden, auch weil die ein erfreulich konventionelles fiktives Narrativ ohne stilistische Gimmicks auskommt. Der Zuschauer kann sich also darauf verlassen, dass er weder getäuscht noch überfordert wird (2).

Pikante Details, aber kein Melodram: Wo bleibt die Physik?

Aber was ist nun mit der Relativitätstheorie? Da wird manch einer trotzdem die Nase rümpfen. War Albert Einstein nicht der, für den alles relativ, also beliebig gewesen ist? Der nichts Absolutes kannte und demzufolge alles ziemlich wurscht ist?
Das ist zwar aberwitzig, aber das sind auch die bis heute nicht enden wollenden Versuche einiger penetranter Zeitgenossen, die sich immer noch verzweifelt damit herumschlagen, die Relativitätstheorie zu widerlegen. Das World Wide Web ist voll davon. Beharrlich wird dabei ignoriert, das so einiges, was wir im technischen Bereich täglich benutzen, ohne Einsteins Erkenntnisse nicht funktionieren würde. Was übrigens auch für die Quantenphysik gilt. Auch Einstein, dass zeigt „Genius“ ebenfalls auf sehr kluge Weise, war bereits in jungen Jahren klar, dass er als theoretischer Physiker seine Theorien nicht nur mathematisch beweisen musste, sondern in entscheidendem Maße von empirischen Beweisen abhängig sein würde. Die sind mittlerweile erbracht worden, und zwar in einer Art und Weise, die selbst Einstein für unmöglich gehalten hat.

Etwas Absolutes kannte Einstein schon: die Lichtgeschwindigkeit. Alles Weitere ist zugegeben etwas komplizierter. Man kann sich richtig abplagen damit, auch wenn Sci-Fi-Filme wie „Interstellar“ einige Einblicke, aber auch konfuse Ausblicke in das bleischwere Thema geben.
Manch einer wird schon von der Speziellen und Allgemeinen Relativitätstheorie gehört haben und der eine oder andere hat sich schon in einen der vielen naturwissenschaftlichen Vereine begeben, um dort in Vorträgen etwas über die Relativitätstheorie zu erfahren. Nur selten fuhr man anschließend klüger nach Hause, als man zuvor gewesen ist. Auch über 100 Jahre nach den bahnbrechenden Entdeckungen des genialen Physikers, der persönlich Ghandi als das größte Genie des 20. Jahrhundert bezeichnete, ist die Relativitätstheorie trotz der vielen Bücher und der vielen Videos von Harald Lesch für viele ein Buch mit sieben Siegeln geblieben.
Selbst sogenannte Online-Wissenschaftsmagazine stiften auch heute noch ärgerliche Konfusion. Erst neulich las ich, dass eine Reise mit Lichtgeschwindigkeit zu einem 100.000 Lichtjahre entfernten Stern knapp mehr als 100.000 Jahre dauert und die Rückreise ebenfalls so lange dauert. Tatsächlich gilt dies nur für einen Beobachter auf der Erde. Für den Raumfahrer dauert die Reise mit 299.792,458 km/s lediglich 22,3 Jahre. Das können mittlerweile auch Schüler der Gymnasialen Oberstufen berechnen. Übrigens haben Geschwindigkeitssteigerungen bereits ab der 3. Stelle hinter dem Komma eine unglaubliche Wirkung, relativistische Effekte treten eben im extremen Grenzbereich auf. Und so benötigt unser fiktiver Astronaut zum Rand des sichtbaren Universums (46 Milliarden Lichtjahre) nur 47,6 Jahre.

Natürlich sind solche Reisegeschwindigkeiten unmöglich. Sie würden uns mental auch überfordern. Denn während einer Reise mit Lichtgeschwindigkeit würde sich, natürlich nur für den Reisenden, der Raum so krümmen, dass der Kosmos als Punkt erscheint. Nigel Calder hat dies in seinem berühmten Buch „Einstein’s Universe“ 1979 so beschrieben: „Der Raum des Universums erscheint sicherlich punktähnlich für Reisende, die Lichtgeschwindigkeit haben. Sie können es innerhalb der Zeit Null durchkreuzen, weil die Zeit bei ihrer hohen Geschwindigkeit stillsteht. Der gesamte große Kosmos ist in jeder Richtung vollständig verkürzt.“

Einstein, der für seine Aphorismen und einen gelegentlich ruppigen Humor bekannt war, hat es wie kein anderer verstanden, seine Ideen mit anschaulichen Beispielen zu erklären. Dass viele ihm folgen nicht konnten, anfänglich auch nicht seine Physikerkollegen, verstand er nicht. Die Menschen sollten sich schämen, dass sie sich „gedankenlos (...) der Wunder der Wissenschaft und Technik bedienen und nicht mehr davon erfasst haben als die Kuh von der Botanik der Pflanzen, die sie mit Wohlbehagen frisst“.
Vielleicht liegt das daran, dass wir uns ein gekrümmte Gurke, aber leider nicht eine gekrümmte Raumzeit vorstellen können. Einstein konnte sich das Undenkbare vorstellen. Die meisten von uns haben schon Probleme damit, sich das Denkbare vorstellen zu können. Wir bauen dank Einsteins Gleichungen zwar tolle Sachen, fühlen uns ansonsten aber in Newtons Universum mit seinem absoluten Raum und seiner absoluten Zeit viel wohler. Auch Affen brauchen kein Lexikon, um eine Banane zu essen.

Note: BigDoc = 1

(1) Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Friedrich Wilhelm Heinz, einer der führenden Köpfe der geheimen Organisation, nach dem Zweiten Weltkrieg im Auftrag des Bundeskanzleramtes eine Vorläuferorganisation des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) aufbaute. Mehr dazu hier.
 

(2) Das sehen nicht alle so. Recht spannend ist, wie PULS, das „junge Programm des Bayerischen Rundfunks“ die Serie seiner Zielgruppe verkauft. „Einstein ist in der Serie schon in jungen Jahren der Professor, der er später wird. Er ist der Streber, der alles besser weiß. Nichts gegen Streber, aber das nervt leider ein bisschen an „Genius“. (...) ...zu oft wirkt „Genius“ wie eine ZDF-Vorabenddoku: brav, belehrend und berechnend. man erwartet, dass jeden Moment der Mainzer Schwellkopp von Guido Knopp ins Bild ploppt und irgendwas mit Nazis erzählt.“ 

Klar: der anvisierten Zielgruppe bietet man neben einer Portion Youth Speech, oder was man darunter versteht (
Albert, der geile Stecher), auch Klischees an, die aus der „Feuerzangenbowle“ stammen könnten. Auch Streber zieht immer. Noch peinlicher sind aber die Rechtschreibungsfehler und die unterschwellige Verständigung darüber, dass Sex geil ist („Einstein macht seine Alte klar“) und Infos über Nazis total uncool sind. DAS ist berechnend.